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E-Book, Deutsch, Band 1, 180 Seiten
Finanzgeschichte
E-Book, Deutsch, Band 1, 180 Seiten
Reihe: Finanzgeschichte & Historische Wertpapiere
ISBN: 978-3-7583-4364-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Peter Christen war tätig in verschiedensten Funktionen bei Schweizer Groß- und Privatbanken in der Schweiz und im Ausland, zuletzt als Chief Executive Officer einer Genfer Privatbank. Darüber hinaus besitzt er eine langjährige und profunde Erfahrung auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzgeschichte und hat auf dem Gebiet «Historische Wertpapiere» zahlreiche wegweisende Schriften publiziert. Er ist Preisträger des internationalen Journalistenpreises Historische Wertpapiere und Finanzgeschichte. Als Präsident des Schweizer Sammlervereins Scripophila-Helvetica und Mitglied in verschiedenen internationalen Sammler- und Spezialisten-Vereinen sowie als Teilhaber des größten Schweizer Auktions- und Handelshauses für Historische Wertpapiere berät er weltweit verschiedenste Sammler, Investoren und Museen im Bereich Historische Wertpapiere.
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Projekt und Gründung
Im Jahr 1882 feiert die Eidgenossenschaft überschwänglich die Eröffnung der Gotthardbahn, die erstmals die Schweizer Alpen mit der Eisenbahn durchquert. Im Kanton Bern mischt sich die Freude jedoch mit einer spürbaren Besorgnis. Während diese neue Bahnverbindung für die Schweiz eine epochale Errungenschaft darstellt, befürchten viele Berner, dass ihr bislang für die Geschicke des Landes massgeblicher Kanton nun zu einem blossen Zubringer degradiert wird, der den alten verkehrspolitischen Rivalen Zürich, Luzern und Basel den wichtigen und lukrativen Alpentransit überlassen muss. Der Wunsch nach einer eigenen Alpenbahn, die Bern direkt mit dem Süden verbindet, lebt weiter. Bald propagiert der Berner Alt-Regierungsrat Wilhelm Teuscher in einer Reihe von Schriften seine Vision einer Bahnlinie, die über Frutigen und durch den Lötschberg führen soll. Nach Jahren kontroverser Debatten setzt sich Teuschers favorisierte Route gegen alternative Trassenführungen über das Breithorn oder den Wildstrubel durch. Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Bau des Simplontunnels vom Wallis nach Italien auch mit Berner Unterstützung immer konkretere Formen annimmt, erhält auch das Berner Alpenbahn-Projekt weiteren Auftrieb. Die Aussicht auf eine direkte Verbindung von Bern durchs Berner Oberland zum Simplon und weiter nach Italien rückt näher. Mit bemerkenswerter Beharrlichkeit gegen alle Widerstände verfolgen die Berner zwischen 1902 und 1913 ihren ehrgeizigen Plan und schaffen mit dem Lötschbergtunnel die zweite grosse Schweizerische Alpentransversale als Zubringer zum 1906 eröffneten Simplontunnel. Das liberale Berner Bürgertum erkennt von Anfang an das enorme Potenzial der geplanten Alpenbahn für die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons. Bereits 1899 erwirbt der Kanton Bern die Konzession für die Strecke Spiez-Frutigen von privaten Investoren. Diese soll zur ersten Sektion einer Normalspurbahn durch den Lötschberg werden. Zwischen 1891 und 1902 verabschiedet das Kantonsparlament drei Dekrete zur Förderung und Subventionierung von Eisenbahnprojekten. Der entscheidende Durchbruch für die Berner Alpenbahn gelingt 1902, als das Berner Volk dem dritten Eisenbahndekret zustimmt, das eine 25-prozentige Beteiligung des Kantons am Bau der Lötschberglinie vorsieht.1 Mit diesem starken finanziellen Engagement der Berner Bevölkerung im Rücken hofft man, nun einfach weitere zahlungskräftige Partner für das ambitionierte Projekt zu gewinnen. Am 21. Juni 1902 lädt der Kanton achtzig Persönlichkeiten zur Gründungsversammlung eines Initiativkomitees für die Lötschbergbahn ein. Dieses Komitee wählt einen sechzehnköpfigen Ausschuss, der sich aus einflussreichen, mehrheitlich freisinnigen Persönlichkeiten zusammensetzt und unter dem Vorsitz des freisinnig-demokratischen Nationalrats Johann Daniel Hirter steht. Die Beschaffung von Gemeindesubventionen und Privatkapital für den Bau der Strecke zählt zu den vorrangigen Aufgaben des Komitees. Auf Bundesebene stösst das Vorhaben auf grossen Widerstand, da andere Regionen der Schweiz ebenfalls eigene Alpenbahnprojekte verfolgen und die Berner Pläne als Konkurrenz betrachten. Der Bund wiederum hat erst kurz zuvor, im Jahr 1902, die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gegründet und die defizitären fünf grossen Privatbahnen verstaatlicht, was mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden war. Die Konsolidierung der SBB absorbiert die Bundesbehörden vollständig. Hinzu kommt die ablehnende Haltung der SBB, die in dem Berner Projekt eine gefährliche Konkurrenz zur Gotthardbahn sehen, welche sie 1909 auch noch übernehmen sollen. Die Bundesbehörden lehnen daher den Bau einer weiteren Alpentransversale entschieden ab. Der Kanton Bern muss sich der Realität stellen, dass eine politische und finanzielle Unterstützung