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E-Book, Deutsch, Band 15, 496 Seiten
Reihe: Ein Fall für Harry Bosch
Connelly Der Widersacher
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70586-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der 15. Fall für Harry Bosch
E-Book, Deutsch, Band 15, 496 Seiten
Reihe: Ein Fall für Harry Bosch
ISBN: 978-3-311-70586-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach seinem Zwischenstopp in der Abteilung Special Homicide hat Harry Bosch jetzt bei Offen-Ungelöst einen eher geregelten Alltag. Feste Arbeitszeiten, kein Hetzen zu Tatorten und einmal im Monat Weihnachten: Dann werden die gelben Umschläge mit DNA-Ergebnissen zu jahrzehntealten Verbrechen verteilt, die normalerweise bedeuten, dass ein Täter endlich überführt ist. Aber in diesem Fall macht der Gentest stutzig. An der Leiche der 1989 ermordeten Studentin Lily Price soll das Blut von Clayton Pell gefunden worden sein. Doch der wurde erst 1981 geboren. Kann er mit acht Jahren wirklich schon ungeschoren mit einer Vergewaltigung und einem Mord davongekommen sein? Ein Fehler im Labor könnte alle Fälle gefährden, die derzeit vor Gericht neu verhandelt werden! Dann werden Bosch und sein Partner zu einem politisch brisanten Todesfall gerufen: Der Sohn von Stadtrat Irvin Irving ist aus einem Fenster des Chateau Marmont gesprungen – oder gestoßen worden? Boschs langjähriger Erzfeind Irving verlangt, dass er die Ermittlungen übernimmt.
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Die Einheit Offen-Ungelöst teilte sich das Nutzungsrecht für die zwei Besprechungszimmer im vierten Stock mit allen anderen Einheiten der Robbery-Homicide Division, der RHD. Normalerweise mussten die Detectives eins der Zimmer im Vorfeld reservieren, indem sie sich in einem Klemmbrett eintrugen, das an der Tür hing. Aber so früh an einem Montagmorgen waren beide Räume frei, und Bosch, Chu, Shuler und Dolan beschlagnahmten kurzerhand den kleineren der beiden.
Sie hatten die Mordakte und die kleine Beweismittel-Archivbox des Falls aus dem Jahr 1989 dabei.
»So«, begann Bosch, als alle saßen. »Ihr habt also nichts dagegen, wenn wir diesen Fall übernehmen? Wenn doch, können wir noch mal zu Duvall gehen und ihr sagen, dass ihr ihn unbedingt haben wollt.«
»Nein, schon okay«, sagte Shuler. »Wir sind mit dem Prozess voll ausgelastet, deshalb ist es auf jeden Fall besser so. Es ist unser erster Fall bei der Einheit, und wir wollen ihn unbedingt bis zum Schuldspruch begleiten.«
Bosch nickte und schlug beiläufig die Akte auf. »Könntet ihr uns dann vielleicht kurz sagen, worum es hier geht?«
Shuler nickte seiner Partnerin Dolan zu und gab den Kollegen dann eine Zusammenfassung des Falls aus dem Jahr 1989. Bosch blätterte währenddessen den Ordner durch.
»Wir haben ein neunzehnjähriges Opfer, Lily Price. Studentin aus Ohio, grundanständiges Mädchen. Sie wurde in Venice auf offener Straße entführt, als sie an einem Sonntagnachmittag vom Strand nach Hause ging. Der Ort der Entführung konnte schon damals auf die Gegend um die Kreuzung von Speedway und Voyage Street eingegrenzt werden. Price wohnte zusammen mit drei anderen Mädchen in der Voyage. Eine ihrer Mitbewohnerinnen war mit ihr am Strand gewesen, die zwei anderen waren in der Wohnung. Sie verschwand irgendwo zwischen diesen beiden Stellen. Sie hat dem anderen Mädchen gesagt, sie wolle nur kurz nach Hause, um dort auf die Toilette zu gehen, ist aber nie dort angekommen.«
»Sie hat ihr Handtuch und einen Walkman am Strand gelassen«, fuhr Shuler fort. »Und ihr Sonnenschutzmittel. Deshalb war klar, dass sie zurückkommen wollte. Ist sie aber nicht. Und laut den Aussagen ihrer beiden Mitbewohnerinnen, die im fraglichen Zeitraum in der Wohnung waren, ist sie auch dort nicht aufgetaucht.«
»Ihre Leiche wurde am nächsten Morgen auf den Felsen unten am Cut gefunden«, führte Dolan weiter aus. »Sie war nackt, und sie war vergewaltigt und anschließend stranguliert worden. Ihre Kleider wurden nie gefunden. Auch der Strick, mit dem sie stranguliert worden war, ist nie aufgetaucht.«
Bosch blätterte durch mehrere Klarsichthüllen mit verblassten Polaroidaufnahmen vom Tatort. Beim Anblick des Opfers konnte er nicht anders, als an seine Tochter zu denken, die mit fünfzehn noch ihr ganzes Leben vor sich hatte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ihn der Anblick solcher Fotos angestachelt und das Feuer in ihm entfacht hatte, das er brauchte, um vollen Einsatz zu bringen. Aber seit Maddie bei ihm lebte, fiel es ihm immer schwerer, sich Opfer anzusehen.
