E-Book, Deutsch, Band 2, 608 Seiten
Reihe: Under the Northern Sky
Carew Der dunkle König
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-21692-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 608 Seiten
Reihe: Under the Northern Sky
ISBN: 978-3-641-21692-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Schlacht um den Wolfsthron ist geschlagen – doch der Krieg um Albion hat erst begonnen ...
In einer gewaltigen Schlacht konnte Roper, der junge Lord des Nordens, den Süden von Albion bezwingen. Doch seine Feinde ruhen nicht. Als Ropers Bruder Opfer eines heimtückischen Anschlags wird, begibt sich die weise Sucherin Inger auf die Jagd nach den Mördern. Roper reitet indes mit der unerschrockenen Keturah und einer Handvoll Vertrauter nach Westen, um sich der Hilfe des Waldvolkes der Unhieru zu versichern. Eine Reise voller Wagnisse – und Roper muss sich beeilen. Denn im Süden schmiedet sein Erzfeind, der ehrgeizige Heerführer Bellamus, einen Plan, tödlicher als jedes Schwert …
Leo Carew, geboren 1991, studierte in Cambridge Biologische Anthropologie und spezialisiert sich aktuell auf Polarmedizin. Neben dem Schreiben gilt seine Leidenschaft Expeditionen. So verbrachte er ein Jahr in der Arktis, wo er sich zum Polar-Guide ausbilden ließ. »Wolfsthron« ist sein Debüt.
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PROLOG
Ein kleines Boot schaukelte auf dem pechschwarzen, trägen Meer, während der Regen sanft wie Entendaunen vom Himmel fiel. Mond und Sterne verbargen sich hinter dichten Wolken. Nur das Klatschen der Ruder und das Plätschern der Wellen gegen den Rumpf waren zu hören. Der dunkle Umriss an den Riemen ächzte und stieß bei jedem Atemzug einen feinen Sprühnebel aus. Der einzige Passagier, eine schwarze Silhouette am Heck des Bootes, war so riesig, dass sein Gewicht den Bug aus dem Wasser hob.
»Ich weiß noch immer nicht, was du vorhast«, sagte der Ruderer.
Die dunkle Gestalt am Heck antwortete nicht. Stattdessen zog sie die Kapuze über den Kopf, um sich vor dem Regen zu schützen, und starrte auf das Meer hinaus.
»Du könntest mitrudern«, schlug der Ruderer vor. Sein Name war Unndor. »Dann kämen wir schneller vorwärts.«
Der Schatten deutete auf seinen verbundenen Arm, den er schützend an die Brust gedrückt hielt. »Schwerlich.«
Das Boot nahm Kurs auf einen hellen Lichtfleck, der weit entfernt über dem Wasser schwebte. Die Wellen schlugen gegen den Rumpf des Kahns und schaukelten die beiden durch, während das ferne Licht allmählich näher kam und sich der Umriss eines Schiffs abzuzeichnen begann. Das Funkeln wurde immer wieder von dunklen Gestalten verdeckt, die über das Deck hasteten. Das schlingernde, schwitzende und dickbäuchige Ungetüm von einem Schiff wurde immer größer. Es hatte weder Bullaugen noch Mast und wurde von zwei Ankerseilen aus Hanf gehalten, die unter der Wasseroberfläche verschwanden. Gelbes Lampenlicht überflutete das Deck und wurde verdunkelt, als das kleine Boot in den Schlagschatten des Rumpfes gelangte. Man hatte sie bemerkt: Die Silhouette eines Kopfs tauchte über der Reling auf. »Ellengaest, seid Ihr das?«
»Ich bin es«, erwiderte die dunkle Gestalt am Heck.
Der Kopf verschwand augenblicklich.
»Man hat dich erwartet?«, erkundigte sich Unndor.
»Ich bin der einzige Besucher, der bei Nacht hier auftaucht.«
Ein Seil wurde über die Seite heruntergeworfen, und zwei Hände befestigten das obere Ende an der Reling. Unndor nahm das Seil und knotete es an einem eisernen Ring am Bug des Ruderbootes fest.
