E-Book, Deutsch, 436 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Cooper Todeskäfig
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8437-1864-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 436 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1864-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ellison Cooper promovierte in Anthropologie. Sie spezialisierte sich dabei im Bereich kulturelle Neurowissenschaften und Archäologie. Ihre wissenschaftlichen Publikationen erschienen in zahlreichen anerkannten Zeitschriften. Sie studierte außerdem Jura an der Georgetown University und arbeitete als Mordermittlerin beim Washington, D.C. Public Defender Service, wo sie Einblick in das System der Kriminaljustiz erhielt. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie in der San Francisco Bay Area.
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Washington, D. C.
Hinter dem Absperrband hatte sich bereits eine kleine Schar von Schaulustigen zusammengefunden, deren neugierige Gesichter in der Abenddämmerung im Licht der Einsatzfahrzeuge abwechselnd blau und rot aufleuchteten.
FBI Special Agent Vik Devereaux erwartete sie auf der Veranda des Hauses. Aufgrund seiner hellen Haut wirkte sein Gesicht beinahe wie ein weißer Ballon, der über einem zerknitterten schwarzen Anzug schwebte. Der Mann hatte dunkle Ringe unter den Augen und ging mit leicht gebeugten Schultern, doch trotz seiner Totengräber-Aura gelang es ihm irgendwie, das Klischee des verlotterten, aber zugleich attraktiven Ermittlers perfekt zu bedienen.
Sayer duckte sich, um unter dem Flatterband hindurchzuschlüpfen, und hob die Hand zum Gruß. »Tja, Vik, so wie’s aussieht, arbeiten wir bei diesem Fall wohl zusammen.«
»Hey, Intelligenzbestie.« Vik nickte mit düsterer Miene. Seine Begrüßung war nicht unbedingt als Kompliment gemeint. Genau wie Sayer war auch Vik ein Special Agent in der zentralen Kriseninterventions-Einheit des FBI. Die einzelnen Abteilungen innerhalb dieser Einheit ermittelten in Fällen von Serienmördern oder entwickelten Strategien für Krisenereignisse wie Heckenschützen oder Amokläufe an Schulen. Zwar gab es bei der Behörde jede Menge Mitarbeiter mit Doktortitel, allerdings waren die meisten von ihnen Psychologen, und nur wenige sahen einen konkreten Nutzen darin, eine promovierte Neurowissenschaftlerin im Team zu haben. Dass Sayer noch dazu die FBI-interne Karriereleiter schneller hinaufstieg als mancher Kollege, war ihrer Popularität auch nicht gerade zuträglich. Aber Vik besaß einen guten Ruf und galt bei den Kollegen als extrem stressresistent. Er würde also hoffentlich damit klarkommen, bei ihrer Ermittlung die zweite Geige zu spielen.
»Was haben wir?«, fragte Sayer, während sie sich aus ihrer Lederjacke schälte und dann auf einem niedrigen Stuhl Platz nahm, um sich für das Betreten des Tatorts auszurüsten.
»Einen Albtraum«, antwortete er mit seinem leichten Cajun-Akzent. »Die Kampfmittelbeseitigung musste anrücken und das Gebäude durchsuchen, und die Jungs sind natürlich überall rumgelaufen – dann kamen noch die Notärzte, die die verletzten Kollegen von der Streife versorgen mussten. Ich habe schon überlegt, ob wir nicht vielleicht noch eine Tanztruppe einladen sollten, damit sie drinnen einen Stepptanz aufführt. Wenn wir schon mal dabei sind.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die etwas zu langen dunkelbraunen Haare. »Wie auch immer, die Tote liegt noch drinnen. Wir warten darauf, dass Joan fertig wird und uns das Okay für den Transport gibt.«
» Tote?«
»Ja, das Opfer scheint weiblich zu sein. Möglicherweise noch ziemlich jung.«
»Ach du Scheiße«, sagte Sayer und stopfte ihre Locken unter ein eng anliegendes Kopftuch.
»Wem sagst du das? Das Haus ist praktisch leer, die ganze Show findet unten im Keller statt. Ziemlich übel. Falls du irgendwelche Tricks kennst, um nicht kotzen zu müssen, sei froh.«
»Ach was.« Während ihres Studiums hatte Sayer oft mit Leichen gearbeitet. Der Anblick von Blut und Eingeweiden machte ihr nichts aus. Wie jeder, der von Berufs wegen mit dem Tod zu tun hatte, konnte sie in ihrem Kopf einen Vorhang zuziehen, der ihr emotionales Empfinden von dem Grauen, mit dem sie konfrontiert wurde, abtrennte. Das war furchtbar, aber notwendig, wenn man sein seelisches Gleichgewicht erhalten wollte. Sie hatte hautnah miterlebt, was aus Menschen wurde, deren Abwehrmechanismen nicht stark genug waren. Ohne sie konnte man einen Job wie ihren nicht ausüben – es sei denn, man war ein Psychopath.
»Also«, fuhr Vik fort und klappte sein Notizbuch auf. »Vor zwölf Tagen ging bei der Polizei ein Notruf ein. Ein junges Mädchen. Sie sagte, sie wisse nicht, wo sie sei, und dann brach die Verbindung plötzlich ab. Der Anruf konnte nicht exakt zurückverfolgt werden, aber er schien irgendwo hier aus der Nähe gekommen zu sein. Man hat also eine Streife hingeschickt, und die Kollegen haben sich umgesehen und an ein paar Türen geklopft. Sie dachten, es sei vermutlich bloß irgendein verstrahltes Junkiemädel, das auf einem schlechten Speedtrip die Cops gerufen hat. Das Haus machte einen unbewohnten Eindruck, deswegen sind sie wieder abgefahren und haben nichts weiter unternommen.«
»Oh Mann.« Sayer vergewisserte sich, dass sie keine losen Gegenstände am Körper trug, erst dann zog sie sich ein Paar Latexhandschuhe über.
