Costa | Raus aus dem Rummel! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 204 Seiten

Costa Raus aus dem Rummel!

Ein Plädoyer gegen die touristische Monokultur
1. Auflage 2022
ISBN: 978-88-7283-840-2
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Plädoyer gegen die touristische Monokultur

E-Book, Deutsch, 204 Seiten

ISBN: 978-88-7283-840-2
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Angesichts eines Tourismus, der zu einem gewaltigen, bedrohlichen Moloch herangewachsen ist, müssen wir eine klare, eindeutige Richtungsentscheidung treffen."
Gerade in den Alpen zeigen sich die Auswirkungen der touristischen Monokultur überdeutlich: verstopfte Straßen, Lifte und Pisten auf allen Gipfeln, ein Wettrüsten der Hotelanlagen. Doch ist es das, was Gäste suchen? Michil Costa, streitbarer Hotelier, Kulturmensch, Umweltschützer und Visionär plädiert für eine neue Sinnstiftung im Tourismus – gegen die Industrialisierung und für eine Kultur der Gastfreundschaft, die auf Werten beruht: Gemeinwohl, ökologische Nachhaltigkeit und Humanität.
» Überlegungen eines Pioniers des nachhaltigen Alpentourismus
» Inspiration für die Tourismuswirtschaft
» Vorwort von Massimo Cacciari, Philosoph und ehemaliger Bürgermeister von Venedig

