Chude-Sokei | Technologie und Race | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 269 Seiten

Chude-Sokei Technologie und Race

Essays der Migration
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7518-9014-4
Verlag: August Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Essays der Migration

E-Book, Deutsch, 269 Seiten

ISBN: 978-3-7518-9014-4
Verlag: August Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Am Anfang der US-amerikanischen Unterhaltungskultur steht eine Schwarze Frau, von der das Publikum nicht weiß, ob es sich um einen 161 Jahre alten Menschen, einen Schwindel oder um einen Automaten handelt: Joice Heth, George Washingtons »Mammy«, mit der P. T. Barnum durch das Land tourt und schließlich die American Sideshow und den modernen Zirkus begründet. In Louis Chude-Sokeis eindringlichen Untersuchungen der Verschränkungen von Sklaverei, ihrem Nachleben und der technologischer Entwicklung ist die Geschichte der Sklavin, die bei der »Geburt Amerikas« anwesend war, um ab 1835 zur nationalen Attraktion zu werden, einer der Ausgangspunkte für die Frage nach dem Menschsein im Zeichen der Technik. Ob im Minstrel oder in der Science-Fiction, in der Informationstheorie oder der Forschung zu Künstlicher Intelligenz: Stets erkennt er ein technisch-politisches Unbewusstes am Werk, das von Rassenängsten getrieben wird. Zugleich eröffnen Chude-Sokeis brillant geschriebene Essays den Raum für eine radikale Neubestimmung nicht nur der Wirklichkeit, sondern auch des Möglichen, indem sie die Verwandlung von und mit Technik im Kreolisierungsprozess, in der avantgardistischen Literatur und Philosophie der Karibik oder im Sound der Schwarzen Diaspora in den Blick nehmen.