durch die Eidgenossenschaft nicht zu erwarten ist. Deshalb bleibt dem Kanton Bern nichts anderes übrig, als die notwendigen Finanzmittel anderweitig aufzutreiben. In der Hoffnung auf "freundeidgenössische" Solidarität wendet sich der Kanton Bern an die Kantone Wallis, Neuenburg und Solothurn, die ebenfalls im Einzugsgebiet der geplanten Berner Alpenbahn liegen und davon profitieren könnten. Doch die ersten Sondierungsgespräche verlaufen enttäuschend. Die drei Kantone zeigen keinerlei Interesse an einer Beteiligung und weigern sich, die Berner Alpenbahn finanziell zu unterstützen. Der Kanton Wallis befürchtet durch das Lötschberg-Projekt wirtschaftliche Nachteile für das Unterwallis und stemmt sich vehement gegen die vom Kanton Bern angestrebte und vom Bund bereits bewilligte Erweiterung der Lötschbergbahn-Konzession von Visp nach Brig. Viele Beobachter erwarten deshalb schon das Ende des Projektes. Unterstützung aus Frankreich
Unerwartete Hilfe erhält der Kanton Bern aus dem westlichen Nachbarland Frankreich. Seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gehört das bislang französische Territorium Elsass-Lothringen zum Deutschen Reich. Frankreich hat den direkten Zugang zum zentralen Grenzübergang Basel und somit zur Gotthardbahn verloren. Das Land hat deshalb ein starkes strategisches Interesse an einer alternativen direkten Transitroute nach Italien. Der Grenzübergang vom burgundischen Delle nach dem Berner Boncourt soll zum neuen Einfallstor für französische Eisenbahnverbindungen in die Schweiz und weiter nach Norditalien in Richtung Mailand, Genua und Brindisi werden. Zusätzlich ist die Schweiz für Pariser Emissionsbanken von Aktien und Obligationen traditionell ein attraktiver Markt.2 Der französische Finanzmarkt verfügt über reichlich Kapital und jahrzehntelange Erfahrung in der Finanzierung grosser Eisenbahnprojekte weltweit.3 In der Schweiz locken gute Geschäfte. Aktie der Société Centrale des Banques de Province, Action 500 Francs, Paris 15. Juni 1911. Nach der Berner Kantonalbank der grösste Geldgeber der Berner Alpenbahn. (Dunkelviolett / beige) Das Initiativkomitee unter der Leitung von Herrn Hirter stellt sein finanzielles und diplomatisches Geschick unter Beweis: Durch Vermittlung des Lausanner Professors Henri Gollier gelingt der Kontakt mit den auf den Bau von Eisenbahnen spezialisierten französischen Unternehmern Hersent, Duparchy und Vitali für den Bau der Lötschbergbahn. Noch bedeutender ist jedoch, dass diese einflussreiche Gruppe auch die Finanzierung des ambitionierten Projekts massgeblich unterstützt und sogar die diskrete Mithilfe der französischen Regierung gewinnen kann. Zwischen den Berner Visionären und den französischen Unternehmern und Investoren entwickelt sich schnell eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Bereits 1904 schliesst das Komitee mit dem Vertrauensmann der französischen Gruppe, dem Pariser Bankier J. Loste, einen Vorvertrag ab. Loste ist ein erfahrener Spezialist für die Finanzierung von Eisenbahnprojekten und geniesst in der Branche einen exzellenten Ruf. Eine der wichtigsten Bedingungen der französischen Investoren ist, dass sich der Kanton Bern und alle an der Strecke liegenden Gemeinden an der Finanzierung des Projektes beteiligen. Nach zwei Jahren intensiver Verhandlungen und gründlicher Prüfung aller Aspekte liegen schliesslich zwei Verträge vor: ein Bauvertrag, der die technischen Details regelt, und ein Finanzvertrag, der die Finanzierung des Projekts sicherstellt. Der Bau der Berner Alpenbahn rückt damit in greifbare Nähe! Die französische Sicht auf das Projekt der Berner Alpenbahn-Gesellschaft: Der "Grand Tunnel" Moutier-Longéau (Lengnau) und der Grand Tunnel du Loetschberg als zentrale Verbindung Nordeuropas mit Italien (Imprimerie Chaix, Paris). Der Bauvertrag mit der EGL
Im Jahr 1906 bündeln sieben französische und schweizerische Unternehmer4 ihre Kräfte und gründen das Baukonsortium «Entreprise Générale du Chemin de fer des Alpes Bernoises, Berne-Loetschberg-Simplon» (EGL) mit Sitz in Bern. Die EGL übernimmt die gewaltige Aufgabe, die Lötschbergbahn zu bauen. Der Bauvertrag berücksichtigt vor allem geologische und technische Faktoren und basiert auf den bestehenden Plänen der Berner Alpenbahn. Detaillierte Vorgaben zur Trassenführung und zur Wahl der Baumaterialien gibt es nur für den Lötschbergtunnel. Ansonsten geniesst das Baukonsortium erstaunlich grosse Freiheit bei der Umsetzung des Projekts.5 Nach eingehender Prüfung erklärt sich die EGL bereit, den einspurigen Lötschbergtunnel zu einem Festpreis von 37 Millionen Franken zu bauen. Sollte ein Ausbau auf Doppelspur erfolgen, steigt der Preis auf 50 Millionen Franken. Für die Zufahrtsrampen werden jeweils 37 Millionen Franken vereinbart. Interessant ist die Regelung für mögliche Kostenabweichungen: Bei Einsparungen profitiert die Berner Alpenbahn-Gesellschaft zu 75 Prozent, während die EGL 25 Prozent erhält. Überschreiten die Kosten den vereinbarten Rahmen, müssen die Bauunternehmer die Mehrkosten vollständig tragen. Der...