Dann entrollte sich eine Strickleiter und purzelte den Rumpf herab, bis das Ende unmittelbar über dem schaukelnden Dollbord des Bootes baumelte. Der Passagier, Ellengaest, rührte sich nicht. Schließlich stand Unndor auf, setzte einen Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter und stieg hinauf. Erst als etliche Hände ihm über die Reling halfen, folgte Ellengaest ihm.
Man zog ihn auf das riesige Deck, das von einer niedrigen Reling gesäumt wurde und leicht gewölbt war, wie ein Ausschnitt eines riesigen Fasses. Überall waren Pfosten eingelassen, an denen rußgeschwärzte Sturmlaternen hingen. Die Männer an Deck in ihren schwarzen Mänteln wirkten erschöpft. Ihnen allen haftete der rauchige Geruch von Teer an. Der Regen perlte auf den schweren Gewändern und trieb in Böen durch den Lampenschein. Galti, der Kapitän, war klein und bucklig und hielt etwas mehr Abstand als üblich von der großen Gestalt Ellengaests.
»Was kann ich für Euch tun, Sir?«, fragte er und wies dann sofort seine Matrosen an: »Lasst uns allein!«
Ellengaest sah den sich eilig entfernenden Männern nach. »Dieser Ort ist die Hölle«, sagte er.
Galti widersprach nicht, sondern fixierte starr seinen Besucher, während ihm der Regen über das Gesicht lief.
»Wir wollen zu einem deiner Gefangenen, Kapitän«, antwortete Ellengaest. »Urthr Uvorenson.«
Galti scharrte unbehaglich mit den Füßen. »Was wollt Ihr von ihm, Sir? Ich frage nur, weil er ein sehr wichtiger Gefangener ist.«
»Das geht dich nichts an, Kapitän. Führ uns zu ihm.«
Galti zögerte, führte sie dann jedoch zähneknirschend zu einer breiten Luke in der Mitte des Decks. Als er sie aufzog, setzte er damit eine Dunstwolke aus Feuchtigkeit, Exkrementen, Urin und Fäulnis frei. Unndor taumelte zurück, während Galti seinen Fuß auf die Sprossen einer von außen nicht sichtbaren Leiter setzte und in dem Loch verschwand. Die beiden Neuankömmlinge blieben neben der Luke stehen.
»Ellengaest?«, fragte Unndor. »Warum ausgerechnet Ellengaest? Klingt wie ein Wort der Südlinge.«
»Du gehst als Nächster.« Ellengaest würdigte Unndor keines Blickes.
»Mein Bruder vegetiert seit mehr als drei Monaten da unten vor sich hin?«
»Steig runter und frag ihn selbst.«
Unndor verzog das Gesicht und verschwand ebenfalls durch die Luke. Er musste sich winden, damit seine breiten Schultern hindurchpassten. Ellengaest atmete einmal tief durch, dann folgte er den beiden Männern hinab.
Die Luft unter Deck glich einem giftigen Pesthauch. Ein halbes Dutzend Kerzen beleuchtete den Gang vor ihm. Ellengaest ging weiter und ignorierte die glänzenden Augen hinter den Gitterstäben, deren Blicke ihm folgten, als er vorüberging. Der Gang schwankte mit dem Rollen des Schiffs, und auf beiden Seiten ertönte leises Klirren, wenn die Gefangenen sich bewegten.
Als er Galti und Unndor erreichte, stand die Zellentür bereits offen. Er trat ein und nahm die Kerze, die Galti ihm hinhielt. Ihr Licht fiel auf zwei Holzkojen. Die obere war leer. Auf der unteren lag ein angeketteter Gefangener, der sich steif aufrichtete, als die Neuankömmlinge seine Zelle betraten. Er blinzelte, geblendet vom Licht der Kerze.
»Lass uns allein!«, befahl Ellengaest dem Kapitän.
Galti gehorchte, und während seine Schritte im Gang verhallten, maßen sich Ellengaest, Unndor und der Gefangene mit ihren Blicken.
Urthr Uvorenson war von Ellengaest selbst in diesen stinkenden Schiffsbauch verfrachtet worden, obwohl er das vermutlich nicht einmal wusste. Er hatte erst drei Monate seiner sechzigjährigen Strafe abgesessen und sah bereits jetzt aus wie ein gebrochener Mann. Er war abgemagert, sein Haar verfilzt und seine Miene wachsam. Offene Wunden schwärten an den Händen, und seine Nägel waren spröde von der endlosen Arbeit, Getreide zu mahlen, geteerte Taue aufzutrennen und Eisenerz zu zertrümmern.
