E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Chamovitz Was Pflanzen wissen
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-446-25776-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie sie hören, schmecken und sich erinnern. Erweiterte Neuausgabe
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-446-25776-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Daniel Chamovitz, geboren 1963, ist Direktor des Manna Center for Plant Biosciences an der Universität von Tel Aviv. Er gibt Vorlesungen in der gesamten Welt. Nature und Scientific American berichten regelmäßig über seine Forschung. Der Autor lebt in der israelischen Stadt Hod haSharon. Sein Buch Was Pflanzen wissen erschien in14 Ländern.
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Vorwort
In den fünf Jahren, die seit der Veröffentlichung der ersten Auflage von Was Pflanzen wissen vergangen sind, war ein lebhafter Aufschwung des Interesses an den Sinnen von Pflanzen zu beobachten. Das Tempo der wissenschaftlichen Entdeckungen in der Pflanzenbiologie ist so schnell, dass diese Neuauflage bahnbrechende Informationen enthält, die manchen Schlussfolgerungen in der Erstauflage diametral entgegengesetzt sind. Sowohl die Gemeinschaft der Wissenschaftler als auch die populärwissenschaftliche Presse haben sich weit von der Pseudowissenschaft entfernt, die für einen Großteil des anfänglichen Interesses an den Sinneswahrnehmungen der Pflanzen typisch war und gegen die etablierte Pflanzenkundler zu Felde zogen. In einer Zeit des wachsenden nationalen Isolationismus ist das globale Interesse daran, wie Pflanzen auf ihre Umwelt reagieren, beruhigend. Der große Anklang, den Was Pflanzen wissen in Peking und in München, in San Francisco und in Seoul gefunden hat, legt Zeugnis für den universellen Wunsch ab, unsere grünen Nachbarn zu verstehen.
Und warum sollte dieses Interesse auch nicht universell sein? Schließlich sind wir ganz und gar auf Pflanzen angewiesen. Wir erwachen in Häusern, deren Holz aus den Wäldern von Maine stammt, schenken uns eine Tasse Kaffee aus brasilianischen Kaffeebohnen ein, ziehen ein T-Shirt aus ägyptischer Baumwolle an, drucken einen Bericht auf Papier aus, das aus tasmanischen Eukalyptusbäumen hergestellt wurde, und fahren unsere Kinder in Autos zur Schule, die mit Benzin angetrieben werden, das seinen Ursprung in vor Jahrmillionen abgestorbenen Palmfarnen hat und das auf Gummireifen fährt, die aus in Afrika gewonnenem Kautschuk sind. Chemische Substanzen, die aus Pflanzen extrahiert werden, senken Fieber (denken Sie an Acetylsalicylsäure) und dienen der Behandlung von Krebs (Paclitaxel). Weizen leitete das Ende eines Zeitalters und den Beginn eines neuen ein, und die bescheidene Kartoffel führte zu großen Auswanderungswellen. Und Pflanzen inspirieren und erstaunen uns noch immer: Die mächtigen Mammutbäume sind die größten eigenständigen Organismen auf der Erde, Algen gehören zu den kleinsten, und Rosen zaubern ein Lächeln auf jedes Gesicht.
