Chaplet / Coelen / Moor-Blank | Muscheln, Mousse und Messer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: Kulinarische Krimianthologien

Chaplet / Coelen / Moor-Blank Muscheln, Mousse und Messer

Eine kulinarische Krimi-Anthologie

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: Kulinarische Krimianthologien

ISBN: 978-3-95602-016-2
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Gustave Kreydenbach lauschte auf sein Herz. Wie viele Schläge würde es ihm noch gewähren, wie viele Atemzüge, wie viele Mahlzeiten?"

Der Mensch isst, um zu leben; der Franzose lebt, um zu essen. Die französische Küche vereint die regionale Vielfalt an frischen, hochwertigen Zutaten mit raffinierten und kräftigen mediterranen Aromen. Die geniale Kombination bei der einheimische Weine und Champagner nicht fehlen dürfen, beruht nicht zuletzt auf der landschaftlichen Vielfalt Frankreichs. Fruchtbare Felder, üppiges Weideland und weltberühmte Weingärten verführen zu einer Schlemmerreise durch das Land der Tafelfreuden. Kulinarische Köstlichkeiten, für die man sterben könnte … manche sogar sterben müssen. Die Kriminalschriftstellerin Ingrid Schmitz hat ihre Kolleginnen und Kollegen gebeten, sich des delikaten Themas anzunehmen und ihr ein besonderes Menü zu liefern. Zusammengekommen sind 16 Krimi-Kurzgeschichten nebst nachkochbaren Rezepten, serviert auf humorvolle, makabere oder tiefgründige Art.
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Weitere Infos & Material


Anne Chaplet - Caillettes
Ina Coelen - Perditas Tränen
Astrid della Giustina - Das normannische Loch
Alexandra Guggenheim - Voyage à trois
Carsten Sebastian Henn - Das Sükrüt seiner Mutter
Beatrix Kramlovsky - Wild
Ralf Kramp - Weisses Gold
Tatjana Kruse - Das große Zittern der Chefköche Frankreichs
Ulla Lessmann - Der Fremde im Weinberg
Susanne Mischke - Seitenlinien
Heidi Moor-Blank - Ein himmlisches Omelett
Renate Müller-Piper - Tabula rasa
Niklaus Schmid - Wohnungstausch
Ingrid Schmitz - Weißt Du noch?
Bärbel Schoening - Sei vorsichtig
Klaus Stickelbroeck - Französische Versuchung