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Dolomieu
Wie alles begann Es war einmal ein Dorf im Gebirge. Wer dort lebte, blickte mit Ehrfurcht und Befangenheit auf die hohen Berge. Diese Gipfel hatte man nicht zu erobern, man erwies ihnen aus sicherer Entfernung den gebührenden Respekt. Sie machten Angst. Dort oben waren die Geister der Verstorbenen zu Hause, und in kalten, langen Winternächten ahnte man, dass sich auch der Teufel herumtrieb. Höchstens einmal ein Gämsenjäger wagte sich in die felsigen Höhen. Nein, es war gescheiter, man blieb, wo man war. Viel zu essen hatten die Menschen in ihrem Bergdorf nicht, aber das Leben war immer noch besser als unten im sumpfigen, krank machenden Tal. Die Leute hatten sich einfache Häuser gebaut an den steilen Hängen, möglichst dicht beieinander, denn der Boden war kostbar; man benötigte ihn zum Leben und konnte es sich nicht leisten, ihn zu verbauen. Die Menschen halfen einander, weil es anders gar nicht ging. Eines Tages kam ein Geologe in das Gebirge. Den Felszacken über dem Dorf gab er den Namen Dolomiten. Auch andere Wissenschaftler wurden jetzt auf diese Berge aufmerksam. Auch die ersten Touristen ließen nicht mehr lange auf sich warten, zur großen Überraschung der Bergbauern, die – es war der Beginn des 20. Jahrhunderts – es nicht fassen konnten, dass ihre arme Bergheimat auf einmal für reiche Menschen aus aller Welt interessant wurde; zudem kamen die Gäste nicht etwa auf dem Rücken von Pferden oder Maultieren angetrabt, sondern reisten hochmodern in den ersten Automobilen an. Für die, die dort ständig lebten, blieb die Bergnatur ein Ort der Mühsal und Entbehrungen, doch gleichzeitig entwickelte sie sich zum Inbegriff für Erholung und Freiheit für diejenigen, die nur vorübergehend Station machten. In kurzer Zeit verlor das Urlaubmachen seine auf die Aristokratie beschränkte Exklusivität und wurde von der Kulturhegemonie des Bürgertums vereinnahmt, das bis zum Einsetzen des Massentourismus sein wenigstens halbwegs elitäres Wesen zu bewahren versuchte. Biarritz, Côte d’Azur, Sankt Moritz, Capri, Cortina waren weniger Urlaubsorte denn Insignien für Macht und Privilegien. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Dolomiten-Staatsstraße gebaut, auch „Große Dolomitenstraße“ genannt, und eine Buslinie führte von Bruneck ins Gadertal hinein, was unser Tal langsam, aber unwiderruflich veränderte. Es war das, was der Diplomat George F. Kennan als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete. Als hätte sich die Büchse der Pandora geöffnet und ein Übel wäre ihr entwichen, das die Geschichte des ganzen 20. Jahrhunderts vergiften würde. Der Erste Weltkrieg mit der Dolomitenfront, die sich zwischen Marmolada, Col di Lana, Lagazuoi und den Tofane entlangzog, setzte dem Traum der Menschen von einem friedlichen Dasein abrupt ein Ende. Wie der Tourismus besteht auch der Krieg aus Begegnungen, doch die Soldaten, die sich auf diesen hinreißend schönen Gebirgsflanken bekämpften, konnten mit der Schönheit der Gebirgslandschaft wenig anfangen. Für diese jungen armen Männer, die man zu Tausenden in den Krieg und den sicheren Tod geschickt hatte, bedeuteten die Dolomiten nichts als schwärzeste Bergfinsternis. Jeder Frühling in diesen furchtbaren Kriegsjahren wurde von den langen, entsetzlich harten Wintermonaten entweiht. Auch die Nachkriegszeit war hart, und damit nicht genug: Schon bald stand ein weiterer schrecklicher Krieg an. Der „Fremdenverkehr“ kehrte erst wieder in den 1950er-Jahren in die Dolomiten zurück. 1956 dann zogen die Olympischen Winterspiele in Cortina die weltweite Aufmerksamkeit auf sich. Auch im Gadertal wurden die ersten Skilifte gebaut und parallel dazu die ersten Hotels. Die Entwicklung verlief bis in die 1970er-Jahre langsam, aber kontinuierlich. Die Gäste kamen aus Italien, Deutschland und England und brachten wirtschaftlichen Wohlstand in die Berge. Die Dolomitenfront Im Jahr 1915, ungefähr zehn Monate nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, begannen sich das Königreich Italien und Österreich-Ungarn in den Alpen und ganz besonders in den Dolomiten ganz fürchterlich zu bekämpfen. Die gesamte Gebirgsfront war circa 600 Kilometer lang und verlief in etwa parallel zur heutigen Grenze zwischen Trentino-Südtirol auf der einen sowie der Lombardei und Venetien auf der anderen Seite, nämlich entlang der Karnischen Alpen, des Val Pontebbana, der Julischen Alpen über den Monte Canin und entlang der aktuellen Grenze zu Slowenien und der Adria. Die Dolomitenfront selbst betraf das Becken von Cortina, die Tofane, das Val Travenanzes, die Bergmassive Lagazuoi, Sas de Stria, Setsass, Col di Lana, Sief, Sass di Mezdì und Marmolada mit Punta Penia sowie die ladinischen Täler von Ampezzo, Badia (Gadertal) und Fodom (Buchenstein). Gekämpft wurde immer in Höhen über 2.000 Meter, meist in eisiger Kälte, häufig im Schnee und allgemein unter Bedingungen, die jenseits des für den Menschen Erträglichen lagen: Faktoren, die zur besonderen Schwierigkeit und Grausamkeit der Dolomitenfront in diesem absurden Stellungskrieg beitrugen. Es war ein Krieg, der sich hauptsächlich in Tunneln und Schützengräben abspielte, die in Fels und Eis gehauen worden waren; gekämpft wurde unter anderem mit Minen und Dynamit. Als blutiges Sinnbild für diesen so besonderen Krieg gilt heute die Explosion unter dem Col di Lana. Die Österreicher hatten den Berg eingenommen, aber die italienischen Truppen legten unterhalb des Gipfels heimlich einen unterirdischen Tunnel an, die „Galleria di Sant’Andrea“. Ausschließlich in Handarbeit, nur mit Hilfe von Spitzhacken, Keilen und Meißeln, damit der österreichische Feind nichts davon mitbekam. Bei seiner Fertigstellung war der Tunnel unter dem Gipfel des Col di Lana 52 Meter lang und hatte die Form eines Bajonetts, mit einem Stollen an jedem Ende. In diesen Stollen wurde insgesamt über fünf Tonnen Sprengmaterial deponiert, das von 300 Soldaten heraufgeschleppt worden war. Am 17. April 1916 um 23.35 Uhr wurde die Sprengladung gezündet. Die Explosion war so stark, dass der gesamte Berggipfel in die Luft flog. Es entstand ein 50 Meter breiter und 12 Meter tiefer Krater. Die Zahl der Opfer konnte nie genau ermittelt werden, aber sie wird auf über 100 geschätzt. 150 österreichisch-ungarische Soldaten wurden außerdem gefangen genommen. Quelle: www.frontedolomitico.it Es waren in vielerlei Hinsicht denkwürdige Jahre. Aus dem sehr persönlichen Erinnerungsschatz des Hotelierkinds will ich ein paar Souvenir-Postkarten herausziehen: Mein Vater Ernesto arbeitete im Sommer als Klempner und im Winter als einer der ersten italienischen Skilehrer überhaupt. Der Skilehrerjob ermöglichte ihm und seinesgleichen unbeschwerte Jugendjahre und ein gewisses Einkommen in einer Gegend, die wenige Jahre zuvor noch wirklich arm gewesen war. Für seinen Vater – meinen Großvater – war diese Armut noch sehr präsent gewesen: Dass man keine guten Schuhe hatte, keine freien Tage und nur selten wirklich satt war, gehörte für meinen Großvater zur Normalität. Doch für Ernesto änderten sich die Dinge. Er legte sich sein erstes Motorrad zu, konnte sich modische Outfits leisten und unbeschwerte Liebesabenteuer. Was die Frauen betraf, befolgte dann aber auch Ernesto letztlich das alte Sprichwort „Bleibe im Lande und nähre dich redlich“: Er lernte meine Mutter kennen; die beiden heirateten und eröffneten gemeinsam das Hotel La Perla. Meine Großmutter stand in der Küche, meine Mutter kümmerte sich sonst so ziemlich um alles; alle barsten vor Tatendrang und Energie, und so lief das Hotel von Anfang an gleich richtig gut. Die Arbeit machte richtig Spaß, und meine Eltern feierten mit den Gästen bis tief in die Nacht. Ernesto arbeitete nun nicht mehr als Skilehrer, obwohl Skilehrer ungemein wichtig geworden waren – der Skilehrer brachte den Gästen auf der Piste das Skifahren bei und bewährte sich nach Pistenschluss als Freund und Begleiter. Mein Vater aber war jetzt Ehemann von Anni und konzentrierte sich daher auf das Hotel, wo er sich als geborener Gastgeber erwies: Abends sang und unterhielt er die Gäste in unserem hoteleigenen Club 44, einem schwer angesagten Schuppen, in dem auch der unwiderstehliche Sänger und Schlagzeuger Gegè Di Giacomo auftrat. Das Multitalent aus Neapel spielte im Trio von Renato Carosone, dessen enormer internationaler Erfolg maßgeblich auch auf den Einlagen von Gegè beruhte. Gegè und mein Vater verstanden sich blind; der Club 44 lief auf Hochtouren. Meine Mutter Anni erzählt noch heute gern davon, wie eines Abends Nino Benvenuti vorbeisah – legendärer Boxer, Weltmeister im Mittelgewicht von 1967 bis 1970 und Nationalidol. Der große Nino, der den Ausspruch „Wir boxten, weil wir danach kostenlos heiß duschen konnten“ geprägt hatte, bestellte Hummer. Anni stellte ihm dazu, wie üblich, eine sogenannte Fingerschale auf den Tisch. Statt seine Finger darin zu baden, packte Nino die Schale mit dem heißen Wasser – und leerte sie in einem Zug. Herrliche Zeiten. Als ich ein Kind war, warteten wir ab dem Beginn der kalten Jahreszeit auf den ersten Schnee. Es war ein...


Michil Costa: Geboren 1961, führt er zusammen mit seiner Familie das Hotel La Perla (Member of The Leading Hotels of the World) und das Berghotel Ladinia in Corvara sowie das Posta Marcucci bei Siena nach den Prinzipen der Gemeinwohl-Ökonomie. Er ist Präsident der "Maratona dles Dolomites". 2007 gründet er die Costa Family Foundation, die Entwicklungsprojekte in Afrika, Asien und Südamerika fördert.



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