E-Book, Deutsch, Band 5, 136 Seiten
Christmann / Schnettler Robert E. Park
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-1629-7
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 5, 136 Seiten
Reihe: Klassiker der Wissenssoziologie
ISBN: 978-3-7445-1629-7
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Robert Ezra Park (1864–1944) gilt als der Begründer der empirischen Stadtsoziologie und der humanökologischen Forschungsrichtung an der Universität Chicago ('Chicagoer Schule für Soziologie'). Er prägte den Begriff des ›kollektiven Verhaltens‹, widmete sich der Erforschung von Rassenbeziehungen und Kulturkonflikten und Setzte sich mit der Bedeutung von kommunikativen Vorgängen auseinander. Park formulierte die 'melting pot'-Theorie multiethnischer Integration von Einwanderern in die Kultur eines Landes. Große Aufmerksamkeit schenkte Park dem Einfluss von Massenmedien, insbesondere der Nachrichtenkommunikation. Seine theoretischen Annahmen lösten lang anhaltende Fachdiskussionen und eine große Zahl empirischer Arbeiten aus. Bemerkenswert ist auch der von Park bevorzugte methodische Ansatz: Er vertrat die Auffassung, dass sich Soziologen mit den Lebensumständen und Lebensweisen der Beforschten aus nächster Nähe vertraut machen sollten und gilt daher auch als der Begründer der soziologischen Ethnographie. Gabriela Christmann führt in das Leben, das Werk und in die Wirkung von Robert E. Park ein und skizziert die ihn prägenden Einflüsse. Sie stellt Parks Hauptwerke vor und zeigt, dass sein Interesse den kulturellen Wissens- und Lebensformen in der modernen Gesellschaft galt.
Fachgebiete
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Allgemeines Geschichte der Human- und Sozialwissenschaften
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Stadt- und Regionalsoziologie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziologie Allgemein Geschichte der Soziologie
Weitere Infos & Material
I Robert Ezra Park: Über das Leben eines »intellektuellen Vagabunden«
Robert Ezra Park wird am 14. Februar 1864 in Harveyville im Bundesstaat Pennsylvania geboren.1 Bald nach der Rückkehr des Vaters, Hiram Asa Park, aus dem Bürgerkrieg, zieht die Familie nach Red Wing in Minnesota. Dort versucht der Vater sein Glück als Kaufmann im Getreidegroßhandel. Die Geschäfte laufen gut, und so bringt es Hiram Park nach und nach zu Wohlstand und Ansehen. Die Mutter, Theodosia Warner Park, ist Lehrerin. Sie liebt die Literatur und die schönen Künste. Parks Großväter – Dr. Ezra Park und Dr. Simon Warner – sind beide Ärzte. Die Kindheit verbringt Park in der am Mississippi gelegenen Kleinstadt Red Wing. In dem damals noch sehr dünn besiedelten Gebiet ließen sich vorwiegend Neuengländer und skandinavische Einwanderer nieder. Zu den aus Skandinavien stammenden Siedlern hat Park enge Kontakte. Sein Kindermädchen und seine besten Spielkameraden sind norwegische Immigranten. Als Park 1882 im Alter von 18 Jahren die High School absolviert hat, wo er seine Liebe für das Schreiben entdeckte, verlässt er das Elternhaus. Er hat beschlossen, Ingenieur zu werden, also schreibt er sich an der damals noch sehr kleinen und unbedeutenden State University of Minnesota für das Ingenieurstudium ein. Dies geschieht gegen den Willen des Vaters, der ihn gerne im Lebensmittelhandel gesehen hätte. Park muss jedoch feststellen, dass ihm das Studium der Ingenieurwissenschaft nicht zusagt. Nach einem Jahr bricht er das Studium ab. Er wechselt 1883 nach Ann Arbor an die University of Michigan, die zu jener Zeit neben Harvard zu den renommiertesten Universitäten der Vereinigten Staaten zählt. Dort studiert er die Fächer Philosophie, Philologie