Cavelius | Leila | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Cavelius Leila

Ein bosnisches Mädchen
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0757-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein bosnisches Mädchen

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0757-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Leila überlebte einen Alptraum: zwei Jahre Vergewaltigungslager in Bosnien. Alexandra Cavelius erzählt jetzt ihre Geschichte. Der aufwühlende Bericht zeichnet auf schonungslose Weise den Leidensweg des Mädchens nach, das nach dem Ausbruch des Krieges als 15-Jährige in ein Konzentrationslager kam und dort misshandelt und vergewaltigt wurde. Er schildert ihre abenteuerliche Flucht und wie sie heute mit ihrem Schicksal lebt.

Alexandra Cavelius ist freie Journalistin und hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht.'
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Kriegsausbruch


06.04.1992


In Sarajevo hat der Krieg begonnen.

Das Leben in B. ist nicht einfach. Es gibt keine Löhne mehr. Die Schlange vor dem Roten Kreuz wird immer länger.

aus dem Tagebuch der Mutter

Von einem Tag auf den anderen begannen sie, auf uns zu schießen. Warum? Weil ich Leila hieß? Niemand kapierte das! Als der Krieg ausbrach, war ich sechzehn. Innerhalb weniger Monate wurde ich mit einem Schlag erwachsen. Seit in Sarajevo die Kämpfe eingesetzt hatten, versammelten wir uns bei Oma und Opa im Wohnzimmer, hörten Nachrichten im Radio und hockten vor dem Fernseher. Die Zusammenhänge waren mir schleierhaft. Was hätte ein junges Mädchen auch von all dem verstehen sollen? Abends beim Essen diskutierten wir darüber, ob es auch bei uns Krieg geben würde. Wir waren alle große Optimisten und der Ansicht: »Nie im Leben.« Nur mein Opa, der alte Kriegsveteran, schüttelte traurig den Kopf und behauptete: »Wartet ab! Uns wird es auch noch treffen.«

Eines Morgens weckte mich ein fernes Donnern. »Gleich wird’s regnen«, nahm ich an. Da mein Magen knurrte, zog ich mir was über und wollte runter zum Frühstücken gehen. Als ich durch den Korridor lief, sah ich meine Großmutter, die schluchzend am Fenster saß. »Oma, was hast du?« fragte ich sie. »Guck doch mal, Leila, der Krieg hat begonnen«, antwortete sie und zeigte aus dem Fenster. Es rauchte und grollte am Stadtrand. Ich weinte, weil meine Oma weinte. Bisher kannte ich den Krieg nur aus dem Geschichtsunterricht und aus schlechten Action-Filmen wie »Rambo«. Niemand konnte diesen Irrsinn begreifen, bevor er ihn nicht selber erlebt hatte.

31.05.1992


In der Nähe von B. finden die ersten Zusammenstöße zwischen der HVO1 und den Serben statt. Heute waren die Sirenen zweimal zu hören. Bei den Serben starben drei Männer und bei der HVO einer.

aus dem Tagebuch der Mutter

Sobald das Telefon frei war, stürzte ich hin und rief bei Mama an. Mit großem Ernst erklärte sie mir, daß in Sarajevo die Situation sehr kritisch wäre. Dann weinte sie und ermahnte mich, daß ich auf Oma und Opa hören sollte. »Mach dir keine Sorgen, bald ist alles wieder vorbei. Ich komme, so schnell es geht«, sprach sie mir Mut zu. Mit der Bombardierung der großen Nachbarstadt Biha setzte aber auch für uns der Krieg ein.

