E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Conscience Der Löwe von Flandern
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95923-110-7
Verlag: RUTHebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
ISBN: 978-3-95923-110-7
Verlag: RUTHebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hendrik Conscience - Der Löwe von Flandern
'Der Löwe von Flandern' ist ein historischer Roman von Hendrik Conscience, der sich inhaltlich mit dem Kampf der Flamen gegen die französische Unterdrückung auseinandersetzt. Der flämische Graf Gwijde von Dampierre möchte gern mit den Franzosen kooperieren, um seine gefangen gehaltene Tochter befreien zu können ...
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Erstes Kapitel
Langsam ließ die rote Morgensonne ihr Nachtwolkengewand fallen, und jeder Tautropfen strahlte siebenfarbig ihr leuchtendes Bild zurück. Blaue Dunstwolken stiegen von der Erde auf, ruhten zögernd in den Baumwipfeln, und in zagender Liebe erschlossen sich taufeuchte Blumenkelche den ersten Strahlen des jungen Tages. Immer wieder hatte die Nachtigall ihr sanftes Lied erklingen lassen, aber das verworrene Zwitschern der anderen Waldsänger ließ ihre schmelzenden Töne verstummen. Ein kleiner Trupp Ritter zog schweigend nach Rousselare. Ihr Rossestampfen und Waffengeklirr störten den schweigenden Waldesfrieden. Ein Hirsch wurde aus seiner Einsamkeit aufgeschreckt, schoß aus dem Buschholz hervor und floh schneller als der Wind vor der drohenden Gefahr. Gewänder und Waffen der Ritter waren so kostbar, daß man beim ersten Blick darauf schließen konnte, daß man Grafen oder noch höhere Herren vor sich hatte. Ein seidener Waffenrock fiel in wallenden Falten von ihren Schultern, und ein versilberter Helm mit purpurnen und blauen Federn schmückte ihr Haupt. Die Stahlschuppen ihrer Panzerhandschuhe und die Goldmaschen ihrer Knieplatten blitzten in der flammenden Morgensonne. Die kühnen Schlachtrosse waren mit weißem Schaum bedeckt und ließen sich nur schwer bändigen. Bei ihren heftigen Bewegungen funkelten Silberknöpfe und Seidentroddeln ihres reichen Zaumzeuges in glitzerndem Farbenspiel. Obgleich die Ritter keine Harnische angelegt hatten, waren sie doch gegen feindliche Überfälle auf der Hut. Die gepanzerten Arme sahen aus dem Wams hervor. Gewaltige Schlachtschwerter hingen an ihren Sätteln. Knappen folgten mit mächtigen Schilden. Auf der Brustseite des Gewandes trug jeder Ritter sein gesticktes Wappen, so daß man auf den ersten Blick Geschlecht und Familie erkennen konnte. Die Morgenfrische hatte ihnen die Lust zum Sprechen genommen. Dämmerung lag schwer auf ihren Augenlidern; nur mit Mühe kämpften sie gegen den Schlummer, der sie einhüllen wollte. Ein junger Führer schritt der edlen Schar voran. Langes, blondes Haar wallte auf seine breiten Schultern herab. Feurige blaue Augen sprühten unter dichten Brauen hervor. Leichter Flaum beschattete sein Kinn. Um sein wollenes Gewand hatte er einen Gürtel geschlungen, und als Waffe trug er ein "Kreuzmesser" in einer ledernen Scheide. In seinen Zügen konnte man leicht lesen, daß die Gesellschaft, die er führte, ihm keineswegs angenehm war. Man konnte sogar glauben, daß er einen geheimen Plan gegen sie im Schilde führte; denn von Zeit zu Zeit warf er einen Seitenblick auf die ihm folgenden Ritter. Er war von hoher, ungewöhnlich kräftiger Gestalt. Sein fester