und Geschichte – unter anderem bei John Dewey,2 der einen großen Einfluss auf ihn gewinnen sollte. Im Jahre 1887 erwirbt Park den Grad des Bachelor of Philosophy. Obgleich das Studium ihn in intellektueller Hinsicht inspirierte, strebt Park keine akademische Laufbahn im Fach Philosophie an. Im Gegenteil: Es drängt ihn hinaus aus dem Elfenbeinturm, hinaus ins wirkliche Leben. Er möchte einen praktischen Beruf ergreifen. So wird Park beim Minneapolis Journal als Journalist tätig. Schon bald beginnt ihn die große Stadt New York zu reizen, die damals nicht nur Journalisten magisch anzog. Doch erst 1892 kann er seinen Traum von New York verwirklichen. Park arbeitet als Gerichts- und Polizeireporter für das New York Morning Journal. Nebenbei schreibt er für die Sonntagszeitung New York World. Dies ist eine Zeit, in der Park beobachtend und recherchierend durch die Straßen New Yorks zieht, stets auf der Suche nach einer Story. Park selbst sagte rückblickend dazu: »Im Wesentlichen widmete ich mich […] der Erkundung und Beschreibung des Lebens in der Stadt. […] Diese Tätigkeit bedeutete den Beginn meines Interesses an der Soziologie, obschon ich damals das Wort noch gar nicht kannte.« (Baker 1981: 259f.) Die journalistische Tätigkeit ist ganz nach seinem Geschmack. Nicht nur, weil er seiner Neugier in Bezug auf Menschen und menschliche Lebensverhältnisse nachgehen kann, sondern auch, weil ihm das Beobachten, Recherchieren und Schreiben liegen. Freilich ist er auch von Idealen getragen. Er möchte mit seinen Reportagen Probleme aufzeigen. Vor allem möchte er auf die sozialen Hintergründe von Problemlagen aufmerksam machen. In gewisser Hinsicht will er auch Veränderungen herbeiführen. Allerdings setzt Park den Akzent deutlich auf das Aufzeigen und Analysieren von sozialen Problemen, nicht auf das Verändern. Er geht davon aus, dass gesellschaftliche Probleme erst dann gelöst werden können, wenn man ein genaues Wissen über sie erlangt hat. Für moralinsaure Reformer hat er gar nichts übrig. Im Jahre 1892 lernt Park seine zukünftige Frau, Clara Cahill, kennen. Sie ist die älteste Tochter einer sehr vornehmen und prominenten Familie in Michigan. Ihr Vater ist Richter am Supreme Court. Park und Clara Cahill heiraten 1894. Park ist zu diesem Zeitpunkt dreißig Jahre alt. Aus der Ehe gehen vier Kinder hervor. Durch Clara Cahill Park, die sich mit dem russischen Nihilismus und der Revolution auseinandersetzt, wird Parks Interesse für Massenbewegungen und kollektives Verhalten geweckt. Da die Berufsaussichten von Journalisten in New York auf Dauer nicht gut sind – nur allzu schnell werden sie durch aufstrebende jüngere Kollegen ersetzt –, entschließt sich Park, New York zu verlassen. Das fällt ihm nicht leicht, denn nach wie vor ist er fasziniert von dem bunten Treiben in dieser Stadt. Zunächst geht Park nach Detroit, später nach Chicago; nacheinander ist er für die Detroit Tribune, die Detroit News und später für das Chicago Journal tätig. In dieser Zeit macht sich bei Park zunehmend Unzufriedenheit breit. Der Journalistenberuf konnte ihm nichts Neues mehr geben. Sein Interesse für Abstraktionen und theoretische Konzepte, das während seiner praktischen Berufstätigkeit nie ganz verschwunden war, lebte nun auf. Park nimmt Kontakt zu seinem früheren Lehrer Dewey auf, der ihn mit Franklin Ford bekannt macht. Ford, ein früherer Pressemann, ist ein Visionär. Mit der Unterstützung von Dewey beabsichtigt er, einen neuen Zeitungstyp herauszubringen. Man hat auch schon einen Namen für die geplante Zeitung gefunden. Nach dem gleichen Muster wie Börsenzeitungen über Aktienkurse berichten, sollen die Thought News über Trends der öffentlichen