E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Christopher Dishonored: Zersplittert
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8332-3401-9
Verlag: Panini
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman zum Videogame
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-8332-3401-9
Verlag: Panini
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Welt, die von einer tödlichen Seuche heimgesucht wird. Eine skrupellose Regierung, die das Volk mit Hilfe von merkwürdiger neuer Technologie unterdrückt. Ein ehemaliger kaiserlicher Leibwächter, der des Mordes bezichtigt wird. Das ist die Kulisse, vor dem das dystopisch anmutende Action Game DISHONORED spielt. Panini veröffentlicht den ersten offiziellen Roman zur gleichnamigen Steampunk-Game-Reihe von Bethesda.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
PROLOG IRGENDWO NAHE UTYRKA Monat unbekannt, 1849–1850 „Betrachten wir die Gefängnisse von Tyvia, die sich in der Tundra im Herzen dieses Staates befinden. Einige Arbeitslager dort haben buchstäblich keine Mauern. Ein Gefangener, von der harten Arbeit erschöpft und ohne Werkzeuge, würde es nicht weit schaffen, dafür sorgen allein schon das harsche Wetter und die hungrigen Wolfsrudel, die diese gefrorene Einöde durchstreifen. Tatsächlich lassen die tyvianischen Gefängnisbehörden jeden Gefangenen wissen, dass es ihm jederzeit freisteht, zu gehen. Doch seit Beginn der Dokumentation hat es noch niemand geschafft, den langen Weg durch Schnee und Eis zur nächsten Stadt zu überstehen.“ – GEFÄNGNISSE DER INSELN Auszug aus einem vom kaiserlichen Meisterspion
in Auftrag gegebenen Bericht Der Gefangene blieb am Rande des Vorsprungs stehen und ließ den Blick über das Land schweifen. Sein schwerer, schwarzer Wollmantel flatterte in der steifen Brise, die aus dem Gletschertal vor ihm wehte. Der Wind war so laut, dass er kaum denken, geschweige denn über die komplizierte Aufgabe nachsinnen konnte, die ihm bevorstand. Doch er hatte ohnehin keine Zeit zu verlieren. Es gab Arbeit zu erledigen. Er hatte es bis hierher geschafft – zu weit, um noch aufzugeben, gleichzeitig jedoch nicht weit genug, um sich seines Erfolges sicher sein zu können. Jene, die ihn gefangen gehalten, ihn gefoltert hatten, waren noch immer zu nah. Er wusste, dass er weitergehen musste, und er wusste, dass ihn jetzt nur noch eine Person auf der Welt aufhalten konnte: er sich selbst. Der Gefangene rückte seinen schwarzen Hut zurecht, schob die breite, runde Krempe tief in sein Gesicht, damit der Wind ihn nicht fortwehte, und blickte dann erneut auf das, was vor ihm lag: auf die heulenden Böen und die verschneite Ödnis und die Sonne, die mit kaltem, totem Licht vom Himmel brannte. Dies war die Tundra. Dies war Tyvia. Er drehte sich um und ließ die Kette, die er über der Schulter trug, in den Schnee gleiten. An ihrem Ende befand sich ein Bündel schwarzen Stoffs. Falls das zitternde Ding, das in diesem Stoff steckte, wimmerte oder weinte oder um Vergebung flehte, so wurde seine Stimme vom tosenden Wind übertönt. Einst war dieses Ding ein Wachmann gewesen – in Utyrka, dem Arbeitslager, aus dem er kam. Jetzt war es der Gefangene des Gefangenen. Der Wachmann war benommen – von der Kälte, von der langen Reise, von dem Wissen, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und der Leere, die auf ihn wartete. Denn dieser Mann war kein guter Mensch, und das