E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Coupland Generation X
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8412-1614-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur. Roman
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1614-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Bibel der Heutezeit.
Willst du ein Haus oder ein Leben? Andy, Dag und Claire teilen die Sehnsüchte ihrer Eltern, der Babyboomer, nicht. Sicherheit ist ihnen egal. Denn das heraufdämmernde neue Jahrtausend verspricht nichts als Katastrophen. Überschuldung, Überbevölkerung, Klimaerwärmung, Komsumterror - vor diesem Hintergrund zählt nur noch eins: Frei zu sein und zu genießen. Die drei beschließen, sich loszusagen, auf Karriere und Kaufkraft zu verzichten, um sich ins Rentneridyll Palm Springs zurückzuziehen, Gin Tonic zu trinken, Geschichten zu erzählen und auf den Sonnenaufgang zu warten ...
Als 'Generation X' 1991 in den Vereinigten Staaten erschien, waren Leute wie Andy, Dag und Claire, ihre Haltung, die lässige Unverbindlichkeit, Patchworkkleidung, ihre Trink- und Schlafgewohnheiten noch Fiktion. Inzwischen gehören ihre Wiedergänger zum täglichen Straßenbild der Städte weltweit. Millennials und Xennials, Emos, Hipster, die Generation Y und Z. Ihr Denken und Fühlen zu verstehen, wäre ohne 'Generation X' nicht möglich.
Douglas Coupland wurde 1961 auf einem NATO-Stützpunkt in Deutschland geboren, lebt heute in Vancouver, Kanada. In den späten Achtzigern begann er für lokale Magazine zu schreiben, woraus 1991 sein Roman »Generation X« hervorging, der ihn schlagartig berühmt machte und zum Sprachrohr einer Generation werden ließ. Seitdem hat er 14 Romane und zahlreiche Essaybände veröffentlicht und gilt als Vordenker des Digitalzeitalters.
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Die Sonne ist dein Feind
Damals in den späten Siebzigern, als ich fünfzehn war, gab ich den letzten Penny dafür aus, in einer 747 quer über den Kontinent nach Brandon, Manitoba, tief in die kanadische Prärie zu fliegen, um Zeuge einer totalen Sonnenfinsternis zu werden.
Ich muss ziemlich merkwürdig ausgesehen haben, jung, wie ich war, spindeldürr und käseweiß, als ich verstohlen ins TraveLodge Motel einzog, wo ich die Nacht – allein und glücklich – damit verbrachte, mir die Werbung auf den flimmernden Fernsehkanälen anzusehen und Wasser aus Bechern zu trinken, die so oft ausgewaschen und wieder in Papierhüllen gewickelt worden waren, dass man meinen konnte, sie seien mit Sandpapier bearbeitet worden.
Bald war die Nacht zu Ende, und als der Morgen anbrach, an dem die Sonnenfinsternis stattfinden sollte, verzichtete ich auf die Rundfahrtbusse und fuhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den Stadtrand. Dort angekommen, lief ich einen lehmigen Feldweg hinunter, geradewegs hinein in das Kornfeld eines Farmers. Es war irgend so ein hüfthohes maisgrünes Getreide, das mir, als ich es durchquerte, raschelnd mit seinen scharfen Blättern kleine, brennende Wunden in die Haut schnitt. In dem Feld legte ich mich zur angegebenen Stunde, Minute und Sekunde der Finsternis auf den Boden, umgeben von den hohen, robusten Kornähren und dem leisen Summen der Insekten, hielt den Atem an. Mir bemächtigte sich ein Gefühl, das ich seitdem niemals ganz abschütteln konnte; ein Gefühl von Dunkelheit, Unvermeidlichkeit, Faszination, ein Gefühl, von dem sicherlich seit ewigen Zeiten die meisten jungen Leute beherrscht werden, sobald sie den Kopf in den Nacken legen, in den Himmel starren und ihren Blick darin verlieren.
Eineinhalb Jahrzehnte später sind meine Gefühle noch genauso zwiespältig, und ich sitze auf der vorderen Veranda meines Mietbungalows im kalifornischen Palm Springs, bürste meine beiden Hunde ab, inhaliere den schweren, nächtlichen Zimtgeruch der Löwenmäulchen, vermischt mit scharfen Chlorschwaden vom Swimmingpool, die aus dem Garten herüberwehen, und warte auf die Morgendämmerung.
