Connelly | Der Poet | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 668 Seiten

Reihe: Ein Fall für Jack McEvoy

Connelly Der Poet

Der erste Fall fu¨r Jack McEvoy
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-311-70325-9
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der erste Fall fu¨r Jack McEvoy

E-Book, Deutsch, Band 1, 668 Seiten

Reihe: Ein Fall für Jack McEvoy

ISBN: 978-3-311-70325-9
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Jack McEvoy ist Polizeireporter bei den Rocky Moun tain News in Denver. Als er vom Tod seines Zwillingsbruders Sean, Detective bei der Mordkommission, erfährt, gerät sein Leben vollkommen aus dem Gleichgewicht. Die Polizei geht von Selbstmord aus: Jacks Bruder soll sich in seinem Auto erschossen haben. Einen Abschiedsbrief habe er auch hinterlassen, auf der Windschutzscheibe: Out of space. Out of time. Ein Zitat von Edgar Allan Poe. Jack glaubt nicht, dass sein Bruder sich selbst das Leben genommen hat und ermittelt auf eigene Faust. Dabei stößt er auf eine ganze Reihe ungelöster Todesfälle: Sean ist nicht der einzige Polizist, der unter ungeklärten Umständen umgekommen ist und Verse von Edgar Allan Poe hinterlassen haben soll. Jack sieht seine Zweifel an der Selbstmordthese bestätigt. Aber wer ist dieser »Poet«, der es vor allem auf Polizisten abgesehen hat? Was ist sein Motiv? Und wer wird das nächste Opfer sein?

Michael Connelly ist mit über 89 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen einer der US-amerikanischen Krimi-Superstars. 1956 geboren, wuchs er in Florida auf, wo er als Journalist arbeitete, bis ihn die Los Angeles Times als Gerichtsreporter in die Stadt holte, in der sein literarisches Idol Raymond Chandler seine Romane spielen ließ, was Connelly ihm später gleichtun sollte. Im Kampa Verlag erscheinen neben den Fällen des legendären Ermittlers Harry Bosch und der Nachtschicht-Detective Rene?e Ballard auch Connellys Romane mit Jack McEvoy und Michael »Mickey« Haller. Connelly lebt in Kalifornien und in Florida.
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1


Tod ist mein Ressort. Ich lebe von ihm. Ich schmiede meinen beruflichen Ruhm mit seiner Hilfe. Ich behandle ihn mit der Leidenschaft und Präzision eines Bestattungsunternehmers – ernst und voller Mitgefühl, wenn ich mit den Hinterbliebenen spreche, wie ein erfahrener Handwerker, wenn ich allein bin. Ich war immer der Ansicht, das Geheimnis des Umgangs mit dem Tod bestünde darin, genügend Abstand zu ihm zu halten. Die Regel lautet: Man darf nicht zulassen, dass er einem ins Gesicht atmet.

Aber ich hatte keine Chance, mich an diese Regel zu halten. Als die beiden Detectives erschienen und mir von Sean erzählten, ergriff eine kalte Taubheit von mir Besitz. Es war, als befände ich mich in einem Aquarium. Ich bewegte mich wie unter Wasser – vor und zurück, vor und zurück – und betrachtete den Rest der Welt durch das Glas.

Vom Fond ihres Wagens aus konnte ich im Rückspiegel meine Augen sehen. Sie blitzten jedes Mal auf, wenn wir eine Ampel passierten. Ich erkannte den Blitz wieder. Aus den Augen der frisch verwitweten Frauen, die ich im Laufe der Jahre interviewt hatte.

Ich kannte nur einen der beiden Detectives, Harold Wexler. Ich hatte ihn ein paar Monate zuvor kennengelernt, als ich mit Sean auf einen Drink ins Pints Of gegangen war. Sie gehörten beide derselben Abteilung der Polizei von Denver an, der CAP, die für Verbrechen an Menschen zuständig war. Ich erinnerte mich, dass Sean ihn Wex genannt hatte. Cops reden sich immer mit Spitznamen an. Der von Wexler ist Wex, und der von Sean war Mac. Das ist so eine Art Stammesbindung. Einige der Namen sind nicht gerade schmeichelhaft, aber die Cops beschweren sich nicht. Ich kenne einen in Colorado Springs, der Scoto heißt und den die meisten Scroto nennen. Ein paar gehen sogar so weit, ihn Scrotum zu nennen, aber ich nehme an, man muss schon ein sehr guter Freund sein, um sich das erlauben zu dürfen.