wusste er auch. Ebenso, wie er wusste, welches Schicksal ihn erwartete, sobald der Gefangene seine grimmige Aufgabe in der frostigen Schneewüste erledigt hatte. Sein Ende war nah. Aber noch war es nicht so weit. Noch brauchte der Gefangene ihn, der jetzt die Kette um seine behandschuhte Rechte schlang und leicht daran zog. Das bebende Wrack, zu dem der Wachmann verkommen war, erhob sich auf die Knie, jedoch nicht weiter, und kroch dann gekrümmt vorwärts, das Gesicht unter mehreren Lagen seines Schals und dem hochgeklappten Kragen seines schwarzen Mantels verborgen. Es war dieselbe Art von Mantel, die auch der Gefangene trug, dieselbe Art, die an das gesamte Militär von Tyvia ausgegeben wurde, entworfen für ungeliebte Einsätze im harschen, eisigen Herzen des Landes. Seinen Mantel hatte der Gefangene einer anderen Wache im Lager abgenommen – einer von drei Wachen, die er überwältigt hatte; der ersten, die draufgegangen war, noch ehe sie überhaupt in die verschneite Ebene aufgebrochen waren. Der zweite Wachmann war am zweiten Tag des Marschs zusammengebrochen, und der Gefangene hat seine Kette noch immer um seine Mitte geschlungen, sodass der dicke Halskragen an ihrem Ende jetzt von seinem Gürtel baumelte. Er hatte drei Männer gebraucht, also hatte er drei überwältigt. Den ersten, um seine Kleider zu nehmen: den pelzgefütterten Mantel, den Hut mit der breiten Krempe, um seine Augen gegen das Licht der toten Wintersonne zu schützen, und den Schal aus dem Pelz des schwarzen Säbelzahnbären, der hier in der Tundra heimisch war. Diese schwere Winteruniform der tyvianischen Armee trug er nun über der zerlumpten Gefangenenkleidung, die er schon seit Jahren am Leib hatte, ohne sie je gewechselt zu haben. Über den Augen trug er die Schneebrille der ersten Wache, zwei Linsen aus poliertem, rotem Glas, fast so groß wie die Untertassen, aus denen die Soldaten im Lager ihren heißen, importierten Gristol-Tee tranken. Die erste Wache war tot. Es ging nicht anders. Der Mann wollte seine Uniform nicht hergeben, also hatte der Gefangene sie sich mit Gewalt genommen. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Im Lager gab es ohnehin niemanden mehr, den die Wache noch hätte beaufsichtigen können. Zumindest jetzt nicht mehr. Bevor der Gefangene die tote Wache um ihre Kleidung erleichtert hatte, hatte er seine beiden anderen Opfer gefesselt wie die Schweine, die sie waren, mit schweren Ketten um die Hälse, und sie gezwungen, auf dem harten Boden niederzuknien. Schweigend hatten sie dabei zugesehen, was er tat, während ihre Gedanken sich überschlugen und ihr neuer Meister sich für die lange Reise rüstete. Anschließend hatte der Gefangene an den Ketten gezerrt, und die beiden waren mit gesenkten Köpfen hinter ihm her durch den Schnee gestolpert, derweil ihre Lippen delirierend lautlose Worte formten. Die zweite Wache hatte aus einem gänzlich anderen Grund ihr Leben gelassen. Als Nahrung. Nicht für den Gefangenen, und auch nicht für den dritten Soldaten, sondern für die Wölfe. Der Gefangene wusste, dass die Tiere ihnen auf den Fersen sein würden, sobald sie die Sicherheit und die Lichter des Lagers hinter sich ließen. Nachdem sie die Grenze des Geländes überschritten hatten, waren sie zwei Tage durch den Schnee marschiert, der mal hart gefroren war und mal so weich, dass sie bis zur Hüfte einsanken. Sie kamen nur langsam voran. Die Wölfe waren