E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Christie Das Geheimnis von Greenshore Garden
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-455-17042-9
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Hercule Poirot
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-455-17042-9
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Großbritannien 2013 erstmals veröffentlicht! Jetzt auch in deutscher Übersetzung.
Für ihr Sommerfest haben sich die Bewohner von Greenshore House etwas Besonderes ausgedacht. In ihrem Garten soll eine inszenierte Mörderjagd für Unterhaltung sorgen. Ariadne Oliver, eine bekannte Krimiautorin, soll das Detektivspiel organisieren. Ohne nachzudenken, stimmt sie zu. Doch plötzlich ahnt sie, dass aus dem Spiel ganz schnell Ernst werden könnte, und ruft in letzter Minute ihren guten Freund Hercule Poirot zu Hilfe.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Vorwort von Mathew Prichard
Das Geheimnis von Greenshore Garden
Nachwort Agatha Christie und Greenshore Garden von John Curran
Über Agatha Christie
Impressum
2
Der Zug schnaufte, nachdem er von seiner zweihundertzwölf Meilen langen Reise rund einhundertachtzig in Höchstgeschwindigkeit hinter sich gebracht hatte, sachte und fast schon entschuldigend die letzten dreißig dahin und fuhr schließlich in den Bahnhof von Lapton ein. Nur ein Fahrgast stieg aus, Hercule Poirot. Achtsam überwand er einen klaffenden Spalt zwischen Waggonstufe und Bahnsteig und blickte sich um. Am hinteren Ende des Zuges machte sich ein Träger in einem Gepäckabteil zu schaffen. Poirot nahm seinen Handkoffer und ging den Bahnsteig entlang zum Ausgang. Er gab seine Fahrkarte ab und schritt durch das Schalterbüro hinaus. Draußen war eine große Humber-Limousine vorgefahren, und ein livrierter Chauffeur trat zu ihm. »Mr Hercule Poirot?«, erkundigte er sich respektvoll. Er nahm Poirot den Koffer ab und öffnete ihm die Wagentür. Sie fuhren vom Bahnhof ab, über die Eisenbahnbrücke und eine Landstraße entlang, die schon bald einen sehr schönen Blick auf einen Fluss freigab. »Der Dart, Sir«, sagte der Chauffeur. »Magnifique!«, sagte Poirot verbindlich. Sie fuhren auf einer gewundenen Landstraße, die zwischen grünen Hecken ab- und aufwärts verlief. An einer Steigung mühten sich zwei Mädchen in Shorts mit hellen Tüchern um den Kopf und schweren Rucksäcken auf dem Rücken langsam bergauf. »Unmittelbar oberhalb von hier ist eine Jugendherberge, Sir«, erklärte der Chauffeur, der sich offenkundig zu Poirots Devon-Führer berufen fühlte … »Man nennt sie ›Upper Greenshore‹. Die kommen für zwei, drei Nächte, ja, und zurzeit ist doch viel Betrieb. Vierzig oder fünfzig pro Nacht.« »Ah ja«, sagte Poirot. Er sinnierte, und dies nicht zum ersten Mal, dass Shorts, von hinten betrachtet, nur sehr wenigen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts standen. Gequält schloss er die Augen. »Sie scheinen schwer beladen zu sein«, murmelte er. »Ja, Sir, und vom Bahnhof oder der Bushaltestelle ist es eine weite Strecke. Bestimmt an die zwei Meilen. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir«, er zögerte, »könnten wir sie mitnehmen.« »Durchaus. Durchaus«, sagte Poirot mild. Der Chauffeur bremste, bis der Wagen schnurrend neben den beiden Mädchen zum Stehen kam. Zwei erhitzte, schwitzende Gesichter hoben sich hoffnungsfroh. Die Tür ging auf, und die Mädchen stiegen ein. »Es ist sehr freundlich, bitte«, sagte die eine höflich mit ausländischem Akzent. »Es ist längerer Weg, als ich denke, ja.