Mein Interesse an den Parallelen zwischen den Sinnesorganen von Pflanzen und Menschen erwachte, als ich in den 1990er-Jahren ein junger Postdoctoral Fellow an der Yale University war. Ich wollte speziell die biologischen Prozesse von Pflanzen näher erforschen, ohne eine Verbindung zur Biologie des Menschen herzustellen (wahrscheinlich als Reaktion auf die sechs weiteren Doktoren in der Familie, die allesamt Ärzte sind). Daher reizte mich die Frage, wie Pflanzen Licht für die Steuerung ihrer Entwicklung nutzen. Bei meinen Untersuchungen entdeckte ich eine einzigartige Gruppe von Genen, die eine Pflanze braucht, um feststellen zu können, ob sie sich gerade im Licht oder im Dunkeln befindet.1 Zu meiner großen Überraschung und entgegen all meinen Plänen entdeckte ich später, dass dieselbe Gruppe von Genen auch Teil der menschlichen DNA ist.2 Das führte zu der naheliegenden Frage, welche Aufgaben diese scheinbar »pflanzenspezifischen« Gene beim Menschen haben. Viele Jahre später und nach umfangreicher Forschungsarbeit wissen wir, dass diese Gene nicht nur bei Pflanzen, Tieren und Menschen vorkommen, sondern dass sie (neben anderen Entwicklungsprozessen) auch bei allen die Reaktion auf Licht regulieren!3
Das brachte mich zu der Erkenntnis, dass der genetische Unterschied zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen nicht so signifikant ist, wie ich bis dahin geglaubt hatte. Ich begann schon nach den Parallelen zwischen der Biologie von Pflanzen und Menschen zu fragen, als meine eigene Forschungsarbeit nicht mehr der Untersuchung der pflanzlichen Reaktion auf Licht, sondern der Leukämie bei Fruchtfliegen galt. Dabei entdeckte ich, dass es zwar keine Pflanze gibt, die sagen kann: »Gieß mich, Seymour!«, dass es jedoch viele Pflanzen gibt, die eine ganze Menge »wissen«.
Im Allgemeinen schenken wir den außerordentlich hoch entwickelten Möglichkeiten der Sinneswahrnehmung von Blumen und Bäumen, die direkt vor unserer Nase im eigenen Garten wachsen, eher wenig Beachtung. Die meisten Tiere können ihre Umgebung wählen und bei einem Sturm Schutz suchen, aktiv nach Nahrung und einem Partner Ausschau halten oder im Rhythmus der Jahreszeiten in wechselnde Regionen ziehen. Pflanzen müssen dagegen fähig sein, ständig veränderlichem Wetter, raumgreifenden Nachbarn und Angriffen von Schädlingen standzuhalten und sich anzupassen, ohne an einen besseren Standort umziehen zu können. Deshalb haben Pflanzen komplexe Systeme der Sinneswahrnehmung und Regulierung entwickelt, die ihnen erlauben, bei ihrem Wachstum die wechselhaften Bedingungen zu berücksichtigen. Eine Ulme muss wissen, ob ihr Nachbar Schatten auf sie wirft und ihr die Sonne wegnimmt, damit sie einen Weg findet, dem erreichbaren Licht entgegenzuwachsen. Ein Kopfsalat muss wissen, ob gefräßige Blattläuse im Begriff sind, ihn zu vertilgen, damit er zu seinem Schutz giftige chemische Stoffe erzeugen kann, die die Schädlinge töten. Eine Douglasie muss wissen, ob peitschende Winde an ihren Zweigen rütteln, damit sie einen entsprechend stärkeren Stamm ausbilden kann. Kirschbäume müssen wissen, wann sie blühen sollen, damit Blütezeit und Fruchtreife in die geeigneten Jahreszeiten fallen.
Auf der genetischen Ebene sind Pflanzen komplexer als viele Tiere, und eine ganze Reihe der wichtigsten Entdeckungen in der gesamten Biologie stammt aus der Erforschung der Pflanzen. Robert Hooke entdeckte 1665 als Erster Zellen, als er mit einem selbstgebauten Mikroskop Kork untersuchte. Im 19. Jahrhundert erarbeitete Gregor Mendel anhand von Erbsenpflanzen die Prinzipien der modernen Genetik, und Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte Barbara McClintock an Maispflanzen, dass es sogenannte »springende Gene« gibt. Inzwischen weiß man, dass diese springenden Gene ein Merkmal jeglicher DNA und eng mit dem Auftreten von Krebs beim Menschen verknüpft sind. Und obwohl wir in Darwin vor allem einen der Gründerväter der modernen Evolutionstheorie sehen, fielen doch einige seiner wichtigsten Entdeckungen speziell in den Bereich der Pflanzenbiologie. In diesem Buch werden wir eine ganze Reihe von ihnen kennenlernen.