Anne Chaplet
Caillettes »Ahhh, Bernard! Heute schon so früh?« Charlot goß einen Fingerbreit Ricard ins Glas und stellte es neben die Wasserkaraffe auf den Tresen. »Darfst dich wohl zu Hause gar nicht mehr blicken lassen, was?« Bernard brummte, goß Wasser ins Glas und zwirbelte es zwischen den Fingern, bis der rotzweiße Pastis Blasen schlug. »Läßt sie dich denn noch ins Schlafzimmer?« Charlot hielt ein Bierglas unter den Zapfhahn und ließ den Zahnstocher wippen, auf dem er kaute. »Ins Bad offenbar nicht, sonst hättest du dich mal rasiert, oder?« Der Alte hob den Kopf und starrte auf Charlots Glatze. Man hatte einen ganz schönen Verbrauch an Zahnstochern, wenn man in der eigenen Kneipe nicht mehr rauchen durfte, dachte er. »Aber mach dir nichts draus. Das gibt sich wieder.« Charlot stellte das Bier zu den drei anderen aufs Tablett, für Marie-Chantal, die draußen servierte. Draußen saßen die Touristen. Drinnen die Stammkunden. Alte Knacker, wie Bernard, bei denen der Feierabend immer früher begann, seit sie auf ihn nicht mehr warten mußten. Allerdings nicht schon nachmittags um vier. Heute war er der Erste. Charlot wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab, das er im Hosenbund stecken hatte. »Sie wird drüber hinwegkommen.« Bernard deutete wortlos auf sein leeres Glas. Trinken war das einzige, was Charlots Geschwätz erträglich machte. »Und du hast es ja nicht mit Absicht getan, wie?« Nicht mit Absicht? Bernard hätte fast gegrinst. Ganz im Gegenteil. Mit voller Absicht. Mit Hingabe. Mit Genugtuung hatte er den fetten Köter überfahren, unten in der Ruelle des Camisards, kurz vor dem Haus. Mit Befriedigung hatte er den Schlag und das helle Jaulen und das Schmatzen gehört, als er den Rückwärtsgang eingelegt hatte, um ein weiteres Mal über das verfluchte Vieh hinwegzurollen. Er hätte noch stundenlang so weitermachen können, so lange, bis er den widerlichen Fleisch-Fett-Fell-und-Knochen-Haufen in den Asphalt gewichst hätte. Aber dann mußte eine wildgewordene Touristin zu kreischen beginnen. »Und was zu Essen kriegst du wohl auch nicht mehr, was? So dünn wie du bist.« Charlot stellte ein frisches Glas auf den Tresen. Noch war der Pastis im Glas klar. Bernard gab tropfenweise Wasser aus der Karaffe hinzu. Jetzt wurde die Flüssigkeit undurchsichtig wie feiner Nebel. Er mochte das. »Soll ich dir einen Happen machen?« »Danke, geht schon«, murmelte der Alte. Schlimm genug, daß er neuerdings hier zu Mittag essen mußte. Da mußte er sich nicht auch noch abends den Magen verrenken. »Muß abnehmen. Hoher Blutdruck. Der Doktor. Du weißt.« Endlich kamen die anderen. Adeline beobachtete ihn. Sobald er hochschaute, blickte sie weg. Aber er wußte, daß sie heimlich nach ihm sah. Bernard saß auf der Bank, die Ellenbogen auf den Küchentisch gestützt, und schlürfte den Kaffee, den er sich gemacht hatte. Heute schon ganz früh, noch bevor sie aufgestanden war. Duftende Bohnen, mit der Mühle gemahlen, schwarz und stark und ohne Milch. Kein Zucker. Und dann hatte er zwei frische Baguettes von der Boulangerie geholt, die noch in ihrem Papier auf dem Küchentisch lagen. Er riß ein Stück von der goldgelben Kruste ab und stopfte es sich in den Mund. Keine Butter. Keine Marmelade. Man weiß ja nie. Jetzt wieselte sie durch die Küche und bereitete das Mittagessen vor. Klapperte mit Töpfen und Pfannen. Sagte kein Wort. Seit dem Tod von Bijou sprach sie nicht mehr, jedenfalls nicht mit ihm. Sie weinte nicht. Sie schrie nicht. Aber sie beobachtete ihn. »Es war ein Unfall«, hatte er gestottert, als er nach Hause gekommen war. Sie hatte das Vieh schon vermißt und nach ihm gerufen. Mit gerötetem Gesicht stand sie in der Haustür. Sah ihn an. Sagte nichts. »Er ist mir ins Auto gelaufen.« Ihre Mundwinkel hatten gezuckt, kaum merklich. »Ich konnte nicht mehr bremsen.« Sie hatte ihm den Rücken zugedreht. Und zwei Stunden später das Essen serviert. Das erste Mal, seit sie verheiratet waren, seit zweiundfünfzig Jahren also, hatte er keinen Bissen heruntergekriegt. Er hörte das Stakkato des Küchenmessers auf dem Schneidebrett. Es begann, nach Zwiebeln, Knoblauch und Thymian zu riechen. Dann hörte er es zischen. Der Duft von angedünstetem Mangold stieg ihm in die Nase. Hastig drückte er sich aus der Eckbank und stand auf. »Ich geh dann mal«, sagte er lahm. Sie antwortete nicht. »Du siehst hungrig aus, mon chou«, sagte Marie-Chantal und tätschelte ihm den Arm. »Einen pichet? Was zu Essen?