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E-Book, Deutsch, 356 Seiten

Claus Sascha

Das Ende der Unschuld
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86361-575-8
Verlag: Himmelstürmer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Das Ende der Unschuld

E-Book, Deutsch, 356 Seiten

ISBN: 978-3-86361-575-8
Verlag: Himmelstürmer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Sascha: 1989 Die Mauer fällt. Der 12-jährige Sascha zieht mit seinen Eltern gen Westen. Als Außenseiter findet der Ossi kein Kontakt zu seinen Mitschülern nur zu Marc, der ebenfalls aus dem Osten kommt. Marc, ein Jahr älter, führt Sascha sehr bald in die Stricherszene ein, der dann auch schnell von zu Hause ausreißt und ständig auf der Flucht vor der Polizei ist. Als Bahnhofstricher, Callboy und Pornodarsteller versucht Sascha in den folgenden Jahren durch das Geschäft mit seinem Körper seine Träume zu verwirklichen. Er gerät in die völlige Abhängigkeit zu seinem vermeintlichen Retter, der ihn als Zuhälter auf brutalste Art ausbeutet. Er landet für kurze Zeit unter Mordverdacht im Gefängnis, scheitert mit seiner eigenen Kneipe und lernt schließlich doch seine große Liebe kennen, aber leider zu spät. Auf der Suche nach Liebe, Geborgenheit und Anerkennung gerät er immer tiefer in den bodenlosen Sumpf eines Milieus, das seine Kinder frisst. Die Ausbruchsversuche in ein anderes Leben enden immer wieder am Ausgangspunkt. Das Stricherdrama bringt dem Leser durch seine schonungslos ehrliche Erzählweise die desolate Welt am Rande unserer Gesellschaft nahe. Er begleitet den jungen, naiven Sascha und schildert seinen brutalen Überlebenskampf.

