E-Book, Deutsch, 432 Seiten
Cowie After Dark
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-29827-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 432 Seiten
ISBN: 978-3-641-29827-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seit die Bewegungsfreiheit von Männern gesetzlich stark eingeschränkt wird, können Frauen sich endlich sicher fühlen.
Trotzdem hat Sarah Angst, als ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen wird. Denn sie ist der Grund, aus dem er verhaftet wurde. Und er ist wütend auf sie.
Die siebzehnjährige Cass hält die Vorsicht, die ihre Mutter Sarah Männern gegenüber walten lässt, für übertrieben. Sie ist in einer für Frauen unbeschwerten Zeit aufgewachsen und freut sich darauf, dass ihr Vater aus dem Gefängnis freikommt. So gefährlich, wie Sarah behauptet, ist er nicht. Oder doch?
Helens größter Wunsch ist es, ein Kind zu bekommen. Daher zieht sie schneller mit ihrem Freund zusammen, als ihr Bauchgefühl es ihr rät. Es wird schon gut werden. Immerhin liebt sie ihn.
Eine dieser drei Frauen wird sterben. Durch die Hand eines Mannes.
Jayne Cowie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo sie viel Zeit in ihrem geliebten Garten verbringt. Schon immer war sie ein Bücherwurm und kritzelte ihre Ideen für neue Geschichten auf alles, was nicht niet- und nagelfest war. 'After Dark' ist ihr Debüt.
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Kapitel 1
Sarah
Vier Wochen vorher
Zum Gefängnis war es eine lange Fahrt. Sarah hatte die Musik voll aufgedreht. Sie tippte mit dem Daumen den Takt gegen das Lenkrad und wippte mit den Schultern. Sie wollte an nichts anderes denken als ans Fahren, an ihre Hand am Steuer, die Anspannung der Oberschenkel bei jedem Fahrbahn- und Tempowechsel. Jedenfalls wollte sie nicht an ihn denken.
Tat sie aber doch.
Seit sie ihren Ex das letzte Mal gesehen hatte, waren fast drei Monate vergangen. Sie fragte sich, ob er sich verändert hatte. Von sich konnte sie das immerhin behaupten. Für einen kurzen Moment sah sie in den Rückspiegel und strich sich mit einer Hand durchs dunkle Haar. Den neuen Schnitt bereute sie schon. Den anstehenden Besuch hatte sie seit Wochen geplant. Sie wollte ihm zeigen, dass sie bestens ohne ihn zurechtkam. Dass er keine Macht mehr über sie hatte. Dafür standen die neue Frisur und das neue Outfit.
In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie doch lieber umdrehen und wieder nach Hause fahren wollte. Was hinderte sie daran? Sie musste nicht da hin und ihn besuchen.
Aber sie fuhr weiter.
Sie musste ihm ein einziges letztes Mal in die Augen sehen. Sie brauchte die Bestätigung dafür, das Richtige getan zu haben, um die Zweifel in Schach zu halten, die sie ab und zu überfielen, wenn sie wieder einmal mit ihrer Tochter Cass in Streit geriet oder wenn sie in den frühen Morgenstunden wach lag und sich in ihrem Kopf Erinnerungen abspulten, die sie liebend gern vergessen wollte.
Sie betätigte den Blinker, nahm die nächste Ausfahrt, ging vom Gas und fuhr langsam bis zur Ampel vor. Während sie auf Grün wartete und dann langsam wieder anfuhr, sah sie aus den Augenwinkeln, dass ihr vier weitere Fahrzeuge folgten, ein trauriger Tross Frauen, die ihren Mann besuchten.
Sie folgte den weißen Markierungen bis zur Haftanstalt. Die dichte Reihe hoher Nadelbäume am Straßenrand verstellte den Blick auf das Gebäude. Sie war dankbar für die riesigen orangefarbenen Schilder, die ihr sagten, wo es langging. Sie stellte den Wagen in der ersten freien Parklücke ab. Es kostete sie einige Mühe, sich abzuschnallen und die Wagentür zu öffnen, nur um dann festzustellen, dass sie viel zu eng eingeparkt hatte und sich kaum aus dem Wagen winden konnte. Sie wollte schon zurücksetzen und einen zweiten Anlauf nehmen, begriff aber, dass sie die Dinge damit nur künstlich verzögert und vielleicht doch noch im letzten Moment gekniffen hätte.
