E-Book, Deutsch, 371 Seiten
Reihe: Lenos Polar
Cueni Der Bankier Gottes
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-85787-523-6
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Roman
E-Book, Deutsch, 371 Seiten
Reihe: Lenos Polar
ISBN: 978-3-85787-523-6
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Claude Cueni, geboren 1956 in Basel. Nach dem frühzeitigen Abbruch der Schule reiste er durch Europa, schlug sich mit zwei Dutzend Gelegenheitsjobs durch und schrieb Geschichten. Mittlerweile hat er über fünfzig Drehbücher für Film und Fernsehen sowie Theaterstücke, Hörspiele und Romane verfasst, u.a. den Erfolgsroman »Der Henker von Paris«. www.cueni.ch.
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LIBYEN Kaum hatte die Cessna die nordafrikanische Küste erreicht, setzte sie zum Sinkflug an. Die Maschine landete auf einer schmalen Piste am Rande eines mächtigen Trümmerhaufens aus antiken Säulenteilen, zerbrochenen Quadern und Steinbalken, die einmal zu Leptis Magna gehört hatten, der legendären karthagischen Stadt, die ungefähr hundert Kilometer östlich von Tripolis lag. Hinter einer Tempelruine ertönte der stotternde Motor eines schrottreifen Jeeps. Der Wagen wirbelte eine Menge Staub auf, als er auf einem schmalen, notdürftig freigeschaufelten Weg auf die Cessna zufuhr. Furio zerrte Frank Bohne aus dem Flugzeug und schubste ihn vorwärts.
»Ich habe Durst«, sagte Bohne mit trotziger Kinderstimme.
»Wie interessant«, spottete Furio, »ich dachte, du wolltest pissen.«
Der Jeep hielt neben ihnen. Ein Libyer saß am Steuer. Auf dem Beifahrersitz Francesco. Er gab Furio und seinem Gefangenen ein Zeichen, auf die offene Ladefläche zu steigen. Dann fuhr der Jeep in Richtung Meer zurück. Sie entfernten sich von der punischen Ruinenstadt, die einst den Karawanen, die aus dem Innern Afrikas kamen, als Stützpunkt gedient hatte. Kaiser Nero hatte die Stadt Leptis mit einem Hafen ausgestattet und ihr den Beinamen »Magna«, die Große, verliehen. Übrig geblieben waren Tonnen von Marmortrümmern, die man den Steinbrüchen Ägyptens, Kleinasiens und Nordafrikas entrissen hatte.
Der Jeep fuhr einen grün bewachsenen Hügel hinunter, der nach einigen Hundert Metern in einen schmalen Weg mündete, der links und rechts von steilen Böschungen flankiert war. Am Ende des Weges war eine meterhohe runde Mauer aus mächtigen Steinquadern. In der Mitte der Mauer befand sich ein gewölbter Eingang. Sie mussten ganz in der Nähe des Meeres sein. Frank Bohne hörte bereits die Brandung.
Furio und Francesco packten den Programmierer an den Oberarmen und führten ihn durch den Eingang. Sie schubsten ihn eine enge Steintreppe hinunter, und weiter ging es durch das Labyrinth von Gängen, das sich unter dem Amphitheater von Leptis Magna ausdehnte. Schließlich erreichten sie einen Gang mit Zellen. In der einen Zelle befand sich bereits ein älterer Mann, der auf dem Boden hockte. Furio öffnete die Zelle. Francesco stieß den Deutschen hinein. Dann fiel die Tür ins Schloss. Im nächsten Moment entfernten sich die Schritte.
Bohne sah verzweifelt den älteren Herrn an. »Können Sie mir sagen, was das zu bedeuten hat?«
»Deutscher?«, antwortete Cesare Lustrinelli mit starkem italienischem Akzent.
»Ja«, antwortete Bohne, »aus Berlin. Kennen Sie Deutschland?«
»Wieso bist du hier?«, fragte Lustrinelli mit fester Stimme.
Der selbstbewusste Ton des Italieners ließ den Deutschen Hoffnung schöpfen.