Ich schaue nach Osten hinüber, zum San-Andreas-Graben, dessen Falten wie ein Stück zerkochtes Fleisch in der Mitte des Tals liegen. Gleich wird die Sonne über dem Graben explodieren und über meinen Tag hereinbrechen wie eine Gruppe Las-Vegas-Showgirls über die Bühne. Meine Hunde schauen auch in die Richtung. Sie wissen, dass ein bedeutendes Ereignis bevorsteht. Diese Hunde sind so schlau, dass ich manchmal richtig Angst bekomme. Zum Beispiel wische ich ihnen den blassgelben Schnodder von den Schnauzen, der aussieht wie der zerlaufene Käse auf einer Pizza aus der Mikrowelle, und mich befällt ein schreckliches Gefühl, denn ich habe diese Hunde im Verdacht (auch wenn mich ihre gewinnenden, schönen schwarzen Augen etwas anderes glauben machen wollen), dass sie wieder bei den Mülltonnen hinter dem Center für kosmetische Chirurgie herumgestreunt sind und ihre Schnauzen mit, soll ich es wirklich sagen, abgesaugtem Yuppiefett beschmiert haben. Wie sie es schaffen, diese von den Behörden Kaliforniens vorgeschriebenen kojotensicheren roten Plastikmülltüten für Fleischabfälle aufzureißen, ist mir schleierhaft. Ich schätze, die Ärzte sind entweder schlampig oder faul. Oder beides.
Was für eine Welt.
Ich kann dir sagen …
Aus dem Innern meines kleinen Bungalows höre ich, wie eine Schranktür zugeschlagen wird. Wahrscheinlich holt mein Freund Dag unserer Freundin Claire einen Aufmunterungssnack oder etwas Süßes. Oder, was wahrscheinlicher ist, wie ich sie kenne, einen winzigen Gin Tonic. Sie haben so ihre Gewohnheiten.
Dag ist aus Toronto, Kanada (besitzt doppelte Staatsangehörigkeit). Claire kommt aus Los Angeles in Kalifornien. Was mich selbst angeht, ich komme aus Portland, Oregon, aber die Herkunft ist heutzutage ziemlich bedeutungslos. (»Da alle die gleichen Geschäfte in ihren mickerigen Einkaufspassagen haben«, wie mein jüngerer Bruder Tyler behauptet.) Wir drei sind Mitglieder des Jetsets für Arme, einer riesigen, internationalen Gruppe, der ich mich anschloss, als ich, wie bereits erwähnt, im Alter von fünfzehn Jahren nach Manitoba flog.
Jedenfalls, weder Dag noch Claire waren an dem Abend sonderlich gut drauf. Also nahmen sie meine Hütte in Beschlag auf der Suche nach Cocktails und kühler Luft. Sie brauchten es, und beide hatten gute Gründe.
MCJOB:
Ein niedrig dotierter Job mit wenig Prestige, wenig Würde, wenig Nutzen und ohne Zukunft im Dienstleistungsbereich. Oftmals als befriedigende Karriere bezeichnet von Leuten, die niemals eine gemacht haben.
Dag, zum Beispiel, beendete genau um zwei Uhr morgens seine Schicht in Larry’s Bar, wo wir beide als Barkeeper arbeiten. Während wir zusammen nach Hause gingen, ließ er mich mitten im Gespräch stehen, rannte über die Straße, wo er sich einen scharfen Stein schnappte und die Motorhaube und Windschutzscheibe eines Cutlass Supreme zerkratzte. Es war nicht das erste Mal, dass er aus einem Impuls heraus vandalisierte. Der Wagen war butterfarben und trug einen Aufkleber, auf dem stand: WIR VERPRASSEN DIE ERBSCHAFT UNSERER KINDER; eine Message, die Dag verärgerte, wie ich annehme, denn wenn er acht Stunden lang seinen McJob (wenig Bezahlung, Prestige, Würde und Aufstiegschancen) heruntergerissen hatte, war er immer gelangweilt und gereizt.
Ich wünschte, ich könnte Dags zerstörerische Neigung verstehen; ansonsten ist er so ein rücksichtsvoller Kerl, einmal führte es so weit, dass er eine Woche lang kein Bad genommen hat, weil eine Spinne ihr Netz in seiner Badewanne aufgespannt hatte.
