E-Book, Deutsch, Band 3, 592 Seiten
Reihe: Happy Ever After Reihe
Colgan Happy Ever After - Wo Geschichten neu beginnen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99877-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Herzerwärmender Schmöker in den schottischen Highlands
E-Book, Deutsch, Band 3, 592 Seiten
Reihe: Happy Ever After Reihe
ISBN: 978-3-492-99877-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jenny Colgan studierte an der Universität von Edinburgh und arbeitete sechs Jahre lang im Gesundheitswesen, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete. Mit dem Marineingenieur Andrew hat sie drei Kinder, und die Familie lebt nördlich von Edinburgh. Ihre Romane sind internationale Erfolge und stehen jeweils wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
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Kapitel 3
Lissa hörte etwas, was wie ein beschleunigendes Auto klang. Zunächst ignorierte sie es, dann aber wurde ihr bewusst, dass es nicht langsamer, sondern nur noch schneller wurde, als es um die Ecke bog und in die Siedlung einfuhr. Instinktiv wandte sie sich zu ihrem eigenen Wagen hin, um sich zu vergewissern, dass er nicht gerammt wurde.
Als sie sich wieder zu den Teenagern umdrehte, ertönte laut ein quietschendes Heulen, während das Fahrzeug auf den Bordstein fuhr – ganz bewusst auf den Bürgersteig fuhr –, und dann … Das Einzige, was Lissa in diesem Moment wahrnahm, war das Aufblitzen eines Handys. Es flog durch die Luft, rotierte dabei ganz langsam und reflektierte das Licht, was beinahe hübsch aussah …
Danach geschah alles ganz schnell, als sich eine grauenhaft verzerrte Gestalt drehte und mit einem dumpfen, platschenden, unerträglichen Laut aufschlug, der hinter ihrer Stirn widerhallte. Etwas Unvorstellbares war dem Handy gefolgt, und die Räder des Autos bewegten sich immer noch, drehten fast durch, während der riesige, unbegreifliche Umriss mit einem knackenden Geräusch auf dem Boden aufkam und verdreht, deformiert liegen blieb.
Lissa konnte nicht glauben, was sie da vor sich hatte – das konnte, durfte doch nicht Kai sein! Sie blickte auf und starrte dem Fahrer des Wagens direkt ins Gesicht, der den Motor aufheulen ließ, während sich seine Lippen zu einer Art Knurren oder Grinsen oder etwas in der Art verzogen. Was genau, konnte Lissa in diesem Moment des Nichtbegreifens, der Panik, überhaupt nicht erfassen. Sie hörte etwas, das wie »Haltet euch von Leaf Field fern!« klang, dann sauste das Auto davon.
Einen Moment herrschte Stille, bevor das Geschrei losging – ungläubig, wütend.
Plötzlich spürte Lissa, dass sie sich wie von selbst in Bewegung setzte und antrainierte Mechanismen übernahmen und sie zum Handeln antrieben. »Ich bin Krankenschwester. Geht bitte zur Seite – ich kann helfen.«
Sie hatte damit gerechnet, sich einen Weg bahnen zu müssen, doch die anderen Jugendlichen fingen an zu brüllen, stoben auseinander und rannten schreiend dem Auto hinterher.
»Wählt den Notruf!«, rief Lissa, während sie sich hinkniete, um Kai zu untersuchen. Dann zog sie selbst ihr Handy aus der Tasche. Sie hatte keine Ahnung, ob die Jungen das Auto einholen würden, und befürchtete, dass womöglich noch jemand überfahren werden würde. Da nur eine Straße aus der Siedlung hinausführte, würde der Wagen irgendwo wenden müssen. Aber sie musste sich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren.
Sie starrte den Jungen am Boden an, dessen Kopf seitlich das Pflaster berührte. Im Rinnstein lagen Zigarettenstummel.
