Cendrars / Zweifel | Ich tötete - ich blutete | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 199 Seiten

Cendrars / Zweifel Ich tötete - ich blutete

Erzählungen aus dem Grossen Krieg

E-Book, Deutsch, 199 Seiten

ISBN: 978-3-85787-595-3
Verlag: Lenos
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Am 3. August 1914 erklärt das Deutsche Reich Frankreich den Krieg. Nicht nur Franzosen begeistern sich für die Mobilmachung, auch Ausländer wie der 26-jährige Schweizer Frédéric Louis Sauser wollen ihre Wahlheimat verteidigen. Einen Aufruf zur freiwilligen Musterung unterzeichnet er mit seinem Pseudonym: Blaise Cendrars. Ein Jahr später kehrt er schwerverletzt von der Front zurück. Der Krieg hat nicht nur an seinem Körper Spuren hinterlassen, auch sein Schreiben wird nie mehr sein wie zuvor. Stefan Zweifel hat eine Auswahl von Prosatexten zusammengestellt, in denen Cendrars seine Kriegserfahrungen reflektiert. »Ich tötete«, 1918 in einer von Fernand Léger illustrierten schmalen Broschüre erschienen, ist das grausame Geständnis eines legalen Mordes, der Aufschrei eines Soldaten, der im Zweikampf um sein nacktes Überleben kämpfen musste. Zwanzig Jahre später erschien das bewegte, pathetische Gegenstück dazu, die Kurzgeschichte »Ich blutete«: Der frisch armamputierte Cendrars liegt im Lazarett, Schmerzen, Fieber und Erinnerungen an das Schlachtgetümmel umnebeln ihn, der Todesengel naht. Doch da geschieht ein Wunder. Ich tötete - ich blutete: Cendrars war im Grossen Krieg Täter und Opfer, er kannte beide Seiten.
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Vorwort
Gibt es einen monströseren Beweis, ein schlagenderes Schauspiel, eine offenkundigere Bestätigung für die Ohnmacht und den Wahn des Gehirns als den Krieg? Die Philosophien, die Religionen, die schönen Künste, die Technik und jegliches Handwerk münden einzig und allein in ihm. Die zartesten Blüten der Zivilisation. Die reinsten Denkgebäude. Die hochherzigsten Leidenschaften des Altruismus. Die heroischsten Gesten der Menschen. Alles: Krieg. Heute wie vor tausend Jahren, morgen wie vor hunderttausend Jahren. Blaise Cendrars, Moravagine (1926) Von den Granaten zerfetzt, gerät Blaise Cendrars in einen Zustand der mordenden Lust. Am 28. September 1915 verlor er in einer ebenso sinnwie aussichtslosen Attacke seine rechte Hand. Nun schweift er durch die Strassen von Paris, Messerstiche verteilend, sich betrinkend, hurend, den Exzess und die negative Ekstase suchend, da er der positiven, der Ekstase des Schreibens, – noch – ausweicht. In ihm wütet Moravagine, die grosse Figur seines Lebens, die Figur seines wichtigsten, bis heute verkannten Romans. Moravagine tötet in seinem Namen schon die Vagina, jene Schamlippen, die sich über den Schützengräben des Krieges schlossen. Naiv und herzig schildert Cendrars die plumpen Sprüche der marodierenden Soldaten, die vom Sumpf der Somme in den Sumpf des Pariser Marais kommen und in zwei Tagen das Leben nachholen oder überhaupt die letzte Frist ihres Lebens voll auskosten wollen. Moravagine also beschützt ihn und richtet ihn auf dem Schlachtfeld, wo ihm der linke Arm zerschossen wurde, noch einmal auf, und doch, nach der Pflege im ehemaligen Bischofssitz Sainte-Croix in Châlons-sur-Marne (Ich blutete) findet er im zivilen Leben nicht zurück in das Fieber der Kreation, wie es die Prosa von der Transsibirischen Eisenbahn auszeichnete, deren 150 aufgefaltete Exemplare er, megalomanisch, zur Höhe jenes Eiffelturms aneinanderreihen wollte, der sein Werk bis ins Spätwerk erleuchten wird, weicht auch nicht aus nach Panama und an all jene Orte der Welt, aus denen er seine vergangenen und künftigen Geschichten zusammentragen wird, sondern möchte in einem kleinen Dorf Mädchen morden, die eigene Magd – das Messer in den Spiegel der Pfützen treibend, aus dem ihm die verzerrte Visage seines anderen Ichs, Moravagine, entgegengrinst. In letzter Not rettet er sich in ein anderes Dorf und ins Schreiben. 