E-Book, Deutsch, 413 Seiten
Cody Krokodile und edle Ziele
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95988-088-6
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 413 Seiten
ISBN: 978-3-95988-088-6
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die herbeigesehnte Fortsetzung des grandiosen Romanerfolgs »Lady Bag« setzt sich mit Verve auf die Fährte des ganz normalen Wahnsinns unserer Welt. Zwischen den abgewrackten Wohnsilos sozialer Brennpunkte und selbstgerecht-stolzem Bürgeridyll ringt Liza Codys liebenswerte Heldin in London um Durchblick und um die Kraft, ausnahmsweise das Richtige zu tun.
Liza Cody studierte Kunst und arbeitete u.?a. als Roadie, als Fotografin, Malerin und Möbel-tischlerin, bevor sie zum Schreiben kam. Ihre Kriminal¬romane um die Londoner Privatdetektivin Anna Lee wurden mit etlichen Preisen ausgezeichnet, in viele Sprachen übersetzt und fürs Fernsehen verfilmt. In den 1990ern begann sie mit der als Genrebreaker berühmt gewordenen Bucket-Nut-Trilogie um Catcherin Eva Wylie, für die sie u.?a. den Silver Dagger erhielt (deutsche Titel: Was sie nicht umbringt, Eva sieht rot, Eva langt zu). Seitdem folgten sehr unterschiedliche Romane, welche die Lust am Experimentieren mit ausgefuchsten Genre-Anleihen verbindet. Für »Lady Bag« erhielt sie den Deutschen Krimi Preis 2015. Auch ihr zuletzt erschienener Roman »Miss Terry« führte monatelang die Krimibestenliste an und wurde mit dem Deutschen Krimi Preis 2017 ausgezeichnet. Liza Cody lebt in Bath und schreibt weitere Romane.
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Kapitel 1
Zu Gast bei Ihrer Majestät
Eins lässt sich zugunsten von Knast sagen: Wenn du drin bist, muss der Gesundheitsdienst dich behandeln. Draußen können sich Ärzte und Zahnärzte ihre Patienten aussuchen, und wenn du auf der Straße lebst, suchen sie sich in neunundneunzig von hundert Fällen nicht dich aus. Nur eins von vielem, was sich gegen Knast sagen lässt: Die zahnärztliche Versorgung ist barbarisch. Sie warteten, bis ich zwölf Kilo verloren hatte, weil ich nicht kauen konnte, bevor sie den Zahnarzt holten, der mir sämtliche kaputten Zähne raushackte. Dann zog er mir gleich noch eine Ladung von den anderen, wegen jahrelanger Vernachlässigung. Es hat was Unlogisches, einer Person, die nicht kauen kann, die Zähne zu entfernen. Aber auf meine Art von Logik hört im Knast niemand. Er meinte, auf lange Sicht würde ich ihm dankbar sein. War ich nicht. Man gab mir einen Satz falsche Beißer, und wie meine Schuhe saßen sie nicht richtig. Die Wärterin der Krankenstation sagte, mein Maul wär genauso groß wie meine Füße, und ich könnte von Glück sagen, dass mir überhaupt welche passten. Also sind meine Zähne, wie meine Schuhe, jetzt Dinge, die man mir klauen kann, wenn ich nicht aufpasse. Zum Glück sind sie aus Plastik, und ich hab sie im Mund gehabt, also gibt es wohl nicht so viele Diebe, die scharf auf sie sind. * * * »Ange«, sagte Kerrilla Cropper, »halt einfach mal die Klappe. Du denkst dich noch zu Tode. Paar Leute hier im Trakt finden schon, du hast ’n Rad ab und sehnst dich nach ’ner Tracht Prügel. Ich kann ihnen da nicht guten Gewissens widersprechen.« Es gibt in jedem Gefängnistrakt eine Knallhartentruppe. Dass sie Frauen sind, heißt noch lange nicht, dass sie keinen Nutzen daraus ziehen, bösartiger als alle anderen zu sein. »Lass dich ruhig mit dem Teufel ein«, sagte ich, »wenn du glaubst, das macht dein Leben einfacher.