E-Book, Deutsch, 408 Seiten
Clemens Das Band, das uns trennt
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-72745-8
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 408 Seiten
ISBN: 978-3-347-72745-8
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Joe Seibel verschlägt es als Mitarbeiter der CIA in das Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre. Aus einer anfänglich harmlosen Informantentätigkeit wird ein gefährlicher Agentenjob von dem seine Frau Rebecca zunächst nichts ahnt. Als Joe in immer brisantere Missionen gerät, wird seine Ehe auf eine harte Probe gestellt. Die gemeinsame Tochter Rahel erlebt ihre Kindheit und Jugend als Wechselbad aus familiärer Geborgenheit, Veränderung und Aufbruch in eine neue Zeit. Ein ebenso packender wie gefühlvoller Familienroman der 50er und 60er Jahre über Liebe, Trennung und die gesellschaftlichen Umbrüche der Zeit. Die vielschichtige Handlung führt den Leser in die USA, nach Europa und in den Nahen Osten. Mit seinem neuen Roman knüpft Thomas Clemens an das Schicksal der Schlüsselfiguren aus seinem letzten Buch 'Abgesprungen' an.
Seit 15 Jahren widmet sich Thomas Clemens in seiner Freizeit der Schriftstellerei. Zunächst entstanden zwei historische Romane mit regionalem Bezug zu seiner Heimatstadt Geesthacht. Mit dem dritten Buch 'Die Rungholt-Akte', einem interessanten Genremix, der in den 1980ern in Norddeutschland spielt, erreichte er einen größeren Leserkreis. Schreiben bedeutet für Thomas Clemens Eintauchen in die Vergangenheit - aber nicht, weil er rückwärtsgewandt ist. Ihn interessiert vielmehr, wie Menschen in verschiedenen Epochen des vergangenen Jahrhunderts ihre jeweilige Zeit und die damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Umbrüche erlebt haben. Dabei verknüpft der Autor sein historisches Wissen einfühlsam mit fiktiven Elementen. Akribische Recherche ist die Voraussetzung für ein stimmiges Zeit- und Lokalkolorit. Der neue Roman 'Das Band, das uns trennt' knüpft an den ebenfalls im Tredition-Verlag erschienenen Titel 'Abgesprungen' an. Mit beiden Büchern nimmt der Autor seine Leserschaft mit auf eine spannende Reise durch die 20er bis 60er Jahre des letzten Jahrhunderts und lässt sie teilhaben an einer ebenso bewegten wie tragischen Familiengeschichte. Thomas Clemens, Jahrgang 1961, arbeitet als Ingenieur und lebt mit seiner Familie im südlichen Schleswig-Holstein.
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Auf dem Weg nach Washington D.C., etwas später Joe hat inzwischen den Susquehanna River auf einer weiteren großen Brücke überquert und fährt weiter auf der Federal 40 Richtung Baltimore. Zwei Drittel der Strecke hat er geschafft. Er steuert eine Tankstelle an. Neben einigen Gallonen Benzin braucht der betagte Oldsmobile Sixty ein Kännchen Öl und er selbst ein Kännchen Kaffee bevor es weitergeht. Am frühen Nachmittag erreicht Joe die amerikanische Hauptstadt. Obwohl er erst zweimal in seinem Leben in Washington war, findet er sich erstaunlich gut zurecht. Das im Rechteckmuster angelegte Straßennetz und wenige markante Gebäude, die Kuppel des Kapitols und das nadelförmige über 500 Fuß hohe Washington Monument erleichtern schon von weitem die Orientierung in dem ansonsten hochhausfreien Stadtbild. An der Rezeption des Stanton Park Inn überreicht man Joe eine Nachricht. Ein Mister Fenton erwarte ihn um 20 Uhr im Restaurant des Hotels zu einem Abendessen. Joe bezieht sein Zimmer, gehobene Mittelklasse, stellt er fest. Er beschließt, die Zeit bis zum Abendessen zu nutzen und sich im nahen Regierungsviertel umzusehen. Als er die Maryland Avenue zur Constitution hinüberläuft, schlägt ihm die feuchtheiße Nachmittagsluft entgegen. Kaum ein Amerikaner würde bei dem Wetter auf die Idee kommen, weiter als einen Block zu Fuß zu gehen. Darin unterscheidet er sich von seinen Landsleuten. Er ist notorischer Fußgänger und läuft den ganzen Weg, vorbei an den Monumentalbauten, klassizistischen Fassaden, die typisch sind für die Hauptstadt, vorbei am Weißen