Wexler war gebaut wie ein kleiner Bulle, kräftig, untersetzt, mit einer von Zigaretten und Whiskey verräucherten Stimme. Ein scharf geschnittenes, auffallend rotes Gesicht. Ich erinnere mich, dass er Jim Beam auf Eis trank. Mich interessiert immer, was Cops trinken. Es verrät eine Menge über sie. Wenn sie ihre Drinks unverdünnt zu sich nehmen, muss ich immer denken, dass sie vielleicht zu oft zu viele Dinge gesehen haben, die die meisten Menschen überhaupt nicht zu sehen bekommen. Sean trank an jenem Abend Lite Beer, aber er war auch noch jung. Obwohl er die Abteilung leitete, war er mindestens zehn Jahre jünger als Wexler. Zehn Jahre später hätte er seine Medizin vielleicht auch kalt und unverdünnt eingenommen wie Wexler. Doch das werde ich jetzt nie erleben.

Ich verbrachte den größten Teil der Fahrt damit, an jenen Abend im Pints Of zu denken. Nicht, dass dort irgendetwas Wichtiges passiert wäre. Nur ein paar Drinks mit meinem Bruder. Und das letzte Mal, dass wir uns richtig gut verstanden. Bevor Theresa Lofton auftauchte. Diese Erinnerung versetzte mich wieder zurück in das Aquarium.

Doch sobald die Realität es schaffte, das Glas zu durchdringen und in mein Herz vorzustoßen, überwältigte mich ein Gefühl des Versagens und des Kummers. Es war die erste wirkliche Seelenqual, die ich in meinen vierunddreißig Jahren durchmachen musste. Das schloss den Tod meiner Schwester mit ein. Damals war ich noch zu jung gewesen, um richtig um Sarah trauern oder auch nur den Schmerz eines nicht erfüllten Lebens begreifen zu können. Jetzt trauerte ich, weil ich nicht einmal gewusst hatte, dass Sean so dicht am Abgrund gestanden hatte. Er war Lite Beer gewesen, während all die anderen Cops, die ich kannte, Whiskey on the rocks waren.

Natürlich war mir bewusst, wie viel Selbstmitleid in dieser Art von Trauer steckte. Wir hatten einander lange Zeit nicht richtig zugehört. Wir hatten unterschiedliche Wege eingeschlagen. Und jedes Mal, wenn ich mir diese Tatsache eingestand, begann der Kreislauf des Kummers von vorn.

Mein Bruder hatte mir einmal die Theorie des Limits erklärt. Er sagte, jeder Cop, der in der Mordkommission arbeite, habe ein Limit, aber dieses Limit sei ihm unbekannt, bis er es erreicht habe. Er redete über Tote. Sean war überzeugt, dass jeder Cop nur soundso viele Tote ertragen konnte. Die Zahl lautete bei jedem anders. Manche klappten schon früh zusammen. Andere gehörten der Mordkommission zwanzig Jahre lang an und kamen nicht einmal in die Nähe des Limits. Aber eine Zahl gab es immer. Und wenn sie erreicht war, dann war Schluss. Man ließ sich ins Archiv versetzen, man gab seine Dienstmarke ab, man tat irgendetwas. Weil man den Anblick eines weiteren Toten einfach nicht ertragen hätte. Doch wenn man trotzdem blieb, wenn man sein Limit überschritt, nun ja, dann gab es Probleme, die damit enden konnten, dass man sich eine Kugel in den Kopf schoss. Genau das hatte Sean gesagt.

Mir wurde bewusst, dass mich der andere Detective, Ray St. Louis, angesprochen hatte.

Er war viel größer als Wexler. Selbst in dem schwachen Licht im Wageninnern konnte ich die Unebenheit seines pockennarbigen Gesichts erkennen. Ich kannte ihn nicht, aber ich hatte gehört, wie andere Cops über ihn redeten, und ich wusste, dass sie ihn Big Dog nannten. Als ich ihn und Wexler zusammen sah, als sie im Foyer der auf mich warteten, hielt ich sie für das perfekte Mutt-und-Jeff-Paar. Sie sahen aus, als wären sie direkt aus einem Spätfilm gestiegen. Lange, dunkle Mäntel. Hüte. Die ganze Szene hätte in Schwarz-Weiß sein sollen.

»Haben Sie gehört, Jack? bringen es ihr bei. Das ist unser Job, aber es wäre uns sehr lieb, wenn Sie dabei sein könnten, vielleicht sogar bei ihr bleiben würden, wenn es hart auf hart geht. Sie wissen schon – wenn sie jemanden um sich braucht. Okay?«

»Okay.«

»Gut, Jack.«

Wir waren unterwegs zu Seans Haus. Nicht zu der Wohnung, die er sich mit vier anderen Cops in Denver teilte, damit er den Vorschriften entsprechend ein Einwohner von Denver war. Sondern zu seinem Haus in Boulder, wo seine Frau Riley uns die Tür öffnen würde. Ich wusste, dass niemand ihr etwas beizubringen brauchte. Sie würde wissen, was passiert war, sobald sie uns drei ohne Sean dastehen sah. Jede Frau eines Cops würde sofort Bescheid wissen. Diese Frauen verbringen ihr Leben damit, genau den Tag zu fürchten und sich auf ihn einzustellen. Jedes Mal, wenn jemand an die Tür klopft, rechnen sie damit, dass es Todesboten sein könnten. Diesmal würde es der Fall sein.