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Die Blechschlange wälzte sich über den Asphalt. Hinter den Windschutzscheiben der kleinen Autos sah man angespannte, aber auch von Tränen nasse Gesichter. Diese Entwicklung war eigentlich zu schön, um wahr zu sein, aber noch hatte man die Grenze nicht erreicht. Was, wenn doch noch etwas schief ging, jetzt, wo die ersehnte Freiheit fast greifbar erschien? Die Angst fuhr mit, als die Trabbis und Wartburgs sich langsam zum Tor in den goldenen Westen, zur Grenze, durchdrängelten. Auch wenn die Zukunft unsicher war, jeder glaubte fest daran, dass es nur besser werden konnte. Irgendwo in diesem Chaos saß auch die Familie Dombrowsky in ihrem Trabbi. Wie die anderen hatte sie allein für die Hoffnung, dass die Zukunft leichter zu ertragen sein würde, alles hinter sich gelassen. Sie nutzten die Möglichkeit, aus diesem Teil Deutschlands auszubrechen, das sie wie ein Gefängnis für Leib und Seele empfunden hatten. Überstürzt wurde ein Teil der Habe eingepackt, vieles musste zurückbleiben. Aber was bedeutete das jetzt noch? Hier im Westen Deutschlands, wo jeder für die Erträge seiner Arbeit kaufen konnte, was er haben wollte, würde es kein Problem werden, neu anzufangen. Der Einsatz dafür war harte Arbeit und arbeiten, das konnten sie. Auf diese Weise mussten die Träume einfach erfüllt werden, sie würden neue Freunde suchen, brauchten nie wieder Angst vor Spitzeln im eigenen Wohnzimmer zu haben. Die Zeichen der Zeit sprachen dagegen, lange nachzudenken. Nun hatte auch der kleine, dunkelrote Trabbi den Grenzbaum erreicht, sie sahen in freundliche Gesichter, die Fernsehkameras surrten. Manfred Dombrowsky wurde am Fenster des Wagens gefragt, wie er sich denn fühle und als er antwortete, spürte er einen riesigen Kloß im Hals. Mit feuchten Augen bestätigte er erwartungsgemäß, glücklich zu sein und seine Frau Angelika nickte dazu. Sie rechneten damit, die erste Durststrecke schon bald zu überwinden, Manfred war Schreiner und die Familie würde der Allgemeinheit nicht lange zur Last fallen. Er verstand etwas von seinem Beruf, das konnte die Fahrkarte zu einem besseren Leben werden. So hofften sie wenigstens. Der Wagen wurde durchgewinkt, im Taumel der neu erworbenen Freiheit mitten hinein in die Brandung von Menschen. Hinter ihnen blieben die Scherben dessen zurück, was ihnen alle Selbständigkeit genommen und ihnen die Willkür aufgezwungen hatte. Noch wussten sie nichts von den Schattenseiten und harten Bandagen, den neuen und unbekannten Regeln, die ihnen der Westen als Gegenleistung für die ersehnte Individualität diktieren würde. Nur der Glanz war wichtig, die vordergründigen Verlockungen des Konsums ließen alle Zweifel zerplatzen wie Seifenblasen. Manfred parkte wie alle auf dem großen Parkplatz - geschafft. Eingeschlossen von vielen anderen Kleinwagen stiegen die Dombrowskys aus. Sie redeten mit Fremden, als seien sie alle nur eine einzige, große Familie. Sie kratzten die DDR - Plaketten wie ein letztes, entwürdigendes Brandmal ihres bisherigen Lebens ab. Manfred und Angelika fanden schnell Kontakt. Es wurde politisiert und polemisiert, jeder hatte viel zu sagen. Aber in einem waren sich alle einig - es würde nun aufwärts gehen, endlich auch einmal für sie. Tochter Inge und Sohn Alexander Dombrowsky sahen diese Entwicklung etwas anders. Sie waren nicht der Meinung ihrer Eltern, wollten nicht hierher. Sie fühlten sich übergangen und zugunsten einer ungewissen Zukunft aus dem Kreis ihrer Freunde gerissen. Alexander, von allen nur Sascha genannt, wurde erst vor ein paar Tagen zwölf. Er verhielt sich seit der Abreise widerspenstig, ging bei jeder Gelegenheit in Opposition. Inge, knappe sechzehn, hatte sich halbwegs abgefunden. Sie würde jedoch, da war sie sicher, mit achtzehn nach Chemnitz zurückgehen - der Stadt, in der sie sich gerade das erste Mal verliebt hatte. Ein Hotel inmitten von Berlin war die erste Station der Familie. Sie hatten es mit einiger Mühe erst gegen Abend erreicht. Beengt hausten sie in einem Zimmer. Das war nicht gerade dazu angetan, die Laune innerhalb der Familie zu verbessern. Die Eltern sahen darin allerdings nur die unvermeidbare Zwischenstation, die schnell zu überwunden sein würde. Es dauerte fast einen Monat, bis sie die nächste Unterkunft ansteuerten. Sie lag in Köln/Hürth, weit ab vom pulsierenden Leben der Großstadt Berlin. Dort bezogen sie ein weiteres provisorisches Heim, den Wohncontainer auf einem Parkplatz. Wieder nahm Sascha die Behelfseinrichtung sauer zur Kenntnis und dachte an sein Zuhause in Chemnitz, wo er wenigstens sein eigenes Zimmer gehabt hatte. Er brauchte