E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Cline Armageddon
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8062-4358-1
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf der Suche nach der biblischen Stadt Salomos
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-8062-4358-1
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eric H. Cline gewann mit seinem Werk '1177 v. Chr.' den ersten Preis der American School of Oriental Research. Er ist Professor für Klassische Altertumswissenschaften und Anthropologie sowie Direktor des Archäologischen Instituts an der George-Washington-Universität. Seine Forschungsinteressen sind biblische Archäologie, Militärgeschichte der mediterranen Welt und internationale Vernetzungen der Spätbronzezeit. Seit 1980 beteiligt er sich an zahlreichen Ausgrabungskampagnen. Cornelius Hartz ist Klassischer Philologe und arbeitet als freier Lektor, Autor und Übersetzer in Hamburg.
Weitere Infos & Material
KAPITEL I
„Reiche hiermit meine Kündigung ein“
Die Grabung der University of Chicago in Megiddo war knapp eine Woche, nachdem sie offiziell begonnen hatte, bereits wieder zu Ende. Gerade einmal vier Tage nach Beginn der ersten Grabungssaison, Anfang April 1926, schickte der frisch zum Grabungsleiter ernannte Clarence S. Fisher ein Telegramm nach Chicago. Darin erklärte er unverblümt: „ATTITÜDE VON HIGGINS MACHT WEITEREN UMGANG UNMÖGLICH STOPP MIT ZWEI GRABUNGSLEITERN LASSEN SICH KEINE RESULTATE ERZIELEN STOPP REICHE HIERMIT MEINE KÜNDIGUNG EIN.“1
In gewisser Weise scheint es durchaus passend, dass ein Ort, wo in den vergangenen 4000 Jahren so viele Schlachten geschlagen wurden, nun wieder zum Schauplatz einer handfesten Auseinandersetzung wurde – um die Kontrolle über die Ausgrabungen, die seine Geheimnisse aufdecken sollten.
Breasted telegrafierte umgehend zurück, er weigere sich, Fishers Kündigung zu akzeptieren, und versicherte ihm, es gebe nur einen Grabungsleiter. „BEDAURE UNSTIMMIGKEITEN ZUTIEFST“, schrieb er. „VERSICHERE IHNEN DASS SIE EINZIGER LEITER IN MEGIDDO SIND STOPP ES GIBT KEINE DOPPELTE LEITUNG SENDE HIGGINS TELEGRAMM DASS SIE ALLEIN ARBEITEN BEAUFSICHTIGEN.“2
Die Spannungen hatten bereits begonnen, als Clarence Fisher und Daniel Higgins im September 1925 in Megiddo eintrafen. Doch eigentlich fängt die Geschichte fast 100 Jahre zuvor an, Mitte April 1838, als der amerikanische Geistliche Edward Robinson mit seinem Missionskollegen Eli Smith auf einem Hügel stand, den die Araber Tell el-Mutesellim, „Hügel des Statthalters“, nannten.
Robinson und Smith waren in der Jesreelebene (im heutigen Israel) unterwegs, um im Heiligen Land nach biblischen Stätten zu suchen. Sie hatten auf Basis der Ähnlichkeit der modernen Ortsnamen mit den biblischen Namen bereits Dutzende solcher Stätten identifiziert. Robinson, Professor am Union Theological Seminary in New York, war sich sicher, dass Megiddo irgendwo in der Nähe von Tell el-Mutesellim liegen musste, doch er hatte keine Ahnung, dass er genau in diesem Moment auf den Überresten Megiddos stand. Er stritt diese Möglichkeit sogar explizit ab: „Der Tell wäre wirklich ein großartiger Standort für eine Stadt; es gibt jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass hier jemals eine gestanden hat.“3 Am Ende gelangte er zu der Überzeugung, dass das nahe gelegene Dorf Leddschun der Standort sowohl des antiken Megiddo als auch des römischen Militärlagers Legio gewesen war.
