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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Croft Tief

Thriller
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8321-8562-6
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)

Thriller

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-8321-8562-6
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Zuerst ist es nur ein Pottwal, der an der englischen Küste strandet. Doch kurz darauf schwimmen Hunderte von aggressiven Walen auf die Badestrände zu und bringen auf hoher See Schiffe zum Kentern. Meeresbiologe Roddy Ormond glaubt, dass sie die Menschen warnen wollen. Aber wovor? Die Antwort liegt in der Tiefe des Ozeans begraben.

Mike Croft ist das Thriller-Pseudonym des Autors Mike Stocks, dessen Roman >White Man Falling< 2006 mit dem Goss First Novel Award ausgezeichnet wurde. Er ist der Gründer des Literaturmagazins Anon und lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Edinburgh.

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Teil I 1 »Sie sind aus Kalifornien nach Clacton-on-Sea gezogen?«, fragte Roddy. »Ja, hab ich doch gesagt«, antwortete Joe Farelli. Roddy schloss die Autotür ab und blickte den kleinen Amerikaner skeptisch an. Die Falten um seine Augenwinkel kräuselten sich spöttisch-amüsiert. Joe und er kannten sich erst seit ein oder zwei Minuten, seit Roddy sein klappriges Auto auf der Promenade von Clacton geparkt hatte, aber ihr Gespräch nahm bereits kontroverse Züge an. »Und hier wollten Sie WhaleWorld errichten? Eine Investition in Millionenhöhe? Hier? In Clacton?« »Na toll«, murmelte Joe. »Ein besonders schlaues Arschloch an seinem Arschtag.« »Ähm …«, sagte Roddy nach einer kurzen Pause. Er war sich nicht ganz sicher, wie er auf die Beleidigung reagieren sollte. Aber Joe, dessen kahler Schädel mit dem dünnen grauen Pferdeschwanz in der frühen Morgensonne glänzte, war bereits dabei, ausführlich zu erläutern, warum er in einem heruntergekommenen englischen Badeort ein Delphinarium eröffnen wollte. Roddy nickte, amüsiert und verärgert zugleich, während er sich die mit Kraftausdrücken durchsetzten Erklärungen anhörte. »Haben Sie etwa nie einen Fehler gemacht?«, schloss Joe und hob resigniert die Hände. »Und jetzt habe ich hier einen verrückten Killerwal, Dr. Großkotz. Deshalb habe ich Sie angerufen – wir sollten ihn uns mal anschauen.« Links lag das Meer und rechts die Stadt, und sie marschierten nebeneinander her, zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können: Roddy war groß, hatte Haare (die dringend geschnitten werden mussten) und ein Gesicht, das recht attraktiv wirkte, trotz des hervortretenden Kinns und dem Ausdruck der Erschöpfung um die tief liegenden Augen; er war mager und sah aus, als könne er etwas zu essen vertragen. Seine Kleidung wirkte ein wenig heruntergekommen, so als ob sie geflickt, gewaschen und gebügelt gehörte. Man hätte sie auch einfach wegwerfen können. Joe hingegen war klein, untersetzt, kahlköpfig, gekleidet wie ein Streber und so hässlich wie ein Kamel, das auf eine Zitrone gebissen hat. »Dieses Institut, das Sie leiten, das Institut für Meeressäuger …« »Ja?« »Sind Sie sicher, dass Sie der Direktor sind?«, fragte Joe. »Wie bitte?« »So einen Schrotthaufen würde doch nicht mal ein Hausmeister fahren«, meinte Joe und zeigte über die Schulter auf das alte Auto. »Stehen Sie darauf, gedemütigt zu werden?