Cherry Deine Worte in meiner Seele
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8025-9922-4
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-8025-9922-4
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ashlyn Jennings' Leben gleicht einem Scherbenhaufen: Ihre Zwillingsschwester ist gerade erst an Krebs gestorben, da schickt ihre Mutter sie zur Familie ihres leiblichen Vaters, den sie eigentlich nur von Geburtstagskarten und missglückten Anrufen zu Weihnachten kennt. Das Einzige, was ihr in der fremden Familie Halt gibt, ist eine hölzerne Schatulle voller Briefe, die ihre Schwester Gabby ihr vor ihrem Tod geschrieben hat - und eine Liste, die Ashlyn durch eine Welt ohne ihre Schwester helfen soll. Dank Gabby landet Ashlyn gleich am ersten Abend in einer kleinen Bar - und begegnet Daniel Daniels. Ashlyn verliebt sich Hals über Kopf in ihn und hat die Hoffnung, dass ihr neues Leben vielleicht doch ein bisschen Glück für sie bereithält - bis sie ihm am nächsten Tag wiederbegegnet: Er ist Mr. Daniels, ihr neuer Englischlehrer ...
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Prolog
DANIEL
— Vor zwanzig Monaten —
I don’t know what to tell you,
I don’t know what to say.
I only know that caring for you brings on more pain.
Romeo’s Quest
Während ich den Jeep vor der Einmündung der Gasse parkte, gingen mir trübe Gedanken durch den Kopf. In diesem Teil der Stadt war ich noch nie gewesen, hatte kaum von seiner Existenz gewusst. Der nächtliche Himmel war trunken von Dunkelheit, und die spätwinterliche Kälte tat ein Übriges, um meine Gereiztheit zu steigern. Mein Blick fiel auf das Armaturenbrett.
Halb sechs Uhr morgens.
Ich hatte mir geschworen, ihm nicht mehr zu helfen. Seine Taten hatten einen riesigen Krater in unsere Beziehung gerissen, hatten alles zerstört, was vorher gewesen war. Aber ich wusste, dass ich mein Versprechen nicht halten konnte. Denn schließlich war er mein Bruder. Selbst wenn er Mist baute – was nicht eben selten geschah –, war er immer noch mein Bruder.
Es dauerte mindestens eine Viertelstunde, bis ich Jace sah. Er kam aus der Gasse gehumpelt und hielt sich die Seite. Ich setzte mich auf, fixierte ihn.
»Verdammt, Jace«, brummte ich, stieg rasch aus dem Wagen und schlug die Tür zu. Ich ging auf ihn zu, betrachtete ihn unter dem Licht einer Straßenlaterne. Sein linkes Auge war zugeschwollen, seine Oberlippe aufgerissen. Sein weißes Hemd war von seinem Blut befleckt. »Was zum Teufel ist passiert?«, flüsterte ich entsetzt und führte ihn zu meinem Jeep.
Er stöhnte nur.
Versuchte zu lächeln.
Stöhnte wieder.
Ich warf die Beifahrertür zu und beeilte mich, wieder hinters Steuer zu kommen.
»Sie haben verdammt noch mal zugestochen.« Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht, erreichte damit jedoch nur, dass sich das Blut weiter verteilte. Er lachte kurz auf, doch seine ganze Erscheinung demonstrierte den Ernst der Lage. »Ich hab Red gesagt, ich würde das Geld nächste Woche haben …« Er zuckte zusammen. »… und er schickt mir diese Typen auf den Hals.«
»Jesus, Jace«, seufzte ich und fuhr los. Der Morgen dämmerte herauf, dennoch schien es dunkler zu sein als zuvor. »Ich dachte, du hättest das Dealen aufgegeben.«
Er richtete sich auf und sah mich mit dem gesunden Auge an. »Hab ich auch, Danny, ich schwör’s.« Er fing an zu weinen. »Ich schwör zu Gott, dass ich damit fertig bin.« Jetzt war klar, dass er nicht nur dealte, sondern das Zeug auch selbst nahm. Shit. »Die wollten mich umbringen, Danny. Ich weiß das. Er hat sie geschickt, damit …«
»Halt’s Maul!«, brüllte ich, weil mich eine Vorahnung beschlich, dass mein kleiner Bruder sterben könnte. Ein Frösteln überkam mich, eine unheimliche Furcht vor dem Unbekannten. »Du wirst nicht sterben, Jace. Halt verdammt noch mal die Klappe.«
Er schluchzte und wimmerte vor Schmerzen, es klang völlig verloren. »Es tut mir leid … Ich wollte dich nicht schon wieder mit hineinziehen.«
Ich beäugte ihn von der Seite und seufzte schwer. Tätschelte ihm den Rücken. »Ist schon in Ordnung«, log ich.
