Crouch / Engelmann | Markt und Moral | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

Reihe: Passagen Gespräche

Crouch / Engelmann Markt und Moral

Im Gespräch mit Peter Engelmann
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7092-5008-2
Verlag: Passagen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Im Gespräch mit Peter Engelmann

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

Reihe: Passagen Gespräche

ISBN: 978-3-7092-5008-2
Verlag: Passagen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In seinem Buch Jenseits des Neoliberalismus rechnete Colin Crouch unlängst mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik ab und plädierte für mehr soziale Gerechtigkeit. In Markt und Moral spricht er sich nun klar für eine freie Marktwirtschaft aus, die durch staatliche und zivilgesellschaftliche Maßnahmen reguliert wird.Im Gespräch mit Peter Engelmann liefert Crouch eine Diagnose der gegenwärtigen politischen und sozioökonomischen Situation. Crouch zeigt auf, warum die Wahlfreiheit als Grundbedingung einer funktionierenden Marktwirtschaft immer an Regulierungsinstanzen gekoppelt sein muss, um Monopolisierungsprozessen entgegenzuwirken. Diskutiert werden auch potenzielle Akteure eines gesellschaftlichen Wandels. Warum setzt Crouch auf die Sozialdemokratie, um die Auswüchse neoliberaler Politik einzudämmen? Welche Rolle haben zivilgesellschaftliche Bewegungen, die, anders als Parteien, nicht demokratisch legitimiert sind? Welche Möglichkeiten der (nationalstaatlichen) Einflussnahme gibt es angesichts einer globalisierten Wirtschaft? Wie begegnet man dem demografischen Wandel und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen? Dabei geht Crouch auch auf die Rolle einzelner Staaten im globalen Kontext ein: die USA als Weltmacht, die nordeuropäischen Staaten, die für Crouch Modellcharakter haben, die asiatischen Länder, deren kapitalistisches Wirtschaftssystem nicht an eine demokratische Staatsform gekoppelt ist.

