Conrad | Herz der Finsternis | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 19, 176 Seiten

Reihe: Penguin Edition

Conrad Herz der Finsternis

Erzählung - Penguin Edition (Deutsche Ausgabe) – Die kultige Klassikerreihe – ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-29348-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erzählung - Penguin Edition (Deutsche Ausgabe) – Die kultige Klassikerreihe – ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

E-Book, Deutsch, Band 19, 176 Seiten

Reihe: Penguin Edition

ISBN: 978-3-641-29348-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine erschütternde Reise in die Untiefen der Geschichte und der menschlichen Seele
Marlow, ein Zivilisationsflüchtling, hat als Kapitän auf einem Flussdampfer im Kongo angeheuert. Ohne zu ahnen, was ihn erwarten wird, steuert er den Dampfer tiefer und tiefer in die Wildnis, mitten hinein ins Herz des Schwarzen Kontinents, bis er schließlich auf den zwielichtigen Elfenbeinhändler Kurtz stößt. Die zusehends bedrohliche Reise führt ihn auf die dunkelsten Abwege europäischen Eroberungsstrebens. In seinem suggestiven, symbolisch verdichteten Meisterwerk zeigt Joseph Conrad, welch geringen Widerstand die Kultur, jener Kern menschlichen Selbstverständnisses, dem Absturz in die Barbarei entgegenzusetzen vermag.

PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. - Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

Joseph Conrad (1857-1924) war polnischer Herkunft und erlernte erst im Erwachsenenalter die englische Sprache. Im Dienst der britischen Handelsmarine und ab 1886 als Kapitän bereiste er die Weltmeere, den afrikanischen Kontinent und den Fernen Osten. Erst spät begann er zu schreiben. Conrads Romane, die um das Thema der menschlichen Einsamkeit und des Ausgeliefertseins kreisen, zählen zu den berühmtesten Werken der englischen Literatur.

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I


Die eine Kreuzerjacht, pendelte ein wenig vor der Ankertrosse, ohne dass die Segel im Geringsten labberten, und kam zur Ruhe. Die Flut war im Steigen, es herrschte nahezu Windstille, und da wir flussabwärts wollten, blieb uns nichts anderes übrig, als den Ebbstrom abzuwarten.

Vor uns zog sich die Mündungsstrecke der Themse wie der Anfang einer unendlichen Wasserstraße dahin. In der Ferne gingen Meer und Himmel unmerklich ineinander über, und die im schimmernden Raum mit der Flut stromauf treibenden Lastkähne mit ihren Büscheln rostroten Segeltuchs und dem funkelnden Bugspriet standen gleichsam still. Über den seewärts verdämmernden, flachen Ufern war die Luft diesig, über Gravesend dunkel, und noch weiter zurück schien sie zu einer schwermütigen Düsternis geballt, die reglos über der größten und großartigsten Stadt auf Erden dräute.

Der Großkaufmann war unser Kapitän und Gastgeber. Zu viert betrachteten wir liebevoll seinen Rücken, wie er da im Bug stand und seewärts schaute. Auf dem ganzen Fluss gab es nichts, was auch nur halbwegs so seemännisch ausgesehen hätte. Er wirkte wie ein Lotse, für den Fahrensmann stets der Inbegriff der Vertrauenswürdigkeit. Man konnte sich nur schwer vergegenwärtigen, dass sein Wirkungskreis nicht dort draußen auf den schimmernden Mündungsgewässern lag, sondern hinter ihm, irgendwo im dräuenden Düster drin.

Was uns verband, war die Liebe zur See, wie schon bei früherer Gelegenheit bemerkt. Abgesehen davon, dass uns das über lange Trennungszeiten hinweghalf, wirkte es sich auch insofern aus, als wir Nachsicht übten, wenn einer ein Garn zu spinnen begann oder gar Überzeugungen aussprach. Der Rechtsanwalt – eine gute alte Haut – hatte seiner hohen Jahre und seiner vielen Vorzüge wegen das einzige Kissen an Bord und lag auf der einzigen Wolldecke. Der Buchhalter hatte bereits ein Domino hervorgeholt und spielte mit den Steinen den Baumeister. Marlow saß mit untergeschlagenen Beinen achtern an den Heckmast gelehnt. Die eingefallenen gelblichen Wangen und seine aufrechte Haltung gaben ihm etwas Asketisches, und da er die Arme herabhängen ließ, die Handflächen nach außen, wirkte er fast wie ein Götzenbild. Als unser Gastgeber sich überzeugt hatte, dass der Anker hielt, kam er nach achtern und setzte sich zu uns. Träge wechselten wir ein paar Worte. Dann herrschte Schweigen an Bord der Jacht. Aus irgendeinem Grund fingen wir die Partie Domino gar nicht an. Wir waren in nachdenklicher Stimmung und unfähig, etwas anderes zu tun, als geruhsam in die Welt zu schauen. Der Tag ging in einem stillen, heiteren Glanz zu Ende. Friedlich schimmerte die Wasserfläche, der makellose Himmel war eine selige Unendlichkeit glasklaren Lichts; sogar der leichte Nebel über dem Marschland von Essex wirkte wie ein lichtes Gewebe, das von bewaldeten Höhen im Land drin herabwallte und einen durchsichtigen Schleier über die niedrigen Ufer breitete. Nur das Düster im Westen, das weiter oben über den Windungen der Themse dräute, wurde immer ausgeprägter, als sei es ergrimmt über das Herannahen der Sonne.