Ich hatte ihn mit seinen Problemen alleingelassen. Hatte mich meiner Musik gewidmet. Mich auf mein Studium konzentriert. Ich war auf dem College, mir fehlte nur noch ein Jahr, dann würde ich etwas aus mir gemacht haben. Aber statt mich auf die Prüfung vorzubereiten, die in wenigen Stunden stattfinden sollte, durfte ich nun Jace verbinden. Großartig!
Er spielte nervös mit niedergeschlagenem Blick mit seinen Händen. »Ich will mit dem ganzen Kram wirklich nichts mehr zu tun haben, Danny. Und ich habe nachgedacht.« Er sah kurz zu mir auf, dann wurde sein Blick flackernd und er richtete ihn wieder zu Boden. »Wenn ich nur wieder in die Band könnte …«
»Jace«, mahnte ich.
»Ich weiß, ich weiß. Ich hab’s vermasselt …«
»Du hast es total verbockt«, stellte ich richtig.
»Ja, okay, stimmt. Aber du weißt doch, das einzige Mal, dass ich glücklich war, nachdem Sarah …« Er zuckte zusammen und konnte nicht weitersprechen. Seine gemarterte Seele wand sich auf dem Autositz. Ich runzelte die Stirn. »Das einzige Mal, dass ich glücklich war seit dem Tag, war bei dem Auftritt mit euch.«
Mein Magen drehte sich um, ich erwiderte nichts darauf. Wechselte das Thema. »Wir sollten dich ins Krankenhaus bringen.«
Er riss sein gesundes Auge auf und schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Krankenhäuser.«
»Warum nicht?«
Er stutzte, dann zuckte er die Achseln. »Die Cops könnten mich in die Finger kriegen …«
Ich zog eine Braue hoch. »Sind die Cops denn hinter dir her, Jace?«
Er nickte.
Ich fluchte.
Also war er nicht nur auf der Flucht vor den miesen Typen von der Straße, sondern auch vor jenen, die solche Typen hinter Gitter brachten. Warum bloß fand ich das nicht erstaunlich?
»Was hast du angestellt?«, fragte ich sauer.
»Spielt keine Rolle.« Ich warf ihm einen kalten Blick zu. Er seufzte. »War echt nicht meine Schuld, Danny. Echt nicht. Hör zu. Vor ein paar Wochen wollte Red, dass ich einen Wagen von hier nach dort fahre, mehr nicht. Und ich hab verdammt noch mal nicht gewusst, was drin war.«
»Du hast also Drogen transportiert?«
»Ich hab’s nicht gewusst! Ich schwör’s bei Gott, ich habe das nicht gewusst!«
Was zum Teufel quatschte er da? Hatte er geglaubt, er würde harmlose Zuckerstangen durch die Gegend kutschieren?
Jace fuhr fort. »Jedenfalls haben die Cops mich an einer Tankstelle angehalten. Als ich rauskam, war der Wagen umstellt. Ein Cop hat gesehen, wie ich fortlief, und hat geschrien, ich soll stehen bleiben, aber ich hab bloß gemacht, dass ich fortkam. Hat sich also doch gelohnt, das viele Lauftraining an der Highschool.« Er kicherte in sich hinein.
»Ach, ist das lustig? Findest du das lustig?« Allmählich lief mir die Galle über. »Ich amüsiere mich riesig, Jace!« Er senkte den Kopf. »Wo willst du überhaupt hin?«
»Bring mich zu Mom und Dad«, bat er.