Meine Verwendung des Wortes »wissen« ist offenkundig unorthodox. Pflanzen haben kein Zentralnervensystem, eine Pflanze hat kein Gehirn, das Informationen für ihren gesamten »Körper« koordiniert. Dennoch sind die verschiedenen Teile aufs Engste miteinander verbunden, und Informationen über Licht, chemische Stoffe in der Luft und die Temperatur werden ständig zwischen Wurzeln und Blättern, Blüten und Stängel ausgetauscht, damit die Pflanze sich optimal auf ihre Umwelt einstellen kann. Wir können menschliches Verhalten nicht mit der Funktionsweise von Pflanzen in ihrer Welt gleichsetzen, aber ich möchte Sie bitten, mir freundlicherweise zu gestatten, dass ich im ganzen Buch eine Begrifflichkeit benutze, die normalerweise dem menschlichen Erleben vorbehalten ist. Wenn ich frage, was eine Pflanze sieht oder riecht, will ich damit nicht behaupten, dass Pflanzen Augen oder Nasen haben (oder ein Gehirn, das alle Sinneseindrücke mit Emotionen färbt). Aber ich glaube, diese Begrifflichkeit fordert uns dazu heraus, auf neue Weise darüber nachzudenken, was Sehen und Riechen ist, was eine Pflanze ist und letztlich auch, was wir sind.
Mein Buch ist nicht wie Das geheime Leben der Pflanzen; wenn Sie Argumente dafür suchen, dass Pflanzen genauso sind wie wir, werden Sie hier nicht fündig. Denn wie der namhafte Pflanzenphysiologe Arthur Galston schon 1974 erklärte, als das Interesse an diesem populären, aber wissenschaftlich mageren Buch auf dem Höhepunkt war, müssen wir uns vor »bizarren Behauptungen« in Acht nehmen, »die ohne angemessen stichhaltige Beweise aufgestellt werden.«4 Das Schlimme war, dass Das geheime Leben der Pflanzen nicht nur leichtgläubige Leser in die Irre führte, sondern sich auch in der Wissenschaft niederschlug und wichtige Untersuchungen über das Verhalten von Pflanzen im Keim erstickte, da die Forscher sich nun vor allen Studien hüteten, die Parallelen zwischen den Sinnen von Menschen, Tieren und Pflanzen auch nur andeuteten.
In den über 40 Jahren, die seit dem großen medialen Wirbel um Das geheime Leben der Pflanzen vergangen sind, haben Wissenschaftler ein weit tieferes Verständnis für die Biologie der Pflanzen erlangt. In Was Pflanzen wissen werde ich die neuesten Forschungen auf dem Gebiet der Pflanzenbiologie ausloten und behaupten, dass Pflanzen tatsächlich über Sinne verfügen. Dabei bietet dieses Buch keinesfalls einen erschöpfenden und vollständigen Überblick darüber, was die moderne Wissenschaft über die Sinne von Pflanzen zu sagen hat, denn das würde ein Werk erfordern, das allen außer einer Handvoll unerschrockener Leser verschlossen bliebe. Stattdessen beleuchte ich in jedem Kapitel einen unserer menschlichen Sinne und vergleiche, was dieser Sinn für uns bedeutet und was für Pflanzen. Ich beschreibe, wie die Sinneseindrücke wahrgenommen, wie sie verarbeitet werden und welche ökologischen Implikationen dieser Sinn für eine Pflanze hat. Außerdem werde ich in jedem Kapitel sowohl die historische Perspektive des Themas aufzeigen als auch die moderne Betrachtungsweise erläutern.
Vielleicht haben Sie Lust, sich in dem Wissen, was Pflanzen alles für uns leisten, einen Augenblick Zeit zu nehmen, um mehr darüber zu erfahren, was Wissenschaftler über sie...