E-Book, Deutsch, Band 144, 443 Seiten
Reihe: Beck Paperback
E-Book, Deutsch, Band 144, 443 Seiten
Reihe: Beck Paperback
ISBN: 978-3-406-73753-4
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zum ersten Mal wurde hier in eindringlichem Appell die Fragwürdigkeit des chemischen Pflanzenschutzes dargelegt. An einer Fülle von Tatsachen machte Rachel Carson seine schädlichen Auswirkungen auf die Natur und die Menschen deutlich. Ihre Warnungen haben seither nichts von ihrer Aktualität verloren.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;2
4;Über die Autorin;2
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;Widmung;6
8;Der Watvogel Das Vermächtnis von Rachel Carson;7
9;Ein Zukunftsmärchen;27
10;Die Pflicht zu erdulden;30
11;Elixiere des Todes;41
12;Oberflächengewässer und unterirdische Fluten;69
13;Das Erdreich;85
14;Das grüne Kleid der Erde;97
15;Unnötige Verwüstung;124
16;Und keine Vögel singen;144
17;Der Tod zieht in die Flüsse ein;177
18;Gifte regnen vom Himmel;208
19;Das übertrifft die kühnsten Träume der Borgias;232
20;Der Preis, den der Mensch zu bezahlen hat;247
21;Durch ein schmales Fenster;262
22;Jeder vierte …;285
23;Die Natur wehrt sich;316
24;Das erste Grollen einer Lawine;338
25;Der andere Weg;354
26;Danksagung;381
27;Literaturverzeichnis;383
28;Namen-und Sachregister;415
Der Watvogel
Das Vermächtnis von Rachel Carson
Vorwort von Jill Lepore
Das Haus, auf einer Insel in Maine, sitzt auf einer Felskante über dem Meer wie ein Adlerhorst. Unter der Veranda mit der weißen Brüstung führt die rutschige Klippe hinunter zum Watt, das mit klumpigem Seegras und Blasentang gesprenkelt ist, glitschig wie ein Haufen Schlangen. Strandschnecken klammern sich an Felsen; Muscheln klemmen sich zusammen wie kleine Geldbörsen. Eine Seemöwe landet auf einem zottelig bewachsenen Felsen, plustert sich auf und kauert sich dann in den beißenden Wind, der über das Wasser pfeift, während oben auf der Klippe moosbewachsene Bäume – Fichten und Tannen und Birken – seufzen und stöhnen wie alte Männer an einem feucht-kalten Morgen. «Die Meeresküste ist eine alte Welt», schrieb Rachel Carson in jenem Haus an einem Kiefernschreibtisch, der in der Ecke eines Raumes stand, wo die Verandatür in jedem Windhauch erzitterte, als bettele sie darum, man möge sie entriegeln. Carson war eine gefeierte Autorin, lange bevor sie ihr letztes Buch Silent Spring (Der stumme Frühling) im Jahr 1962 veröffentlichte: die Wissenschaftspoetin des Meeres. Ihr Aufsatz «Undersea», mit dem sie ihren Durchbruch feierte, erschien 1937 in der Zeitschrift The Atlantic. Darin fragte sie: «Wer kennt den Ozean? Weder Sie noch ich, mit unseren erdgebundenen Sinnen kennen wir nicht den Schaum und Sog der Gezeiten, die über die Krabben in ihrem mit Seetang getarnten Heim im Gezeitentümpel hinwegziehen; oder das langsame Auf und Ab der Hochsee, wo wandernde Fischschwärme nach Beute suchen und selbst zur Beute werden und wo Delfine ihre Atemluft aus der Atmosphäre über der Wasseroberfläche holen.» Der Leser wird von der Strömung ihrer Sprache mitgerissen, hingerissen, einem wässrigen Sprachbild aus Mollusken und Kiemenatmern und Rollwürmern und Krabben, Plankton und Lippfischen, mit Salzwasser durchtränkt, von Felsen