schnell. In den harten Wintern, in den Monaten der Dunkelheit und der größten Kälte, war dies ihre Welt, ihre Domäne. Außerhalb der tyvianischen Gefangenenlager, die die gefrorenen Ebenen sprenkelten, war der Mensch ein Fremdkörper – wenn auch ein willkommener Fremdkörper für die wilden Tiere der Tundra. Sie warteten nur darauf, dass jemand versuchte, zu fliehen – dass irgendein Narr glaubte, er könne es schaffen, oder ein Einfaltspinsel die spöttische Einladung der Wachen annahm und einfach aus dem Lager spazierte. Nahrung war Mangelware in dieser eisigen Welt, und auch die Wolfsrudel waren hungrig. Auf dem Marsch vom Lager hierher hatte der Gefangene immer wieder Spuren früherer Fluchtversuche entdeckt. Diese Versuche, diese Träume, waren alle gleich: fehlgeleitet, verzweifelt – unmöglich. Denn auch die Gefängnisse von Tyvia waren alle gleich, jedes von ihnen ein Arbeitslager in der Wildnis der Tundra. Zugegeben, sie unterschieden sich in ihrer Größe. Manche Lager waren gerade groß genug für ein paar Dutzend Gefangene und erinnerten eher an kleine Dörfer. Und sie unterschieden sich in ihrer Funktion. Wer sich weniger ernster Vergehen schuldig gemacht hatte, wurde lediglich zur Holzbeschaffung verurteilt – nur waren die Bäume der Tundra hart wie Dunwall-Granit, sodass auch diese Arbeit Willen und Körper der meisten Männer brach. Die Wälder waren von der Kälte versteinert und bestanden aus hohen, vertikalen Säulen reinsten Permafrosts. Die Holzlager waren keine richtigen Gefängnisse, zumindest nicht, soweit es die Gefangenen betraf. Sie waren etwas viel Harmloseres, nämlich „Verbesserungsanstalten“, deren Insassen davon träumen konnten, eines Tages in die Wärme der Zivilisation zurückzukehren, und wenn auch nur als Schatten ihrer selbst, nachdem ihnen ihr Wille und ihr Ungehorsam durch harte Arbeit ausgetrieben worden waren. Die anderen – die richtigen – Gefängnisse waren anders. Steinbrüche oder – wie im Fall von Utyrka – Minen, die tief in den Boden gegraben waren, um der gefrorenen Dunkelheit der Erde ihre Salzvorkommen zu entreißen. Zur Arbeit in einem solchen Lager verurteilt zu werden, bedeutete, dass man für immer von der Bildfläche verschwand. Selbst der Tod war angenehmer, doch in den tyvianischen Gesetzesbüchern war die Todesstrafe nicht vorgesehen. Tatsächlich erachteten die Hohen Richter es dank ihrer verqueren Logik nicht einmal wirklich als Strafe, jemanden ins Gefängnis zu schicken. Um die Worte dieses quasi-militärischen Tribunals zu nutzen, das mit eiserner Faust über die Insel herrschte, war die Arbeit in den Lagern eher eine Art von Freispruch. Schließlich hatten diese Gefängnisse keine Mauern. Es gab Wachen, ja, und der Gefangene hatte sogar ein gewisses Maß an Mitleid mit den armen Teufeln, die zu endlosen Stunden hier draußen in der gefrorenen Ödnis abkommandiert wurden. Doch zumindest konnten sie wieder nach Hause zurückkehren, sobald ihr Dienst beendet war. Die Wachen leiteten die Lager – sie sorgten dafür, dass die Ordnung gewahrt blieb, die Arbeit voranging und jene bestraft wurden, die ihr Soll nicht erfüllten, egal, ob sie nun zu wenig Holz hackten, zu wenig Fels klein klopften oder zu wenig Salz aus den Minen förderten. Fluchtversuche zu verhindern gehörte dagegen nicht zu ihren Aufgaben. Eine Flucht, so sagten die Hohen Richter, war unmöglich, schließlich seien die Lager ja keine Gefängnisse. Es gab keine...