Am Ende ihrer Bahn sank sie schließlich herab, und aus der Weißglut wurde ein dumpfes Rot ohne Strahlung und ohne Hitze, als wolle sie sogleich erlöschen, tödlich angerührt von dem Düster, das über einem Haufen Menschen lastete.

Sogleich änderte sich die Stimmung über dem Gewässer; die stille Heiterkeit verlor an Glanz, wurde tiefgründiger. Spiegelglatt lag der alte Strom, als der Tag verging, in seiner breiten Mündungsstrecke da; schon eine Ewigkeit hatte er dem Menschenschlag, der seine Ufer bevölkerte, gute Dienste geleistet, mit der selbstverständlichen Würde einer Wasserstraße, die in alle Welt hinausführt. Für uns war der ehrwürdige Fluss nicht ein vergängliches Tagesereignis, wir betrachteten ihn im Licht unvergänglicher Erinnerungen. Tatsächlich kann es leicht geschehen, dass den, der mit Leib und Seele Seemann ist, auf den unteren Strecken der Themse der Geist der Vergangenheit anweht. Unablässig läuft der Gezeitenstrom auf und ab, voller Erinnerungen an Menschen und Schiffe, die er heimwärts oder seewärts getragen hat, dem häuslichen Feierabend oder dem Getümmel der Welt entgegen. Alle großen Gestalten, auf die England stolz ist, hat er getragen, von Sir Francis Drake bis zu Sir John Franklin, allen hat er gedient, den Rittern von Rang und denen ohne Rang, all den Fahrenden Rittern der See.

Er hat alle die Schiffe getragen, deren Namen wie Karfunkelsteine aus dem Dunkel der Zeit hervorleuchten, von der die, den Bauch voller Schätze, heimkehrte, von der Königin besucht wurde und dann aus der Weltgeschichte entschwand, bis zur und zur die auf andere Eroberungen ausgingen – und nie zurückkehrten. Der Strom hatte sie alle gekannt, die Schiffe und die Menschen. Von Deptford, von Greenwich, von Erith aus waren sie ankerauf gegangen – die Abenteurer und die Auswanderer, Kriegsschiffe und Kauffahrer, Kapitäne und Admirale, die lichtscheuen Schleichhändler ebenso wie die ordnungsgemäß ernannten «Generäle» der Ostindiengeschwader. Ob auf der Suche nach Gold oder nach Ruhm, alle waren sie auf diesem Strom hinausgezogen, das Schwert in der Hand und oft die Fackel, Boten der Macht ihres Landes, Überbringer eines Funkens der heiligen Flamme. Was war doch hier alles an geschichtlicher Größe stromab in geheimnisvolle Fernen getragen worden! – Männerträume, Anfänge einer Völkerverständigung, der Keim zu Weltreichen.

Die Sonne ging unter; Dämmerung brach über den Fluss herein, längs der Ufer begannen Lichter zu glimmen. Hell strahlte der Chapman-Leuchtturm, ein dreibeiniges Gebilde auf schlammigem Grund. Schiffslichter zogen das Fahrwasser hinauf und hinunter. Und weiter westlich, an den oberen Flussstrecken, zeichnete sich der Ort, wo die ungeheuerliche Stadt liegt, nach wie vor bedrohlich ab, eine brütende Düsternis an der Sonne, ein gespenstischer Schein unter den Sternen.

«Auch das», sagte Marlow plötzlich, «war einst eines der dunkeln Gebiete dieser Erde.»

