Short Thriller
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
ISBN: 978-3-641-14976-5
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Ermittlerin Maeve Kerrigan steht am Anfang ihrer Karriere. Frisch von der Polizeiakademie kommend, stürzt sie sich voller Tatendrang auf ihren Job als Streifenpolizistin. Als wäre die grausame Realität, die sie dort erwartet, nicht genug, begegnen ihr ihre männlichen Kollegen auch noch mit Vorurteilen. Als aber eine Frau schwer misshandelt und halb tot aufgefunden wird, will Maeve beweisen, dass sie genauso gut ist, wenn nicht sogar besser als das restliche Team ...Der Short-Thriller »Die erste Schuld« erscheint exklusiv als E-Book und fesselt mit dem ersten Fall von Maeve Kerrigan. Und die Hochspannung geht weiter: Zeitgleich erscheint der dritte Band der Reihe um die taffe Ermittlerin - »Die Blender«.
Jane Casey wuchs in Dublin auf, studierte Englisch in Oxford und Irische Literatur am berühmten Trinity College in Dublin. Nach dem Studienabschluss arbeitete sie in verschiedenen Verlagen als Jugendbuchlektorin. Sie lebt mit ihrem Mann, einem Strafverteidiger, dem gemeinsamen Sohn und Katze Fred in London.
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2 Anfangs verlief die Schicht ruhig. Wir fuhren herum, im Funk wurden Kennungen durchgegeben, die nicht unsere waren. Jede Ansage, auf die wir uns hätten melden können, wurde uns von einem anderen, näheren Streifenwagen weggeschnappt. Wir fühlten uns fehl am Platz, blickten in die falsche Richtung, waren von Autofahrern umgeben, die sich an die Straßenverkehrsordnung hielten, also nur Gutes im Sinn hatten. An einer Straßenecke bekamen wir den Geruch von Cannabis in die Nase, was bis dahin das Einzige war, was nach einem Delikt roch. Obwohl Chris hin und her stapfte und wie eine englische Dogge herumschnüffelte, konnte er nicht ermitteln, woher der Geruch kam. Die Nacht war heiß und still, kein Windhauch machte die Feuchtigkeit erträglich. »Sieht ganz nach Gewitter aus«, sagte Chris, als wir in einer Nebenstraße parkten, um abzuwarten, ob sich etwas ereignete. »Wurde nicht vorhergesagt.« »Was wissen die schon? Die denken sich einfach was aus.« »Ich glaube, ganz so einfach ist es nicht«, erwiderte ich grinsend. »Aber du hast Recht, es sieht nach Gewitter aus.« »Bekommt man Kopfweh davon.« Chris runzelte die Stirn. »Und wo sind all die Einbrecher, die die offenen Fenster nutzen könnten? Und all die Vollidioten, die sich den ganzen Tag haben volllaufen lassen und nun Lust auf eine Prügelei haben?« »Man könnte meinen, dass du dir regelrecht wünschst, jemand würde ein Verbrechen begehen.« »Stimmt. Darum geht es ja schließlich bei diesem Job.« Er beugte sich vor, stützte sich aufs Lenkrad und beobachtete den Verkehr auf der Hauptstraße. »Alle Welt denkt, ein messerschwingender Irrer erwischt einen, aber Irre sind rar gesät. Das Tödliche ist die Langeweile.« Es war kurz vor Mitternacht, als die Einsatzzentrale Lima Delta Zwei Sechs aufforderte, sich zu melden. »Hier Lima Delta Zwei Sechs, over«, antwortete ich. »Zwei Sechs, danke. Könntet ihr in die Filford Street in Brixton fahren? Lärmbelästigung, streitende Frauen- und Männerstimmen. Wir checken jetzt mal die Straßen für euch. Sollen wir euch hinlotsen?« »Zwei Sechs, haben wir die genaue Adresse?« »Die Anruferin sagte, der Lärm käme aus nächster Nähe. Sie konnte allerdings nichts Genaues sagen. Sie meinte, er könne aus einem der Häuser oder von den Höfen kommen.« Ich runzelte die Stirn. »Hier Zwei Sechs, meinte sie den Garten?