E-Book, Deutsch, 896 Seiten
Reihe: Französische Bibliothek
Chateaubriand Erinnerungen von jenseits des Grabes
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95757-434-3
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 896 Seiten
Reihe: Französische Bibliothek
ISBN: 978-3-95757-434-3
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was für ein abenteuerliches Leben: Kindheit in der bretonischen Heide, Wanderungen durch die Wälder der Neuen Welt, Engagement in der konterrevolutionären ?Armée des Princes? in Deutschland, Exil in England. Geschrieben im Stil einer Grabrede, schildert Chateaubriand in seinen Erinnerungen die Hauptepisoden seines wechselvollen Lebens, er schreibt über das Verschwinden von Menschen und Landschaften, von Glauben, Sitten und Institutionen. Er schuf das Epos einer Zeit der Aufstände und Katastrophen, eine Zeit, die er selbst perfekt verkörperte. Monarchist aus Tradition und Treue, verstand er als Historiker und Politiker doch die Notwendigkeit, den Liberalismus zu verteidigen. Die Stimme seiner Erinnerungen lässt die Kräfte auferstehen, die während der Restauration am Werk waren: Bilder des alten Frankreichs mit der Einfachheit des provinziellen Lebens, Gespräche zwischen Männern mit Geschmack und gebildeten Frauen in den Schlössern bei Paris, Rufe ferner Schlachten und politische Umwälzungen. Eine Stimme, die sich nach der Jugend, der Liebe und dem Ruhm sehnt und sich stets an die Nachwelt wendet, um verstanden zu werden.
Francois-René de Chateaubriand, geboren 1768 in Saint-Malo in der Bretagne, war ein französischer Schriftsteller, Offizier und Politiker. Er gilt als der Begründer der Romantik in Frankreich und als ihr bedeutendster Vertreter. Berühmt sind seine drei Erzählungen Atala, ou les amours de deux sauvages dans le désert (1801), René (1802) und Les Aventures du dernier des Abencérages (1827) sowie seine gegen die Aufklärung gerichtete Schrift Le Génie du Christianisme, ou Beautés de la religion chrétienne (1802). Er starb 1848 in Paris.
Weitere Infos & Material
Testamentarisches Vorwort
Sicut nubes … quasi naves … velut umbra.1 Paris, 1. Dezember 1833 Da es mir unmöglich ist, den Zeitpunkt meines Todes vorauszusehen, da die Tage, die einem Menschen meines Alters zugemessen sind, nur eine Gnaden- oder besser Galgenfrist bedeuten, möchte ich aus Furcht, überrascht zu werden, zu einer Arbeit Stellung nehmen, die dazu bestimmt ist, mich über die Langeweile dieser letzten und vereinsamten Stunden, die niemand mag und mit denen nichts anzufangen ist, hinwegzutäuschen. Die Memoiren, an deren Anfang dieses Vorwort steht, werden meinen gesamten Lebenslauf umfassen; sie sind im Jahre 1811 begonnen und bis zum heutigen Tag fortgesetzt worden. Ich erzähle von meiner Kindheit, meiner Erziehung, meiner Jugend, meinem Eintritt ins Militär, meiner Ankunft in Paris, meiner Audienz bei Ludwig XVI., von den Anfängen der Revolution, von meinen Reisen nach Amerika, meiner Rückkehr nach Europa, meiner Emigration nach Deutschland und nach England. Ich berichte von dem Frankreich unter dem Konsulat, meinem Wirken im Kaiserreich, von meiner Reise nach Jerusalem, von meiner Tätigkeit während der Restauration, und schließlich berichte ich über die Geschichte dieser Restauration und ihres Sturzes. Ich bin fast allen Männern begegnet, die zu meiner Zeit eine bedeutende oder auch nur geringe Rolle im Ausland oder in meinem Vaterland gespielt haben: angefangen bei Washington bis zu Napoleon, von Ludwig XVIII. bis Zar Alexander, von Pius VII. bis Gregor XVI. von Fox, Burke, Pitt, Sheridan, Londonderry und Capo-d’Istrias bis Malesherbes und Mirabeau; von Nelson, Bolivar und Mehemet Ali, dem Pascha von