Collin | Rave On | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Collin Rave On

Eine globale Reise durch die Electronic Dance Music
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-85445-648-3
Verlag: Hannibal Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine globale Reise durch die Electronic Dance Music

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-85445-648-3
Verlag: Hannibal Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



1997 verfasste Matthew Collin zusammen mit seinem Kollegen John Godfrey mit Altered State - Im Rausch der Sinne das Standardwerk über die damalige Dance-Kultur, ihre Ursprünge, ihre Einflüsse und ihre verschiedenen Gesichter. Heute liegt der zweite "Summer Of Love", als Ende der Achtziger Acid House die Welt eroberte, dreißig Jahre zurück, und pulsierende Beats und hedonistische Partys sind in der westlichen Welt längst Teil des Mainstream-Entertainments geworden. Grund genug für Collin, sich einmal genauer anzusehen, wie sich die Szene von einst gewandelt hat - und auf dem Globus nachzuspüren, ob sich die innovative Kraft der Beats andernorts vielleicht noch ihre einst so subversive Energie erhalten hat.

Und so nimmt Collin die Leser mit in Dance-Metropolen wie Detroit oder Berlin, wo etwa die Techno-Idealisten im Berghain immer noch den alten Geist des Genres beschwören, während "Raving" anderswo längst zum Big Business geworden ist: In Las Vegas bestimmt die Höhe des Eintritts den Platz im Club, und in Shanghai werden die Tanzflächen immer kleiner, um den reichen Selbstdarstellern an den kleinen Tischchen mehr Platz fürs Posing zu bieten. Doch als Mittel zum Ausdruck eines individuellen Lebensgefühls ist Dance dennoch nicht passé: Das beweisen die jungen, innovativen Szenen in Südafrika oder die Techno-Outlaws in Frankreich. Collin ist durch die ganze Welt gereist und stellt die neuen Keimzellen frischer Ideen in China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten den altvertrauten Dance-Hochburgen gegenüber.

Seine Porträts der jeweiligen Szenen sind das Resultat akribischer Recherche vor Ort, und sie basieren auf Interviews mit aufstrebenden DJs und Promotern, detaillierten Beobachtungen und fundierten Schlussfolgerungen. "Das Buch sollte eine Reportage aus erster Hand bieten und beschreiben, wie es aussah, wie es sich anhörte und wie es sich anfühlte, dort zu sein", sagte er dem International DJ Magazine. Das ist Matthew Collin meisterlich gelungen. Er verschließt nicht die Augen vor Diskriminierung und Gentrifizierung, ohne sich aber auf die kulturpessimistische Einstellung zurückzuziehen, dass früher alles besser war. Rave On ist nicht nur eine Bestandsaufnahme aktueller Dance-Trends geworden, sondern eine kritische Liebeserklärung an die Beats, temporeich, bunt und ungeheuer informativ.