»Das soll wohl ein Scherz sein? Mom hat dich ein ganzes Jahr nicht gesehen, und jetzt willst du als Erstes zu ihr? So wie du zugerichtet bist? Willst du sie umbringen? Und du weißt doch, wie es um Dads Gesundheit steht …«
»Bitte, Danny!«, wimmerte er.
»Mom macht aber um diese Zeit ihren Morgenspaziergang am See …«, warnte ich ihn vor.
Er schniefte und fuhr sich mit den Fingern unter der Nase entlang. »Ich setz mich einfach so lange ins Bootshaus und sehe zu, dass ich sauber werde.« Er schaute aus dem Fenster. »Ich kümmere mich wirklich darum, dass ich clean werde«, flüsterte er.
Als hätte ich das nicht schon oft gehört.
Wir brauchten zwanzig Minuten bis zum Haus meiner Eltern. Sie wohnten an einem See ein paar Meilen außerhalb von Edgewood, Wisconsin. Dad hatte Mom immer ein Haus am See versprochen, und erst vor einigen Jahren war er in der Lage gewesen, es zu kaufen. Das Haus war im Grunde eine renovierungsbedürftige Hütte, aber es war immerhin ihre renovierungsbedürftige Hütte.
Ich parkte hinter dem Bootshaus. Darin lag Dads Boot, für den Winter vertäut. Jace seufzte wieder und dankte mir dafür, dass ich ihn hergebracht hatte. Wir schlichen in das Bootshaus, durch dessen Fenster das Licht des anbrechenden Tages sickerte.
Ich turnte ins Boot und holte ein paar Handtücher aus der Kajüte. Als ich wieder an Deck kam, saß Jace still da und betrachtete seine Stichwunde.
»So schlimm ist es gar nicht«, sagte er, während er die Hand auf die Wunde drückte. Ich holte ein Taschenmesser hervor, schnitt ein Handtuch in Fetzen und drückte es auf den Schnitt. Jace starrte auf das Messer, dann schloss er die Augen. »Dad hat dir sein Messer geschenkt?«
Ich starrte auf die Klinge, ließ es zuschnappen und stopfte es wieder in die Tasche. »Er hat’s mir geliehen.«
»Ich durfte es nicht mal anfassen.«
Mein Blick glitt zu seiner Stichwunde. »Tja, warum wohl, frage ich mich?«
Bevor er antworten konnte, hörten wir draußen einen Schrei. »Was zum Teufel …« Ich stürzte aus dem Bootshaus, den humpelnden Jace dicht auf den Fersen. »Mom!«, schrie ich, als ich den Fremden im roten Kapuzenpulli sah, der meine Mutter von hinten umschlang und eine Waffe auf ihren Rücken richtete.
»Wie haben sie uns nur gefunden?«, murmelte Jace.
Ich drehte mich zu meinem Bruder um. »Du kennst ihn?!«, fragte ich. Voller Ekel.
Und Zorn.
Und Angst.
Hauptsächlich Angst.
Der Fremde sah mit funkelnden Augen zu uns herüber. Ich hätte schwören können, dass er höhnisch grinste.
Grinste, bevor er abdrückte.
Und als Mom fiel, rannte er davon.
Jace’ Stimme stieg in den Himmel empor. Er brüllte voller Zorn und Angst, als er an Moms Seite eilte, doch ich kam ihm zuvor.
»Mom, Mom. Ist nichts passiert.« Ich wandte mich an meinen Bruder und stieß ihn vor die Brust. »Ruf 911.«
Er stand über uns, die Tränen strömten ihm aus den blutunterlaufenen Augen. »Danny, sie ist doch nicht … Sie wird doch nicht …« Er stammelte, und ich hasste ihn dafür, dass er das Gleiche dachte.
Ich griff in meine Tasche, zerrte mein Handy heraus und drückte es ihm in die Hand. »Ruf an!« Ich hielt Mom in meinen Armen.
Dann sah ich zum Haus und erblickte Dads Gesicht in dem Moment, als er begriff, was geschehen...