Haus bis zum Lincoln Memorial, durch die ausgedehnten Parkanlagen zurück zum Kapitol und schließlich wieder zum Hotel – beeindruckend. Von dieser Seite hatte er Washington noch nicht gesehen, obwohl es jener Teil ist, den wohl viele amerikanische Schulklassen einmal besuchen. Ein Hotelangestellter führt Joe, der seinen besten Anzug trägt, zu einem Separee des Restaurants. Am Tisch sitzen bereits zwei Männer, die höflich aufstehen, als sie ihn gewahr werden. „Mister Seibel, hatten Sie eine angenehme Anreise? Douglas Fenton, mein Name“, begrüßt ihn ein sportlicher jedoch förmlich gekleideter Mittvierziger freundlich. Joe erklärt, dass er mit dem eigenen Wagen angereist sei und gut vorangekommen ist. „Das freut mich, Mister Seibel. Ich darf Ihnen Professor David Rochford von der Georgetown Universität vorstellen.“ Der zweite Mann, ist deutlich älter, hochgewachsen mit grauem Borstenhaarschnitt und kantigen Gesichtszügen. Er begrüßt ihn mit festem Händedruck. Rochford könnte auch ein pensionierter General sein, denkt Joe. „Professor Rochford ist Sprachwissenschaftler. Aber nehmen wir erstmal Platz.“ Fenton gibt einem Kellner ein Zeichen, ordert die Aperitifs. „Mister Seibel, ihre Muttersprache ist Deutsch, wie wir wissen und Professor Rochford möchte die Unterhaltung am heutigen Abend gern auf Deutsch mit Ihnen führen.“ „Meine Herren, vielleicht klären Sie mich zunächst einmal auf, mit wem ich es zu tun habe und um was es hier geht. Sie verstehen, ich bin ein wenig verwundert über die, mit Verlaub, rätselhafte Vorladung.“ „Sorry, Mister Seibel, ich dachte, das wäre Ihnen bekannt.“ Fenton zieht einen Ausweis aus der Innentasche seines Sakkos und klappt ihn diskret dicht über der Tischplatte auf. CIA, liest Joe. Geheimdienst, damit hat er nicht gerechnet. „Wie komme ich zu der Ehre“, fragt er, wobei er das Wort Ehre mit einem zweifelnden Unterton ausspricht. „Ich bitte mit dieser Information vertraulich umzugehen. Also, eines nach dem anderen, Mister Seibel. Stoßen wir erstmal auf den Abend an.“ Joe greift zögernd zu seinem Martini, der zwischenzeitlich serviert wurde. Er fühlt sich überrumpelt auf etwas anzustoßen, was er vielleicht gar nicht will. Die Art der Kontaktaufnahme hier im Restaurant ist ebenso merkwürdig, wie die Vorladung selbst, denkt er. „Also Professor“, nickt Fenton dem Gelehrten zu. Der spricht in grammatikalisch einwandfreiem Deutsch mit kaum merklichem Akzent. „Sie wohnen in Jersey City, stammen jedoch aus Deutschland, aus Hamburg, Herr Seibel. Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit!“ Joe ist verwirrt, muss seine Gedanken sortieren. Er ist es nicht mehr gewohnt Deutsch zu sprechen, aber verlernt hat er die Sprache keineswegs. „Was möchten Sie denn wissen, was die Firma von Mister Fenton nicht ohnehin schon weiß?“ „Darum geht es nicht, Herr Seibel. Ich möchte ein wenig Deutsch mit Ihnen plaudern, hören, wie Sie es sprechen. Dabei ist es einigermaßen egal, ob Sie mir Märchen erzählen oder die Wahrheit.“ Was, verdammt, wollen die von mir? Ein Professor für Sprachen wird doch keinen Deutschunterricht von mir nötig haben, fragt Joe sich. „Also, Herr Seibel, wie war Ihre Schulzeit in Hamburg?“ Joe beginnt zunächst unsicher, nach passenden Worten suchend, zu erzählen, dass er eine höhere Schule besucht hatte, das Lernen von Sprachen ihm äußerst leichtfiel. Dass sich die letzten drei Jahre vor dem Abitur durch Hitlers Machübernahme der Schulalltag stark veränderte, er Schwierigkeiten bekam, weil er sich den Zwängen der Nazi-Diktatur so gut es ging, zu entziehen versuchte. Außerdem war er seinerzeit bereits mit seiner jetzigen Frau, die Jüdin sei, befreundet gewesen. Rochford hört konzentriert zu, während Fenton sich kurz entschuldigt, um mit dem Ober die Bestellung des Abendmenus zu klären. „Wenige Monate vor dem Abitur“, fährt Joe fort, „flog ich von der Schule, weil ich in einem Swing-Keller erwischt wurde.“ „In einem – was?