Conscience | Der Bauernkrieg (1798) | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 307 Seiten

Conscience Der Bauernkrieg (1798)


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7598-6270-9
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

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An der Chaussee, die nicht weit von Waldeghem lief und dieses Dorf mit größeren Gemeinden, und dann mit der Stadt selbst in Verbindung setzte, stand ein großes Wirthshaus, das einen Adler zum Aushängschilde hatte. Es gehörte dem Baes Cuylen, der zugleich Müller war. Seine Mühle lag knapp dabei und über die gewöhnliche Höhe, denn nach der Ostseite reichte der Adler bis an eine ausgedehnte Waldung, welche sich nach dieser Richtung auf einige Stunden erstreckte. Um nun den Wind, der von dieser Seite herblies, so gut wie möglich aufzufangen, hatte Baes Cuvlens Großvater mit Umsicht die Mühle recht hoch bauen lassen. Eines Sonntags Morgens, im Oktober des Jahres 1798, trat Baes Cuylen aus seinem Hause, um nach der Mühle zu gehen. Sus, sein Knecht, der ihm auf dem Fuße folgte, war sichtlich verstimmt und murrte vor sich hin.

Hendrik Conscience (* 3. Dezember 1812 in Antwerpen; ? 10. September 1883 in Elsene bei Brüssel) war ein flämischer Erzähler und Mitbegründer der flämischen Literatur.
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Teil 1.


Vorspiel.
(1793).


B

elgien ist die Wiege der Freiheit; wie weit wir auch in unsere Vergangenheit zurückblicken, so finden wir selbst in den ältesten Zeiten die Bewohner unserer Städte im Besitz von ausgedehnten Freiheiten — diese Volksrechte wurzeln im Leben und Streben unserer Urväter und sind seit ihrer ersten Einwanderung in den Boden der Heimat eingepflanzt.

Der schnelle Gang der geschichtlichen Entwicklung in den Völkern deutschen Stammes brachte es mit sich, daß auch die Gemeinden im platten Lande bald ihre unabhängige Stellung gesichert hatten. Gegen das Ende des Mittelalters — in einer Epoche, wo Viele größere Länder, und Frankreich ganz besonders, sich aus dem Drucke der Knechtschaft noch nicht zur Idee der Freiheit erhaben hatten, waren in Belgien die Beziehungen zwischen Fürst und Volk schon geregelt; geschriebene Gesetze wiesen dem einen wie dem andern seine Pflichten und seine Rechte an.

Dieser Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit liegt unzweifelhaft im Blute unserer Ahnen; Belgiens Loos seit seinem ersten Bestehen liefert dafür den schlagendsten Beweis. Ist nicht das ganze Leben der Nation, von ihrer Geburt bis auf die jüngsten Tage, ein einziger Streit, ein unermüdetes Ringen, ein unausgesetztes Blutvergießen, eine riesige Kraftanstrengung — alles im Dienste der Freiheit?

Trotz allen Kämpfen, welche die früheren Generationen durch eine Reihe von Jahrhunderten ausgestanden, trotz den härtesten Prüfungen des Schicksals, hatten die Belgier, gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts, ihre so kostbare bürgerliche Freiheit bewahrt. Der heitere Einzug, des Landes Grundgesetz, schirmte noch immer, für den Fürsten, wie für das Volk, die herkömmlichen Pflichten und Rechte; bei jeder Thronbesteigung band ein feierlicher Eid, unter Gottes freiem Himmel geleistet, den neuen Monarchen.

Damals drohte in Frankreichs Horizont das entsetzliche Unwetter, das nachher Europa’s Grundfesten so sehr erschüttern.

Die unleugbare Sittenlosigkeit und Verderbtheit derjenigen, die an der Spitze des Volkes standen und ihm zum Vorbild hätten dienen sollen, hatte die Gemüther in Frankreich für eine Lehre empfänglich gemacht, die jede Autorität leugnete, und somit den Fluch der Willkür und Tyrannei für immer weggebannt zu haben glaubte.

Stolze Geister, mit allen Waffen der Kunst und Wissenschaft ausgerüstet, träufelten das Gift des Zweifels in die empfänglichen Gemüther des Volkes. Den Menschen erhoben sie zum Gotte und empörten sich gegen den Gott, der im Himmel thront; überall machten sie das Gefühl der Menschenrechte rege und suchten dagegen den letzten Funken von Menschenpflichten zu ersticken-.