»Keine Ahnung«, log Bohne, »die werden uns nicht umbringen, oder?« Bohne lachte hysterisch auf.
»Ich bin der Präsident der italienischen Nationalbank, und ich weiß sehr genau, wieso ich hier bin, aber wieso bist du hier, mein Junge?« Lustrinelli durchbohrte den jungen Deutschen mit seinem Blick.
»Ich bin Programmierer …«, begann Bohne zögerlich.
»Hacker«, verbesserte ihn Lustrinelli, »du bist dieser unterernährte Hacker, der den Verein um ein paar Millionen betrogen und das Geld an irgendeine Organisation überwiesen hat, die sich für die Neuansiedlung von Braunbären einsetzt.«
»Nein, nein, ich …« Bohne lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Jetzt saß er neben Lustrinelli und suchte den Augenkontakt. Doch Lustrinelli würdigte ihn keines Blickes.
»Ich erinnere mich an die Geschichte. Mit Lügen wirst du deine Haut nicht retten. Sie werden dir alle Knochen brechen, deinen Körper wie ein Hühnchen aufschlitzen und dich gefesselt in einen Schweinetrog werfen. Dann bleibt nichts mehr von dir übrig. Außer deinen Lügen.«
»Ich mache alles, was die wollen …«
»Die wollen deinen Tod«, entgegnete Lustrinelli barsch.
»Ich verstehe das alles nicht, wo sind wir hier eigentlich. Ist das Malta oder Libyen?«
»Schweine fressen Menschen nur, wenn sie stark bluten. Hast du schon einmal das Gebiss eines Schweines gesehen? Schweine zermalmen jeden Knochen. Beim Schädel muss man nachhelfen. Wie bei einer Kokosnuss, ein paar Hammerschläge. Also, mein Junge, schau der Realität ins Gesicht, und hör auf zu jammern. Mitleid ist keine Option.«
»Was sind Munera?«, stieß Bohne hervor. Seine Stimme überschlug sich. Er kriegte kaum noch Luft.
»Munera?«
Bohne schaute hilflos zu Lustrinelli, aber der Banker starrte immer noch unbeirrt auf die gegenüberliegende Wand. Lustrinelli schwieg.
»Hat es etwas mit Schweinen zu tun?«
»Nein«, murmelte Lustrinelli, »Munera sind ein altrömischer Brauch. Das hat mit Schweinen nichts zu tun. Munera veranstalteten die Römer zu Ehren eines Verstorbenen. Man lädt Männer ein. Männer wie uns.«
Lustrinelli schwieg.
»Und?«
»Ursprünglich war es eine religiöse Zeremonie. Doch Julius Cäsar hat es dann etwas übertrieben. Man lud immer mehr Männer ein. Zehn, zwanzig Männer. Und beim nächsten Begräbnis waren es dann schon fünfzig. Und keiner wollte sich lumpen lassen. Es wurde ein riesiges Spektakel. Später lud man sogar Tausende von Zuschauern ein. Und plötzlich dauerten solche Munera Tage, Wochen, und es waren nicht mehr nur zwei Männer, die da unten in der Arena standen, sondern Hunderte … Und fünfzigtausend Menschen saßen auf den Rängen und …«
Frank Bohne begann zu weinen.
»Ja«, murmelte Lustrinelli, »das sind Munera.«
LIBYEN Gleißendes Licht blendete die beiden nackten Männer, die mit spitzen Speeren in die zerfallene Arena des Amphitheaters von Leptis Magna getrieben wurden. Über dem Tor zur Arena standen Männer mit schwarzen Anzügen und dunklen Sonnenbrillen. Ein frischer Wind wehte vom Meer her über die Ruinen des einst so berühmten Theaters. Auf den erhöhten Rängen waren bewaffnete Männer postiert. Eine Flucht war ausgeschlossen.