Sie hängte sich die Tasche über die Schulter und lief zum Eingang. Absperrungen sorgten dafür, dass die Besucher nur einer nach dem anderen durch die Automatiktür kamen. Sarah konnte hinter dem Milchglas nichts erkennen. Sie vermied den direkten Augenkontakt mit den anderen Frauen. Gesehen zu werden wäre das Eingeständnis, aus triftigem Grund hier zu sein.
Vor ihr wurde eine Frau in grüner Bluse durchgewinkt, und Sarah rückte vor. Ein Wachmann etwa in ihrem Alter, in marineblauer Uniform, mit einem Funkgerät an der Schulter, hielt sie zurück, bis die Tür wieder aufging. Drinnen wurde schnell klar, was man zu tun hatte. Trotzdem brachte sie es fertig, auf dem Weg zum Empfangstresen, hinter dem eine Frau mit gelangweilter Miene und einem großen Slate in der Hand auf sie wartete, zu stolpern.
»Wen wollen Sie besuchen?«
»Greg Johnson.«
Die Frau überprüfte den Namen auf dem Slate. »Und Sie heißen?«
»Sarah Wallace.«
»Ihre Beziehung zu Greg Johnson?«
»Geschiedene Ehefrau.«
Die Scheidung war schnell, schmerzlos und billig gewesen: vier Wochen, nachdem Greg die Ausgangssperre übertreten hatte, online eingereicht und binnen vierundzwanzig Stunden rechtskräftig vollzogen. Ein guter Tag in ihrem Leben.
Die Frau zeigte auf das Förderband zum Scanner. »Bitte die Tasche da drauf.«
Sarah gehorchte. Anschließend wurde sie durch einen Metalldetektor geleitet. Im Durchgang fühlte es sich so an, als ob sie eine Schwelle überträte, von draußen nach drinnen, von unschuldig zu schuldig. Sie wartete, bis der Gepäckscanner ihre Tasche ausspuckte. Als sie zum Vorschein kam, hielt ihr eine weitere Wärterin einen ausgebeulten gelben Ablagekasten hin.
»Da rein«, sagte sie und deutete auf die Tasche.
»Soll ich sie ausleeren?«
»Wenn ich bitten darf.«
Sie öffnete hastig die Tasche und stülpte sie über dem Kasten um, eifrig bemüht zu zeigen, dass sie nichts zu verbergen habe. Bei dem lauten Klirren von Kugelschreibern, Schlüsseln und Lippenstiften zuckte sie zusammen. Die Wärterin stocherte ein bisschen darin herum und leuchtete zuletzt die leere Tasche mit einer Stiftlampe aus. Ein kurzes Wedeln mit der Hand signalisierte Sarah schließlich, dass dieser Teil erledigt war. Sie sammelte ihre Sachen wieder ein und wurde in einen Korridor weitergeschickt – lang, blaugrau und fensterlos, mit einem quietschenden Bodenbelag. Sie folgte den abblätternden schwarzen Pfeilen, bis sie sich in einem stickigen Raum mit kleinen, quadratischen Tischen und Plastikstühlen wiederfand.
Sollte sie sich einen Tisch aussuchen oder warten, bis ihr einer zugewiesen wurde? Sie machte ein paar Schritte und hörte auf einmal ihr Herz in den Ohren hämmern. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Luft verdichtete und die Wände enger um sie schlossen. Er war da.
Greg setzte sich an einen der leeren Tische, legte die Hände auf die Platte und sah sie an.
Sie öffnete die Lippen, und mit einem Mal fühlte sich ihre Zunge, eben noch ganz normal, zu groß für ihren Mund an. Sie bekam den Speichel, der sich sammelte, nicht hinuntergeschluckt. Sie wusste einfach nicht mehr, wie das ging.
Das da war der Mann, mit dem sie ihr Zuhause, ihr Bett, ihr Leben geteilt hatte. Der Mann, der, schwer und schwitzend, auf ihr gelegen hatte und in ihr gewesen war, als ihre Tochter Cass gezeugt wurde. Blitzartig zog ihr gemeinsames Leben an ihr vorbei, von ihrer ersten Begegnung bis zu dem Moment, wo er auf dem Rücksitz eines Streifenwagens weggefahren wurde. Der ganze Raum drehte sich um sie.