Es hielt ihn jedoch nicht davon ob, das Feuer zu schüren.
»Woher kommt die DNA?«, fragte er. »Sperma?«
»Nein, entweder hat der Mörder ein Kondom benutzt, oder er hat nicht ejakuliert«, sagte Dolan. »Kein Sperma.«
»Sie stammt von einem kleinen Blutfleck«, sagte Shuler. »Er befand sich am Hals des Opfers, direkt unter dem rechten Ohr. In diesem Bereich hatte sie aber keinerlei Verletzungen. Deshalb haben sie damals angenommen, dass das Blut vom Mörder stammte, dass er sich verletzt oder vorher schon geblutet hatte. Es war nur ein kleiner Tropfen. Eigentlich mehr ein Schmierer. Sie wurde mit einem Strick stranguliert. Wenn sie von hinten erdrosselt wurde, könnte seine Hand an dieser Stelle ihres Halses gewesen sein. Und wenn er eine Verletzung an der Hand hatte …«
»Eine Übertragungsablagerung«, sagte Chu.
»Genau.«
Bosch fand das Polaroidfoto, auf dem der Hals des Opfers und der Blutfleck zu sehen waren.
Die Farben waren im Lauf der Zeit so stark verblasst, dass das Blut kaum mehr zu erkennen war. Um die Größe des Flecks auf dem Foto bestimmen zu können, war ein Lineal auf den Hals des Mädchens gelegt worden. Er war etwa zwei Zentimeter groß.
»Und diese Blutspur wurde abgenommen und aufbewahrt«, sagte Bosch. Diese Feststellung sollte weitere Erklärungen nach sich ziehen.
»Ja«, sagte Shuler. »Weil es ein Fleck war, wurde es abgetupft. Damals konnte allerdings nur die Blutgruppe bestimmt werden. Null, Rhesus positiv. Der Tupfer wurde in einem Röhrchen aufbewahrt, das wir in der Asservatenkammer gefunden haben, als wir den Fall übernommen haben. Das Blut ist inzwischen zu Pulver getrocknet.«
Shuler tippte mit einem Stift auf den Deckel der Archivbox. In diesem Moment begann das Handy in Boschs Hosentasche zu vibrieren. Normalerweise hätte er den Anruf auf die Mailbox gehen lassen, aber weil seine Tochter allein zu Hause war – sie war krank geworden und hatte nicht zur Schule gehen können –, wollte er sichergehen, dass der Anruf nicht von ihr kam. Er holte das Handy aus der Tasche und schaute auf das Display.
Es war nicht seine Tochter. Es war Kizmin Rider, eine ehemalige Kollegin, die inzwischen als Lieutenant im Büro des Polizeichefs arbeitete. Er beschloss, sie nach der Besprechung zurückzurufen. Sie trafen sich einmal im Monat zum Mittagessen, und er nahm an, dass sie heute Zeit hatte oder anrief, weil sie gehört hatte, dass sein Antrag auf Verlängerung seiner Dienstzeit bewilligt worden war. Er steckte das Handy wieder ein.
»Habt ihr das Röhrchen geöffnet?«, fragte er.
»Natürlich nicht«, sagte Shuler.
»Okay, dann habt ihr also das Röhrchen mit dem Tupfer und dem, was von dem Blut noch übrig war, vor vier Monaten an das Bezirkslabor eingeschickt, richtig?«
»Ja«, bestätigte Shuler.