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In jener Nacht strömten sie zu Hunderten zur Progressive Baptist Church in der South Wentworth Avenue in Chicago. Sie fuhren quer durch die Stadt und manche flogen sogar aus entfernten Städten wie New York und London ein. Nicht etwa um zu singen oder zu feiern, obwohl sie dies ebenfalls taten, sondern weil es ihnen einfach richtig erschien. Sie reihten sich in eine Warteschlange ein, die den ganzen Block hinunter reichte, um einen Platz auf einer der Kirchenbänke zu ergattern und einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, dessen Musik eine ganze Generation geprägt und auf ihre eigene Art und Weise unsere Welt zu einem schöneren Ort gemacht hatte. Reden wurden gehalten und Tränen flossen in Strömen. Die Trauergäste waren so zahlreich erschienen, um sich gemeinsam an das Leben von Francis Nicholls – Frankie Knuckles – zu erinnern, der im März 2014 im Alter von 59 Jahren an den Folgen seiner Diabeteserkrankung gestorben war. Es war Frankie Knuckles, der als DJ mit seinen Sessions im Chicagoer Club Warehouse der House Music ihren Namen verliehen hatte, dessen innovative Herangehensweise zu dieser Musik ihre Form prägte und dessen Aufnahmen Ansätze ihre Reichhaltigkeit und Tiefe offenbarten. „House war eine spezielle Art geistlicher Musik“, klärte Reverend Roderick Norton die Trauernden auf und bediente sich dabei einer Phrase, mit der er unterstrich, was dieser schwule, schwarze DJ tatsächlich geleistet hatte, indem er himmlische Bestrebungen mit irdischen Gelüsten vereinte.1 Andere erinnerten sich daran, wie es Frankie Knuckles gelungen war, ein Gefühl der Einheit und Zusammengehörigkeit aus der immerwährenden Finsternis des Nachtlebens heraufzubeschwören. „Von Mitternacht bis sechs Uhr morgens war er unser Therapeut“, sagte jemand.2 Robert Owens sang „Tears“, jenes bittersüße Klagelied, das die beiden Männer zu zweit ausgearbeitet hatten. Als Ann Nesby von Sounds of Blackness, begleitet von einem Gospelchor, den Refrain jenes Songs anstimmte, den Knuckles für einen seiner emotional erbaulichsten Remixe bearbeitet hatte, „The Pressure“, erhoben sich die Menschen, klatschten, tanzten und weinten vor Freude und Trauer, während sie nicht nur dem Mann und der Musik, die er uns geschenkt hatte, gedachten, sondern sich auch an die Freiheit erinnerten, die sie uns hatte spüren lassen. Die Trauerfeier, die an diesem Abend in Chicago inszeniert wurde, fand nur wenige Minuten zu Fuß von jenem Ort entfernt statt, an dem vor über drei Jahrzehnten die Tanzmusik für tot erklärt worden war. Zwischen zwei Baseball-Spielen im Comiskey Park im Jahr 1979 hatte der Radio-DJ Steve Dahl symbolisch einen Scheiterhaufen in Brand gesteckt, der aus Disco-Schallplatten bestand, wobei im Verlauf der Jahre immer klarer wurde, dass es sich dabei um einen homophoben wie rassistischen Versuch gehandelt haben dürfte, die Ikonografie einer Kultur der Befreiung zu zerstören. Dieser Versuch, so zeigte es die Geschichte, schlug selbstverständlich fehl. Die Kirche befand sich außerdem 20 Fahrminuten vom alten Power Plant entfernt, dem Club, wo Frankie Knuckles, der bereits begonnen hatte, im Warehouse eine neue Generation mit Neubearbeitungen von Disco-Klassikern zu beschallen, ein paar der Platten, die er in den frühen Achtzigerjahren so auflegte, mit dem Beat eines Roland-TR-909-Drumsynthesizers zu unterlegen, um ihnen mehr perkussive Power und elektronische Energie zu verleihen. Damit ebnete er den Weg für House und jenen Sound, den er selbst als „die Rache von Disco“ bezeichnete. Ich sah ihn zum ersten Mal Anfang 1988 im Londoner Club Delirium auftreten. House galt damals in Großbritannien immer noch als eine Art obskure Sekte. Die große Rave-Explosion sollte erst einige Monate später beginnen. In dieser Nacht spielte er jedenfalls auch eine seiner besten Produktionen, „Let the Music Use You“ von The Nightwriters. Mit ihren optimistischen Akkorden, die sich gen Himmel recken, während der Sänger uns auffordert, seine Hände zu ergreifen und dem musikalischen Spirit zu erlauben, uns in immer luftigere Höhen emporzuheben, gelingt es dieser Nummer immer noch, einige der Elemente, die das Beste an jenem fragilen Zaubergebilde namens House ausmachen, explizit zu veranschaulichen. An diesem Abend in London hätte man sich nie vorstellen können, dass eines Tages die Nachrufe auf Frankie Knuckles auf BBC und CNN ausgestrahlt würden und sogar der Präsident der USA diesem weisen wie anständigen Gentleman seinen Respekt zollen würde. Aber genau so sollte es kommen: „Frankies Schaffen half dabei, persönliche Horizonte zu erweitern und Menschen zusammenzubringen, wobei er Genres vermengte und so unsere Aufmerksamkeit erweckte und unsere Fantasie beflügelte,“ schrieben Barack und Michelle Obama nach Knuckles’ Tod in einem unerwartet herzlich formulierten Brief aus dem Weißen Haus. „Zwar wird er aufrichtig vermisst werden, doch wir vertrauen darauf, dass Frankies Geist auch weiterhin als wegweisende Kraft fungieren wird.“ Das Ableben von Frankie Knuckles verursachte einen Ausbruch kollektiven Wehklagens, der wiederum zum ersten Mal seit Jahren die entfremdeten Clans der Dance-Music-Szene in ihrer Trauer und ihrem Gedenken zu einen vermochte. Dies offenbarte, wie viel Leidenschaft und Glaube in einer Popkultur, die bereits mehr als drei Dekaden auf dem Buckel hatte, noch immer steckte –
