Carver Stirb, mein Prinz
Version 1.V02
ISBN: 978-3-8437-0423-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 528 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0423-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tania Carver ist der Autorenname von Martyn und Linda Waites. Der preisgekrönte Krimiautor Martyn und die renommierte Kostümbildnerin Linda erfüllen sich mit dem gemeinsamen Schreiben einen Traum. Ihr Debüt 'Entrissen' mit der Profilerin Marina Esposito war wochenlang in der Sunday Times Top 10 und auf der Spiegel-Bestsellerliste. Danach begann der weltweite Erfolg der Thrillerserie.
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HERBSTEINBRUCH
42 Phil versuchte sich zu bewegen. Es ging nicht.
Irgendetwas um seinen Hals hielt ihn fest. Er berührte es mit den Fingern. Fühlte kaltes, rostiges Eisen. Scharfe Kanten, die ihm in die Haut schnitten. Es saß fest, bot gerade so viel Platz, dass er atmen konnte.
Er zog daran. Spürte, wie es ihm die Luft abschnürte.
Seine Hände wanderten nach hinten, tasteten im Nacken nach einer Stelle – irgendeiner Stelle –, wo er Halt finden konnte. Das Einzige, was er fand, war eine rostige Kette. Er hörte ihr Rasseln, fühlte ihr Gewicht in seinen Händen, als er daran zog und zerrte.
Sie gab nicht nach.
Sein Herz pochte, und seine Brust begann zu schmerzen. Als lege sich das andere, vertrautere eiserne Band um ihn und zöge sich immer fester zusammen, immer fester …
Er schnappte nach Luft, versuchte, gegen den Schmerz anzukämpfen, ruhig weiterzuatmen …
Immer weiteratmen …
Er nahm beide Hände hinter den Kopf und riss erneut an der Kette. So fest er konnte. Alles, was er spürte, war die Kälte des Metalls zwischen seinen Fingern. Tot. Schwer. Unverwüstlich. Seine Brust brannte.
Er schloss die Augen. Heiße Tränen sammelten sich hinter seinen Lidern.
Er hörte sich selbst schreien:
Nein … nein … lass mich … lass mich los, lass mich los …
Und doch kam kein Laut über seine Lippen. Die Schreie waren nur in seinem Kopf.
Bitte …
Es kam nichts. Nur die Schreie in seinem Innern, und die Schmerzen.
Er ließ die Kette los. Öffnete die Augen. Und sah es vor sich.
Als er erkannte, wo er war, klopfte sein Herz noch schneller, und seine Brust krampfte sich noch schmerzhafter zusammen.
Er saß im Käfig. Im Käfig aus Knochen.
Nein …
Er schrie, so laut er konnte.
Kein Geräusch.
Er hatte die Hände ausgestreckt, hielt die knöchernen Gitterstäbe umklammert. Zerrte daran, fest und immer fester …
Er fühlte, wie alt sie waren. Wie glatt. Und wie stark. Sie bewegten sich nicht. Der Käfig hielt. Er versuchte es erneut, rüttelte vor und zurück.
Nichts.
Wieder ein Schrei.
Wieder nichts als Stille.
Und dann sah er etwas, hinten am anderen Ende des Kellers, einen Schatten zwischen Schatten. Eine Gestalt, die auf ihn zukam. Langsam, ganz langsam. Trübes Licht, das auf Metall blitzte. Eine ausgestreckte Faust mit einer Sichel darin, die sich langsam vor und zurück bewegte. Vor … und zurück …
Vor … und zurück …
Langsam kreiste.
Nein … nein … bitte nicht …
Stille. Undurchdringliche Stille. Ohrenbetäubend.
Etwas an der Gestalt fiel ihm auf. Der Grund, weshalb sie sich so langsam bewegte. Sie zog ein Bein nach. Beim Gehen spreizte sie es nach außen ab. Das Auftreten schien ihr Schmerzen zu bereiten. Trotzdem kam sie immer näher.
Langsam … unerbittlich.
Phils Hände zerrten wie von Sinnen an der Kette. An den Gitterstäben.
Nichts. Und nichts.
Erschöpft hielt er inne. Sah das Gesicht der näher kommenden Gestalt.
Und begann von neuem zu schreien.
Da war kein Gesicht. Nur ein Sack. Fetzen. Ein Vogelscheuchenkopf, mit groben Stichen zusammengenäht. Ein Schlitz als Mund, aber keine Augen. Nur Dunkelheit. Zwei schwarze Höhlen.
Phil schrie erneut.
Jetzt konnte er auch den Rest der Gestalt erkennen. Von Kopf bis Fuß in Lumpen gehüllt. Sackleinen. Jute. Geflickt. Schmutzig. Vor dem Bauch eine lederne Schürze. Alt und voller dunkler Flecken.
Die Sichel war erhoben. Die halbmondförmige Klinge zitterte im fahlen Licht.
Das Lumpengesicht war jetzt ganz nah, lauerte direkt hinter den Gitterstäben. Phil sah ihm in die Augen. Da war nichts. Nur tiefe, dunkle, bodenlose schwarze Löcher.
Die Klinge blitzte.
Wurde noch höher gehoben.
Phil schrie.
Die Klinge sauste herab.
Phil schrie weiter, fing an zu schluchzen.
Wie von Sinnen schrie er.
Schrie und schluchzte.
Dann Stille.
»Phil … Phil!«
Sein Herz raste, in seiner Brust brannte es wie Feuer. Er bekam keine Luft. Es war, als wäre seine Lunge nicht groß genug. Heißer, juckender Schweiß bedeckte seinen Körper.
»Phil!«
Er öffnete die Augen. Sah Marinas sorgenvolles Gesicht über sich, ihre Augen, die ihn anblickten.
