E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Christie Zeugin der Anklage
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-96119-103-1
Verlag: Felix Bloch Erben
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Theaterstück
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-96119-103-1
Verlag: Felix Bloch Erben
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Agatha Christie ist weltweit als die Queen of Crime bekannt. Auf Englisch wurden von ihren Büchern über eine Milliarde Exemplare verkauft, eine weitere Milliarde in Form von Übersetzungen. Sie ist die populärste Autorin aller Zeiten und lief in zahlreichen Sprachen sogar der Bibel und Shakespeare den Rang ab. Sie schrieb 66 Kriminalromane, über 150 Kurzgeschichten, über 30 Theaterstücken sowie sechs Romane unter dem Pseudonym Mary Westmacott. Agatha Christies erster Roman Das fehlende Glied in der Kette entstand gegen Ende des Ersten Weltkriegs, in dessen Verlauf sie als Krankenschwester und Apothekerin arbeitete. In diesem Werk erfand sie Hercule Poirot, den kleinen belgischen Detektiv, der zum bekanntesten fiktiven Ermittler seit Sherlock Holmes werden sollte. Der Band erschien 1920 im Verlag The Bodley Head. Sie schrieb durchschnittlich ein Buch pro Jahr und 1926 ihr erstes Meisterwerk Alibi. Es war ihre erste bei Collins erschienene Veröffentlichung und stand am Beginn einer Beziehung zwischen Autorin und Verlag, die 50 Jahre lang und für über 70 Bücher anhielt. Alibi war auch der erste dramatisierte Christie-Roman und lief mit Erfolg im Londoner West End. 1930 führte Agatha Christie eine neue Figur ein, die als Detektivin agieren sollte. Als sie Miss Marple schuf, rechnete Christie nicht damit, eine Rivalin zu Poirot erschaffen zu haben. Doch mit dem Erfolg von Mord im Pfarrhaus, Miss Marples erstem Roman, stand fest: Sie hatte eine weitere beliebte und dauerhafte Figur geschaffen. Die Mausefalle, ihr erfolgreichstes Stück überhaupt, kam 1952 zur Uraufführung und ist das am längsten laufende Werk der Theatergeschichte. Agatha Christie wurde 1971 der Adelstitel Dame verliehen. Sie starb 1976. Agatha Christie Limited (ACL) verwaltet seit 1955 die Literatur- und Medienrechte an den Werken von Agatha Christie auf der ganzen Welt und arbeitet mit den besten Talenten in den Bereichen Film, Fernsehen, Verlagswesen, Bühne und digitale Plattformen zusammen, um sicherzustellen, dass Christies Werk weiterhin auf innovative Weise und auf höchstem Niveau ein neues Publikum erreicht. Das Unternehmen wird von Christies Urenkel James Prichard geleitet. Weitere Informationen finden Sie unter www.agathachristie.com .
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Erster Akt
Die Kanzlei des Kronanwalts SIR WILFRID ROBARTS. Ein schmaler Raum mit Tür und Fenster. Links und rechts von einem Kamin Bücherregale mit juristischen Folianten. Ein Tisch und Stühle. In der Ecke einige Kleiderhaken an der Wand. Abends erhellen Wandleuchten und eine verstellbare Schreibtischlampe das Zimmer. Auf dem Tisch auch ein Telefon und zahlreiche juristische Dokumente. Es ist Nachmittag, und Sonnenschein strömt durch das Fenster. Das Büro ist leer. GRETA, Sir Wilfrids Sekretärin, kommt herein. Sie ist eine näselnde junge Frau, die viel von sich hält. Sie geht zum Kamin, macht eine Art Tanzschritt und holt ein Dokument aus einer Ablageschachtel auf dem Kaminsims. CARTER, der Bürovorsteher, tritt auf. Er hat einige Briefe dabei. GRETA dreht sich um, sieht ihn und geht schnell ab. CARTER geht zum Schreibtisch und legt die Briefe darauf. Das Telefon klingelt. CARTER hebt den Hörer ab.