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Colin Crouch: Ich mache hier, ganz im Sinne einer Denkweise des 19. Jahrhunderts, eine Unterscheidung zwischen Demokratie und Liberalismus, was man heutzutage nicht mehr tut. Heute können Politiker oft nicht einmal mehr zwischen Demokratie und Kapitalismus unterscheiden, schon gar nicht zwischen Demokratie und Liberalismus, und sie würden sagen, Freiheit sei Demokratie. Aber die Denker des 19. Jahrhunderts sahen das anders und konnten Demokratie und Liberalismus durchaus auch als gegenseitige Bedrohungen verstehen. Im Liberalismus geht es um eine Gesellschaft, die dem Markt ähnelt, aber nicht den strengen Regeln eines Marktes unterworfen ist, eine Gesellschaft also, in der die Freiheit herrscht, sich zu organisieren, Kampagnen ins Leben zu rufen, sich in recht anarchischer Weise zu versammeln. Das ist Liberalismus und Pluralismus. Peter Engelmann: Okay, und in welchem geschichtlichen Kontext verortest du das? Colin Crouch: Ich würde sagen, das ist ein liberaler Pluralismus insbesondere der amerikanischen Art. Peter Engelmann: Also wäre das eine Entwicklung der amerikanischen Demokratie. Colin Crouch: Und der Pluralismus muss mit dem Liberalismus verbunden werden. Ich denke, man kann es liberalen Pluralismus oder pluralistischen Liberalismus nennen, ganz wie man will – es macht keinen Unterschied. Peter Engelmann: In Europa gab es so eine Entwicklung nicht – anders als in Amerika. Colin Crouch: Naja, es gab sie sogar zu allererst in Europa. Es begann in jenen Gesellschaften Europas – ich schätze, die niederländische war die wichtigste –, die im Laufe des 17. Jahrhunderts einen bestimmten Grad an religiöser Toleranz erreicht hatten. In England und in den Niederlanden, in der Schweiz, aber auch in Teilen Deutschlands lebten Katholiken, Lutheraner, Calvinisten und auch Menschen, die nicht gläubig waren. Peter Engelmann: Also hat das gar nichts mit Demokratie zu tun. Colin Crouch: Nein, es ist vordemokratisch. Es stellte sich dann das Problem, welche Grenzen bestimmten Verhaltensweisen gesetzt werden sollten, aber es fand in diesen Gesellschaften allgemeine Akzeptanz, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, seinen Glauben auszuüben. Dieser Gedanke ist uns erhalten geblieben und geht jetzt weit über den religiösen Bereich hinaus. Wenn du zum Beispiel eine Kampagne gegen die Ausbeutung chinesischer Arbeiter ins Leben rufen willst, sollte dir das selbstverständlich frei stehen. Diese Freiheit ist allerdings auch mit Problemen verbunden. Zum Beispiel gibt es keine Garantie, dass nicht immer die Mächtigsten und die Reichen am besten organisiert sind. Es gibt keine Möglichkeit sicherzustellen, dass jeder die Chance hat, seiner Stimme Gehör zu verleihen. Es ist eine substanzielle Freiheit. Demokratie unterscheidet sich meines Erachtens dadurch, dass sie formal egalitär sein muss. Auch wenn es nur eine formale Regel ist, die in der Praxis missbraucht wird, es gibt die Formalität der gleichberechtigten Stimme und der geregelten Wahlkämpfe, wie bei Sportveranstaltungen mit einem gewaltigen Regelwerk, um gleiche Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb zu garantieren. In der Realität gibt es keine substanzielle Gleichheit, auf rechtlicher Ebene aber schon. Und mir scheint es sehr wichtig, dies für die Rekrutierung des Regierungspersonals beizubehalten, da man sonst in eine Art Anarchie verfällt, was sehr schnell zu einer Diktatur führt. Eine gute Gesellschaft schafft es, diese zwei Aspekte zu vereinen: einen stark auf Regeln basierenden demokratischen Prozess und einen anarchistischeren liberalen. Peter Engelmann: Liberalismus ist, wenn ich das richtig verstehe, eine ideologische Haltung oder Übereinkunft, Demokratie eine formale Struktur. Ist das der Unterschied? Colin Crouch: Ja. Peter Engelmann: Und würdest du sagen, weil du vorhin Amerika erwähnt hast, dass man in Amerika sowohl die Entwicklung eines Staates als auch die einer nationalen Einheit hatte? Grundsätzlich liberal, aber auch demokratisch, wobei der liberale Impuls stärker war. Colin Crouch: Wir könnten hier mehrere Punkte weiterverfolgen. Einer ist diese sehr interessante Art und Weise, wie die Monarchie eine Art allgemeines Interesse, eine Öffentlichkeit, durchgesetzt hat. Obwohl jede europäische Monarchie aus einer einzigen Familie hervorging, die eigennützig ihre eigenen Interessen schützte, mussten sie schließlich, um sich selbst zu legitimieren, behaupten, für das allgemeine Interesse zu stehen. Und so entwickelte der König üblicherweise, typischerweise, ein Rechtssystem, das den lokalen Rechtssystemen der verschiedenen Barone überlegen war, da es auf lokaler Ebene neutral war. Daraus entwickelte sich dann schließlich der Rechtsstaat. Die ständische Ehre, um einen weberschen Begriff zu gebrauchen, der mit der Monarchie verbunden war, wurde auf die demokratische Republik übertragen. Der Anspruch, das