»Männer«, begann Salvatore Calame mit lauter Stimme, »vor der Asche unseres verstorbenen Bruders Don Antonio Calame werdet ihr einen ehrenhaften Kampf auf Leben und Tod ausführen, so wie es seit den Etruskern Brauch ist. Bedenkt, dass dieser Kampf eine religiöse Handlung darstellt. Mit eurem Blut werdet ihr den Geist des Verstorbenen versöhnen. Wir opfern euer Blut unserem geliebten Don Antonio Calame.«
Furio und Francesco warfen den beiden nackten Männern je ein römisches Kurzschwert, einen Gladius, zu und zogen sich rasch zurück.
»Wir werden niemals gegeneinander kämpfen«, schrie Frank Bohne zu den Männern auf den Rängen hoch. Der Don antwortete nicht. Man hörte nur das Meer, den Wind, und es war weit und breit keine Menschenseele, die den beiden hätte zu Hilfe eilen können. Bohne schaute verzweifelt zu Lustrinelli. Dieser bückte sich nach seinem Gladius. Blitzschnell ergriff auch Bohne seinen Gladius und wich ängstlich zurück.
Frank Bohne umklammerte die Waffe mit zitternder Hand. Er hatte Angst. Er war in allen sportlichen Dingen immer schon sehr ungeschickt gewesen. In seiner Playstation war er unbesiegbar. Aber das hier war kein Spiel. Er war irgendwelchen Irren in die Hände geraten. Gleich würde etwas Unglaubliches, etwas schier Unfassbares geschehen. Sie waren hier in Libyen und würden sich gleich einen Gladiatorenkampf auf Leben und Tod liefern. Und das im einundzwanzigsten Jahrhundert!
»Das ist der blanke Irrsinn«, schluchzte King Cruel und zeigte den Männern auf den Rängen sein verweintes Gesicht, »lasst es jetzt gut sein! Ich halte das nicht mehr aus!«
»Ich werde nicht gegen dich kämpfen, Junge«, schrie Lustrinelli mit fester Stimme. Die Hitze machte ihm zu schaffen. Er machte ein paar Schritte nach vorne. Plötzlich hielt er inne: »Ich werde keinen Menschen töten«, flüsterte er leise.
»Ich auch nicht«, schluchzte Bohne, »ich kann das nicht.«
»Wenn sie uns töten wollen, sollen sie es tun«, sagte Lustrinelli, während er ein paar weitere Schritte auf Bohne zuging.
»Wir werfen einfach unsere Waffen weg«, sagte Bohne. Seine Stimme überschlug sich. Es war so erbärmlich, hier zu stehen, nackt in der glühenden Sonne, und um sein Leben zu winseln. Lustrinelli zeigte keinerlei Regung. Nackt stand er vor dem Programmierer und wartete. Lustrinellis Unerschrockenheit machte Bohne Angst. Ein böser Traum, fuhr es Bohne durch den Kopf, es ist alles nur ein böser Traum. In diesem Moment durchbohrte Lustrinellis Gladius seinen Bauch. Lustrinelli hatte derart wuchtig zugestoßen, dass er den Halt verlor. Er sackte vor dem verblüfften Programmierer in die Knie und schaute zu ihm hoch. Sein Gladius hatte Bohnes Weichteile oberhalb der linken Hüfte durchbohrt. Lustrinelli wollte den Gladius wieder aus dem Fleisch ziehen, aber Bohne hielt das Schwert fest. Er schaute zu den Rängen hoch. Wabernde Luft verzerrte die schwarzen Gestalten bis zur Unkenntlichkeit. Er sah, dass sie sich ihm näherten, wie stumme Geister aus der Unterwelt. Nur nicht den Gladius herausziehen, dachte Bohne. Ein wildes Schnauben ließ ihn aufhorchen. Furio und Francesco hatten einen Stier in die Arena getrieben. Einen Stier! Es war noch nicht vorbei.
»Lebend werde ich euch von größerem Nutzen sein!«, schrie Lustrinelli, so laut er konnte.
»Du besudelst das Andenken des Verstorbenen«, schrie Salvatore in die Arena hinunter, »steh auf, und kämpfe wie ein Mann.«
Dann erhob sich Lustrinelli und wandte sich dem Stier zu. Der Deutsche torkelte rückwärts, als habe er sich noch nicht entschieden, ob er langsam verbluten oder sofort tot umfallen...