CARTER
Die Kanzlei von Sir Wilfrid Robarts … Oh, du bist es, Charles … Nein, Sir Wilfrid ist vor Gericht … Dauert sicher noch … Ja, der Shuttleworth-Fall … Was – mit Myers für die Anklage und Banter als Vorsitzendem? … Dauert schon fast zwei Stunden … Nein, auf keinen Fall heute Abend. Wir sind völlig dicht. Für morgen kann ich dir einen Termin geben … Nein, geht nicht. Ich erwarte jeden Augenblick Mayhew, von Mayhew und Brinskill. Okay, auf Wiederhören.
Er legt auf und sortiert die Dokumente auf dem Tisch. GRETA kommt herein.
GRETA
Soll ich Tee kochen, Mr. Carter?
CARTER schaut auf seine Uhr.
CARTER
Ist noch zu früh, Greta.
GRETA
Nicht auf meiner Uhr.
CARTER
Ihre Uhr geht falsch.
GRETA
Ich stelle sie exakt nach dem Radio.
CARTER
Dann stimmt das Radio nicht.
GRETA
(schockiert) Ich bitte Sie, Mr. Carter. Im Radio sagen sie nichts Falsches.
CARTER
Diese Uhr gehörte meinem Vater. Geht nie vor oder nach. Solche Uhren werden heute gar nicht mehr hergestellt.
(CARTER nimmt eines der mit Schreibmaschine getippten Blätter vom Schreibtisch.)
Wirklich, wie Sie tippen. Dauernd Fehler. Hier fehlt ein Wort.
GRETA
Ach, was – ein einziges Wort. Kann jedem passieren.
CARTER
Sie haben das Wort „nicht“ ausgelassen. Das verändert komplett den Sinn.
GRETA
Ach, ja? Eigentlich komisch, wenn man darüber nachdenkt.
CARTER
Daran ist überhaupt nichts komisch.
(Er zerreißt den Brief und gibt ihr die Einzelteile.)
Tippen Sie’s noch einmal. Ich habe Sie doch letzte Woche auf den berühmten Fall Bryant gegen Horsfall hingewiesen. Ging um ein Testament mit einem Treuhandfonds, und nur wegen einer Schlampigkeit beim Abschreiben …
GRETA
(unterbricht) Bekam die falsche Frau das Geld, ich erinnere mich.
CARTER
Eine Frau, von der sich der Erblasser fünfzehn Jahre vorher hatte scheiden lassen. Das Gericht räumte den Fehler ein, aber der Wortlaut musste gelten. War nichts daran zu ändern.
GRETA
Das finde ich auch sehr komisch.
CARTER
In einer Anwaltskanzlei hat Komik nichts verloren. Das Recht, Greta, ist eine ernsthafte Angelegenheit und muss entsprechend behandelt werden.
GRETA
Sollte man nicht meinen, wenn man die Witze von einigen Richtern hört.
CARTER
Diese Art Humor steht dem Gericht zu.
GRETA
Und in der Zeitung lese ich immer: „Gelächter im Gerichtssaal“.
CARTER
Wenn das keine Reaktion auf eine Bemerkung des Richters ist, droht er umgehend, den Saal räumen zu lassen.
GRETA
Fieser alter Knacker. Wissen Sie, was ich vor kurzem gelesen habe, Mr. Carter? „Das Gesetz ist ein Esel.“ Ich bin nicht unverschämt. Ist ein Zitat.
CARTER
(kühl) Ein pseudowitziges Zitat. Ha ha. Sie können den Tee machen –
(CARTER schaut auf seine Uhr. Er hält inne und wartet auf die exakte Sekunde.)
– jetzt. Greta.
GRETA
(erfreut) Oh, danke, Mr. Carter.
CARTER
Mr. Mayhew, von Mayhew und Brinskill, wird gleich da sein. Ein Mr. Leonard Vole wird auch erwartet. Sie kommen zusammen oder getrennt.
GRETA
(aufgeregt) Leonard Vole? Der stand doch in der Zeitung …
CARTER
(würgt sie ab) Der Tee, Greta.
GRETA
Sollte von der Polizei befragt werden, da er über sachdienliche Hinweise verfügen könnte.
CARTER
Tee!
GRETA
Es war erst letzten …
(CARTER schaut GRETA aggressiv an.)
