Campeau | Meine Seele kriegt ihr nie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Campeau Meine Seele kriegt ihr nie

Als Geisel verschleppt, gefoltert und zum Islam gezwungen
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-451-81237-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Als Geisel verschleppt, gefoltert und zum Islam gezwungen

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-81237-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Carl Campeau ist seit Jahren für die UN in den gefährlichsten Ländern der Welt im Einsatz. Bis er in Syrien von Terroristen der al-Nusra-Front entführt wird und einen unvorstellbaren Horror erlebt. Er wird verschleppt, eingesperrt und psychisch gefoltert. Campeau kämpft täglich gegen die Verzweiflung und seine Frau, eine Syrerin, versucht über Telefon und Skype das Leben ihres Mannes zu retten. Irgendwann kann Campeau fliehen und für ihn beginnt der lange Weg zurück ins Leben. Dieser Weg kreuzt sich auf spektakuläre Weise erneut mit einem seiner Geiselnehmer: Dieser wird als anerkannter Flüchtling in Deutschland festgenommen. Es kommt zu einem aufsehenerregenden Prozess, der durch die internationalen Medien geht. Für Campeau ist dieser Prozess ein weiterer Kampf, den er durchstehen muss. Neben dem Trauma der Entführung ist es besonders die Zwangskonversion zum Islam, die ihn zutiefst geprägt hat. Inzwischen wieder Christ, setzt er sich damit auseinander, beschreibt, wie er die Konversion als psychische Belagerung erlebt hat und wie er mit dem Islam, aber auch dem Christentum nach seiner Befreiung umzugehen versucht. Ein herausragendes Buch, das mit der Konversion ganz andere Themen in den Fokus setzt als vergleichbare Bücher. Und das die Geschichte eines Mannes erzählt, der nicht nur um sein Leben und seinen Glauben, sondern auch um Gerechtigkeit kämpft.