“, fragt Rochford. „Wir haben uns heimlich getroffen, um Swing zu hören und danach zu tanzen. Das war in Deutschland seinerzeit in gewissen Kreisen sehr angesagt, jedoch verboten. Die SA hat die Veranstaltung brutal aufgelöst, uns verprügelt und für ein paar Tage in ein finsteres Loch gesteckt“, erklärt Joe. „Und danach haben Sie Deutschland verlassen?“ „Nein, damals war ich erst siebzehn Jahre alt. Ich habe später im Hotel meiner Familie in Hamburg gearbeitet.“ Den unseligen Streit mit seinem Vater, der überzeugtes Mitglied der NSDAP war, lässt Joe weg. Vermutlich wissen sie es ohnehin. „Ich habe 1938 als Steward auf einem deutschen Überseedampfer angeheuert und bin zur See gefahren, Liniendienst von Bremerhaven nach New York.“ „Und Ihre jüdische Freundin, also Ihre werte Gattin?“, fragt der Professor mit einfühlsamer Stimme. „Sie konnte Deutschland im gleichen Jahr verlassen und floh mit ihrer Mutter nach Paris.“ Der Ober serviert eine nach Curry duftende Suppe. „Mullygatawny Soup, Herr Seibel, ich hoffe Sie mögen sie, guten Appetit!“ Sie essen und führen die Konversation auf Deutsch fort, wobei Fenton offensichtlich kaum etwas versteht. „Joe berichtet weiter, dass er wenige Tage vor Ausbruch des Krieges in Europa vom Schnelldampfer Bremen nachts in den Hudson gesprungen sei, um in die Vereinigten Staaten von Amerika einzuwandern und dem Kriegsdienst im Dritten Reich zu entkommen. „Aber das wissen Sie sicherlich alles, Mister Fenton“, sagt er zu dem CIA-Mitarbeiter, um festzustellen, ob der mitbekommen hatte, was er die ganze Zeit erzählt hat. „Wir wissen viel, aber niemals genug, Herr Seibel“, entgegnet der auf Englisch und lächelt süffisant. „Und Ihre werte Gattin? Also Ihre damalige Freundin“, fragt der Professor. „Rebecca befand sich bereits in Paris, während ich in New York Fuß zu fassen begann. Eine ziemlich belastende Situation, insbesondere als die Nazis Frankreich überfielen“, erklärt Joe. Ihm wird bewusst, wie unbefangen er diesen Leuten berichtet hatte. Weshalb war er nicht einfach vom Tisch aufgestanden und wieder nach New Jersey zurück gefahren, fragt er sich. Er hat das Gefühl sich bereits im Spinnennetz des Geheimdienstes verfangen zu haben. Außerdem hat es nur wenige Minuten gedauert, bis sein Deutsch wieder fehlerfrei und fließend war. Die Hauptspeisen werden serviert, saftige Rindersteaks mit knackigem Salat, was ihm Zeit zum Nachdenken gibt. „Ich habe einen kalifornischen Rotwein ausgewählt, ich hoffe er sagt Ihnen zu, Mister Seibel, zum Wohle!“, wünscht Fenton und hebt sein Glas. Nach dem Essen berichtet Joe dem Professor, dass im Jahre 1940 ein einflussreicher Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika eine Bürgschaft für ihn geleistet und seine zügige Einbürgerung ermöglicht hatte. Im Gegenzug hatte er sich freiwillig zum Dienst bei der US-Navy zu melden. Der Professor gibt Fenton ein unmerkliches Zeichen, welches Joe allerdings nicht entgeht. Fenton setzt das Gespräch auf Englisch fort. „Kein geringerer als Director Burns hat für sie gebürgt. Zunächst waren Sie bei der Navy und später bei der Army, wo Sie eine erstaunliche Karriere machten, Mister Seibel. Sie waren am D-Day in der Normandie und später bei der Befreiung von Paris dabei. Sie wurden ins Offizierskorps der US-Army aufgenommen. Sie wurden verwundet und mit dem Silver Star ausgezeichnet. Nach dem Krieg waren Sie in Heidelberg stationiert und wurden später als Dolmetscher und Berichterstatter zu den Nürnberger Prozessen berufen.“ Joe nickt. „Und weshalb haben Sie mich hierher bestellt?“ „Darüber reden wir morgen, Mister Seibel.“ „Meine Leute werden Sie um Punkt Zehn Uhr vor dem Hotel abholen. Professor Rochford und ich werden uns jetzt zur Beratung zurückziehen. Wir sehen uns Morgen und vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Die beiden verabschieden sich mit festem Händedruck und ernstem Blick. Der schwarze Cadillac hält exakt zeitgleich mit dem Glockenschlag eines nahen Kirchturms vor dem Stanton Park Inn. Ein kräftiger Mann in dunklem Anzug und Sonnenbrille, so hatte Joe sich Geheimdienstler immer vorgestellt, kommt...