2014 stehen wir wieder vor einer Flut wohlmeinender Bücher, die den Schrecken des Krieges anklagen, ohne die blendende Schönheit dieses Schreckens zu beschreiben, die viele in ihren Bann zog und die auch Cendrars nicht leugnete, sondern später dann, unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges, mit gutem Grund immer mehr aus seinen Schriften ausblendete. Es ist jene Kippfigur, wo das Heroische des Soldaten, das auch Ernst Jünger, dem 1870er Krieg nachhängend wie viele Nostalgiker der frühen Moderne, suchte, dann eben gerade nicht Platz fand in den Schützengräben, sondern verdrängt wurde von Ingenieuren des Todes, von der Technik selbst, die sich aufbäumt und den Menschen nur noch zu benutzen scheint, um Fleisch in Fetzen zu schiessen – wie es dann im Blitzkrieg des Zweiten Weltkrieges sich zeigen wird, wenn Jüngers Glas mit dem Schein der untergehenden Sonne über Paris zur Neige geht. Bis zu elfmal schreibt Jünger sein In Stahlgewittern um, Cendrars kramt wieder und wieder seine alten Papiere hervor, und aus der kurzen Skizze La Main coupée von 1918 entsteht mit dem gleichnamigen Buch von 1946 ein grandioses Kaleidoskop des Krieges. Aber gerade die alltäglichen Szenen, das Banale, bewahren sich einen Abglanz der Faszination und der ewigen Nostalgie nach diesem ambivalenten Moment seines Lebens. Wenn Cendrars’ Hündchen, nett dressiert, zu den Feinden trippelt wie ein Igel, trunksüchtig auch wie die Soldaten, von einem Becherlein zum nächsten taumelt, in den Tod. Ihm selbst wird bei einer Kanufahrt der Krieg zur Insel, zur Robinsonade. Aber das Tasten und Suchen seiner Manuskripte zeigt, dass er das Grauen des Gaskrieges nur flüchtig gestreift hat. So hält er sich zu Recht zurück. Und so mischen sich in Die rote Lilie eher konventionelle Anklagen des Krieges und der Dummheit der Generalität mit dem vielfach verdrängten Jauchzen beim Morden in den Schützengräben, dem Idyll des Lesens in der Sonne der Somme, mit Indianerspielen und Bubenstreichen mit einem Phonographen an Weihnachten, den sie für die Deutschen mit einem »Rosenkranz von Petarden« füllten, mit all jenen schwer einzugestehenden Momenten, die jene Nostalgie nach dem Schlachtfeld anklingen lassen, die er im erst postum edierten Text unseres Mottos umreisst – in diesem Zögern und Tasten zeigt sich die Ambivalenz, das Antlitz von Schönheit und Schrecken, das Cendrars’ Werk so einzig macht in seiner Art. Als Cendrars dalag, auf das Lazarettbett gebettet und den Arm, seinen Stumpf, eingewickelt in Bandagen, als er so, im Gegenstück zu J’ai tué, in J’ai saigné, ein Universum des Schmerzes auf das andere durchquerend, dalag und sich bog vor Qual, wie sich die hysterischen Frauen in den Kliniken hinaufbogen, um mit ihrem Körper den Kreis der Erdkraft und der Sinnstiftung zu verlassen, um hinauszuschiessen, als Tangente das Unmögliche berührend, jenen Raum also, den die Poesie umkreist, als Cendrars so dalag, konnte er noch nicht ahnen, dass er wie der zum Idiot geschossene Bettgenosse aus Ich blutete, der nur noch voll Beseligung das Wort CACA stammeln kann, dieses Wort, merde, unter das Ende seines Romans Moravagine setzen wird, um es dann wieder zu streichen, nicht ahnend also, dass er aus dem knöchernen Konsonanten K und dem Atemanfang A eine neue Form der poetischen Prosa erfinden wird. Er war damals ganz Asche, cendres, geworden, bevor er neu erglühte aus seiner Glut, braise, und auferstand von seinem Lager, indem er mit seinem Arm Worte in die Maschine hackte, da erst, nach seiner mythischen Schreib- und Liebesnacht von 1917 in einer Scheune auf dem Land, von diesem Moment der Neugeburt an verliess er seinen Körper beim Schreiben immer wieder in einer gewaltigen Ekstase voll Qual und Schmerzlust