»Ich weiß nicht recht, Andy«, sagte er und schlug meine Fliegengittertür zu, nachdem auch die Hunde hereingetrottet waren. In seinem weißen Hemd, mit der schiefen Krawatte, den Schweißflecken unter den Achseln, dem 48-Stunden-Bart und den grauen Schlabberdingern (»keine Hosen, sondern Schlabberdinger«) sah er aus wie die vom rechten Wege abgekommene Hälfte eines Prospekte verteilenden Mormonen-Duos.
Er stürzte sich fast umgehend, den Kopf voran wie ein brünstiger Elch, auf das Gemüsefach meines Kühlschranks, aus dem er verwelkte Römersalatblätter von der taubenetzten Oberfläche einer Flasche billigen Wodkas absammelte. »Ich weiß nicht, ob ich die alte Schrottkarre dafür bestrafen wollte, dass er mir meine Welt kaputtmacht, oder bin ich einfach sauer, in einer Welt zu leben, die so groß geworden ist, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Geschichten über sie zu erzählen. Alles, was uns zur Verfügung steht, sind Leuchtreklame, Protzkarren und Stoßstangenaufkleber.« Er nahm einen gurgelnden Schluck aus der Flasche. »In jedem Fall fühle ich mich angesprochen.«
Es muss ungefähr drei Uhr morgens gewesen sein. Dag hatte sich in seinen Vandalismus hineingesteigert, und wir saßen beide auf den Couches in meinem Wohnzimmer und schauten dem Feuer zu, das im Kamin brannte, als kurz darauf Claire mit flatterndem nerzschwarzen Pagenschnitt (ohne anzuklopfen) hereinstürmte. Obwohl sie eher klein ist, wirkte sie eindrucksvoll, ein Effekt von Chic, der sich von ihrer Arbeit am Chanelstand des örtlichen I. Magnin Bekleidungshauses auf sie übertragen hatte.
»Eine furchtbares Treffen«, verkündete sie, woraufhin Dag und ich bedeutungsvolle Blicke austauschten. Sie schnappte sich in der Küche ein Glas mit irgendeinem geheimnisvollen Getränk und ließ sich auf das kleine Sofa plumpsen, die absehbare Verunstaltung ihres schwarzen Wollkleids durch die überall verteilten Hundehaare schien sie nicht zu kümmern.
»Pass auf, Claire, wenn es für dich zu hart ist, von deiner Verabredung zu erzählen, kannst du sie uns vielleicht mit ein paar Marionetten nachspielen.«
»Sehr lustig, Dag, wirklich sehr lustig. Gott noch mal. Noch so ein Warmduscher, noch so ein Körner-Dinner mit Evian-Mineralwasser. Und natürlich war er ebenfalls ein Survivalist, sprach die ganze Nacht über davon, nach Montana zu ziehen, und von den Chemikalien, die er in seinen Benzintank füllen würde, um alles vor der Zersetzung zu schützen. Ich kann so nicht weitermachen. Ich bin bald dreißig. Ich komme mir vor wie eine Comicfigur.«
Sie inspizierte mein sehr pragmatisch möbliertes (und keinesfalls umwerfendes) Zimmer, das nur von billigen Navajo-Indianerdecken etwas aufgelockert wird. Ihr Gesicht entspannte sich.
»Außerdem gab es bei diesem Treffen einen Tiefpunkt. Draußen auf dem Highway einhundertelf in Cathedral City gibt es einen Laden, der ausgestopfte Hühner verkauft. Wir hielten, und ich wurde schwach und wollte eins haben, weil die so niedlich waren. Aber Dan (so hieß er) sagte: ›Nein, Claire, du brauchst kein Huhn‹; woraufhin ich sagte: ›Darum geht es gar nicht, Dan. Der Punkt ist der, dass ich ein Huhn will.‹ Daraufhin hielt er mir eine grauenhaft langweilige Predigt: dass ich nur deshalb ein ausgestopftes Huhn wolle, weil sie im Schaufenster so schön aussähen, und dass ich von dem Augenblick, in dem ich es bekäme, nur darauf aus wäre, es zu entsorgen. Stimmt völlig. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ausgestopfte Hühner darstellen, worum es im Leben und bei neuen Beziehungen im Grunde geht, doch an irgendeinem Punkt brach meine Ausführung zusammen; und in der Luft hing dieser schreckliche Menschheitspessimismus, den man immer von diesen Pedanten...