« Das andere Mädchen, das offenkundig das Englische kaum beherrschte, nickte lediglich mehrmals dankbar und murmelte lächelnd: »Grazie.« Unter ihrem Kopftuch lugten kastaniendunkel schimmernde, struppige Locken hervor, und sie trug eine große, seriöse Brille. Das englisch sprechende Mädchen redete lebhaft weiter. Sie sei für zwei Wochen auf Urlaub in England. Ihre Heimat sei Rotterdam. Sie habe schon Stratford on Avon, Clovelly, die Kathedrale von Exeter und Torquay gesehen, und »nach Besichtigung von schönem Ort hier und von historischem Dartmouth fahre ich nach Plymouth, um Neue Welt von Plymouth Hoe entdecken«. Das italienische Mädchen murmelte »Hoe?« und schüttelte verwirrt den Kopf. »Sie spricht nicht gut Englisch«, sagte das holländische Mädchen, »aber ich glaube, sie hat eine Verwandte in der Nähe, verheiratet mit einem Herrn, der einen Laden hat für Lebensmittel, daher wird sie auch bei ihnen bleiben. Meine Freundin, mit die ich von Rotterdam komme, hat gegessen Kalb-Schinken-Pastete, was nicht gut war, in Geschäft in Exeter und ist dort krank. Ist nicht immer gut in warme Wetter, die Kalb- und Schinkenpastete.« Der Chauffeur bremste an einer Gabelung. Die Mädchen stiegen aus, bekundeten in zwei Sprachen ihren Dank, dann wies der Chauffeur sie mit einer Handbewegung auf die linke Straße. Auch legte er einen Augenblick seine olympische Zurückhaltung ab. »Auch bei Cornish Pasties sollten Sie Vorsicht walten lassen«, warnte er sie. »Die tun da alles hinein, wirklich, ist eben Urlaubszeit.« Der Wagen bog nach rechts ab und fuhr in einen dichten Waldgürtel. »Ganz nette junge Frauen, manche jedenfalls, wenngleich Ausländerinnen«, sagte der Chauffeur. »Aber absolut schockierend, dass sie überall herumlaufen. Begreifen offenbar nicht, dass es Privatbesitz gibt.« Sie setzten ihren Weg zügig fort, durch einen Wald einen steilen Hang hinunter, dann durch ein Tor und auf eine Zufahrt, die schließlich vor einem großen weißen georgianischen Haus mit Blick auf den Fluss endete. Der Chauffeur öffnete die Wagentür, worauf sogleich ein Butler auf den Stufen erschien. »Mr Hercule Poirot?« »Ja.« »Mrs Oliver erwartet Sie, Sir. Sie befindet sich im Wallgarten. Gestatten Sie, dass ich Ihnen den Weg zeige.« Poirot wurde zu einem gewundenen Weg geleitet, der am Wald entlang verlief und immer wieder Blicke auf den Fluss bot. Der Weg ging unmerklich bergab, bis er schließlich auf eine runde Freifläche mit einer niedrigen, zinnenbewehrten Brüstung führte. Auf der Brüstung saß Mrs Oliver. Sie erhob sich, um ihn zu begrüßen, wobei ihr etliche Äpfel vom Schoß fielen und in alle Richtungen rollten. Äpfel waren bei Begegnungen mit Mrs Oliver offenbar ein unausweichliches Leitmotiv. »Ich begreife nicht, warum ich immer alles fallen lasse«, sagte Mrs Oliver ein wenig undeutlich, denn sie hatte den Mund voll Apfel. »Wie geht es Ihnen, Monsieur Poirot?« »Très bien, chère Madame«, erwiderte Poirot höflich. »Und Ihnen?