»Was … was ist denn los?« Seine Stimme. Er hatte seine Stimme wiedergefunden.
»Du hattest einen Alptraum.« Marinas Hand strich langsam über seinen Arm. Sie war kühl und beruhigend auf seiner unangenehm fiebrigen Haut.
»Einen Alptraum … einen Alptraum …« Atemlos stieß er die Worte hervor, holte tief Luft und versuchte sich aufzusetzen.
»Nur ein Alptraum, das ist alles.« Ihre Hand, die ihn unablässig streichelte, hatte etwas Tröstliches. »Komm. Du musst nicht reden. Es ist schon gut. Alles in Ordnung.«
Es war dunkel im Zimmer, aber er sah sie trotzdem. Die Form ihres Kopfes. Ihre Augen. Ihre wunderschönen Augen, die ihm aus der Dunkelheit entgegenleuchteten.
»Ein Alptraum«, keuchte er.
»Ganz genau.« Die Berührung ihrer Hand war so schön, so tröstend. Die Nähe ihres Körpers ließ ihn ganz allmählich ruhiger werden. »Ein Alptraum. Na komm.«
Sie zog ihn zu sich aufs Bett. Er spürte, wie ihre Arme sich um seine Brust schlangen, sie ihren Kopf an seine Schulter schmiegte. Beine, die sich gegen seine pressten. Ein lebender, atmender Käfig aus Knochen. Der ihn umschloss. Ihn beschützte.
»Nur ein Alptraum, nichts weiter.«
Er nickte, und sie legte sich ganz dicht neben ihn. Am Rhythmus ihres Atems und am Gewicht ihres Arms konnte er sagen, dass sie schon bald darauf wieder eingeschlafen war. Er dagegen lag noch lange wach und starrte in die Dunkelheit. Hielt Ausschau nach Schatten in den Schatten.
Ein Alptraum. Bloß ein Alptraum.
Nur dass es nicht bloß ein Alptraum gewesen war. Das wusste Phil. Er spürte es. Keine Ahnung, wie, aber er spürte es ganz deutlich.
Nein. Nicht bloß ein Alptraum.
Viel schlimmer als das.
43 Mickey hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt, spielte mit einem Stift und sah zu, wie der Rest des Teams zur morgendlichen Besprechung eintrudelte. Ein großer Cappuccino, den er sich von unterwegs geholt hatte, stand neben ihm – vier Shots Espresso, die sollten als Energieschub reichen.
Durch die Jalousien fiel die helle Spätseptembersonne, die sich hartnäckig an den Gedanken zu klammern schien, dass noch Sommer war, so als könne sie sich nicht dazu durchringen, das Feld endgültig dem Herbst zu überlassen.
Obwohl er am Abend zuvor lange gearbeitet hatte und in seiner Wohnung angekommen sofort todmüde ins Bett gefallen war, hatte Mickey kaum geschlafen. Das war meistens so, wenn er an einem großen Fall arbeitete. Und dieser Fall versprach ein großer zu werden.
Dazu kam noch das, was er im Hotel gesehen hatte. Den Anblick würde er so schnell nicht aus dem Kopf bekommen.
Die Leiche eines Mannes – das, was noch von ihm übrig war – lag vor der hinteren Zimmerwand am Boden. Ein Gemetzel. Ja, das war das einzig passende Wort. Der Körper des Mannes war aufgeschlitzt, regelrecht in Stücke gehackt worden. Überall Blut, Wände und Boden von Spritzern und Flecken übersät.
»Wer auch immer das war, er muss einen echten Hass auf ihn gehabt haben«, meinte Mickey zu Phil, während sie vom Türrahmen aus die Leiche betrachteten. Die Spurensicherung hatte sie nicht näher herangelassen. Mit diesem Tatort würden sie lange zu tun haben. Es war, so viel wusste Mickey, der Traum eines jeden Kriminaltechnikers.
Phil sah unverwandt die Leiche an. »Ja. Wer auch immer das war.«
»Papiere?«
Phil antwortete, ohne auch nur für einen Moment den Blick von der Leiche abzuwenden. »Laut Ausweis in der Brieftasche heißt er Adam Weaver. Aber eingecheckt hat er unter dem Namen Robin Banks.«
»Im Ernst?«, sagte Mickey. »War er Clash-Fan oder was?«
»Schon möglich, wer weiß? Er hatte für mehrere Tage gebucht und sich gestern Abend ein bisschen Gesellschaft aufs Zimmer bestellt.« Phil zeigte in Richtung Bad. »Sie war auch diejenige, die Alarm geschlagen hat.«
»Ah«, sagte Mickey, der verstanden hatte.
»Anscheinend«, fuhr Phil fort, »war sie gerade im Bad und hat sich umgezogen, als es an der Tür klopfte. Kurz danach hat sie ihn dann schreien hören.«
»Und sie ist nicht rausgekommen, um nachzusehen, was los war?«
Phil schüttelte den Kopf. »Hat die Badezimmertür abgeschlossen und sich hinter dem Duschvorhang versteckt. Hat nichts gesehen. Hinterher hat sie dann die 999 angerufen.«
Mickey runzelte die Stirn. »Sie hatte ihr Handy mit im Bad?«
Der Anflug eines Lächelns erschien auf Phils Gesicht. »Angeblich hat sie Fotos für ihren Freund gemacht. Sie sagte, das sei so eine Abmachung zwischen ihnen.«
Jetzt lächelte auch Mickey. »Stilvoll. Das heißt also, er war geschäftlich hier? Adam Weaver?«
»Hat er zumindest behauptet. Wir werden das noch überprüfen.«
Erneut wanderte Mickeys Blick zu dem Toten am Boden. Von ihm war nicht viel übrig, anhand...