allgemeine Interesse zu vertreten, war plausibler, wenn er im Namen einer solchen Republik eingebracht wurde, aber die Republik übernahm von der Monarchie die Ansicht, dass die Öffentlichkeit etwas fast schon Heiliges an sich habe. Ein Staatsbeamter, ein öffentlicher Ort haben etwas Besonderes an sich. Seit dem Mittelalter begannen die Rathäuser europäischer Städte, Kirchen zu ähneln und für etwas Allgemeines, Gemeinschaftliches jenseits des profanen Alltäglichen zu stehen. Das ist ständische Ehre. Dem staatlichen Sektor in den Vereinigten Staaten mangelt es an diesem geschichtlichen Hintergrund und er genießt – mit der großen Ausnahme des Militärs – selten einen Sonderstatus. In gewisser Weise ist das ein viel realistischeres Modell, aber ihm fehlt auch etwas. Für Amerikaner haben öffentliche Ämter oder Behörden keine ständische Ehre. Amerikaner, die in diesem Bereich arbeiten, umgibt nicht diese Beamtenaura. Das ist ein Aspekt, der sich aus der Verschiedenheit Amerikas ergibt. Ein anderer ist die lange Geschichte der komplizierten Beziehung zwischen Demokratie und Liberalismus in Amerika, die die lange Geschichte der Korruption der Politik durch Geschäftsinteressen begleitete. Das führte dazu, dass viele Amerikaner demokratischen Institutionen gegenüber misstrauisch sind, da diese leicht korrumpierbar scheinen. Peter Engelmann: Warum gibt es in den Vereinigten Staaten mehr Korruption im öffentlichen Sektor? Colin Crouch: Es hat wahrscheinlich gar nicht mehr Korruption gegeben, aber sie war offensichtlicher und stellte daher eine größere Herausforderung dar. Peter Engelmann: Könnte man sagen, dass die enge Verbindung zwischen Monarchie und öffentlichen Interessen vor Korruption schützt? Colin Crouch: (lacht) Sie verdeckt sie wahrscheinlich mehr als dass sie gegen sie schützt. Gemessen an gewissen Standards, ist die Monarchie ja eine Form von Korruption, da eine Familie Privilegien an ihre Familienmitglieder weitergeben kann. In den meisten Gesellschaftsschichten ist der Nepotismus, also das Weitergeben von Privilegien an ein Familienmitglied, eine Art Korruption, aber in der Monarchie ist er der Modus operandi. Peter Engelmann: Man könnte also sagen, es handelt sich um versteckte Korruption, während sie in Amerika offener ist. Colin Crouch: Offener, was ihnen erlaubt, Konflikte darüber auszutragen; sie waren früher willens als wir in Europa, die Politik zu kritisieren, was positive Auswirkungen hatte. Viele aktuelle Ideen zur Frage der Transparenz kommen aus den Vereinigten Staaten. Eine negative Auswirkung bestand darin, dass man sich in Amerika schwer tat, einen Begriff des öffentlichen Interesses zu entwickeln, der nicht einfach eine Ansammlung von Interessen einzelner Marktakteure meinte. Das Ganze gipfelte in dem berühmten Beschluss des amerikanischen Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 201016, wonach Konzerne sämtliche Rechte von Individuen erhielten, mit Ausnahme des Wahlrechtes, und es keine Beschränkungen mehr dafür gibt, wie Konzerne ihr Geld für Wahlkämpfe verwenden, außer, dass sie einen Kandidaten oder eine Partei nicht direkt finanzieren dürfen; sie müssen ihre Unterstützung Parallelorganisationen zufließen lassen. Damit wird die amerikanische Demokratie endgültig von der Macht der Konzerne durchdrungen, die bereits aufgrund der Tatsache stark war, dass Politiker wegen des Vorwahlsystems persönlich und nicht über die Partei Gelder aufbringen müssen. Also spielte Geld in der amerikanischen Politik immer schon eine große Rolle. Nun aber ist das völlig legitimiert, und was wir in einigen europäischen Staaten als korruptes Handeln betrachten würden, ist für amerikanische Konzerne ein garantiertes Recht. Sie können unbegrenzte Summen für politische Zwecke ausgeben. Das ist jetzt eine neue, zeitgemäße Sichtweise dieses Konfliktes zwischen Liberalismus und Demokratie. Wir haben einen Punkt erreicht, wo die Demokratie durch den Wirtschaftsliberalismus eigentlich sogar geschwächt wird – und zwar in Gesellschaften, wo extreme Ungleichheit herrscht und...


Crouch, Colin
Colin Crouch ist britischer Politikwissenschaftler und Soziologe. Mit seiner zeitdiagnostischen Arbeit zur Postdemokratie und dem gleichnamigen, 2004 veröffentlichten Buch wurde er international bekannt. Colin Crouch ist emeritierter Professor an der University of Warwick und Mitglied der British Academy.

Engelmann, Peter
Peter Engelmann ist Philosoph, Herausgeber der französischen Philosophen der Postmoderne und der Dekonstruktion und Leiter des Passagen Verlages.

Colin Crouch, britischer Soziologe und Politikwissenschaftler, ist emeritierter Professor für Governance and Public Management an der University of Warwick. Er wurde durch seine zeitdiagnostischen Arbeit zur Postdemokratie international bekannt und gilt als einer der profiliertesten Kritiker neoliberalen Denkens.



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