Die Tür wurde aufgerissen, und Tante Mirsa aus Biha stürmte in den Flur. Sie war völlig aufgelöst. Opa versuchte, sie zu beruhigen und drängte gleichzeitig ungeduldig: »Erzähl, was passiert ist.« Tante Mirsas Haare waren zerzaust. Sie stöhnte: »Eine Granate ist neben unser Haus gefallen.« Von der gewaltigen Druckwelle wären alle auf den Boden gerissen worden. Unter den umgestürzten Möbeln und Trümmern hätten sie ihre dreijährige Tochter nicht finden können. Erst eine halbe Stunde später fand ihr Mann die Kleine. Durch ein aufgerissenes Loch war sie herabgestürzt. Das Mädchen hätte die Sprache für Stunden verloren, aber glücklicherweise war sie nur leicht verletzt. Dann berichtete Tante Mirsa, daß sie viele Tote und Verletzte auf der Straße gesehen habe. »Das kann doch nicht wahr sein«, verschlug es Onkel Senad fast die Sprache. Keiner von uns hatte mit so was gerechnet. Nach wie vor gingen wir alle ganz normal unserer Arbeit nach. Doch mit dem Besuch meiner Tante wurde mir klar, daß sich unser Leben nun ernsthaft verändern würde.

Es dauerte nicht lange, da war K. eingekesselt. Man bombardierte und beschoß uns von allen Seiten. Uber den ersten Granateinschlag in unserer Nähe erschrak ich sehr heftig. Mit einem Satz hechtete ich unter den Wohnzimmertisch und blieb dort, lange nachdem der Einschlag verhallt war. Es war schon merkwürdig, wie schnell man sich an diesen Kriegsalltag gewöhnte. Nach vierundzwanzig Stunden waren einem bereits die einfachsten Regeln vertraut. Vom Fenster wegbleiben und sich ducken. Anfangs gab es nur Verwundete, keine Toten. Die Serben attackierten vorwiegend die Industrieanlagen in den Vororten. Höchstens zwei oder drei Häuser im Ort waren völlig zerstört. Schnell nahmen jedoch die Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu.

Gegenseitig spendeten wir uns Trost: »Bald wird wieder alles gut.« Tagsüber kreisten meine Gedanken ständig um Mama. Das verlieh mir die Kraft zu lächeln. Nur nachts fühlte ich mich schwach: »Meldet sich Mama morgen? Sagt sie mir, daß alles bald wieder aufhören wird?« Doch es folgte kein Anruf mehr. Die Verbindung war zusammengebrochen. Natürlich war mir bewußt, daß man im Krieg sterben konnte. Trotzdem blieb ich relativ gelassen. Am meisten von allem schmerzte mich, daß Mama mich nicht anrufen konnte.

Ich fühlte Angst, aber nie diese panische Angst wie meine Tanten. Sobald draußen dumpf die Einschläge krachten, brach Panik unter ihnen aus. Sie weinten, schrien und wußten nicht, wo sie sich mit ihren Kleinen verstecken sollten. Meine Verwandten haben mich alle sehr geliebt, aber jetzt machten sie sich in erster Linie um ihre eigenen Kinder Sorgen. Mich hatten sie vergessen.

Wenn die Sirenen zu heulen begannen, stürzten wir in den Keller. Ein etwa zwanzig Quadratmeter großer Raum, in dem es dunkel wie in einem Tunnel war. Früher lagerten dort die Wintervorräte. Jetzt drängten sich hier an manchen Tagen zwanzig oder mehr Personen eng aneinander, weil auch die Nachbarn bei uns Schutz suchten. Der Keller bebte unter den Bombardierungen. Wir hatten keine Kerzen. Geredet wurde kaum. Einige weinten. Mein jüngster Onkel Cazi zitterte wie Espenlaub. Die Mütter wiegten ihre Kinder hin und her, die laut brüllten. Zweimal übernachtete ich eingehüllt in einer Decke in dem Kellerloch. Danach blieb ich lieber in meinem Bett. Ich brauchte Luft zum Atmen.

Zu jener Zeit ist Oma schwer krank geworden. Bei Luftalarm schleppten wir sie gemeinsam hinunter in den Keller. Meistens kauerte ich stundenlang neben ihr und streichelte ihre faltigen Hände. Noch immer wußte ich nicht genau, zwischen wem nun eigentlich der Krieg ausgebrochen war. Alle sprachen davon, daß die Tschetniks eingefallen wären. »Die Tschetniks hassen uns«, hieß es. Genauer wurde das nicht erklärt. Meiner Meinung nach handelte es sich um eine Gruppe von Menschen, die sich aus Machtgier gegen uns zusammengeschlossen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß alle Serben plötzlich meine Feinde sein sollten.