« »Und das ist auch so ’ne Nummer …« Kerrilla ist es gar nicht geheuer, wenn ich vom Teufel anfange, dabei geht sie sonntags in die Kapelle. Aber sie muss genau wie ich jeden verdammten Tag diese versifften Klos putzen, während Satans Vasallen die gemütlichen Jobs wie Bücherei, Wäscherei und Lazarett kriegen. Sie ist ein großes, ein wirklich großes Mädchen, aber sie kann weder lesen noch schreiben. Ich helfe ihr beim Formulare-Ausfüllen, deshalb toleriert sie mich. Aber sie will nicht mit mir in eine Zelle. Sie meint, ich grummele nachts vor mich hin und rede den ganzen Tag verrücktes Zeugs. Ansonsten nehme ich meine Medikamente und mache absolut keinen Ärger, selbst wenn mir die Mitglieder der Knallhartentruppe in die Suppe spucken und anschließend auch noch den Nerv haben, mich zu fragen, ob ich ihnen die Anträge für die Hafturlaubskommission schreibe. Das Ganze nennt sich Gemeinschaftsleben. Ich komm damit klar, weil’s keine andere Möglichkeit gibt. »Meine Ma hat ’ne Besuchserlaubnis«, berichtete Kerrilla und rührte mit einer braun gefleckten Bürste Bleiche in einer Schüssel an. »Sie bringt meinen Connor mit. Ich kann’s gar nicht erwarten.« Sie sah bange aus. Sie hatte ihren Sohn seit sechs Monaten nicht gesehen. »Ob er mich noch erkennt?«, fragte sie. Nein, wird er nicht, dachte ich, denn das ist eine alltägliche Knasttragödie. Laut sagte ich: »Er wird deine Liebe erkennen. Er ist noch zu klein, um sich dem Teufel zu verschreiben.« »Ach, halt doch deine verdammte Fresse«, brüllte sie und spritzte mit Bleiche nach mir. Egal wie viel Bleiche wir nehmen, gegen den Dreck kommen wir nicht an. Die Sprünge im Porzellan, die Risse im Mörtel und die Ritzen im Boden sind gefüllt mit dem Blut von Tausenden verlorener Seelen. * * * Später am Abend, nach dem Tee und vor der Einschließung, fand ich Kerrilla im Fernsehraum, wo sie Trickfilme guckte und leise vor sich hin weinte. »Ach, Ange«, sie zog Rotze hoch und rieb sich die Augen mit den schon ganz schwarz geheulten Ärmeln. »Es ist so mühsam für Ma, Connor den ganzen Weg hierherzubringen. Sie sagt, er wollte nicht mit, und sie konnte ihn nicht zwingen. Ich hatte mich so auf ihn gefreut. Aber Ma hat gesagt, daran hätte ich mal denken sollen, bevor ich Scheiße baue. Am Ende haben wir uns angebrüllt.« »Wollen und Wünschen bringt immer Enttäuschung«, sagte ich, weil’s wahr ist. »Und du nennst dich Freundin?«, brüllte sie und stürmte schluchzend davon. »Eigentlich nicht, nein«, sagte ich hinter ihr her. »Ich bin hier und du bist hier. Wir sind öfter mal gleichzeitig am selben Ort, aber das ist noch keine Freundschaft.« Ich habe nur eine einzige echte Freundin. Sie ist kein Mensch, darum weiß ich, dass ich mich vollkommen auf sie verlassen kann, durch dick und dünn, bis zum Tod. Sie heißt Elektra. Pierre hat mir ein Foto von ihr geschickt, weil er dachte, damit könnte sich meine Knastzelle ›heimeliger‹ anfühlen. Er ist ein wohlmeinender Idiot, der noch nie im Kittchen saß. Ein hochrangiges Mitglied der Knallhartentruppe kriegte es in ihre schmierigen Finger und sagte: »Dein Hund sieht mehr nach Hundefutter als nach Hund aus. Ich wette, dein Kumpel lässt ihn verhungern.« Ich hab ihr eine Gabel ins Gesicht gerammt. Viel Schaden hat das nicht angerichtet, weil’s eine Plastikgabel war, aber sie hat ein solches Geheul losgelassen, dass die Wachteln angerannt kamen und mich in Einzelhaft steckten. Das ging in Ordnung. Ich mag Einzelhaft. Und es hat meinem Ruf genützt. Ich galt nicht mehr als vollgedröhnter Zombie. Ich galt als unberechenbarer Zombie und gab nicht so ein gutes Mobbingopfer ab. Ich hatte ein Talent für Gewalt bewiesen – diese Sprache verstehen Satans Handlanger. Aber das Foto bin ich lieber losgeworden. Hier drin ist es besser, nicht mal ein Bild von etwas Wertvollem zu haben, denn auch Bilder kann man stehlen oder besudeln. Am nächsten Morgen nach Bohnen auf so durchgeweichtem Toast, dass ich ihn kauen konnte, kamen Kerrilla und ich wieder bei Bleiche und Bürste zusammen. Sie sagte: »Dein Entlassungstermin ist bald, Ange. Geh hin und sieh für mich nach dem Rechten. Der Freund von meiner Ma mag keine schwarzen Babys, und ich fürchte, er kriegt sie dazu, meinen Connor beim Sozialamt abzuladen.