Der Haß gegen die gläubige Ehrfurcht ihrer Ahnen verleitete sie dazu, Zucht und Gottesdienst, alte Treue und Biederkeit beständig zu verspotten und zu verlästern; statt den Acker vom Unkraut zu säubern, rüttelte ihre leidenschaftliche Ungeduld an jeder Scholle, warf das Unterste zu oberst und begrub in dem wüsten Schutt alle Keime der Gegenwart. So wurde alles Bestehende frevelhaft umgestürzt und Frankreich in eine Bahn gezwängt, wo nur Trümmer und Ruinen die Thätigkeit eines früheren Geschlechts bewährten.

Und als die Herzen nichts mehr übrig behielten, als wilden Haß und trostlosen Unglauben, um sich in blinder Wuth nach dem Unbekannten zu wenden, da trug der Baum des Zweifels seine üppigen Früchte.

In Paris brach das höllische Feuer, an dem man so trefflich geschürt, zuerst aus; der Vulkan goß die kochenden Ströme seiner Lava selbst weit über Frankreichs Grenzen aus.

Der Fremde, der sich unaufgerufen zum Weltverbesserer aufwarf, bot uns seine Freiheit an, unter der einzigen Bedingung, daß wir uns in Frankreichs Ketten begeben sollten.

Wir, die wir mit der Freiheit geboren waren und sie seit undenklichen Zeiten besessen hatten, konnten in dem besudelten Bild von Zweifel, von Mord, Zerstörung und Tyrannei das Erbtheil unserer Vorältern nicht erkennen. Des Landes Unabhängigkeit war uns über Alles theuer. Wir weigerten uns und wurden durch die wilde Uebermacht der Mehrzahl erdrückt.

Im November 1792 lieferte die Schlacht von Jemappes unser Vaterland wehrlos und verlassen in die schnödeste Gewaltherrschaft —

Die Sendlinge der Pariser Clubs, wo Dante ist! Marat und Robespierre als Götter der Zerstörung thronten, verbreiteten sich gleich einer Wolke raubgieriger Raben über Belgien.

Nur vier Monate blieben sie für diesmal hier, und doch war die kurze Zeit ihnen zureichend, unsere schönsten Kirchen zu plündern, die heiligen Vasen in Tonnen zu stampfen und nach Frankreich zu führen, die Gemeinden mit Brandschatzung zu schlagen, die Bürger und Bauern gegen werthloses Papiergeld ihre Magazine und Vorrathskammern leeren zu machen, . . . und so das Gold und Gut von Belgien auf unzähligen Wagen nach ihrer unersättlichen Räuberhöhle, nach dem blutvergießenden Paris, zu schleppen1.

Von der furchtbaren Macht der Umwälzungen niedergebeugt, sah das belgische Volk der Vernichtung aller seiner Freiheiten, seiner Wohlfahrt, seines Gottesdienstes und seiner Sitten, mit stummer Trostlosigkeit zu; und wenn noch ein Funke von Hoffnung in einzelnen Herzen glimmte, so war es allein das Vertrauen auf Gottes Allmacht und Gottes Beistand. Alle menschliche Hilfe schien vergebens und unzureichend gegen den riesenhaften Andrang von Frankreichs wilder Volksmenge.

Und doch kam ein Tag der Befreiung: die Österreicher schlugen die französische Armee bei Neerwinden, am 18. März 1793. — Der Fremde verließen unsern Boden.

Dann athmete unser Vaterland nach dem bitteren Druck wieder auf. Gesetze, Sitten, Sprache, Gottesdienst, alles wurde in seiner vorigen Form hergestellt; ein Jeder sah mit Vertrauen der Zukunft entgegen, der Handel fing an sich augenblicklich zu heben, die verwüsteten oder verlassenen Felder wurden in Eile wieder besäet, die Kennzeichen der fremden Herrschaft beseitigt, die Kirchen neu verziert; — und überall, sowohl auf den Gesichtern, als in den Herzen schimmerte Freude und Dankbarkeit zu Gott für die unverhoffte Befreiung.