ein wenig Zurückgezogenheit, um seinen Phantasien nachhängen zu können. Sascha war schon immer ein Träumer. Er brauchte seine Illusionen wie die Luft zum atmen. Gerade in dieser Zeit wollte er sich in seine eigene Welt, in der er alles tun konnte, zurückziehen. Die Enge des Containers gab ihm jedoch keine Möglichkeit dazu. Er glaubte den Versprechungen seines Vaters nicht, erkannte an dessen Beteuerungen nur dessen Ohnmacht der tatsächlichen Situation gegenüber. Die Wochen vergingen langsam, Sascha wurde immer mutloser. Er konnte der ganzen Situation nichts Positives abgewinnen und gab seine wehmütigen Gefühle an die ganze Familie weiter. So blieb es erst einmal, wie es war... sie wurden vom Staat finanziell unterstützt. Auf ein menschenwürdiges Heim und Arbeit mussten sie weiterhin warten und das ließ ihr Selbstwertgefühl wie ein löchriges Boot kentern. Zu allem Überfluss liefen ihnen die verschiedensten Vertreter die Tür ein. Möbel sollten sie bestellen und Versicherungen abschließen. Jemand bot ihnen sogar eine Chinchillazucht als mögliche Existenzgrundlage an. Manfred jedoch ließ sich trotz seines Zwiespalts auf nichts ein. Er glaubte trotzig daran, seine Chance in dem Beruf, von dem er etwas verstand, schon noch zu bekommen.   Inzwischen war es Dezember geworden, bald würde Weihnachten sein. Alle Geschäfte glänzten in dieser nahezu überirdischen Pracht. Sascha stand nur davor und malte sich aus, wie es sein würde, wenn er sich etwas davon kaufen könnte. In dem Jungen wuchs ein stiller Hass auf diejenigen, die sich dies alles leisten konnten und er zog sich noch mehr in sich selbst zurück. Weder seine Familie noch andere Menschen kamen an ihn heran. Schon bald versuchte es auch niemand mehr. Zu heftig war der Widerstand des Zwölfjährigen. Am Heiligen Abend saß die Familie um den kleinen, runden Esstisch herum, die vier Kerzen auf dem Adventskranz brannten. Für einen Weihnachtsbaum war kein Platz in der engen Behausung und so gab sie sich mit wenig schillerndem Lametta auf einem bereits die Nadeln verlierenden Kranz zufrieden. Inge weinte. Sie hatte gerade ihre letzten Markstücke dafür ausgegeben, nach Chemnitz zu telefonieren. Dabei erfuhr sie, dass auch ihr Freund mit seiner Familie in den Westen ging. Augenblicklich wusste niemand, wo er geblieben war und für Inge bedeutete dies das endgültige Aus. Angelika und Manfred hielten sich die Hand. Es wirkte wie das verzweifelte Festhalten an einer Familie, die zu zerbrechen drohte. Manfred begann wieder mit tröstenden Durchhalteparolen, aber niemand hörte ihm zu. Sogar seine Frau dachte nur an die Vergangenheit. Gleich nach dem Essen hielt Sascha es nicht mehr aus. Er musste raus hier, weg von der Mutlosigkeit der anderen. Seine Familie konnte seine eigene Melancholie nicht verscheuchen, weil sie selbst zu bedrückt waren. Außerdem wollte er nicht zugeben, wie ihm zumute war. Wollte nicht sagen, dass er bereits frühzeitig erkannte, dass es ein Fehler gewesen war, alle Brücken zum früheren Leben abzubrechen. Mit dem Instinkt eines Kindes hatte er bereits begriffen, dass hier im Westen nichts anderes zählen würde als Geld. Geld, das er nicht zur Verfügung hatte und welches in seiner bisherigen Welt auch nicht so wichtig war. Schließlich waren seine Freunde wie er gewesen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er jetzt bitter und verstockt auf die Zeit warten wollte, die ihm die Entscheidungsfreiheit geben würde, zurück in seine Heimat zu gehen. Sascha wollte auf keinen Fall erkennbar sentimental werden, deshalb verließ er den Kreis seiner Familie und ging hinaus. Ziellos lief er in der kalten Dunkelheit zwischen den Wohncontainern umher und erst als er aus einem von ihnen ein Weihnachtslied vernahm, blieb er stehen. Er wollte wütend werden über die Emotionen, die das Musikstück in ihm wachrief. Trotzdem stahlen sich jetzt Tränen in seine fast schwarzen Augen. Sascha lehnte seinen Kopf gegen eine der Wände. Die durchdringende Kälte des Metalls schmerzte. Mit dem Jackenärmel wischte er ärgerlich die lästigen Tränen weg. Da musste er jetzt ganz einfach durch. Aber er nahm sich vor, es seinen Eltern so schwer wie möglich zu machen. Sie sollten jeden Tag neu spüren, wie sehr er ihre Entscheidung missbilligte, wegen der er in einem reichen Land Deutscher zweiter Klasse sein sollte. Und dass er dies war, merkte er vor allem in der Schule. Am ersten Tag hatte der Rektor ihn in seine Klasse gebracht und Sascha sah, dass die anderen ihn musterten, die Köpfe zusammensteckten, tuschelten und lachten. Er stand neben dem Lehrer, fühlte...



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