umgeben, festgewachsen, fächerförmig, unermesslich tief, mit Rückenstacheln oder Strahlen bewehrt, kieselig und phosphoreszierend, während hier und da «ein Hummer sich mit geschickter Vorsicht durch das ewige Zwielicht tastet». Die Landratte Der stumme Frühling ist ein folgenreiches Buch: Es begründete die Umweltbewegung und gab den Anstoß für mehrere wichtige Umweltgesetze, die zwischen 1963 und 1972 in den USA verabschiedet wurden; und es führte im Jahr 1970 zur Gründung der US-Umweltbehörde, der Environmental Protection Agency. Die Anzahl der Bücher, die so viel Gutes in der Welt bewirkt haben, kann man an den Armen eines Seesterns abzählen. Doch in ihren meisten anderen Büchern und Aufsätzen schrieb Carson über das Meer. Als junge Frau wäre sie überrascht gewesen, dass man sich später an sie vor allem als Autorin eines Buches über die Gefahren von Gartenpestiziden wie DDT erinnern würde. Damals arbeitete sie als Meeresbiologin für das US Bureau of Fisheries, die US-Fischereibehörde, schrieb Memos über Maifische und über die neugierigen Schnauzen der Wale. Ihr Spezialgebiet während des Studiums war der Amerikanische Aal gewesen. Rachel Carson war sehr stolz auf Der stumme Frühling. Dennoch ist es erschütternd, dass eine neue Sammlung ihrer Schriften, die Sandra Steingraber unter dem Titel Silent Spring and Other Writings on the Environment herausbrachte, keinen einzigen ihrer Texte über die See enthält. Steingraber schließt diese Texte mit dem Hinweis aus, dass «Carsons Bücher über die See zwar gelegentlich auf Umweltbedrohungen hinweisen, aber nicht explizit zum Handeln auffordern». Bei Prosatexten, deren Stärke in Erkenntnissen und Staunen liegen, ist die politische Überzeugungskraft ein eigenartiges Wertmaß. In ihrem ersten Buch Under the Sea-Wind (1941, auf Deutsch als Unter dem Meerwind 1947 erschienen) schrieb Carson: «An der Meeresküste zu stehen – das Strömen von Ebbe und Flut zu spüren – den Hauch des Nebels zu atmen, der über eine weite Salzmarsch streift – dem Flug der Ufervögel zu folgen, die seit vielen Tausenden von Jahren über die Brandungslinien der Kontinente steigen – den Zug der alten Aale und der jungen Alse zu erleben, wenn sie ins Meer zurückkehren –, bedeutet solches Wissen nicht Wissen um Dinge, die ebenso ewig sind wie irgendein anderes Leben unserer Erde?» Sie hätte Der stumme Frühling nicht schreiben können, wenn sie vorher nicht jahrzehntelang mit hochgerollten Hosenbeinen über Felsen geklettert, durch Gezeitentümpel gewatet wäre und dabei darüber sinniert hätte, wie sich Dinge gegenseitig beeinflussen und wie «das Salz der Kontinente im Lauf der Zeitalter das Wasser der See bitter werden ließ». Am liebsten zog sie bei Dunkelheit mit einer Taschenlampe los in die pechschwarze Nacht. Alles Leben kommt aus dem Meer, betont Carson immer wieder und nennt es «die große Mutter allen Lebens». Auch wir Landsäugetiere, mit unseren kalkgehärteten Skeletten und unserem salzigen Blut, entstehen im Ozean einer Gebärmutter. Carson selbst konnte nicht schwimmen. Sie mochte keine Boote. In ihrer Kindheit hatte sie den Ozean noch nicht einmal von Ferne gerochen. Sie träumte von ihm: «Ich habe mir als Kind vorgestellt, wie das Meer wohl aussah, wie sich die Wellen