Meinung informieren. Dahinter steht die Auffassung, dass mit der Analyse und der kommunikativen Vermittlung von gesellschaftlichen Entwicklungstrends die Organisation der Gesellschaft optimiert werden kann. Das Unternehmen entspricht den Vorstellungen Parks. Er ist beeindruckt von dem Vorhaben. Gerne will er sich daran beteiligen, denn schon seit Längerem ist er der Meinung, dass das Nachrichtenwesen in hilfreicher Weise dazu dienen kann, gesellschaftliches Wissen zu organisieren. Doch das Projekt scheitert. Ein wesentlicher Grund für den Misserfolg ist, dass die Instrumente der Meinungsforschung noch unterentwickelt sind. Park arbeitet in seinem Beruf noch einige Jahre weiter, bis er sich im Jahre 1898 dazu entscheidet, seine akademische Ausbildung in Harvard fortzusetzen. In finanzieller Hinsicht wird das Vorhaben nun tatkräftig von Parks Vater unterstützt. Es beginnt eine neue Lebensphase, die Park rückblickend als die eines »intellektuellen Vagabunden« interpretierte: »Mein Programm bestand darin, mir das anzusehen und das zu erkennen, was man das Leben nennt.« (Baker 1981: 259) Freilich hat Park auch ein konkretes Forschungsziel: Er tritt an, um den Zusammenhang von Kommunikation (insbesondere von Nachrichtenkommunikation), öffentlicher Meinung und Gesellschaft zu untersuchen. Zu seinen Lehrern in Harvard gehören die Philosophen William James, Josiah Royce und George Santayana wie auch der Psychologe Hugo Münsterberg. Den Grad des Master of Arts in Philosophie erhält Park 1899. Da sich Park von einem Studienaufenthalt in Deutschland neue Anregungen verspricht, reist er Ende 1899 – weiterhin von seinem Vater unterstützt – mit seiner Familie nach Berlin. An der dortigen Friedrich-Wilhelms-Universität hört Park ein Semester lang den Soziologen Georg Simmel und den Philosophen Friedrich Paulsen. Über eine Abhandlung des Windelband-Schülers Bogdan Kistiakowski wird Park auf Wilhelm Windelband aufmerksam. Schon im Herbst 1900 verlässt er Berlin, um zu Windelband nach Straßburg zu gehen, wo er außerdem den Nationalökonomen Georg Friedrich Knapp und den Geografen Georg Gerland hört. Als Windelband 1903 nach Heidelberg wechselt, folgt ihm Park nach, um seine Dissertation – Masse und Publikum. Eine methodologische und soziologische Untersuchung – bei ihm voranzubringen. Der Titel zeigt an, dass Park zu dieser Zeit anfing, sich für das akademische Fach Soziologie zu interessieren. Simmel hat offensichtlich Spuren hinterlassen. In Heidelberg hört Park zudem den Geografen Alfred Hettner. Ende des Jahres 1903 kehrt Park in die Vereinigten Staaten zurück. Er lässt sich mit seiner Familie in Wollaston, Massachusetts, nieder, überarbeitet seine Dissertation für die Buchpublikation und ist etwa ein Jahr lang als Assistent bei Münsterberg in Harvard tätig. Im Jahre 1903 wird Park zum Doktor der Philosophie promoviert, und die Dissertation erscheint 1904 bei einem Schweizer Verlag. Obwohl dies Anlass zur Freude hätte geben müssen, ist Park im Hinblick auf seine Karriere ausgesprochen unzufrieden. Er ist nun schon vierzig Jahre alt und kann nicht mehr als nur ein kleines Buch vorweisen. Enttäuscht ist er auch darüber, dass ihm das Studium der Philosophie nicht das gegeben hat, was er sich erhoffte. Deshalb kommen ihm Zweifel, ob das akademische Leben das Richtige für ihn ist. Wieder einmal fühlt er sich vom richtigen Leben und der praktischen Tätigkeit angezogen. Daher kann ihn auch ein Angebot für einen Lehrauftrag im Fach Soziologie nicht mehr locken. Der Soziologe Albion W. Small, Chairman am Department of Sociology der Universität Chicago (Park lernte ihn über seinen Schwiegervater kennen), unterbreitete ihm dieses...