« So in der Art, dachte Roddy – das Institut für Meeressäugetiere war von einem viktorianischen Philanthropen gegründet worden und war mittlerweile in Organisation und Führung ziemlich überholt und exzentrisch. Neben anderen Unwürdigkeiten gehörte auch dazu, dass der Direktor nur ein Gehalt von sechzehntausend Pfund im Jahr bekam … Aber trotzdem musste er Joes Aggressionen irgendwie kontern, dachte er, als sie vor dem schmuddeligen Eingang zum Pier von Clacton hielten. Er betrachtete das jämmerliche EINTRITT FREI!-Schild, die Holzfassade mit der abblätternden weißen Farbe, die Fish ’n ’Chips-Bude. »Mr Farelli …« »Joe.« »Joe, verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber ich bin im Morgengrauen hierher gefahren, aufgrund eines unverlangten Telefonanrufs, um Ihnen ohne Bezahlung einen Gefallen zu tun, obwohl Sie mir völlig fremd sind …« »Ja.« »… und deshalb bin ich nicht gewillt, mich von jemandem verspotten zu lassen, der seinen Lebensunterhalt mit fünf Delphinen in einem Schwimmbecken verdient.« »Ja, klar«, seufzte Joe, »aber sie haben es Arsch-verdreht. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit mir.« Roddy versuchte, seine Empörung beizubehalten, aber sie löste sich in Wohlgefallen auf. Arsch-verdreht? Jemandem, der in der Lage war, das Wort Arsch so vielfältig einzusetzen, konnte man einfach nicht böse sein. Außerdem hat es sowieso keinen Zweck, mich mit ihm herumzustreiten, dachte Roddy: Ich bin dreiundvierzig, habe keine Frau, kein Kind, kein Haus, weniger Besitztümer als ein armer Student, und ich verbringe mehr Zeit mit Walen als mit Menschen. Kein Wunder, dass er mich für verrückt hält. »Hey, nehmen Sie meinen Mist nicht persönlich, Doc, ich bin voll davon – und ich sage immer, besser draußen als drinnen, was? Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie hergekommen sind. Ich habe Sie extra angerufen, weil alle sagen, Sie hätten diesen kreativen, unkonventionellen Ansatz.« Das sagen sie bestimmt, dachte Roddy; »sie« – andere Meeresbiologen, Wissenschaftler und Wal-Experten – sagten noch einiges mehr. Manche von ihnen bezeichneten ihn als Genie, für andere war er ein verantwortungsloser Einzelgänger. Dass er unkonventionell war, hätte jedoch keiner seiner Kollegen bestritten. »Vor einem Jahr gab es in England noch keine Killerwale«, sagte Joe. Er steckte seine Hände tief in die Taschen, als sie über die Holzplanken des Piers gingen, vorbei an der Hall of Laughter und einer leeren Spielhalle. »Deshalb habe ich Attila den Killer hergeholt – ich dachte, ich verdiene damit so viel Geld, dass mir der Arsch vor Freude juckt. Ich hatte ja keine Ahnung.« Er kratzte sich im Schritt und wand sich. »Wissen Sie, ich bin aus New York, deshalb dachte ich, ich wüsste alles darüber, wie man sich als großes Stück Scheiße im beschissensten Scheißladen der Scheißstadt fühlt, verstehen Sie?« »Äh, ja.« »Genau. Aber ich hasse England, ich verabscheue diese Stadt, ich finde diesen Pier wirklich zum Kotzen, und WhaleWorld finde ich absolut und total scheiße …« Sie gingen gerade durch die Türen seines Unternehmens, und er zeigte dabei auf das Schild. »… und jetzt hat meine größte Attraktion, mein Killerwal …« Er blieb abrupt stehen und schlug die Hände vors Gesicht. »… mein Killerwal hat einen beschissenen Nervenzusammenbruch!