anhörten.» Rachel Carson wurde im Jahr 1907 im westlichen Pennsylvania in der Nähe des Flusses Allegheny geboren. Die Familie lebte in einem zweistöckigen, mit Schindeln verkleideten Haus auf einer 26 Hektar großen Farm mit einer Obstwiese voller Apfel- und Birnbäume, einem Hof mit einem Schwein, einem Pferd sowie ein paar Hühnern und Schafen. In den Anfangszeilen von Der stumme Frühling beschreibt sie einen ganz ähnlichen Ort: Es war einmal eine Stadt im Herzen Amerikas, in der alle Geschöpfe in Harmonie mit ihrer Umwelt zu leben schienen. Die Stadt lag inmitten blühender Farmen mit Kornfeldern, deren Gevierte an ein Schachbrett erinnerten, und mit Obstgärten an den Hängen der Hügel, wo im Frühling Wolken weißer Blüten über die grünen Felder trieben. Im Herbst entfalteten Eiche, Ahorn und Birke eine glühende Farbenpracht, die vor dem Hintergrund aus Nadelbäumen wie flackerndes Feuer leuchtete. Damals kläfften Füchse im Hügelland, und lautlos, halb verhüllt von den Nebeln der Herbstmorgen, zog Rotwild über die Äcker. Sie war das jüngste von drei Kindern und verbrachte ihre Kindheit auf den Feldern und in den Hügeln, wo ihre Mutter ihr Pflanzennamen und Tierrufe beibrachte. Sie las die Bücher von Beatrix Potter und Der Wind in den Weiden. Mit acht Jahren schrieb sie eine eigene Geschichte über zwei Zaunkönige auf der Suche nach einem Zuhause. «Ich kann mich an keine Zeit erinnern, auch nicht in frühester Kindheit, als ich nicht davon ausging, dass ich Schriftstellerin werden würde», sagte sie. «Ich weiß nicht, warum.» In Geschichten, die sie als Teenager schrieb, beschreibt sie ihre Entdeckungen: «Das Nest der Virginiawachtel, voll mit Eiern, die luftige Kinderstube des Trupials, das Zweiggerüst, das der Kuckuck als Nest bezeichnet, und das mit Flechten bedeckte Zuhause des Kolibris.» Doch dann verkaufte Carsons Vater, der, außer mit seinem Rosengarten, mit kaum etwas Erfolg hatte, Teile der Farm. Auf den Wiesen wurden Häuser gebaut und Geschäfte eröffnet. Der kohlenschwarze Pesthauch drang aus dem verrauchten Pittsburgh letztendlich auch in Carsons Kindheit vor. Dieser Verlust ermöglichte es ihr später mit solcher Klarheit in den Eröffnungssätzen von Der stumme Frühling das Schicksal einer imaginären amerikanischen Kleinstadt zu beschreiben, die mit DDT besprüht wird: Dann tauchte überall in der Gegend eine seltsame schleichende Seuche auf, und unter ihrem Pesthauch begann sich alles zu verwandeln. Irgendein böser Zauberbann war über die Siedlung verhängt worden: Rätselhafte Krankheiten rafften die Kükenscharen dahin; Rinder und Schafe wurden siech und verendeten. Über allem lag der Schatten des Todes. Die Farmer erzählten von vielen Krankheitsfällen in ihren Familien. In der Stadt standen die Ärzte immer ratloser den neuartigen Leiden gegenüber, die unter ihren Patienten auftraten. Einige Menschen waren plötzlich und unerklärlicherweise gestorben, nicht nur Erwachsene, sondern sogar Kinder, die mitten im Spiel jäh von Übelkeit befallen wurden und binnen weniger Stunden starben. Rachel Carson verließ ihr Zuhause, um am Pennsylvania College for Women Englisch zu studieren. Sie schickte Gedichte an verschiedene Zeitschriften – Poetry, The Atlantic, Good Housekeeping, The Saturday...