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Wenn ich zurückblicke auf die Zeit vor dem 17. Februar, auf den Abend, aber auch auf die Tage und Wochen davor, kann ich viele Warnungen erkennen. Vielleicht ist das auch nur ein Trick der Seele oder ein Spiel der Fantasie, der Einbildung, die mir irgendwie einflüstern will, dass ich das doch alles hätte sehen und deshalb vermeiden können, dass ich gar nicht so hilflos und ohnmächtig meinem Schicksal ausgeliefert war, wie es mir scheint. Aber das glaube ich nicht, ich bin vielmehr davon überzeugt, dass ich spüren konnte, wie sich die Gefahr in mein Leben schlich. Mehr noch als auf meinen vorherigen Missionen. Und trotzdem war ich wie ein Kind, das sich die Finger noch nicht am heißen Ofen verbrannt hatte. Am 16. Februar war ich erst seit wenigen Wochen wieder zurück im Camp. Drei Monate lang war ich krankgeschrieben, Meniskus und Kreuzbandriss, und die Operation am Knie in Straubing war heftig und schwer gewesen. Danach hatte ich, wie gesagt, keine ordentliche Reha gemacht, das sollte sich jetzt rächen. Im Camp machten die Kollegen Witze, wenn sie mich mit meiner Schiene umherhinken sahen, nannten mich Terminator oder Robocop. Hätte ich gewusst, wie sehr diese Operationsfolgen mich in den gefährlichsten Momenten meines Lebens einschränken, wie sehr sie mich am Überleben hindern würden, ich wäre wohl jeden verdammten Tag nach der Operation zum Training gegangen. So aber war ich direkt nach Wien zurückgekehrt, wo ich jedoch keinen Physiotherapeuten finden konnte, der zu dieser Zeit spontan einen, geschweige denn mehrere Termine frei hatte. Auch drei Monate nach meiner Operation war ich nicht in der Lage, aus einem Fenster zu springen oder schnell zu sprinten. Auch nicht unter den Umständen, unter denen ich bald zu leiden hatte. Zwei Monate vorher in Wien, direkt nach meiner Operation, und kurz vor Weihnachten 2012: Ich war trotz meiner Probleme mit dem Knie in Hochstimmung. Das hatte einen einfachen Grund: Ich liebe die Vorweihnachtszeit. In diesen Vorweihnachtstagen schlenderten wir durch die festlich geschmückten und beleuchteten Gassen, unternahmen Spaziergänge über den Weihnachtsmarkt in Spittelberg, fasziniert von den Ständen mit Krimskrams, kleinen Kunstwerken, Fellmützen, Christbaumschmuck und anderen Handwerksarbeiten. Wir tranken einen Glühwein, um uns aufzuwärmen, und genossen die Mischung aus Kitsch, Romantik und Vorfreude. In meinem Apartment stand bereits ein Christbaum, er war geschmückt mit Doppeldeckern, einem Zeppelin, Kugeln und kleinen Holzfiguren, die Weihrauch aus ihren Mündern entweichen ließen. Natürlich befand sich auch eine süße, liebevoll gestaltete Krippe unter dem Baum. An Weihnachten kam nicht nur das Christkind, sondern auch mein inneres Kind zum Vorschein. Syrien war in diesen Tagen weit, weit weg. Erst kurz vor meiner Abreise, bei einem Mittagessen bei einem chinesischen Buffet, äußerten sich einige meiner Freunde sehr besorgt. Zum ersten Mal sah ich sie so, und das erfüllte wiederum mich mit Sorge. Es war, als läge ein Schatten über meiner Reise nach Syrien und als würden die Gefahren ihre Finger schon bis ins winterlich-beschauliche Wien nach mir ausstrecken. Ich fühlte unbewusst, dass irgendetwas Dunkles vor mir lag. Doch ich schob es beiseite, so wie man einen nadelnden Tannenbaum wegwirft oder ein hässliches Weihnachtsgeschenk umtauscht. Aus den Augen, aus dem Sinn. Kurz nach Dreikönig ging es zurück nach Syrien. Unsere Mission dort gab es schon seit mehr als vierzig Jahren, am 31. Mai 1974 wurde sie nach dem Jom-Kippur-Krieg mit der Resolution 350 des UN-Sicherheitsrates beschlossen. Vor allem Österreicher und Philippiner werden derzeit eingesetzt, um ein Gebiet von knapp 240 Quadratkilometern, das zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und dem von Syrien kontrollierten Gebiet liegt, zu beobachten. Bis 1994 war das Hauptquartier in Damaskus gelegen, dann bezog man Camp Faouar. Die Mission war lange Zeit ein großer Erfolg gewesen, ruhig und ohne für großes Aufsehen zu sorgen, was meistens ein gutes Anzeichen für einen UN-Einsatz ist. Jetzt aber erschwerte der Bürgerkrieg unsere Arbeit massiv, wir liefen ständig Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten. Ich war 2010 das erste Mal für die Mission nach Syrien gekommen. Zu Beginn hatte ich noch in Damaskus gelebt, die meiste Zeit zumindest. Später brachen der Krieg und das Chaos und das Sterben über Damaskus herein, und ich zog dauerhaft nach Camp Faouar. Zwei Jahre später war es mit regulären Fluglinien nicht mehr möglich, nach Damaskus zu fliegen, und auch ich bevorzugte im Januar 2013 einen Flug nach Beirut. Das bedeutete zwar, dass ich die hügelige und unübersichtliche Straße zur Grenze nehmen musste, meistens mit einem Taxi, aber das war mehr oder weniger sicher. Zumindest für die Standards vor Ort. In Beirut angekommen, fand ich sofort ein Taxi, das mich über die Grenze bringen sollte. Die Route erstreckt sich zwar nur über knapp hundert Kilometer, doch die Straße