« »Nummer drei«, sagte Bernard und ließ sich resigniert am Tisch neben dem Spielautomaten nieder. Die kackbraune Tischplatte fühlte sich klebrig an. Das wurde auch nicht besser, nachdem Marie-Chantal mit einem müffelnden Lappen darübergewischt hatte. Er kam sich verloren vor. Niemand, der sich auskannte, aß im »Chez Charlot«. Nur die Touristen. Aber die saßen draußen, die liefen jedem Sonnenstrahl hinterher. Holländer oder Deutsche oder Belgier. Er verstand ihre Sprache nicht. Aber er war sich sicher, daß sie vom französischen savoir vivre schwärmten, von der tollen Küche, den guten Weinen, dem schönen Wetter. Niemand von den Einheimischen käme deswegen ins Schwärmen. Bei Charlot traf man sich abends auf ein Glas und besprach die Dinge. Aber essen? Zum Essen geht ein französischer Mann nach Hause, jeden Tag, pünktlich zwischen eins und drei. Niemand kocht so gut wie Maman. Oder wie die Ehefrau. Und niemand kochte so gut wie Adeline. Alle wußten das. Und alle zerrissen sich das Maul darüber, daß Bernard seit drei Wochen Stammgast bei Charlot war. Was hatte sich da wohl abgespielt, nachdem Bernard Adelines Hund überfahren hatte? Bijou, ihren Augapfel, ihr ein und alles? Essen durfte Bernard ganz offenkundig nicht mehr zu Hause. Vielleicht mußte er auch in der Badewanne schlafen? Vielleicht strafte sie ihn noch ganz anders, auf unbekannte, spannende Weise? Bernard wußte, warum er nicht mehr zu Hause aß. Nicht, weil sie es befohlen hätte, sondern weil es für ihn das beste war. Er kannte seine Frau. Er wußte, daß sie sich rächen würde. Er wußte nur noch nicht, wann und wie. Und deshalb kam er jeden Mittag hierher. Aß jeden Mittag eines von drei gleichermaßen abscheulichen Gerichten: Rumpsteak mit grünen Bohnen und Pommes. Omelette mit Dosenchampignons. Caillettes mit Salat. Litt stumm. Zahlte bar. Und begriff langsam, daß das, genau das, ihre Rache war. Das Rumpsteak war zäh, die Bohnen schlapp gekocht, die Eier rochen nach Fischmehl, die Pilze schmeckten gummiartig und die Caillettes … Er schüttelte sich beim bloßen Gedanken daran. Nur einmal hatte er Charlots Fleischklöße probiert und dann nimmermehr. Wahrscheinlich bezog der alte Geizhals sie en gros vom Großhandel und lagerte sie schon seit Jahren in seiner vorsintflutlichen Tiefkühltruhe bei viel zu hohen Temperaturen. Das war nichts für jemanden, der Adelines Küche gewohnt war. Wer ihre Caillettes gegessen hatte, würde nie wieder behaupten, das sei ein Armeleuteessen, eine aus der Not geborene Resteverwertung, weil man alles darin verwursten konnte, was sonst im Abfall gelandet wäre. Also typisch für die Ardèche, in der man nur wenige Jahrzehnte wohlhabend gewesen war – als die Seidenraupen und die Kastanienbäume noch nicht krank wurden und starben. Alles Unsinn. Adelines Caillettes waren etwas für Könige. »Danke, meine Liebe«, sagte er, als Marie-Chantal die Karaffe mit dem sauren Rosé vor ihn hinstellte. Dieses Essen! Dieser Wein! War das nicht langsam Buße genug für eine totgefahrene Töle? Eine häßliche, faule, stinkende Promenadenmischung. Gott allein wußte, wieso Adeline ihre Liebe an so ein nutzloses Vieh verschwendet hatte. Bijou hier. Bijou dort. Mimimimimi und dududududu. Häschen und Mäuschen und Liebchen und – Ferkelchen! Die Bezeichnung war noch am passendsten gewesen für den fetten Rollmops. Und immer Häppchen. Immer vom Feinsten. Für das liebe Häschen. Schnuckelchen. Babylein. Hasimausimuckelchen. Seine Schuld. Er hatte sich nichts dabei gedacht, als er ihr eines Abends das kleine Fellknäuel mitbrachte. Mutterlos, weil ein Traktor die Alte erwischt hatte. Sein Nachbar hatte ihn händeringend darum gebeten, ihm den letzten Welpen des Wurfs abzunehmen. Er hätte sich denken können, was daraus folgte: Adeline entwickelte Muttergefühle – und das in ihrem Alter! Das arme, mutterlose Tier! Da konnte man doch nicht … Da mußte man ja! Genau. Und er hatte auch noch gedacht, das wäre gut für sie, so ein Schmusetier. Da hätte sie Gesellschaft, wenn er mal unterwegs war. Oder abends in die Kneipe ging. Damit sie nicht allein wäre, jetzt, wo die Kinder aus dem Haus waren. Idiot. Blöder. Schnuckilein bezog ein weich gepolstertes Kistchen direkt neben dem Ehebett. Wenn es nachts wimmerte, mußte man aufstehen und es zum Pipimachen rauslassen. Man? Er. Nicht etwa Adeline. Und morgens war er wieder dran. Weil ein bißchen Bewegung mit dem Hund ja gut für die Gesundheit war. Das gleiche Elend vor dem Schlafengehen. Vielen Dank auch. Als ob das tägliche Holzhacken für den Küchenherd nicht reichte. Sein Essen bekam das Aas in einem feinen Porzellanschüsselchen serviert. Hier ein Filetchen, da ein Fischchen. Zwischendrin...


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