»Kannst du mich hören? Kannst du mich hören, mein Schatz?«
Lissa konnte einfach nicht fassen, wie wunderschön und jung er war. Als ob das entscheidend wäre, darum ging es doch gerade gar nicht. Aber als sie sich über ihn beugte und ihn fieberhaft zu retten versuchte, als sie endlich, endlich die verzweifelt herbeigesehnten Sirenen hörte, kam sie nicht über die herzergreifende Schönheit der jungen, weichen Haut hinweg, die Rundung seines Nackens, das dunkle Haar. Er war doch noch ein Kind! Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, wie die Familie es wohl aufnehmen würde. Lissa verfluchte sich selbst, weil ihre beste Freundin Ezras Nummer vorsichtshalber aus ihrem Handy gelöscht hatte. So konnte sie ihn nicht einmal anrufen.
Selbst als der Krankenwagen eintraf, hörte Lissa nicht mit ihren Wiederbelebungsversuchen auf. Immer wieder presste sie die Handballen auf Kais Brust, während die Sanitäter sich neben sie knieten, das Oxymeter anschlossen und eine Adrenalinspritze vorbereiteten, um sie ihm ins Herz zu stoßen.
Lissa kannte die Kollegen vom Rettungsdienst; sie vertrauten ihr und nahmen sie ins Krankenhaus mit. Während Ashkan hinten mit ihr zusammenarbeitete, fuhr Kerry wie der Teufel. Das Blaulicht flackerte über den Verkehr hinweg. Londons erdrückend überfüllte Straßen waren verstopft, viel zu voll mit Lkw, Lieferwagen, Taxis und Motorrädern. Alles war so knapp und eng, dass man kaum an die Seite fahren konnte, um einen Krankenwagen vorbeizulassen.
Plötzlich krümmte sich der Körper und bäumte sich auf, während Ashkan »Clear!« rief. Lissa machte instinktiv einen Satz nach hinten. Dabei fragte sie sich, ob die Polizistin am Tatort inzwischen wohl mit der ermüdenden Aufgabe begonnen hatte, Kais Identität herauszufinden, und mit der unerträglichen Pflicht, seine Familie zu benachrichtigen.
Um nicht weiter nachzudenken, überließ Lissa sich wieder dem antrainierten Automatismus. Ganz mechanisch schob sie dem Jungen erneut die Sauerstoffmaske über die blauen Lippen, spritzte ihm noch einmal Adrenalin und hängte eine weitere Blutkonserve ein.
Sie hofften alle verzweifelt, dass er bis zum Eintreffen in der Notaufnahme durchhielt. Abgesehen von den üblichen kurzen Kommandos, sprachen sie bei ihrer Arbeit kein Wort, während sie versuchten, mehr Blut in ihn hineinzubekommen, als aus seinem Körper herausströmte.
Selbst mit den modernsten Maschinen der Welt waren Wiederbelebungsversuche nur selten erfolgreich. Im Fernsehen wurde den Leuten gern eine wundersame Rückkehr vom Tod gezeigt. So mussten die Zuschauer nicht mit ansehen, wie Blut im selben Tempo zugeführt und wieder verloren wurde, wie auch bei der x-ten Überprüfung die Pupillen nicht reagierten, wie ein junger Körper durch die Stimulation künstlich zuckte. Sie mussten nicht miterleben, was für ein einziges grauenhaftes Chaos das war, wenn Kommandos gebellt wurden und man immer wieder checkte, ob der Patient endlich selbstständig atmete.
Der Krankenwagen bahnte sich schwankend und kreischend seinen Weg durch den Londoner Stoßverkehr, nur ein kleines Teilchen im großen Puzzle aus heulenden Sirenen, Hubschraubern, Tod, Schmerz und Blut.
»Die Ärzte werden ihn für tot erklären«, prophezeite Ashkan bei einem Blick auf seine Uhr.
»Das dürfen sie nicht!«, entfuhr es Lissa.
Ashkan fluchte. Wie sinnlos das war, anscheinend absichtliches Überfahren mit Fahrerflucht. Bei einem Kind. Er wandte sich ab, konzentrierte sich kurz auf den Polizeifunk und bekam sogar ein kleines Lächeln hin.