»Bruder«, sagte er und sah Unndor an. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem anderen Besucher zu. »Und dich kenne ich auch. Du bist …«
»Ellengaest«, schnitt ihm der Mann das Wort ab. »Mein Name ist Ellengaest.«
Urthr starrte ihn bei diesen Worten an, dann zuckte er mit den Schultern. »Was willst du hier?«
Der Besucher, Ellengaest, lächelte Urthr humorlos an. »Ich will in Erfahrung bringen, ob du hier rauswillst, als freier Mann.«
Urthr lachte kurz und tonlos. Dann warf er seinem Bruder einen verbitterten Blick zu und zog sich in die Ecke seiner Koje zurück, um seiner Empörung über diesen grausamen Scherz Ausdruck zu verleihen.
»Ich mache keine leeren Versprechungen«, erklärte Ellengaest.
Urthr zuckte mit den Schultern. »Und wie willst du das bewerkstelligen?«
»Ich könnte dich gleich heute Nacht mitnehmen«, antwortete Ellengaest. »Dein Bruder und ich sind mit dem Boot hier herausgefahren. Es liegt draußen vertäut. Die Sache ist ganz einfach: Du willigst ein, mir zu helfen, dann rudern wir drei in diesem Boot zum Strand zurück.«
Urthr musterte ihn eingehend. »Man würde uns daran hindern.«
»Der Kapitän«, Ellengaest beugte sich vor, um Urthrs Reaktion zu beobachten, »steht bis zum Hals in meiner Schuld. Wir haben eine sehr befriedigende Vereinbarung getroffen. Ich bewahre Schweigen über das, was ich für ihn getan habe, und dafür verfüge ich frei über die Gefangenen, die ich brauche.«
Ungläubig sah Urthr ihn an. »Und was genau hast du für ihn getan?«
»Wenn ich es dir sagte, würde es die Schuld tilgen.«
Urthr hob seine mit den Handschellen gefesselten Hände. »Ich bin für jede Vereinbarung zu haben, die mich aus diesem Loch holt. Also, was willst du von mir?«
»Es geht nicht darum, was ich von dir will. Sondern was ich für dich will. Für euch beide.« Er deutete auf Unndor. »Rache. An dem Mann, der euren Vater getötet und dich in dieses Loch gesteckt hat, um für Verbrechen zu sühnen, die du nicht begangen hast. Wir werden den Schwarzen Lord stürzen.«
Urthrs Kopf fuhr zu seinem Bruder herum, dann sah er Ellengaest wieder an. »Und warum solltest du das tun?« Er sprach leise, kaum hörbar.
»Du hast den Schlüssel zu deiner Freiheit selbst in der Hand«, erwiderte Ellengaest. »Aber wenn du zu ungehobelt bist, könnte er dir zwischen den Fingern hindurchrutschen.«
Unndor beugte sich aus der Ecke vor, in die er sich zurückgezogen hatte, und ergriff das Wort. »Du kannst nicht einfach davon ausgehen, dass wir dir vertrauen. Es kursieren Gerüchte über dich. Und wie willst du dein Vorhaben überhaupt verwirklichen, wo doch schon unser Vater daran gescheitert ist? Wie willst du Roper zu Fall bringen?«
»Auf der anderen Seite des Abus lebt ein Mann«, antwortete Ellengaest. »Ein Mann aus dem Süden, ein ungewöhnlich gerissener Mann. Er lässt die Kunde verbreiten, dass er Spione anwirbt.«
»Bellamus.« Urthr klang nicht beeindruckt. »Er ist der vielleicht ärgste Feind des Schwarzen Königreiches. Und ausgerechnet ihn willst du manipulieren?«
»Ich werde ihn benutzen. Ebenso wie die Kryptea. Und ihr helft mir dabei, oder du wirst hier verfaulen. Du hast die Wahl.«
In der Dunkelheit ertönten auf dem Deck über ihren Köpfen laute Schritte. Sie konnten förmlich spüren, wie neugierige Ohren versuchten, irgendeines ihrer Worte...