Wenn ein Tschetnik einen Verwandten von mir getötet hätte, würde ich ihn abgrundtief hassen. Doch würde ich seinetwegen meine serbische Freundin verachten? Sie hätte mir im Gegensatz zu ihm doch nichts getan. Bald darauf beklagte man die ersten Toten in K. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wann ich die erste Leiche gesehen habe. Menschen verloren Augen, Beine oder gleich ihr ganzes Leben. Anfangs empfand ich das alles als sehr schockierend.

Mit den Toten schlug auch die Stimmung in unserer Familie um. Vor dem Krieg waren meine Onkels und Tanten alles andere als Nationalisten. Das änderte sich nun. Auf einmal trugen auch sie Uniformen. Der ängstliche Cazi kämpfte an der Front. Senad hatte einen relativ sicheren Schreibtischjob bei der Armee ergattert. Die Frauen rauften sich die Haare vor Kummer. Und die Männer mußten erst einmal lernen, eine Waffe richtig in der Hand zu halten.

20.08.1992


In B. wurde dreimal Luftalarm ausgelöst. Nervosität und Ungewißheit gehen in Angst über. Tagelang passieren Flüchtlinge die Stadt.

aus dem Tagebuch der Mutter

Es spielte sich langsam so ein, daß wir meist morgens, mittags und abends bombardiert wurden. Die Bevölkerung wußte, wann man sich auf die Straße wagen durfte. Sobald draußen Ruhe herrschte, krochen alle wie die Ameisen aus ihren dunklen Löchern. Da, wo eine Granate eingeschlagen war, rannten mein Opa und ich hin. Neugierig begutachteten wir die Schäden und diskutierten wie Fachleute darüber. In K. machte man sich bereits über uns lustig: »Die beiden sind zugleich die Tapfersten und Dümmsten im Ort.« Bald kannte ich mich ziemlich gut aus mit den verschiedenen Geschossen. Die kleineren beschädigten in der Regel nur ein Dach. Fielen sie aber ungünstig, so konnten sie auch zwei Etagen zerschlagen. Als die Soldaten diese dicken Granaten warfen, die man »Sau« nannte, bekam ich es erst richtig mit der Angst zu tun. Manchmal verfehlten diese Waffen ihr Ziel und landeten auf dem freien Feld. So eine »Sau« riß einen riesigen Krater, in den ein ganzes Haus hineingepaßt hätte. Bald war unser Ort bis zur Hälfte zerstört. Ein Spruch in K. lautete: »Im Vergleich dazu, wieviele Granaten es hagelte, gab es relativ wenig Tote.« Es gab Hunderte von Toten.

Da die Schule bis auf weiteres ausfiel, besuchte ich in den Kampfpausen meine Freundinnen. Selbst Sabina hatte sich mittlerweile in eine Extremistin verwandelt. Von ihr erfuhr ich erst mal, um wen es sich bei den Tschetniks handelte. »Das sind serbische Schlächter mit langen Bärten«, meinte sie, »man sollte sie alle umbringen.« Uber ihren Standpunkt haben wir einige Male gestritten. »Für mich gibt’s nur gute und schlechte Menschen«, war Feridas Ansicht. Ein paar Tage später erwischte es sie. Eine Granate hatte die 16jährige beim Mittagessen zerfetzt. Ich weinte, aber ich war nicht mehr gelähmt vor Schreck. Der Tod war mittlerweile zur Normalität geworden. »Glaubst du mir jetzt, daß alle Serben schlecht sind?« zischte Sabina, als wir unsere Freundin betrauerten. Da geriet ich völlig außer mir: »Hör mal, diese Granate hat doch nicht irgendeine serbische Freundin aus B. von mir abgefeuert.« Unbeirrt blieb ich bei meiner Meinung. Doch ich behielt sie lieber für mich.

An Flucht verschwendete unsere Verwandtschaft keinen Gedanken. Vir hätten gar nicht gewußt, in...


Cavelius, Alexandra
Alexandra Cavelius ist freie Journalistin und hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht."



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