« »Tut mir leid, mehr weiß ich auch nicht, und sie ist schon aus der Leitung.« »Hier Zwei Sechs, alles verstanden. Bitte lotst uns dorthin.« »Kein Problem.« Chris war bereits damit beschäftigt, den Wagen zu wenden. »Ich kenne die Filford Street. Das ist eine Wohnstraße am Rande unseres Geländes, in der Nähe der Loughborough Junction; aber in der Mitte befindet sich ein kleines Gewerbegebiet mit Eisenbahnschienen. Es gibt dort einen Baustoffhändler, ein paar Büros und eine zwielichtige kleine Werkstatt in den Bögen unterhalb der Gleise. Das wird sie wohl gemeint haben.« »Gibt es eigentlich in dieser Gegend eine Straße, die du nicht kennst?« »Nach fünfzehn Jahren? Du machst wohl Witze«, grinste er. Ich stellte mir vor, weitere vierzehn Jahre und zehn Monate durch Südlondon zu fahren, und bekam leichte Panik. Ich wusste noch nicht genau, was ich tun wollte, aber ich wusste auf jeden Fall, dass ich mehr wollte, als in einer Gegend, die ich als meine ansah, auf Notrufe zu reagieren. »Lima Delta Zwei Sechs.« »Hier Zwei Sechs, ich höre.« »Es könnte gut sein, dass es sich um einen Familienkrach handelt. Die Anruferin sagte, sie habe gehört, wie sich ein Mann und eine Frau angeschrien hätten.« Ich sah Chris an, der schnarrte: »Genau das, was wir brauchen.« Ein Familienstreit war keineswegs angenehm, zumal einer, bei dem die Adresse unbekannt war und die Einsatzzentrale nicht ermitteln konnte, ob die Polizei zuvor schon einmal eingegriffen hatte. Selbst wenn das Opfer uns angerufen hatte, konnte es passieren, dass es beim Anblick schwarz uniformierter Polizisten, die Hand anlegten an den Partner, seine Meinung änderte. Es war schon schwer genug, einen riesigen, brutalen, möglicherweise betrunkenen oder angedröhnten Kerl zu überwältigen, ohne von dessen Partnerin angepöbelt zu werden. Manchmal war es das Opfer, das am Ende wegen tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten festgenommen wurde. Es gab Fälle, bei denen sich das Mitgefühl für die Opfer sehr in Grenzen hielt, auch wenn ich immer noch Geduld mit ihnen aufbrachte. Dann wieder kam es vor, dass die Opfer uns durch eingeschlagene Zähne hindurch, mit Tränen in den Augen, versicherten, nicht der Partner habe sie verletzt, sie seien vielmehr die Treppe hinuntergefallen, hätten sich selbst bei der Essenszubereitung oder beim Bügeln die Hand verbrannt. Sie wären gegen eine Tür gerannt, wären gestolpert und hätten sich Prellungen oder dergleichen zugezogen, was bei ihnen schnell geschehe, wie sie behaupteten. Eine Frau erklärte mir allen Ernstes, sie habe sich das Büschel Haare, das auf dem Küchenboden lag, selbst ausgerissen, weil es sie störte, wenn sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz frisieren wollte. Sie saßen über dem Fragebogen mit zirka dreißig Fragen, den sie laut Vorschrift ausfüllen mussten, und schüttelten bei jeder einzelnen Frage den Kopf. Sie hatten Angst. Sie befürchteten, ihre Situation noch zu verschlimmern, für sich selbst und für ihre Kinder. Sie waren uns alles andere als eine Hilfe. In den zwei Monaten auf der Straße hatte ich viele Familienstreitigkeiten miterlebt und dabei die Regeln gelernt. Die Polizistinnen beschäftigten sich mit dem Opfer, redeten ihm gut zu, ihnen alles zu erzählen, damit es sich lohnte, den Verdächtigen strafrechtlich zu verfolgen. Die männlichen Kollegen setzten ihre Muskeln ein. Es störte mich sehr, dass jeder voraussetzte, dass ich das Opfer zum Reden bringen könnte, nur weil wir beide weiblichen Geschlechts waren. Das bedeutete eine große