so wie all jene Heiligen und Märtyrer, deren Träume und Visionen er ein ganzes Buch lang umkreiste. Und diesen Zustand des Ausser-sich-Seins suchte er später immer wieder mit den Worten, und so sind seine Schriften über den Krieg und das Gemetzel nicht nur, wie bei den meisten anderen Autoren, Exorzismen des Bösen und des Grauens, sondern immer auch Räume der Sehnsucht nach jenem Blitzaugenblick der Ekstase, die ihn damals ergriff und mit sich forttrug. Die Ambivalenz seiner Schriften, ambivalent wie sein sich schaukelnder Körper mit dem abgehackten Arm und der neu gewonnenen Kraft seiner Linken, die Faszination für die Aufgipfelung der gesamten Zivilisation in jenem Moment, als er einen Menschen tötete, mit einem Klappmesser, in dem die Ströme und Adern der Metalle Chiles verschmelzen mit dem Holz aus den Wäldern Madagaskars, wo die Tränen der trauernden Frauen in den Fabriken sich verbinden mit den Spuren toter Männer auf Expeditionen oder nach Explosionen bei den Forschungen und Findungen des technischen Geistes, diese Faszination ist in vieler Hinsicht einzig in ihrer Art. Denn sie wird nie schwarmselig wie der Kitsch des Futurismus, wo das rollende Gebrüll der Kanonen aus allen Rohren gedonnert wurde. Nein, auch in seiner Sprache, in der er diesen Zustand des Ausser-sich-Seins sucht, findet Cendrars immer wieder zurück zu den Bewegungen des Krieges, schickt ganze Züge von Adjektiven und Substantiven, rollend hintereinander, über die Seiten, bis hinter die Schlachtlinie des Feindes: des gesunden Menschenverstandes. Jenes Menschenverstandes, der den Krieg immer rechtfertigt und immer beklagt. Zunächst rechtfertigt und dann beklagt. Der immer recht hat. Poesie aber hat nie recht. In diesem Band wird zum ersten Mal das Triptychon der Kriegsprosa, Ich tötete, der Selbstheilung, Ich blutete, und der verdrängten Erotik, Die Frau und der Soldat, übersetzt und im Anhang mit Passagen untermalt, in denen sich das etwas geschönte, harmlose Bild seines späten Kaleidoskops des Krieges, La Main coupée, zuspitzt, verschärft. Viel deutlicher ahnt man jetzt jene eigene Gewalt, die Cendrars durchpulste, bis er auf dem Land Pfützen erdolchen, Pflanzen erstechen, eine Magd morden wollte, ehe er sich, in letzter Not, ins Schreiben rettete, wie eine von ihm selbst zeitlebens zensierte Passage aus dem Vorwort zu Moravagine zeigt. Das aber ist auch unsere eigene Gewalt. Wohin die Kriegserfahrung zielt, zeigt sich in Moravagine, der zeitgleich zu diesem Buch in der Anderen Bibliothek in neuer Fassung und mit reichem Kommentar erscheint, wobei wir der Anderen Bibliothek danken, dass wir im Rahmen des Anhangs Mord Lust Moravagine einen Blick in die zentrale Passage werfen dürfen. Denn in ihr gipfelt die Trilogie und rundet sich mit der Schlusspassage, die deutlich an Ich tötete anschliesst, doch noch zu einem Kreis. Hoffentlich entstand so, trotz schwieriger Rechtslage, die uns hinderte, gewisse Fragmente direkt mit den drei Haupttexten zusammenprallen zu lassen, ein Kaleidoskop mit Texten aus dem Nachlass, die Cendrars selbst in der Schublade liess oder aus sich schwitzte wie Moravagine, ein packender Blick in die Abgründe von Krieg und Kunst. Wie ein Schatten folgte ihm dabei immer Moravagine, diese gewaltige Romangestalt, die ihn auf allen...


Blaise Cendrars, geboren 1887 als Frédéric Louis Sauser in La Chaux-de-Fonds. Mit sechzehn lief er von zu Hause weg und kam nach längeren Reisen durch Russland, die Mandschurei und China 1910 erstmals nach Paris. Freundschaft u.a. mit Apollinaire, Chagall, Robert und Sonia Delaunay, Léger, Modigliani. Spätere Reisen führten den Schriftsteller u.a. nach Rom (1921), Brasilien (1924-1928) und Spanien (1931). Ab 1950 lebte Cendrars in Paris, wo er 1961 starb. Sein Gesamtwerk umfasst etwa vierzig Bände.


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