Schritt war so schnell, daß die Pferde nur mit Mühe folgen konnten. So trabte der kleine Troß seit kurzer Zeit vorwärts, als plötzlich das Roß eines Ritters über einen Baumstumpf strauchelte und stürzte, so daß der Ritter mit der Brust auf den Nacken seines Pferdes fiel und beinahe aus dem Sattel kam. "Was soll das bedeuten?" rief er in französischer Sprache. "Ich glaube, mein Gaul ist im Trab eingeschlafen!" "Herr von Châtillon," rief ihm sein Begleiter lachend zu, "einer von beiden hat sicher geträumt." "Lache nur, soviel Du willst, Du schlechter Spötter," entgegnete ihm der Graf von Châtillon, "es ist darum nicht weniger wahr, daß ich nicht schlief. Denn schon seit zwei Stunden blicke ich unverwandt nach jenen Türmen, die sich anscheinend immer weiter entfernen, je mehr wir ihnen näher kommen wollen. Aber es ist leichter, an den Galgen zu kommen, als einmal von Dir ein freundliches Wort zu erhalten." Während die beiden Ritter spöttisch miteinander scherzten, machten sich ihre Begleiter vergnügt auf Kosten des Grafen lustig, und der leichte Unfall hatte die Müdigkeit des ganzen Truppes verjagt. Herr von Châtillon, der sein Roß wieder emporgerissen hatte, konnte die Anzüglichkeiten, die auf ihn gemünzt waren, nicht länger ruhig mit anhören, und in seinem plötzlich aufwallenden Zorn stieß er seinem Pferd den scharfen Sporn tief in die Weichen. Der Schmerz machte das Tier wild, es bäumte sich hoch auf und schoß dann wie ein Pfeil zwischen den Bäumen dahin. Aber nach einigen hundert Schritten stürmte es gegen den Stamm einer alten Eiche und stürzte, schwer verletzt, zu Boden. Glücklicherweise war der Graf beim Anprall aus dem Sattel gesprungen oder geschleudert worden; nichtsdestoweniger mußte er sich ernstlich die Seite verletzt haben, denn er blieb einige Augenblicke regungslos liegen. Als ihn seine Begleiter eingeholt hatten, stiegen sie alle von ihren Pferden, richteten ihn auf und bewiesen ihm das wärmste Mitgefühl. Der Ritter, der mit den Spötteleien begonnen hatte, schien jetzt am meisten beunruhigt zu sein, und tiefe Trauer lag auf seinem Gesicht. "Lieber Châtillon, ich bedauere Dich von ganzem Herzen. Verzeih' mir meine unbesonnenen Reden," bat er, "ich wollte Dich nicht beleidigen." "Laßt mich in Ruh'!" rief Châtillon aus und riss sich aus den Armen seiner Begleiter los; "meine Herren, ich bin noch nicht gestorben. Glaubt Ihr denn, die Sarazenen hätten mich geschont, damit ich später wie ein Hund im Walde verenden könnte! Nein, bei Gott, noch lebe ich, und Du solltest Deine Spötteleien auf der Stelle büßen, Saint-Pol, wenn ich mich an Dir rächen dürfte." "Aber, beruhige Dich doch," entgegnete Saint-Pol. "Du bist verwundet, lieber Bruder; das Blut rinnt ja durch Dein Panzerhemd." Châtillon streifte den rechten Panzerärmel hoch und sah, daß ein Zweig die Haut leicht geritzt hatte. "Es ist nicht der Rede wert," sagte er, "nur eine kleine Schramme. Aber ohne Absicht hat uns dieser verdammte Vlaeme nicht diesen widerlichen Weg geführt. Ich werde es schon herausbekommen. Und ich will nicht mehr Châtillon heißen, wenn ich den Schurken nicht an einem Ast dieser verwünschten Eiche aufhängen lasse." Der Vlaeme, der auf diese Weise zur Rechenschaft gezogen wurde, tat, als verstände er die französische Sprache nicht; doch sah er auf und blickte Châtillon kühn ins Auge. "Meine Herren," rief da der Ritter aus, "seht