Verantwortung für mich. Ich hatte gewissenhaft die Statistik studiert. Jede Woche starben in Großbritannien zwei Frauen durch die Hand eines Partners oder Expartners. Jede Minute wurde ein Fall von häuslicher Gewalt gemeldet. Jede vierte Frau wurde im Laufe ihres Lebens mit häuslicher Gewalt konfrontiert. Im Durchschnitt ertrugen die Frauen fünfunddreißigmal Gewalt durch ihren Partner, bevor sie die Polizei benachrichtigten. Und beim sechsunddreißigsten Mal tauchte ich auf und suchte nach Argumenten, warum das Opfer uns vertrauen sollte. Als könnten wir alles ungeschehen machen. Als könnten wir die Opfer retten. Es waren jetzt zwei Monate, und ich erinnerte mich an all ihre Gesichter. Doch bis jetzt war Gott sei Dank noch keine dieser Frauen bei der täglichen Einsatzbesprechung als neuestes Mordopfer im Bezirk genannt worden. Vorsichtshalber schaute ich aber auf der Liste nach. Jedes Mal. »Hier Zwei Sechs, verstanden«, sagte ich, »sind gleich vor Ort.« »Setz das Blaulicht aufs Dach«, ordnete Chris an. »Aber keine Sirenen. Wir wollen sie ja nicht zu sehr warnen, oder?« Ich beobachtete die Straße, spürte, wie mein Pulsschlag sich beschleunigte, als wir recht zügig Richtung Filford Street fuhren. Seit der Anruf bei der Einsatzzentrale eingegangen war, waren neun Minuten verstrichen. Keine lange Zeit. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass der Vorfall, welcher Art er auch sein mochte, noch in vollem Gange war. Ich versuchte, mich ganz unauffällig – damit Chris sich nicht über mich lustig machte – zu vergewissern, dass ich mein CS-Spray bei mir hatte und meinen Schlagstock im Halfter. Ich war gut im Kampftraining. Aber ich wusste nicht, ob ich auch bei einem tatsächlichen Kampf gut wäre. Ich hatte noch keine Chance gehabt, es auszuprobieren. Das neue Mädchen durfte niemals gleich einen betrunkenen Rowdy festnehmen. Doch ich musste es tun, meinem Selbstvertrauen zuliebe und meines Rufs wegen. Die Polizei benötigte Beamte, die bei einer Streiterei souverän waren, die Hilfe bieten konnten, wenn jemand in Schwierigkeiten geriet. Ich musste mich bewähren. Die Filford Street war eng und heruntergekommen, mit viktorianischen Reihenhäusern auf der einen Seite und den Gewerbeeinheiten, wie Chris sie beschrieben hatte, auf der anderen. Sie war wie ausgestorben. Chris fuhr mit heruntergekurbelten Fenstern durch die Straße. »Ich kann nichts hören.« »Ich auch nicht.« Ich beugte mich vor und versuchte, auf der Straße eine Bewegung auszumachen. Nichts. Wir fuhren unter der Eisenbahnlinie durch. Der Motorlärm des Streifenwagens war doppelt so laut, als er vom Mauerwerk zurückgeworfen wurde, und Chris bog um eine enge Kurve, bevor er den Weg, den wir gekommen waren, zurückfuhr. Ich gab ihm ein Zeichen. »Da, draußen bei dem Haus in der Mitte links. Ich wette, das ist die Informantin.« Eine magere Frau in mittleren Jahren stand auf dem Bürgersteig, die Arme über der Brust verschränkt. Als sie unsere Blicke bemerkte, hob sie die Hand. Chris steuerte die nächstgelegene Parklücke an, die sich in einiger Entfernung von ihr befand. Statt auf uns zuzugehen, blieb sie stehen, wo sie war, zog ein finsteres Gesicht und kniff die Lippen zu einem Strich zusammen. »Sie scheint ja die personifizierte Lebensfreude zu sein.« »Dein Fenster ist offen«, zischte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Mach dir nur nicht in die Hose. Sie hat mich nicht gehört.« Chris seufzte. »Lass uns rausfinden, was sie zu sagen hat. Wenn sie gesprächig ist, überlass sie mir. Und du siehst dich...