»Sie wird es sowieso wissen«, erklärte ich ihnen.

»Vermutlich«, sagte Wexler. »Sie wissen es immer.«

Mir wurde klar, dass sie darauf sogar bauten. Das würde ihren Job leichter machen.

Ich ließ mein Kinn auf die Brust sinken, schob die Finger unter die Brille und massierte meine Nasenwurzel. Mir war bewusst, dass ich zu einer Figur aus einer meiner eigenen Stories geworden war – dass ich die Zeichen des Kummers und Verlustes zur Schau stellte, die ich sonst so mühsam formulierte, damit eine fünfundsiebzig Zeilen lange Zeitungsstory besonders ergreifend wurde.

Ein Schamgefühl überfiel mich, als ich an all meine Anrufe bei einer Witwe oder den Eltern eines toten Kindes dachte. Oder bei dem Bruder eines Selbstmörders. Ja, sogar solche Leute hatte ich angerufen. Ich glaube nicht, dass es irgendeine Art von Tod gibt, über die ich nicht geschrieben habe, bei der ich nicht zum Eindringling in anderer Leute Schmerz geworden war.

Worte, die einem Reporter geläufig sind. Immer die erste Frage. Vielleicht nicht so direkt gestellt, sondern sorgfältig hinter Worten getarnt, die Mitgefühl und Verständnis ausdrücken sollten – Empfindungen, die mir in Wirklichkeit abgingen. Ich habe sogar ein Andenken an diese Gefühllosigkeit. Eine schmale weiße Narbe auf meiner linken Wange, direkt oberhalb meines Bartes. Sie stammt von dem Diamanten am Verlobungsring einer Frau, deren Verlobter gerade in einer Lawine in der Nähe von Breckenridge ums Leben gekommen war. Ich stellte ihr die übliche Frage, und sie reagierte mit einer Rückhand quer über mein Gesicht. Damals war ich noch neu in diesem Job und glaubte, mir wäre unrecht geschehen. Heute trage ich die Narbe wie eine Medaille.

»Halten Sie bitte an«, sagte ich. »Ich muss mich übergeben.«

Wexler steuerte den Wagen sofort auf die Standspur des Freeways. Wir schlitterten ein wenig auf dem schwarzen Eis, doch dann gewann Wexler die Kontrolle zurück. Noch bevor der Wagen völlig zum Stillstand gekommen war, versuchte ich verzweifelt, die Tür zu öffnen, aber der Griff funktionierte nicht. Es war ein Polizeifahrzeug, begriff ich dann, und die meisten Leute, die auf dem Rücksitz mitfuhren, waren Verdächtige oder Gefangene.

»Die Tür«, brachte ich mühsam heraus.

Der Wagen kam schließlich mit einem Ruck zum Stehen, und Wexler löste die Sicherheitsverriegelung. Ich öffnete die Tür, beugte mich hinaus und erbrach mich in den schmutzigen Schneematsch. Eine halbe Minute lang rührte ich mich nicht, wartete auf mehr, doch es kam nichts. Ich war leer. Ich dachte an den Rücksitz des Wagens. Für Verdächtige und Gefangene. Ich nahm an, dass ich jetzt beides war. Verdächtig als Bruder. Und ein Gefangener meines eigenen Stolzes. Das Urteil würde natürlich lebenslänglich lauten.

Mit der Erleichterung, die der körperliche Exorzismus mit sich brachte, glitten diese Gedanken rasch hinweg. Ich stieg vorsichtig aus dem Wagen und ging bis an den Rand des Asphalts, auf dem die Lichter vorbeifahrender Wagen im Februarschnee in schillernden Regenbogenfarben reflektiert wurden. Es sah so aus, als...


Connelly, Michael
Michael Connelly ist mit über 89 Millionen verkauften Büchern in 45 Sprachen einer der US-amerikanischen Krimi-Superstars. 1956 geboren, wuchs er in Florida auf, wo er als Journalist arbeitete, bis ihn die Los Angeles Times als Gerichtsreporter in die Stadt holte, in der sein literarisches Idol Raymond Chandler seine Romane spielen ließ, was Connelly ihm später gleichtun sollte. Im Kampa Verlag erscheinen neben den Fällen des legendären Ermittlers Harry Bosch und der Nachtschicht-Detective Rene´e Ballard auch Connellys Romane mit Jack McEvoy und Michael »Mickey« Haller. Connelly lebt in Kalifornien und in Florida.



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