Er war der Einzige unter uns, der noch zur See fuhr. Zu beanstanden an ihm war höchstens, dass er der Vorstellung, die man von einem Seemann hat, nicht durchweg entsprach. Er war Fahrensmann, aber gleichzeitig auch Wandersmann, während doch die meisten Seeleute, wenn man so sagen darf, ein sesshaftes Leben führen. Innerlich sind sie auf Behausung bedacht, und ihre Behausung ist immer um sie – das Schiff; ebenso ihre Heimat – das Meer. Ein Schiff gleicht dem andern, und das Meer ist überall dasselbe. In seiner ewiggleichen Umgebung gleiten die fremden Gestade, die fremden Gesichter, das wechselnde Gewühl der Welt am Seemann vorüber und bleiben ihm schleierhaft, nicht weil er das Fremde als geheimnisvoll empfindet, vielmehr aus bloßer Unkenntnis. Dem Seemann kommt nämlich nichts geheimnisvoll vor, es sei denn allein die See – die Herrin über sein Dasein, so unergründlich wie das Schicksal. Im Übrigen genügt ein flüchtiger Landgang, ein feuchtfröhlicher Abend, um ihm das Geheimnis eines ganzen Erdteils zu entschleiern, und meistens findet er es unerheblich. Ein Seemannsgarn zeichnet sich durch schlichte Geradlinigkeit aus, und was es an Bedeutung enthält, hat in einer Nussschale Platz. Doch abgesehen von seiner Vorliebe, ein Garn zu spinnen, entsprach Marlow nicht dem üblichen Bild des Seemanns; für ihn steckte der Sinn einer Geschichte nicht wie ein Kern in ihr drin, er umhüllte sie gleichsam wie ein Lichtschein.

Marlows Bemerkung setzte uns keineswegs in Erstaunen. Dergleichen sah ihm ähnlich. Wir nahmen sie stillschweigend auf; niemand sah sich auch nur zu einem Brummen veranlasst; und bald darauf sagte er denn auch, höchst gemächlich:

«Ich dachte an uralte Zeiten, als die Römer zum ersten Mal hierherkamen, vor neunzehnhundert Jahren – vor Kurzem … Licht ist seither von diesem Strom ausgegangen – fahrende Ritter, sagt ihr? Ja, aber das ist nur wie ein Strohfeuer, wie ein Blitz aus den Wolken. Wir leben in diesem Flimmerschein – möge er so lange Vorhalten wie der Erdball! Doch erst gestern herrschte hier noch Finsternis. Stellt euch die Gefühle des Befehlshabers einer – wie heißt das doch gleich? – einer prächtigen Trireme im Mittelmeer vor, der plötzlich nach dem hohen Norden versetzt und eiligst über Land durch ganz Gallien verbracht wird, worauf man ihm eines dieser Schiffe anvertraut, wie sie die Legionäre – tüchtige Handwerker müssen das gewesen sein – offenbar zu Hunderten bauten, in einem Monat oder zwei, falls man der Überlieferung glauben will. Stellt euch den Mann vor – hier, am Ende der Welt, wo die See bleiern ist, der Himmel rauchfarben, sein Schiff ungefähr so stabil wie eine Handharmonika; und hier muss er nun – mit Nachschub oder Aufträgen oder was weiß ich – diesen Fluss hinauf. Sandbänke, Marschland, Urwälder, Barbaren – und obendrein recht knappe Verpflegung für einen Kulturmenschen und nichts als Themsewasser dazu.

Kein Falerner, kein Landurlaub. Da und dort ein Militärlager, in der Wildnis verloren wie die Stecknadel im Heuhaufen – Kälte, Nebel, Unwetter; Krankheit, Verbannung und Tod – überall lauerte der Tod, in der Luft, im Wasser, im Buschwerk. Wie Fliegen müssen sie hier dahingerafft worden sein. Gewiss – er führte den Auftrag aus, sogar sehr gut und ohne viel Federlesens zu machen; erst hinterher prahlte er dann vielleicht mit dem, was er zu seiner Zeit durchgestanden hatte. Er war Manns genug, es mit der Finsternis aufzunehmen. Und was ihn guter Dinge erhielt, war vielleicht die Aussicht auf Beförderung, falls er...


Conrad, Joseph
Joseph Conrad (1857–1924) war polnischer Herkunft und erlernte erst im Erwachsenenalter die englische Sprache. Im Dienst der britischen Handelsmarine und ab 1886 als Kapitän bereiste er die Weltmeere, den afrikanischen Kontinent und den Fernen Osten. Erst spät begann er zu schreiben. Conrads Romane, die um das Thema der menschlichen Einsamkeit und des Ausgeliefertseins kreisen, zählen zu den berühmtesten Werken der englischen Literatur.



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