Was wir erzählen werden, hat sich in einem Dorfe der brabantischen Kampine zugetragen, welches wir gewisser wichtiger Ursachen halber hier mit dem Namen Waldeghem bezeichnen wollen.

Dieses Dorf lag einige Bogenschüsse von einem größeren Landweg entfernt; der Platz, wo sein niedrig Kirchlein stand, zeigte sich in der Ferne wie ein Lustwäldchen von mächtigen Linden, und wo oben nur das Kreuz des Thurmes in die Augen fiel, gleichsam um anzuzeigen, daß hier eine Anzahl Menschen unter dem Schatten von Gottes Tempel wohnte.

In der Nähe sah es lieblich und reizend aus: die Dächer seiner Hütten waren mit Moos bewachsen, die Giebel von Weinreben umschlungen oder lagen im stillen Schatten halb verdeckt unter dem dichten Laub der Nußbäume. Doch konnte man auch da einige größere Gebäude bemerken: die Pfarrei, an ihrem Nothglöckchen kenntlich, stand neben dem Kirchhof; ganz dabei die Wohnung des Küsters und Schulmeisters, minder hoch, doch ebenso freundlich; weiter im Dorfe das schöne Haus des Notars, und gegenüber die ausgedehnte Brauerei mit ihren Stallungen und Werkstätten.

Zwischen den Häusern und Hütten, die so zu sagen der Zufall auf beide Seiten des Weges hingestreut hatte, standen einige Räume leer, durch welche das Auge erst über fruchtbare Felder und sanfte Wiesen schweifen konnte und dann auf undurchdringbare Wälder stieß, welche das Dorf von allen Seiten einschlossen, so daß es sich wie ein liebliches Thal zwischen hohen Bergen ausnahm.

An einem Sommertage des Jahres 1793 feierte Waldeghem seine Kirmeß.

Vor der Kirche, unter den hohen Linden, standen verschiedene mit Leinwand überspannte Buden; aber was man darin verkaufte, konnte man nicht sehen, weil die Krämer, die Arme über die Brust gekreuzt, auf einer Kiste oder auf einer Bank lagerten und ihre geschlossenen Läden schweigend zu überwachen schienen.

Vor einigen Wirthshäusern waren Zelte von Segeltuch aufgeschlagen, ohne Zweifel um den Dorfbewohnern als Tanzsaal zu dienen; doch dieselbe unheimliche Stille herrschte auch unter diesen - Zelten. Fast hätte man beim Anblick der Dorfstraße glauben können, daß gestern der legte Tag der Kirmeß gewesen sei, und daß die erschöpfte Bevölkerung durch die Ermüdung verhindert war, die übriggebliebenen Zeichen des Frohsinns wegzuräumen.

Diese allgemeine Stille hätte wunderbar scheinen können, da es kaum drei Uhr Nachmittags war, hätte man nicht bei einem Fernblick durch die Hütten die Lösung des Räthsels erfahren.

Längs der Fußwege, die aus dem dunkelen Gebüsche sich durch Wiesen und Felder gegen die Kirche schlängelten, kamen zahlreiche Familien herauf. Männer, Frauen, Kinder, alle mit einem Gebetbuch, mit einem Rosenkranz, oder beide zugleich in der Hand.

Da die engen Fußwege nur einem einzelnen Menschen den Durchgang gewähren konnten, so gingen alle diese Personen je einer vor dem anderen und alle dicht hintereinander. Aus der Ferne gesehen, schien die Fortbewegung dieser Leute sehr schleppend, und hätte nicht die bunte Tracht der Frauen, mit dem Hochroth, Grün, Gelb und Weiß zwischen der dunkelblauen Tracht der Männer durchgeschienen, und sonach die Bewegung merklich gemacht, so hätte man fast denken mögen, daß diese Menschenreihen ganz bewegungslos in den Feldern ständen.

So zogen von allen Seiten die Einwohner der Gemeinde Waldeghem der Kirche zu, um der feierlichen Vesper beizuwohnen, welche eben beginnen sollte.

Wenn man im Dorfe selbst die gleiche Bewegung nicht bemerkte, so war es einer berechneten Gewohnheit der Bauern zuzuschreiben,...



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