Der Tee, Mr. Carter.
GRETA geht ab. CARTER arrangiert weiter die Papiere und murmelt vor sich hin.
CARTER
Diese Mädchen. Sensationsgierig – und schlampig! Das Juristenviertel geht völlig den Bach runter.
Er prüft ein getipptes Dokument, schnaubt verärgert, nimmt einen Stift und macht eine Korrektur. GRETA kommt herein und kündigt an:
GRETA
Mr. Mayhew.
MR. MAYHEW und LEONARD VOLE treten auf. MAYHEW ist ein typischer Anwalt mittleren Alters. Er ist schlau und von seiner Art her trocken und präzise. LEONARD ist ein sympathisch wirkender, freundlicher junger Mann von ungefähr 27 Jahren. Er sieht leicht besorgt aus. MAYHEW hat eine Aktenmappe dabei.
MAYHEW
Nehmen Sie Platz, Mr. Vole. Guten Tag, Carter.
GRETA geht ab und starrt LEONARD über ihre Schulter an.
CARTER
Guten Tag, Mr. Mayhew. Sir Wilfrid sollte bald da sein, Sir. Obwohl man bei Richter Banter nie wissen kann. Ich gehe rüber in den Ankleideraum und sage ihm, dass Sie hier sind – mit …
MAYHEW
Mit Mr. Leonard Vole. Danke, Carter. Unser Termin war leider etwas dringend. Das ging – äh – in diesem Fall – nicht anders.
(CARTER geht in Richtung Tür.)
Was macht der Hexenschuss?
CARTER
Spür ich nur bei Ostwind. Danke der Nachfrage, Mr. Mayhew.
CARTER geht ab. LEONARD läuft unruhig hin und her.
MAYHEW
Setzen Sie sich, Mr. Vole.
LEONARD
Nein, danke – ich bewege mich lieber. Diese – diese ganze Angelegenheit macht mich etwas unruhig.
MAYHEW
Ja, ja, nur zu verständlich …
GRETA kommt herein. Sie spricht mit MAYHEW, starrt aber sehr neugierig LEONARD an.
GRETA
Möchten Sie einen Tee, Mr. Mayhew? Ist frisch gebrüht.
LEONARD
Nein danke, aber wenn Sie –
MAYHEW unterbricht entschieden.
MAYHEW
Nein danke.
LEONARD lächelt GRETA an.
LEONARD
Sorry.
(GRETA lächelt und geht schnell ab.)
Ich kann einfach nicht glauben, dass mir das passiert. Ich denk immer: Ist vielleicht alles ein Traum, und ich wach gleich auf.
MAYHEW
Das ist nur zu verständlich.
LEONARD
Es wirkt – einfach so blöd.
MAYHEW
(scharf) Blöd, Mr. Vole?
LEONARD
Ja, schon. Ich war immer ein umgänglicher Mensch – kam mit den Leuten aus und so. Ich meine, ich bin nicht der Typ, der – irgendwie gewalttätig wird. (Er hält inne.) Es wird aber – okay sein, oder? Man wird hierzulande doch nicht verurteilt für Dinge, die man nicht getan hat?
MAYHEW
Meiner Ansicht nach ist das englische Justizsystem das beste der Welt.
LEONARD ist das kein großer Trost.
LEONARD
Es gab doch diesen Fall – wie hieß er noch – Adolf Beck. Hab ich vor kurzem gelesen. Der saß jahrelang im Gefängnis, und dann kam raus, die Tat beging jemand namens Smith. Beck wurde begnadigt. Das fand ich immer seltsam: Warum wird man „begnadigt“, wenn man’s gar nicht war?
MAYHEW
Das ist der juristische Fachausdruck.
LEONARD
Mir erscheint das nicht richtig.
MAYHEW
Die Hauptsache war, dass Beck freikam.
LEONARD
Ja, das war okay für ihn. Doch hätte es sich um Mord gehandelt – wär's zu spät gewesen. Er wäre gehenkt worden.
MAYHEW
(trocken, aber freundlich) Also Mr. Vole, es besteht wirklich kein Grund, so – äh – morbid zu...