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EINLEITUNG
Das Erscheinen dieses Buches ist mir nicht nur deshalb eine Freude, weil die hier versammelten Essays die Kernthemen meines akademischen und kulturkritischen Schaffens widerspiegeln, sondern auch weil sich der Band ausdrücklich an ein deutschsprachiges Publikum richtet. Die Essays bieten denjenigen, die meine Arbeiten noch nicht kennen, eine erste Einführung, können aber zugleich als erweiterte und vertiefende Auseinandersetzung mit dem behandelten Themenfeld gelesen werden, vor allem wenn man bereits mit Fragen rund um das titelgebende Begriffspaar Technologie und Race vertraut ist. Dass die Essays nun in deutscher Übersetzung vorliegen, freut mich besonders, da meine Arbeit hierzulande viel positiven Anklang gefunden hat – eine der großen Überraschungen meiner akademischen Laufbahn. Diese lebhafte Resonanz ist auch der Grund dafür, dass ich seit 2010 öfter zu Besuch in Deutschland war als in jedem anderen Land, das ich im Rahmen meiner Arbeit bereisen konnte. Auf meinen Reisen nach Deutschland hielt ich Vorträge, führte Interviews und Gespräche und arbeitete an einer Reihe verschiedener Projekte, die es mir ermöglichten, meinen theoretischen und praktischen Ansatz auszubauen und zu schärfen. All diese Formate und Projekte waren ausnahmslos um die Begriffe Technologie und Race herum konzipiert, auch wenn sie sich vordergründig um Musik, Sound oder das kulturelle und intellektuelle Erbe der afrikanischen Diaspora drehten. In meiner Arbeit steht Race für den Fokus auf die historischen Erfahrungen und kulturellen Hervorbringungen von Schwarzen Menschen; Technologie wiederum bezieht sich auf die Prozesse, bei denen ebendiese Menschen einer Reihe westlicher Maschinen begegneten, angefangen vom Sklavenschiff bis hin zum Mikrochip, und dabei ihnen oft feindlich gesinnte Umwelten umgestalteten. Das Begriffspaar Technologie und Race fungiert insofern als thematische Klammer dieses Bands, als diese beiden Sphären, wie die Essays durchweg herausstellen, nicht in konzeptuellem oder sozioökonomischem Gegensatz zueinander stehen – auch wenn viele weiterhin dieser Annahme anhängen und Schwarze leichtfertig mit dem Organischen und ‚Natürlichen‘ assoziieren, während die technologische Entwicklung ausschließlich Weißen oder dem Westen zugeschrieben wird. Die Art und Weise, wie sich beide Sphären überlagern und eng miteinander verflochten sind, ist zu meinem Schlüsselthema geworden, seit ich als Doktorand und DJ in den 1990er Jahren anfing, über Dub- und Reggae-Soundsystems zu schreiben. Mein Fokus auf Sound und Soundsystems in kolonialen Kontexten eröffnete mir ein tieferes Verständnis davon, wie sich Schwarze Menschen mit elektronischen Medien auseinandersetzen und dadurch eine – wie ich es an anderer Stelle nenne – Schwarze Technopoetik entwerfen. Mich inspiriert es, dass sich inzwischen viele andere dem Projekt angeschlossen haben, die historischen, kulturellen und gedanklichen Verbindungslinien zwischen der Sphäre der Maschinen und den Erfahrungswelten Schwarzer Menschen zu erkunden. Allerdings neigt man dabei immer noch allzu häufig dazu, Race und Technologie auf den Zusammenhang von Rassismus und Technologie zu reduzieren – was etwa daran deutlich wird, dass sich solche Studien fast ausschließlich auf das Problemfeld rund um Diskriminierung, Bias und Überwachung konzentrieren. Diese Ansätze, die in meiner Arbeit ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen, sind zweifellos wichtig, aber sie tappen oft auch schnell in die Klischeefalle und beschränken sich fast immer auf ein binäres Schwarz-Weiß-Schema. Der Antrieb für meine Arbeit war vielmehr, zeigen zu wollen, dass Race und Technologie schon lange vor Anbruch der digitalen Ära miteinander verschränkt waren und dass ihre Geschichte mehr bietet als nur historische Beispiele für anhaltende Probleme wie Rassismus, Exklusion und kolonialistische Unterdrückung. Wie Schwarze Menschen von Technologie Gebrauch machen, ist für mich ebenso zentral wie die Frage, wie Technologie auf und gegen Schwarze Menschen angewandt wird. Die problematischen Aspekte verlangen nach wie vor Aufmerksamkeit, doch Race kann insofern zum Verständnis von Technologie beitragen, als die Verflechtungen zwischen diesen beiden Sphären auch davon erzählen, wohin wir uns als Menschen entwickeln, und nicht nur davon zeugen, wer wir waren und weiterhin versuchen zu sein. Dieses Werden nachzuzeichnen, ist das Leitmotiv, das sich durch mein gesamtes Werk hindurchzieht. Dazu kommt ein im Untertitel dieses Bandes genanntes Thema, das ich herausstellen möchte, auch weil einige der hier abgedruckten Essays das Feld der