35 Jahre später standen die Lieutenants Claude R. Conder und Horatio H. Kitchener, die im Auftrag des Palestine Exploration Fund (PEF) das westliche Galiläa inspizierten, ebenfalls auf dem Tell el-Mutesellim (Karte 1). Ihnen blieb nicht verborgen, dass unter der Vegetation „eine Stadt [lag], die völlig zerstört war“. Wohin sie auch schauten, überall fanden sie Fundamente von Gebäuden und Keramikscherben.4 Trotzdem identifizierten sie Tell el-Mutesellim nicht mit Megiddo.5 Das lag zum Teil daran, dass Conder drei Jahre zuvor verkündet hatte, Megiddo müsse ein Stück weiter unten im Tal liegen, „nahe der großen Ruine von Mujedda am Fuße des Gilboa, eines Hügels, auf dem ergiebige Quellen entspringen“.6
Die Debatte über die Lage des biblischen Megiddo ging noch 20 Jahre weiter, bis der schottische Theologe George Adam Smith überzeugend bewies, dass Megiddo und Tell el-Mutesellim ein und dasselbe waren. Er hatte sowohl direkte als auch indirekte Beweise dafür; unter anderem verknüpfte er biblische Passagen mit geografischen Orten und Erwähnungen in ägyptischen Inschriften. Das Resultat kann man in seinem 1894 erschienenen Buch The Historical Geography of the Holy Land nachlesen – im wahrsten Sinne des Wortes eine wegweisende Veröffentlichung.7
Eigentlich hatte Breasted im Juni 1920 mit den Ausgrabungen in Megiddo beginnen wollen. Seit Schumachers Grabung 15 Jahre zuvor war die Fundstätte unberührt geblieben. Es war Lord Edmund Allenby, der Held der alliierten Streitkräfte im Nahen Osten im Ersten Weltkrieg und Sieger der Schlacht bei Megiddo im Jahr 1918, der Breasted davon überzeugte, dort eine neue Grabung zu beginnen. „Allenby of Armageddon“, wie man ihn häufig nannte, auch wenn sein offizieller Titel „Viscount Allenby of Megiddo“ lautete, hatte seinen Triumph in der Schlacht von 1918 nicht zuletzt Breasteds 1906 erschienenem mehrbändigem Werk Ancient Records of Egypt zu verdanken. In einem der Bände hatte Breasted den antiken Bericht über die Schlacht bei Megiddo zwischen Pharao Thutmosis III. und dem Fürsten von Kadesch ins Englische übersetzt. Breasteds Übersetzung erlaubte es Allenby, 3400 Jahre später mit Erfolg die gleiche Taktik anzuwenden.8
Karte 1: Detail des Surveys von Westpalästina (Blatt VIII) von/durch Conder und Kitchener
Doch der Juni 1920 war eine unruhige Zeit. Wenige Monate zuvor, im Februar und März, war es in Jerusalem zu Unruhen gekommen, als die Briten verkündet hatten, sie würden die Balfour-Deklaration vom November 1917 umsetzen und in Palästina eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ einrichten. Und einen Monat vor Breasteds geplantem Besuch in Megiddo gab es schon wieder Unruhen, als der Ostersonntag und das muslimische Fest Nebi Musa auf einen Tag fielen. Diesmal wurden neun Menschen getötet und fast 250 verletzt.9
Es sah ganz so aus, als würde Breasted sich in jenem Juni damit begnügen müssen, Megiddo aus der Ferne zu bewundern. „Nachdem wir stundenlang die Hügel an der Nordseite der Ebene von Megiddo entlanggefahren waren, bis wir weit oberhalb Richtung Nazareth waren, stellten wir fest, dass sich keiner unserer Fahrer da auskannte“, schrieb Breasted tags darauf. „Mehr als zwei Stunden lang fuhren wir über gepflügte Äcker und Stoppelfelder und starrten hilflos auf die Mauern des fernen Megiddo, das uns vom anderen Ende der Ebene aus geradezu herausfordernd anzublicken schien.“10
Das Tal selbst ist an dieser Stelle gerade einmal 18 Kilometer breit (Karte 2). Insofern passt es, dass sich heute irgendwo zwischen Megiddo und Nazareth der „geheime“ israelische Luftwaffenstützpunkt Ramat David befindet. Es ist auf keiner Karte der Region verzeichnet, hat aber ironischerweise eine eigene Seite bei Wikipedia. Weder für die Bewohner der Ebene noch für die heutigen Ausgräber der antiken Stätte, vor deren Augen die F-16-Kampfjets täglich in einer ohrenbetäubenden Lautstärke starten und landen, ist dieser Stützpunkt sonderlich geheim.
Im Westen, unweit des Mittelmeers, konnte Breasted in der Ferne den Karmel ausmachen. Östlich davon erhebt sich der Berg Tabor. Noch weiter östlich, für Breasted fast außer Sichtweite, liegt der Höhenzug von Gilboa. In der Nähe befindet sich das antike Jesreel. Viel näher, auch im Osten, aber keine 1000 Meter von Megiddo entfernt, erblickte Breasted die Kreuzung, an der der Musmus-Pass – auch bekannt als Wadi Ara oder Nachal ‘Iron – ins Tal führt. Über diesen Pass marschierten im Jahr 1479 v. Chr. die Truppen des ägyptischen Pharaos Thutmosis III. und im Jahr 1918 die Truppen von General Edmund Allenby, um Megiddo zu erobern. Als Thutmosis seinen Sieg an den Wänden eines Tempels in Luxor in Ägypten verewigte, ließ er sich mit den Worten zitieren, Megiddo einzunehmen sei gewesen, „als erobere man tausend Städte“.11
Thutmosis hat nicht übertrieben: Megiddo kontrollierte während der gesamten Antike den Zugang zur Jesreelebene von Westen her. Durch das Tal verlief die später von den Römern Via Maris („Straße des Meeres“) getaufte Straße, die wichtigste Route für Reisende und Armeen, die sich zwischen Ägypten im Süden und Anatolien (in der heutigen Türkei) oder Mesopotamien (im heutigen Irak) im Norden bewegten. Wie schon Thutmosis III. wusste auch Breasted: Wer Megiddo kontrolliert, dem folgt automatisch der Rest der Region. Praktisch jede fremde Macht, die in der Antike in die Region einfiel, kämpfte hier eine Schlacht.
Karte 2: Megiddo und Umgebung, gezeichnet von Edward DeLoach
Genau wie viele heutige Besucher fand Breasted den Blick über die weite Jesreelebene atemberaubend und fühlte sich geradezu überwältigt vom Hauch der Geschichte, der ihn hier anwehte. Mit ein wenig Fantasie konnte er sich ausmalen, wie durch die Ebene vor ihm einst die Armeen Napoleons, der Mongolen, Mamluken, Ägypter, Kanaaniter, Kreuzfahrer, Israeliten und anderer Kriegsherren marschiert waren. Biblische Gestalten wie Debora, Gideon, Saul und Jonathan hatten hier genauso gekämpft wie die Pharaonen Thutmosis III. und Scheschonq oder später die Generäle Kléber, Baibars und Allenby, ganz zu schweigen von...