aber auch, wie weit wir es doch gebracht hatten, seitdem er Disco in den amerikanischen Clubs der Schwarzen und Schwulen zu House umgeformt hatte. Unsere Kultur hatte sich in ein wildes Tohuwabohu von gigantischen Ausmaßen, eine Orgie kapitalistischer Ausbeutung verwandelt. Ende 2015 schätzte ein Marktanalytiker von Danceonomics, einem Unternehmen, das Daten erhebt und auswertet, dass Dance-Music weltweit Einkünfte von 7,1 Milliarden Dollar pro Jahr erwirtschaftete – und wie das in einem globalen kapitalistischen Markt nun einmal so ist, wanderte ein Großteil davon auf die Konten einiger weniger an der Spitze. Laut einem Bericht mit dem Titel „Electronic Cash Kings“, der im Wirtschaftsmagazin Forbes erschien, scheffelte der Bestverdiener unter den DJs, ein Mann namens Adam Richard Wiles aus dem schottischen Dumfries, mit seinen Auftritten, Tonträgern, Merchandise-Verkäufen, Werbeeinnahmen und anderen kommerziellen Projekten unter seinem Künstlernamen Calvin Harris in diesem Jahr geschätzte 63 Millionen Dollar. Electronic Cash Kings … Damals, Mitte der Neunzigerjahre, wurde viel über „Superstar-DJs“ berichtet, die exklusive Sportautos fuhren und sich kostspielige Drogen leisteten. Doch im Vergleich zu den Kolossen, die auf sie folgen sollten, waren sie allerhöchstens Liliputaner. All diese Showmänner aus der Oberliga – bei diesen „Cash Kings“ handelte es sich tatsächlich fast ausschließlich um Männer – hatten sich zu Globetrottern gemausert, die permanent auf Reisen waren, von Gig zu Gig jetteten und in VIP-Abflugbereichen und Fünf-Sterne-Suiten auf ihren Laptops an neuen Tracks bastelten, während sie am obligatorischen Champagner nippten und dabei fleißig Bonusmeilen sammelten. Sogar jene, die sich auf weniger massentaugliche Spielarten elektronischer Musik spezialisiert hatten, befanden sich ununterbrochen auf Achse oder in der Luft, um zwischen den so ungleichen Versammlungsstätten ihrer internationalen Jüngerschaft hin und her zu reisen. Die Berliner Techno-DJane Ellen Allien trat beispielsweise im Verlauf eines einzigen Monats, dem Mai 2016, gleich in elf verschiedenen Ländern auf: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, Türkei, Israel, Indien, Kolumbien, Ecuador und den USA – ein knallharter Terminplan, der nichts für schwache Nerven oder mental Unausgewogene ist. Im gleichen Jahr verkündete der schwedische Trance-DJ Avicii, der 2018 schließlich starb, dass er sich mit gerade einmal 26 Jahren aus dem Geschäft zurückziehen wolle, da er offenbar unter Alkoholismus und Erschöpfung litt, ausgelöst durch den Druck, den sein Vagabunden-Lifestyle mit sich brachte. Auf die Gewinner wartete wahrlich fürstlicher Luxus, doch lauerten eben auch toxische Tücken entlang des Weges. Die unerwartete Langlebigkeit und das kommerzielle Wachstum der Szene hatten zur Folge, dass ein DJ sich für manche, die einst nur inbrünstige Enthusiasten gewesen waren, zu einer legitimen, lebenslangen Berufswahl entwickelte. Es kam nicht selten vor, dass über 50 Jahre alte DJs ihre Platten für Bewunderer auflegten, die jung genug waren, um ihre Kinder zu sein. (Die Kinder mancher Veteranen wie Pete Tong und Kevin Saunderson wurden tatsächlich selbst auch DJs.) Bei den DJs handelte es sich auch nicht länger ausschließlich um die alten Vinyl-Junkies. Bei einem Festival bekommt man mitunter etwa auch ein Set des über 70 Jahre alten Disco-Produzenten Giorgio Moroder zu hören. Andere Prominente, die es ihm gleichtun, sind etwa der Rap-Star Snoop Dogg, die Alternative-Rock-Ikone Thom Yorke von Radiohead, der Bassist von New Order und Joy Division, Peter Hook, oder sogar reiche Erbinnen wie Paris Hilton. „Du kannst heute jeden buchen – solange die Kasse stimmt!“, mutmaßte die Detroiter Techno-Legende Derrick May. Es herrschte nun, wie Hunter S. Thompson einmal über das Kalifornien der Sechzigerjahre schrieb, Wahnsinn in jeder Richtung, zu jeder Stunde. Als elektronische Dance-Music ab den...


Collin, Matthew
Matthew Collin arbeitete als Auslandskorrespondent für die BBC, El Dschasira und AFP, als Redakteur für Dance-Magazine wie iD und schrieb über Musik und Clubkultur für renommierte britische Zeitungen und Zeitschriften, darunter The Wire, Guardian, Observer, Mixmag und Mojo. Vor zwanzig Jahren erschien im Hannibal Verlag seine Bibel über die Ravekultur der frühen Neunzigerjahre: Altered State - Im Rausch der Sinne.



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