Technologie nicht explizit behandeln. Was diese Texte aber sehr deutlich machen, ist, dass es das Faktum der Migration ist, das mein anhaltendes Interesse an Technologie und ihren Wechselwirkungen mit Race überhaupt ermöglichte. Damit meine ich nicht nur die Bewegungen afrikanischer Menschen in den letzten drei (wenn nicht mehr) Jahrhunderten, sondern auch die Wanderbewegungen einer bestimmten Schwarzen Person – nämlich mir selbst – entlang der unendlich vielfältigen historischen, imaginativen und intellektuellen Landschaft, die wir Diaspora nennen. Die Essays über Technologie hätte ich zudem nie schreiben können, wenn ich nicht mit den Ideen migrantischer Denker wie Eric Walrond, Edouard Glissant und Wilson Harris in Berührung gekommen wäre. Neben anderen Autor*innen wie Sylvia Wynter, Aimé Césaire, Samuel R. Delany und Kodwo Eshun beflügelten diese Denker meine Schreibvision und führten mich zu einem Begriff des Schwarzseins, der nicht in Vorstellungen von Organizität oder Authentizität oder in Klischeebildern der Befreiung und Solidarität wurzelt. Die nicht ausdrücklich technologisch orientierten Essays sind daher genauso wesentlich für diesen Band wie die Texte, die sich mit Sklavenautomaten, dem Afrofuturismus, den Technologien der Tonaufzeichnung oder mit afrikanischer Cyberkriminalität und den race- und geschlechtsspezifischen Politiken künstlicher Intelligenz befassen. Außer den durch Sklaverei und Kolonialismus erzwungenen Formen der Mobilität ist die Schwarze Diaspora auch durch freiwillige, aber nicht weniger folgenreiche Migrationsbewegungen jüngeren Datums geprägt. Diese spielen in den folgenden Essays ebenfalls eine wichtige Rolle, genauso wie die kulturellen, politischen und intellektuellen Strömungen, die infolge dieser neueren diasporischen Bewegungen entstanden und sie teils ablehnten und teils unterstützten oder kritisch reflektierten. Diese Strömungen fanden Ausdruck in den Feldern der Musik und Literatur, die stets das Herzstück meines Denkens bilden, aber auch in den Erwiderungen auf diese kulturellen Formen, die in den elitären Sphären der akademischen Welt und ihren Theoriezirkeln sowie in einer unübersichtlichen öffentlich-politischen Diskurslandschaft formuliert wurden. Viele der hier vorgelegten Essays wollen nicht nur das notwendige Band zwischen diesen oft auseinanderklaffenden Sphären stärken, sondern auch einen Modus der Kulturkritik entwerfen, der sich der jeweils in ihnen entfaltenden Dialoge ernsthaft annimmt und versucht dazu beizutragen, dass sie sich gegenseitig befruchten. Schließlich ist es leider nicht immer der Fall, dass diasporische Kritik aufmerksam zuhört und sich der gesamten Bandbreite an Positionen und Perspektiven widmet, die das Vermächtnis der Migration ausmachen. Sich der Institutionalisierung der Diaspora zu widersetzen und zugleich ihre vielgestaltige reale Zerstreuung anzuerkennen, ist das wesentliche Ziel dieser Essays sowie des umfassenderen Projekts, dem sie entsprungen sind. Diasporische Kontexte überlagern sich grundsätzlich, wie ich in einem der Essays darlege, und zwar sowohl auf traumatische als auch auf magische Weise. Die Essays stellen diese Überlagerungen heraus und verleihen ihnen Tiefe; sie zeichnen die vielfältigen affektiven Begegnungen in diesen Kontaktzonen nach, ebenso wie die aus ihnen hervorgegangenen Erzeugnisse, vom Überdeutlichen bis zum Inkommensurablen, vom Blut bis zum Gold. Der Versuch, verschiedene diasporische Erfahrungen – von den historischen bis zu den neuen afrikanischen Diasporas, von der freiwilligen bis zur unfreiwilligen Zerstreuung – miteinander zu verknüpfen und in Austausch zu bringen, manifestiert sich auch in der sprachlich-stilistischen Vielfalt der Essays. Ob sie nun theoretisch oder literarisch orientiert sind, sich an ein Fach- oder allgemeines Publikum richten oder in klassischen Print-Formaten oder Online-Magazinen erschienen sind, entstanden diese Texte allesamt in Zusammenhang mit meiner akademischen Publikationstätigkeit. Da einige im Vorfeld und einige im Anschluss an meine bekannteren Monografien verfasst wurden, sind diese Essays auch als Zeitzeugnisse zu verstehen. Das erklärt nicht nur, warum manche Gegenwartsbezüge vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß wirken, sondern ruft vor allem in Erinnerung, in welchem Rahmen sich die argumentativen Auseinandersetzungen und Konflikte abspielten, die in der Schwarzen Diaspora und infolge der Formation einer zunehmend institutionalisierten Schwarz-diasporischen Kulturkritik in der westlichen akademischen Welt aufkamen. Ich gebe jedoch auch zu, dass viele dieser Essays...



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