Jemand tippte ihr auf die Schulter. Sarah blinzelte und fand in die Gegenwart zurück. Es war die Frau in der grünen Bluse.
»Alles in Ordnung?«
»Ich …« Sie schluckte mühsam. »Ich weiß nicht.«
»Ihr erster Besuch?«
Sarah nickte.
»Scheiße, oder?« Die Frau hatte eine scharf geschnittene Nase und trug Seestern-Ohrringe. »Sagen Sie sich einfach, es sind nur zehn Minuten. Sagen Sie in diesen zehn Minuten, was Sie loswerden wollen, und gehen Sie dann. Zehn Minuten überleben Sie, egal was kommt.«
Sie hatte Greg achtzehn Jahre lang überlebt. »Mach ich«, sagte sie. »Danke.«
Die Frau klopfte ihr noch einmal auf die Schulter und ging dann zu einem Tisch hinüber, an dem ein junger Mann mit der gleichen scharf geschnittenen Nase saß und ins Leere starrte.
Zehn Minuten nur. Sarah wandte den Kopf und zwang sich, Greg anzuschauen. Er war ihr vertraut, und doch erkannte sie ihn kaum wieder. Er war abgemagert. Das Haar war vollständig ergraut und viel schütterer, als Sarah es in Erinnerung hatte. Die Kopfhaut schimmerte durch. Sein Sweatshirt war von der gleichen schmutzig gelben Farbe wie die Wände. Sie musste sich dazu zwingen hinüberzugehen.
»Sarah«, sagte er.
Sie hatte vergessen, wie er ihren Namen aussprach, so als hinterließe er einen sauren Geschmack auf seiner Zunge. Mit einem Schlag verflüchtigten sich all die Dinge, die sie ihm hatte sagen wollen. Sie suchte danach, griff jedoch ins Leere. Die Monologe unter der Dusche oder hinterm Lenkrad waren vergessen. Mehrere endlose Sekunden lang sahen sie einander einfach nur an. Als Erstes registrierte sie die in seinem stämmigen Körper aufgestaute Wut. Was sie nicht überraschte. Immerhin hatte er seinen Aufenthalt hier drinnen ihr zu verdanken.
Sie nahm Platz, wünschte sich aber sofort, sie wäre stehen geblieben.
»Ich habe beantragt, dass du nach deiner Entlassung einen Ortswechsel vornehmen musst«, erklärte sie. Eine Begrüßung schenkte sie sich. Oder auch die Frage, wie es ihm gehe. Sie wollte es gar nicht wissen.
Er ließ ihr das jedoch nicht durchgehen. »Hallo, Sarah«, sagte er. »Wie geht’s dir? Was macht meine Tochter?«
»Der geht’s gut. Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
»Ich hab’s gehört.«
»Und du hast nichts dazu zu sagen?«
Mit einem Seufzer lehnte er sich zurück. »Was soll ich da groß sagen? Danke, dass du es mich wissen lässt?«
»Ich wollte nur …«
Er fiel ihr ins Wort. »Wohin schicken die mich?«
»Keine Ahnung. Wo sie eine Wohnung für dich finden, vermute ich mal.« Jedenfalls nicht in Riverside, in dem Wohnblock, wo sie die Männer sonst nach ihrer Entlassung unterbrachten. Nur das zählte.
»Also von Cassie weg.«
Sie biss die Zähne zusammen. Sein Besitzanspruch gegenüber ihrer Tochter machte sie immer noch so wütend, dass sie ihm am liebsten eine reingehauen hätte. Erst zu lügen und zu betrügen und dann den liebevollen Vater zu spielen, das zog bei ihr nicht.
»Sie wird achtzehn.«
»Ich weiß, wie alt meine Tochter ist.«
»Das elterliche Sorgerecht endet mit achtzehn. Es ist also nicht nötig, dass du in unserer Nähe wohnst.«
»Demnach bist du den weiten Weg hergekommen, nur um mir zu sagen, dass du mich von meiner Tochter trennen willst?«, fragte er.
Sarah schluckte den Köder nicht. »Ja.«
»Wieso?«
»Man sollte meinen, du wüsstest das.«
Greg nahm...