Ägypten, bis zu Suffren, Bougainville, La Pérouse, Moreau und anderen. Ich gehörte zu einem Triumvirat, das seinesgleichen sucht. Drei ihren Interessen und ihrer Nationalität nach ganz verschiedene Dichter fanden sich fast gleichzeitig als Außenminister zusammen: ich in Frankreich, Canning in England, Martinez de la Rosa in Spanien. Den öden Jahren meiner Jugend folgten die reichen Jahre der republikanischen Ära, die Glanzzeiten Bonapartes und der Regierung der Legitimität. Ich habe die Meere der Alten und der Neuen Welt durchforscht und alle vier Erdteile bereist. Nachdem ich in der Hütte des Irokesen und unter dem Zelt des Arabers, in den Wigwams der Huronen, zwischen den Trümmern Athens, Jerusalems, Memphis’, Karthagos, bei den Griechen, den Türken und den Mauren, in den Wäldern und in den Ruinen genächtigt sowie die Bärenfelljacke des Eingeborenen und den Seidenkaftan des Mamelucken getragen hatte, nachdem ich Armut, Hunger und Exil hatte über mich ergehen lassen, saß ich als Minister und Gesandter in goldbesticktem, orden- und bändergeschmücktem Rock an der Tafel von Königen, nahm an den Festlichkeiten von Fürsten und Fürstinnen teil, um in Armut zurückzufallen und schließlich sogar das Gefängnis auszukosten. Ich stand mit einer Reihe berühmter Persönlichkeiten in Beziehung, Vertretern des Heeres, der Kirche, der Politik, der Verwaltung, der Wissenschaft und der Künste. Ich besitze zahlreiche Dokumente, mehr als viertausend Privatbriefe, die diplomatischen Schriftwechsel während meiner verschiedenen Gesandtschaften und meiner Zeit als Außenminister, darunter einzigartige, allen anderen unbekannte, nur mich persönlich betreffende Stücke. Ich habe die Muskete des einfachen Soldaten, den Wanderstecken und den Pilgerstab getragen: als Seefahrer war mein Geschick mit der Unbeständigkeit des Windes verbunden; wie der Eisvogel baute ich mein Nest auf den Wogen. Ich habe am Frieden mitgewirkt und am Krieg, ich habe Verträge und Protokolle unterzeichnet und daneben zahlreiche Werke veröffentlicht. Ich war eingeweiht in Partei-, Hof- und Staatsgeheimnisse; ich habe aus allernächster Nähe seltenste Unglücksfälle, größte Glücksfälle und höchsten Ruhmesglanz miterlebt. Ich war an Belagerungen, Kongressen, Konklaven, der Wiederaufrichtung und dem Sturz von Thronen beteiligt. Ich habe Geschichte gemacht und vermochte sie zu schreiben. Und in dieser Welt der Ereignisse, der Katastrophen und Tumulte verlief mein einsames, träumerisches Dichterleben in Gesellschaft der Söhne meiner Fantasie, Chartas’, Renés, Eudores, Aben-Hamets, und der Töchter meiner Schimären, Atalas, Amélies, Biancas, Vellédas, Cymodocées. In meiner Zeit lebend und auch wieder nicht, beeinflusste ich sie vielleicht, ohne es zu wollen und ohne es anzustreben, auf dreifache Weise: in der Religion, der Politik und der Literatur. Mit mir leben nur noch vier oder fünf berühmte Persönlichkeiten. Alfieri, Canova und Monti sind tot. Aus seinen glorreichen Zeiten bewahrt Italien nur noch Pindemonte und Manzoni. Pellico hat seine besten Jahre in den Kerkern des Spielbergs verbracht; in der Heimat Dantes sind die Talente zum Schweigen verurteilt oder gezwungen, auf fremder Erde zu leben. Lord Byron und Canning sind jung gestorben; Walter Scott hat uns verlassen; Goethe ist ruhmreich dahingegangen. Frankreich besitzt fast nichts mehr von seiner so reichen Vergangenheit; es beginnt eine neue Ära. Ich bleibe zurück, um mein Jahrhundert zu Grabe zu tragen wie der alte Priester, der bei der Erstürmung von Béziers die Glocke läuten musste, ehe er, als der letzte Bürger sein Leben ausgehaucht hatte, ins Grab sank. Wenn der Tod den Vorhang zwischen mir und der Welt herablässt, wird