nur den unverschämten Blick dieses Bauernlümmels. Hierher, Schurke!" Langsam kam der junge Mann näher. Sein Haupt war stolz erhoben; aber in seinen Augen lag ein sonderbarer Zug, ein Ausdruck, der Wut mit List vereinigte und so düstere Drohungen enthielt, daß sich Châtillon von einer beklemmenden Unruhe ergriffen fühlte. In diesem Augenblick brachte plötzlich einer der Ritter, der diesem Auftritt beigewohnt hatte, sein Pferd in Trab, verschwand bald hinter den mächtigen Bäumen und gab dadurch deutlich genug seinen Unwillen zu erkennen. "Nun also!" herrschte Châtillon den Führer an. "Sage mir, weshalb hast Du uns auf diesen Weg geführt, und warum hast Du uns nicht auf den Baumstamm aufmerksam gemacht, der da im Wege lag?" "Herr," antwortete der Vlaeme in gebrochenem Französisch, "ich kenne keinen anderen Weg nach Schloß Wijnendaal, und ich wußte nicht, daß Ew. Edeln die Gewohnheit haben, zu Pferd zu dieser Tageszeit zu schlafen." Als der Führer diese Worte aussprach, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, das zugleich Hochmut und Ironie verriet. Man hätte meinen können, er wolle den Zorn des Grafen reizen, um ihm dann zu trotzen. "Unverschämter Lümmel!" schrie ihn Châtillon an, "wagst Du es etwa, Dich über mich lustig zu machen! Holla! Leute! Hängt mir diesen Burschen. Die Raben sollen ihn fressen." Das spöttische Lächeln des jungen Mannes wurde unverhohlener. Seine Mundwinkel zuckten immer verräterischer, und seine Wangen entfärbten sich. "Einen Vlaemen wollt ihr hängen?" stieß er leise hervor. "Da wartet nur, meine Herren!" Er sprang einige Schritte zurück, stemmte sich gegen einen Baumstamm, streifte die Ärmel seines Wamses bis zu den Schultern auf und zog seinen blitzenden Dolch aus der Scheide. Die Muskeln seines nackten Armes spannten sich, und sein Gesichtsausdruck erinnerte an den eines Löwen. "Weh dem, der mich anrührt!" rief er ihnen mit dröhnender Stimme zu. "Flanderns Raben fressen keinen Vlaemen! Sie fressen lieber Franzosenfleisch!" "Ergreift ihn!" rief Châtillon aus, "ergreift den Lumpen! Seht die Feiglinge! Ihr fürchtet euch wohl vor seinem Messer? Meine Hände kann ich mit seinem Blut nicht besudeln, denn ich bin aus edlem Hause. Das ist eure Aufgabe. Pack gegen Pack! Werft euch auf ihn!" Einige Ritter suchten Châtillon zu beruhigen. Aber den meisten wäre es nur zu recht gewesen, wenn man den Vlaemen gehängt hätte. Die Waffenträger, die durch ihren Herrn aufgereizt waren, hatten sich gerade auf den jungen Mann stürzen wollen, als unvermutet der Ritter hinzukam, der, in Gedanken versunken, vorausgeritten war. Die Kostbarkeit seines Gewandes und seiner Rüstung übertraf die der anderen Ritter bedeutend. Das gestickte Wappen auf seiner Brust enthielt drei goldene Lilien in blauem Felde unter einer Grafenkrone. Das war ein Zeichen dafür, daß königliches Blut in seinen Adern rollte. "Halt!" rief er den Waffenträgern streng zu, und dann wandte er sich an den Grafen von Châtillon: "Herr von Châtillon, Ihr scheint zu vergessen, daß ich Flandern von meinem königlichen Bruder Philipp von Frankreich zu Lehen erhalten habe. Der Vlaeme ist mein Vasall, und nur mir allein gehört sein Leben." "Dieser verächtliche Bürger soll mich also ungestraft beleidigen dürfen!" entgegnete Châtillon voll Zorn. "Graf, es ist tatsächlich unglaublich, daß Ihr das niedere Volk immer gegen den Adel verteidigt....