hat mehr Hügel und Kurven als Geraden und fordert ihre Zeit. Der Fahrer stoppte irgendwann, für eine Zigarette und einen Kaffee. Das Ganze schien mir nicht geheuer, und es erinnerte mich an einen Organhandel-Fall, der mir im Kosovo untergekommen war. Allerdings lag ich komplett daneben, der Fahrer gab mir sogar einen Kaffee aus. Es ging weiter, durch eine wundervolle Landschaft, durch weniger wundervolle Militärcheckpoints und vorbei an unzähligen Plakatwänden mit riesigen Werbeanzeigen für Hochzeitskleider und -anzüge. Ich war davon fasziniert und wusste nicht einmal genau, weshalb. Und ich fragte mich immer wieder: War das das Zentrum allen Strebens hier im Libanon? Ich hatte einige Zeit, mich darüber zu wundern, doch nach gut drei Stunden erreichten wir schließlich die Grenze. Ich bezahlte siebzig Dollar und ließ die Einreiseformalitäten über mich ergehen, die für mich sehr angenehm waren. Als UN-Mitarbeiter musste ich in keiner Schlange warten, hatte keine Probleme mit dem Visum oder irgendwelchen Pseudo-Kontrollen. Vor allem das Schlangestehen in Syrien war nervtötend. Jeder drängelte, jeder achtete nur auf sich. Darwin hätte seine wahre Freude daran gehabt, es ging in diesen Schlangen wirklich nur um das Recht des Stärkeren, Unverschämteren oder Rücksichtsloseren. Ein einziges Gedrängle, Geschubse und Geschiebe. Ohne jede Entschuldigung, einfach nur eine Selbstverständlichkeit. Wirklich: Darwinismus pur. Danach das nächste Taxi, diesmal Richtung Damaskus. Ich halte es nach wie vor für Wahnsinn, dass die UN ihre Angestellten und Mitarbeiter in einheimischen Taxis fahren lässt. Wieso solch ein Risiko eingehen? Wie auch immer, ich fand ein Taxi, alt und stinkend, es durfte geraucht werden, leider. Ich dachte noch darüber nach, dass ich, wenn ich ein Kidnapper oder Führer einer Rebellengruppe wäre, einfach einen Deal mit Taxifahrern eingehen würde – leichter konnte man keine Geiseln bekommen –, da drückte der Fahrer schon auf das Gaspedal. Gefahren drohten von vielen Seiten. Nicht nur von den Straßen, deren Zustand einige Risiken bargen, und von möglichen Entführern, die jederzeit hätten zuschlagen können. Gerade auch die Checkpoints bedeuteten ein großes Risiko. Hier bildeten sich Schlangen, man musste langsam fahren, und so wäre es für einen Selbstmordattentäter ein Leichtes gewesen, sich und viele andere ohne größere Probleme in die Luft zu sprengen. Der Stopp an den Checkpoints war immer ein Nervenkitzel. In Damaskus angekommen, musste ich einen Zwischenstopp einlegen, es war zu spät, um noch ins Camp zu reisen. Ich checkte im Dama-Rose-Hotel ein, wo ich schon öfter untergekommen war, und das mir Annehmlichkeiten wie einen Pool oder auch einen Fitnessraum bot. Allerdings waren mir an diesem Abend Pool, Fitnessraum und auch alles andere ziemlich egal, ich war einfach nur fertig und hundemüde. Kaum auf meinem Zimmer, hatte ich mich schon auf mein Bett geworfen; der Schlaf kam wenige Minuten später, traumlos und unruhig; immer wieder hörte ich den Krieg um und durch Damaskus wogen. Es ist verstörend, wie sich Menschen an eine Geräuschkulisse gewöhnen. Wer das erste Mal eine Bombe in seiner Nähe explodieren oder das Rattern von Maschinengewehren hört, wird vermutlich zu Tode erschrocken sein. Hier aber gehörte das Artilleriefeuer längst zum alltäglichen Stadtgeräusch, so wie Autos oder Straßenhändler, und es schien, als würden die Einwohner selbst die Kämpfe als normalen Teil ihres Lebens einkalkulieren. Krieg als Bestandteil des Alltags wie Frühstück, Mittag- und Abendessen. Das ist etwas überspitzt, natürlich, doch in den Jahren meiner Arbeit hat es mich immer wieder bis ins Mark getroffen, wie selbst Gewalt und Gräuel eines Krieges von manchen Menschen als Teil des Lebens, des Überlebens, gesehen werden. Eine Deformation der Wahrnehmung, die später in Friedenszeiten das Zusammenleben enorm erschwert. Ich selbst hatte noch die Wiener Weihnachtsgeräusche in Ohr und Kopf und schreckte immer wieder hoch, bis ich viel zu früh am Morgen geweckt wurde. Gerädert und noch immer in einer düsteren Stimmung frühstückte ich und stieg dann in den unbewaffneten Wagen eines UNTSO-Mitarbeiters (United Nations Truce Supervision Organization). Er musste auch ins Camp, und ich konnte auf diese Weise eine weitere Taxifahrt vermeiden. Auf unserer Route wurde mir an vielen Kleinigkeiten bewusst, wie sehr sich die Lage im Land verschärft hatte. Oft sind es nicht die großen Schreckensmeldungen, die einem das ganze Ausmaß vor Augen führen, denn an die hat man sich irgendwie schon gewöhnt, und man ist etwas abgestumpft. Es sind die kleineren und unscheinbareren Dinge oder Begegnungen, wie zum Beispiel die vielen zerstörten und verlassenen Häuser, notwendige Reparaturen, die nicht mehr ausgeführt...


Carl Campeau (52) stammt aus Kanada, er ist studierter Jurist und Philosoph. Er arbeitet seit fast zwanzig Jahren für die UN. Er war in Bosnien, Albanien, dem Kosovo, Liberia und Syrien im Einsatz.



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