»Sie haben ihn«, versetzte er grimmig. »Die anderen Jugendlichen haben sich auf das Auto gestürzt und es nicht wegfahren lassen. Es muss wohl wie ein Zombieangriff gewirkt haben, sie haben sogar die Scheiben eingeschlagen.«
Lissa bekam das alles gar nicht mit. »Mach weiter! Mehr Blut! Jetzt!«, drängte sie heftig und hängte sich noch einmal richtig rein. Am Ohr des Jungen zischte sie: »Na los, Kai! Komm zu dir! KOMM ZU DIR!«
Als sie das Guy’s Hospital erreichten, sprangen durch die augenblicklich aufgerissenen Türen zwei Träger und ein Notarzt herein.
»Zur Seite«, sagte der junge Arzt, der aussah, als sei er ungefähr neun.
»Ich bin hier noch nicht fertig«, antwortete Lissa vehement, während sie die Sauerstoffmaske wieder zurechtrückte, Kai in die Augen leuchtete und nach einem Lebenszeichen suchte.
»Doch, sind Sie«, entgegnete der Arzt. »Lassen Sie mich jetzt ran.«
»Ich kann das machen!«, rief Lissa.
Sein Gesicht. Sein schönes Gesicht. Er war doch ein Kind, ein schlafendes Kind, noch immer warm – Oder lag das nur an ihnen? –, das doch nur schlief, träumte, seine Hausaufgaben verbummelte und auf eine Karriere als Fußballer oder Rockstar hoffte.
»Aus dem Weg!«
»ICH KANN DAS MACHEN!« Lissa merkte gar nicht, wie laut sie kreischte, ihr war nicht klar, dass alle innehielten und sie anstarrten. Mit besorgter Miene zog Ashkan sie zur Seite.
Der Assistenzarzt ignorierte sie und wollte sich an ihr vorbeischieben. »Machen Sie Platz!«
»Ich will doch nur …«
Krankenschwestern widersetzten sich den Anweisungen von Ärzten nicht, das war schlicht unerhört. Selbst wenn dieser Arzt hier so aussah, als hätte er sich den Schnurrbart heute Morgen mit Filzstift aufgemalt.
»Weg jetzt!«
Aber das ging nicht. Lissa stand da, als hätte sie keine Ahnung, wo sie sich hier befand, streckte hilflos die Arme aus und murmelte »Kai … Kai …« vor sich hin. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, selbst dann nicht, als der Arzt auf die Uhr schaute und den Kopf schüttelte, als das Blut nicht länger auf den Boden tropfte, sondern zu klumpen und gerinnen begann. Seine letzte Verbindung zum Leben war sie.
»Ich will doch nur … noch ein einziges Mal …«
»Bringt sie hier weg«, murmelte der junge Arzt, während die Träger versuchten, den Körper auf die Rolltrage zu hieven.
Weitere Sanitäter erschienen, die Lissa trotz ihres Schockzustands erkannte.
»Sind Angehörige anwesend?«, rief einer von ihnen, und Lissa beobachtete entsetzt das zügige und unpersönliche Vorgehen des Transplantationsteams.
»Er ist ja noch nicht einmal tot, ihr Geier!«, hörte sie sich schreien.
In diesem Moment kam Bewegung in Ashkan, und er zerrte sie mit aller Kraft aus dem Krankenwagen, während sie sich ihm fluchend zu entziehen versuchte.
»Er ist noch nicht einmal …«
»Ich erkläre ihn für tot«, sagte der Arzt. »Bringt ihn in die Intensivüberwachungspflege.«
Dort wurden mögliche Organspender in einem Stadium zwischen Leben und Tod gehalten, gerade lange genug, um die nötigen Unterschriften zu beschaffen. Es wurde gebeten und gebettelt, damit ein Leben nicht umsonst sein Ende gefunden hatte.
»18:38«, sagte der Arzt. »Können wir schnell machen?« Seine Stimme klang so furchtbar, furchtbar müde. »Es kommt ein Unfall mit Fahrerflucht rein.«
Lissa brach auf dem feuchten Asphalt zusammen und...