sichtbar, dass das Drama meines Lebens sich in drei Akte teilt. In meiner frühesten Jugend bin ich bis 1800 Soldat und Reisender gewesen. Von 1800 bis 1814 war mein Leben unter dem Konsulat und dem Kaiserreich der Literatur gewidmet; von der Restauration bis zum heutigen Tage galt mein Tun der Politik. In meinen drei aufeinanderfolgenden Wirkungsbereichen hatte ich mir stets ein großes Ziel gesetzt: als Reisender hatte ich mir vorgenommen, die Polarwelt zu entdecken; als Schriftsteller habe ich versucht, die Religion auf ihren Ruinen wieder aufzubauen; als Staatsmann habe ich mich bemüht, die Völker das System der Konstitutionellen Monarchie mit seinen verschiedenen Freiheiten zu lehren; ich habe wenigstens dazu beigetragen, die Freiheit zu erobern, die für alle steht, alle ersetzt und die ganze Verfassung repräsentiert, nämlich die Pressefreiheit. Wenn ich bei meinen Unternehmen oft gescheitert bin, war das Schicksal schuld daran. Ausländische Staatsmänner, die ihre Pläne mit Erfolg durchgeführt haben, lebten unter einem guten Stern, sie besaßen mächtige Freunde, und ein friedliches Vaterland stand hinter ihnen; mir wurde dieses Glück nicht zuteil. Von den französischen Autoren meiner Generation bin ich fast der einzige, dessen Leben seinen Werken entspricht. Als Reisender, Soldat, Dichter und Publizist habe ich in den Wäldern die Wälder besungen, auf den Schiffen das Meer dargestellt, auf den Schlachtfeldern vom Krieg gesprochen, im Exil über das Exil geschrieben, an den Höfen, bei den Staatsgeschäften und in der Abgeordnetenkammer die Fürsten, die Politik, die Gesetze und die Geschichte studiert. Die alten griechischen und römischen Redner waren mit dem Gemeinwesen verquickt und teilten dessen Schicksal. In dem Italien und Spanien des späten Mittelalters und der Renaissance nahmen die genialsten Dichter und Künstler an der gesellschaftlichen Entwicklung teil. Welch bewegtes und schönes Leben führten Dante, Tasso, Camões, Ercilla und Cervantes! Im alten Frankreich sangen und schrieben unsere Dichter und Historiker während der Pilgerfahrten und der Schlachten: Thibault, der Comte de Champagne, Villehardouin und Joinville gewannen den Glanz ihres Stils aus den Abenteuern, die sie erlebten; Froissart suchte die Geschichte auf den großen Landstraßen und erfuhr sie von den Rittern und Geistlichen, denen er begegnete und mit denen er des Weges zog. Aber seit der Regierungszeit Franz’ I. lebten unsere Schriftsteller als in sich gekehrte, von der Außenwelt abgeschlossene Existenzen; ihre Werke waren zwar Ausdruck des Geistes, nicht aber der Geschehnisse ihrer Zeit. Wäre es mir vergönnt weiterzuleben, so würde ich in meiner Person, die durch meine Memoiren repräsentiert wird, die Prinzipien, die Ideen, die Ereignisse, die Katastrophen, das Epos meiner Zeit verkörpern. Umso mehr, als ich eine Welt habe enden und eine Welt habe beginnen sehen und sich die entgegengesetzten Charaktere dieses Endes und des Neubeginns in meinen Ansichten wiederfinden. Ich stand zwischen zwei Jahrhunderten wie am Zusammenfluss zweier Ströme. Ich tauchte in ihre schäumenden Gewässer, löste mich mit Wehmut von dem alten Ufer, an dem ich geboren worden war, und schwamm voller Hoffnung dem unbekannten Ufer entgegen, an dem neue Generationen landen werden. Die verschiedenen Teile der Memoiren sind zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten geschrieben worden. Diese Einzelteile erfordern natürlicherweise so etwas wie Einführungen, die an die vorangegangenen Ereignisse erinnern und die Stätten beschreiben, an denen ich den Faden meiner Erzählung wieder aufnehme. Die verschiedenen Ereignisse und die wechselnden Formen meines Lebens verschachteln...