Bosch blätterte im Mordbuch zum Obduktionsbefund. Er tat so, als interessierte er sich mehr für das, was er sah, als für das, was er sagte.
»Habt ihr damals sonst noch was an das Labor eingeschickt?«
»Vom Price-Fall?«, fragte Dolan. »Nein, das war das einzige biologische Beweisstück, das es damals gab.«
Bosch nickte in der Hoffnung, sie würde weitersprechen.
»Auch sonst ist bei den damaligen Ermittlungen nichts herausgekommen«, fuhr Dolan fort. »Sie haben keinen Verdächtigen gefunden. Auf wen sind sie bei dem kalten Treffer gestoßen?«
»Dazu kommen wir gleich«, sagte Bosch. »Was ich damit gemeint habe, ist, habt ihr auch von den anderen Fällen, die ihr zu der Zeit bearbeitet habt, irgendwas an das Labor geschickt? Oder war das alles?«
»Nein, das war alles.« Shuler verengte argwöhnisch die Augen zu Schlitzen. »Entschuldige mal, aber was soll das eigentlich, Harry?«
Bosch fasste in die Innentasche seines Sakkos und zog das Formular heraus. Er schob es Shuler über den Tisch hinweg zu.
»Der Treffer deutet auf einen Sexualtäter hin, der eigentlich recht vielversprechend scheint – bis auf eins.«
Shuler entfaltete das Formular, und er und Dolan rückten näher zusammen, um es gemeinsam zu lesen; so, wie Bosch und Chu das vorher getan hatten.
»Wieso?«, fragte Dolan, der das Geburtsdatum noch nicht aufgefallen war. »Der Typ passt doch super.«
»Heute wäre er perfekt«, erwiderte Bosch. »Aber damals war er erst acht Jahre alt.«
»Willst du mich verarschen?«, fragte Dolan.
»Das kann doch wohl nicht sein?«, fügte Shuler hinzu.
Dolan zog das Formular zu sich hin, um es sich genauer anzusehen und das Geburtsdatum zu überprüfen. Shuler lehnte sich zurück und sah Bosch misstrauisch an.
»Ihr glaubt also, wir haben Scheiße gebaut und zwei Fälle miteinander vermengt?«
»Nein«, sagte Bosch. »Duvall hat uns zwar gebeten, dieser Möglichkeit nachzugehen, aber wie ich die Sache sehe, ist auf unserer Seite alles korrekt gelaufen.«
»Dann muss es im Labor passiert sein«, sagte Shuler. »Ist dir eigentlich klar, dass künftig jeder Strafverteidiger im County die DNA-Analysen, die von dort kommen, anzweifeln kann, wenn sie dort Scheiße gebaut haben?«
»Ja, kann ich mir gut vorstellen«, brummte Bosch. »Deshalb solltet ihr die ganze Geschichte erst mal für euch behalten, bis wir wissen, was tatsächlich passiert ist. Es gibt nämlich auch andere Möglichkeiten.«
Dolan hielt das Formular hoch. »Und was ist, wenn niemand gepfuscht hat? Wenn das Blut an dem toten Mädchen tatsächlich von diesem Pimpf stammt?«
»Ein Achtjähriger, der auf offener Straße eine Neunzehnjährige entführt und sie dann vergewaltigt, stranguliert und ihre Leiche vier Straßen weiter entsorgt?« Dieser Einwand kam von Chu. »Vollkommen ausgeschlossen.«
»Vielleicht war er nur dabei«, sagte Dolan. »Vielleicht war es der Auslöser, dass er ein Sextäter geworden ist. Ihr habt ja sein Vorstrafenregister gesehen. Der Typ passt hervorragend ins Bild – bis auf sein Alter.«
Bosch nickte.
»Vielleicht. Aber wie gesagt, es gibt auch andere Möglichkeiten. Noch besteht kein Grund zur Panik.«
Sein Handy begann erneut zu vibrieren. Er zog es heraus und sah, dass es wieder Kiz Rider war. Zwei Anrufe in fünf Minuten – er beschloss, lieber dranzugehen. Das war keine Verabredung zum Mittagessen.
»Ich gehe mal kurz nach draußen.«
Bosch stand auf und nahm den Anruf auf dem Flur entgegen.
»Kiz?«
»Harry, ich versuche schon die ganze Zeit, dich zu erreichen.«
»Ich bin gerade in einer Besprechung. Was gibt es so Wichtiges?«
»Du wirst gleich ins OCP...