« »Deine eigene Ma?« Aber eigentlich wunderte mich das nicht – Mütter sind nicht immer auf dein Wohlergehen bedacht. Jedermann bildet sich das ein, aber sie sind menschlich, und die Würmer des Teufels bohren auch an ihren Äpfeln. »Sie würde für dieses versiffte Stück Scheiße alles tun«, sagte sie wie zur Bestätigung meiner schlimmsten Befürchtungen in Bezug auf Frauen und Liebe. Sie fuhr fort: »Die schicken dich doch bald zurück nach London. Was kann ich schon tun, solange ich hier in Birmingham sitze?« »Was ist mit seinem Vater?« »Der würde Connor nur bei seiner Ma abladen. Die hat wahrscheinlich ’n Freund, der keine weißen Babys mag. Außerdem sind die doch alle in Gangs.« »Vielleicht wäre er ja besser dran, wenn …« »Sag’s nicht, Ange«, kreischte Kerrilla. »Lass es sein. Ein Baby braucht seine Familie.« Wohlgemerkt, sie meint dieselbe Familie, die aus ihr eine missbrauchte Analphabetin gemacht hat, so nichtsahnend und verkorkst, dass sie mit dem erstbesten Kerl durchgebrannt ist, der zu stoned war, um sich um ihr Aussehen zu scheren. Die Knallhartentruppe hier im Trakt nennt sie Gorillakacke und hält das für geistreich. Auf einmal riss sie sich das Hemd vom Leib und stopfte es mit der Bürste in die Kloschüssel. In der nächsten Kabine kam die Jogginghose dran. Dann ihre Unterwäsche, dann ihre Schuhe, dann die Wischmoppköpfe und Putzlappen. Sie rannte hin und her, frierend und wabbelig, und zog ab, zog ab, zog ab, bis der gesamte Fußboden unter Wasser stand. »Zieh es durch, Kerri«, murmelte ich und stand daneben und sah zu. Sie machte ihrem Hass auf sich selbst und ihre Lage Luft. Besser raus damit als drinbehalten, sag ich, auch wenn man diesen einen glorreichen Anfall von Raserei und Unabhängigkeit bestrafen würde, indem man sie noch ohnmächtiger machte. Natürlich schleppten drei Wachteln sie weg und warfen sie in Einzelhaft. »Wieso hast du das nicht verhindert?«, fragte PO Brownlee und starrte auf die verstopften Klos. »Der Teufel hat seine Krallen in sie geschlagen«, sagte ich. »Umstände, die sich meiner Kontrolle entziehen …« »Ach verfickter Scheißdreck, wieso frag ich überhaupt? Sieh zu, dass du diesen Schlamassel wegputzt.« Nach dem Mittagessen schickten sie mich ins Lazarett, und ich stand in der Schlange für die Pillen an, die mir Freud und Leid des Lebens ersparen. Falls der Sinn des Lebens in Fortpflanzung, Lachen und Schmerzen besteht, dann ist mein Leben sinnlos, noch viel sinnloser als das von Kerri. Als ich drankam, schaute der Doc in meine Akte und sagte: »Wir sollten jetzt mal anfangen zu kürzen.« Ich stemmte meine Fäuste auf den Schreibtisch und sagte: »Fangen Sie mit meinen Füßen an. Kürzen Sie die, dann wird es leichter, passende Schuhe zu kriegen. Hacken Sie ein bisschen was an den Fersen weg und was von den Zehen. Das wird erst mal blutig, aber dafür bin ich dann mehr wie Aschenputtel. Es ist nämlich nicht meine Schuld – meine Mutter hat mir bei der Geburt nicht die Füße gebunden. Natürlich hat sie dann andere Methoden gefunden, mir Fesseln anzulegen, damit ich nicht weglaufen konnte, als mir mein charmanter Fürst der Finsternis begegnet ist. Ich konnte nur mit ihm tanzen....