« Vorbei am Ticketschalter und einer großen Tafel mit der Aufschrift ATTILA DER KILLER – DER WELT GRÖSSTER THRILLER!, führte Joe Roddy durch ein Gewirr von Fluren, eine Treppe hinauf und durch einen Notausgang wieder hinaus. Schließlich standen sie auf dem obersten Rang einer Arena mit Betonsitzen. Unten lag das abgetrennte Becken, ein mickriges blaues Rechteck mit vier Großen Tümmlern. Gott, stöhnte Roddy innerlich, was für ein elendes, deprimierendes Szenario. Diese armen Tiere. Am Beckenrand sammelte ein Teenager mit einem großen Netz Delphinkot aus dem Wasser. Die Delphine verfolgten lustlos seine Bewegungen. »Hi, Mr Farelli«, rief der Junge. »Hey, Jason.« Ich wünschte, ich wäre nicht hierhergekommen, stellte Roddy fest – fröhliche, intelligente Säugetiere wie diese, Geschöpfe des offenen Meers, unter so jämmerlichen Bedingungen … schrecklich. Versteht denn Joe die Komplexität ihrer natürlichen Umgebung nicht? Die komplizierten sozialen Hierarchien der Delphin-Gesellschaft? Und für den Killerwal ist es sogar noch schlimmer – das Weibchen ist dreimal so groß wie die Tümmler und hat keinen Gefährten. »Sie erzählen mir jetzt was von Tierrechten, stimmt’s?«, grollte Joe, der ihn beobachtete. Roddy seufzte. »Was haben Sie erwartet? Aber wissen Sie, am meisten fällt mir auf, wie merkwürdig das hier alles ist. Ein kleines Wasserbecken mit Delphinen, das über dem Meer hängt.« »Was ist denn daran merkwürdig?« »Manchmal kommen da draußen im Meer bestimmt Wale und Delphine vorbei und wissen gar nicht, dass über ihnen Artgenossen schwimmen. Das ist doch surreal.« »Oh, sie wissen schon voneinander. Manchmal kann man hören, wie sie einander rufen. Vor ein paar Tagen hat ein Killerwal nach Attila gerufen.« »Das ist unglaublich.« »Ja. Irgendwie herzzerreißend.« »Sie tun Ihnen leid? Glauben Sie, dass sie glücklich sind?« »Glücklich?« Joe seufzte. »Was heißt schon glücklich? Bin ich glücklich? Sind Sie glücklich? Diese Tiere sind in Kalifornien in Gefangenschaft gezüchtet worden, sie würden in der Wildnis gar nicht überleben. Hören Sie, ich füttere sie gut, sie werden medizinisch versorgt, das Wasser ist sauber und hat die richtige Temperatur, sie werden trainiert, ich beschäftige sie … Klar, es ist so, als ob sie im Gefängnis wären, aber es gibt gute und schlechte Gefängnisse, und das hier ist ein gutes Gefängnis. Es bricht mir den Arsch, aber ich tue mein Bestes.« Sie gingen die Betonstufen hinunter und umrundeten das Becken. Roddy ging an dem Schirm vorbei, der das Becken des Killerwals von dem der Delphine trennte, und dann hauchte er ein Wort, das seine Überraschung nur unzulänglich wiedergab: »Oh …« Der Killerwal – trotz seines Namens gehörte er zur Gattung der Delphine – trieb auf dem Rücken. Das Weibchen bewegte sich nicht. Nicht die kleinste Welle trübte die Wasseroberfläche. Ihr weißer Bauch schimmerte, umrahmt von ihren schwarzen Flanken, im Wasser, wunderschön und zugleich erschreckend zeichnete er sich vor den hellblauen Wänden des Beckens ab. Ihre schwarzen, paddelförmigen Flossen wirkten wie Stummelflügel. Die über einen Meter lange Rückenflosse, die direkt im Wasser hing, warf einen dreieckigen Schatten auf den Beckenboden. »So«, sagte Joe langsam, »das ist alles, was sie macht. Sie frisst nicht, sie macht nichts bei den Vorführungen, und sie bewegt sich nicht – sie treibt einfach so mit dem Bauch nach oben dahin. Ziemlich bescheuert.« »Seltsam«, murmelte Roddy und hockte sich hin, um dem Tier in die Augen zu...


Mike Croft ist das Thriller-Pseudonym des Autors Mike Stocks, dessen Roman ›White Man Falling‹ 2006 mit dem Goss First Novel Award ausgezeichnet wurde. Er ist der Gründer des Literaturmagazins Anon und lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Edinburgh.



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