»Ich weiß!«, sagte Vik gedehnt. »Und heute meldet sich dann ein Anwohner, weil es stinkt. Dieselben Kollegen von der Streife kommen zum zweiten Mal vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, und treten die Tür ein. Der Gestank kommt aus dem Keller. Einer der beiden berührt auf der Kellertreppe einen Stolperdraht, und ein Gewehr geht los, erwischt den armen Teufel frontal aus nächster Nähe. Der andere hat auch ein paar Schrotkugeln abgekriegt, aber ihm geht es so weit gut – was man von seinem Partner weiß Gott nicht behaupten kann. Im Krankenhaus hieß es, sein Zustand sei bedenklich.«
Sayer und Vik gingen langsam den Flur entlang bis in die Küche, die sich im hinteren Teil des Hauses befand. Zwei Mitarbeiter der Kriminaltechnik knieten auf dem Boden und sicherten Spuren.
Oben an der Treppe zum Keller blieben sie stehen. Sayer spähte nach unten. Das Gewehr hing noch an der Decke, es würde später heruntergenommen werden. Flutlichter strahlten die hölzernen Stufen hinauf und warfen Sayers langen Schatten auf den blutigen Küchenfußboden. Der Geruch von Tod hing in der Luft wie altes Teeröl.
»Aber warum hat man uns um Hilfe gebeten? Ich hätte vermutet, dass das DCPD in so einem Fall lieber selbst ermitteln will, erst recht nachdem einer ihrer Kollegen schwer verletzt wurde.«
»Das wirst du gleich sehen. Es wurde noch nichts bewegt. Nicht mal der Hund«, sagte Vik.
»Der Hund?«
»Ich weiß! Sie haben da unten allen Ernstes einen Hundewelpen gefunden.«
»Einen Hundewelpen«, wiederholte Sayer, als sie den Fuß auf die Kellertreppe setzte.
Unten angekommen, fanden sie sich in einem großen, fensterlosen Raum wieder, dessen Betonfußboden und nackte Ziegelwände das Licht der Tatortleuchten zurückwarfen. Am hinteren Ende des Raums stand Joan Warren, die leitende Rechtsmedizinerin des FBI, neben einem großen, von der Decke hängenden Käfig, den man eher in der Folterkammer unter dem Tower von London vermutet hätte als im Keller eines Reihenhauses. Er bot ausreichend Platz für ein großes Tier und bestand aus geschwärzten Eisenstäben, was ihm eine altertümliche, leicht schaurige Optik verlieh. Er hing an einer dicken schwarzen Eisenkette, die mit einem glänzenden neuen Haken an der Decke befestigt war.
Joan lehnte sich in den geöffneten Käfig und beugte sich über etwas am Käfigboden. Obwohl Sayer die Rechtsmedizinerin nur von hinten sehen konnte, vermutete sie, dass Joan dasselbe aufgeräumte Lächeln im Gesicht hatte wie an jedem Tatort. Von all ihren Kollegen in Quantico war Joan die Einzige, die keinen mentalen Vorhang zu benötigen schien, um mit Leichen zu arbeiten. Joan glaubte fest daran, dass Menschen nach ihrem Tod an einen besseren Ort kamen, und dementsprechend strahlte sie bei jeder Autopsie die heitere Zufriedenheit eines Menschen aus, der wusste, dass er lediglich die vergängliche Hülle des Mordopfers vor sich hatte, während dessen unsterbliche Seele längst in den Himmel oder ins Nirwana oder wohin auch immer aufgestiegen war. Sayer wünschte, sie hätte dieser Idee etwas abgewinnen können, dann wäre das alltägliche Grauen ihres Jobs vielleicht etwas leichter zu ertragen gewesen.
Fürs Erste ignorierte sie Joan sowie den Käfig und nahm stattdessen den Raum in Augenschein. Sie legte stets Wert darauf, sich zunächst einen Gesamteindruck vom Tatort zu verschaffen, ehe sie sich näher mit dem Opfer befasste. Ganz still stand sie da, nur ihre Finger glitten über die Schnur mit Bernsteinperlen in ihrer Tasche. Bis auf den Käfig war der Keller leer.
Zwei Kriminaltechniker kauerten nebeneinander am Fuß der Treppe. Als sie die Köpfe hoben und Sayer mit einem angespannten Lächeln begrüßten, erkannte sie Ezra, einen jungen Mann mit blauen Haaren und mehreren Dutzenden von Piercings im Gesicht. Er hielt einen jungen Hund auf dem Arm, der bis zum Hals in einem Asservatenbeutel aus Stoff steckte und zappelte, während sein Kollege versuchte, das Gesicht des Tiers mit einer Fusselrolle zu bearbeiten.
Das Hündchen stieß ein spitzes Jaulen aus und wedelte trotz des Beutels wie wild mit dem Schwanz.
Ezra stöhnte genervt. »Hi, Special Agent Altair. Ich kann den Hund hier unmöglich weiter auf Spuren untersuchen. Ich hab ihn eingetütet, aber für den Rest müsste er ins Labor.« Der Hund winselte leise. Er hatte aufgehört zu zappeln, dafür versuchte er nun andauernd Ezras Hand zu lecken.
»Von mir aus, Ezra. Sie sind der Experte. Vielleicht kann einer von Ihnen ja mit dem Hund schon mal vorfahren, und die anderen machen hier weiter.«
Ein dritter Kriminaltechniker...