« Mrs Oliver wirkte etwas verändert gegenüber dem letzten Mal, als Poirot sie gesehen hatte, und der Grund dafür lag, wie sie schon am Telefon angedeutet hatte, darin, dass sie wieder einmal mit ihrer coiffure experimentiert hatte. Beim letzten Mal hatte sie sich eines windgezausten Effekts bedient. Heute dagegen war ihr kräftig blau gefärbtes Haar mit einer Vielzahl ziemlich artifizieller Löckchen in einem Pseudo-Marquise-Stil aufgetürmt. Der Marquise-Effekt endete indes an ihrem Hals; was darunter war, konnte eindeutig als »praktisch-ländlich« etikettiert werden, denn es bestand aus einem grell eidottergelben groben Tweedmantel und -rock sowie einem Pullover in einem ziemlich abstoßenden Senfton. »Ich wusste, Sie würden kommen«, sagte Mrs Oliver fröhlich. »Das konnten Sie doch unmöglich wissen«, erwiderte Poirot streng. »Oh doch.« »Ich frage mich noch immer, warum ich hier bin.« »Nun, ich kenne die Antwort: Neugier.« Poirot sah sie an, und seine Augen blinzelten leicht. »Ihre berühmte weibliche Intuition«, sagte er, »hat sie vielleicht ausnahmsweise einmal nicht allzu weit in die Irre geführt.« »Lachen Sie nur nicht über meine weibliche Intuition. Habe ich den Mörder denn nicht immer gleich identifiziert?« Poirot schwieg galant. Sonst hätte er womöglich geantwortet: »Beim fünften Versuch vielleicht, und auch dann nicht immer!« Stattdessen sagte er, um sich blickend: »Sie haben hier ja einen wahrhaft schönen Besitz.« »Das? Aber das gehört mir doch gar nicht, Monsieur Poirot. Das dachten Sie? O nein, er gehört Leuten namens Stubbs.« »Wer ist das?« »Ach, niemand weiter«, sagte Mrs Oliver vage. »Bloß reich. Nein, ich bin hier aus beruflichen Gründen, ich arbeite.« »Ah, Sie holen sich hier Lokalkolorit für eines Ihrer chefs-d’œuvre?« »Nein, nein. Wie schon gesagt. Ich arbeite. Man hat mich engagiert, um einen Mord zu arrangieren.« Poirot starrte sie an. »Oh nein, keinen echten«, sagte Mrs Oliver beruhigend. »Morgen findet hier ein großes Fest statt, und als eine Art Novum wird es eine Mörderjagd geben. Von mir arrangiert. Wie eine Schnitzeljagd, wissen Sie, aber weil sie schon so viele Schnitzeljagden hatten, wollten sie mal etwas Neues. Und so boten sie mir ein beträchtliches Honorar, wenn ich herkäme und mir etwas ausdächte. Eigentlich ganz lustig – eine schöne Abwechslung von der üblichen Routine.« »Wie funktioniert das?« »Nun, natürlich wird es ein Opfer geben. Und Indizien. Und Verdächtige. Alles recht konventionell – der Vamp, der Erpresser, die jung Verliebten, der finstere Butler und so weiter, Sie wissen schon. Mit einer halben Krone Eintritt bekommt man das erste Indiz in die Hand, dann muss man das Opfer finden und die Waffe und angeben, wer es war und warum. Es gibt auch Preise.« »Bemerkenswert«, sagte Hercule Poirot. »Eigentlich«, gab Mrs Oliver zu, »ist alles viel schwerer zu arrangieren, als man meinen könnte. Weil man berücksichtigen muss, dass echte Menschen recht intelligent sind, was sie in meinen Büchern nicht sein müssen.« »Und um Sie bei diesem Arrangement zu unterstützen, haben Sie mich gerufen?« Poirot bemühte sich nicht sehr, Ärger und Empörung in seiner Stimme zu unterdrücken. »Oh nein«, sagte Mrs Oliver. »Natürlich nicht! Das habe ich alles schon erledigt. Alles ist für morgen bereit. Nein, ich brauche Sie für etwas ganz anderes.« »Und das wäre?« Mrs Olivers Hände wanderten hinauf zu ihrem Kopf. Sie stand schon im Begriff, sich damit in der altvertrauten Gebärde wild durch die Haare zu streichen, als ihr die Komplexität ihrer coiffure einfiel. Stattdessen machte sie ihren Gefühlen Luft, indem sie sich an den Ohrläppchen zupfte. »Wahrscheinlich bin ich blöd«, sagte sie. »Aber ich glaube, da stimmt etwas nicht.« »Da stimmt etwas nicht?...