Camilleri | Der unschickliche Antrag | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Reihe: E-Book-Edition ITALIEN

Camilleri Der unschickliche Antrag


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8031-4173-6
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Reihe: E-Book-Edition ITALIEN

ISBN: 978-3-8031-4173-6
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
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Der Holzhändler Filippo Genuardi, genannt Pippo, begeistert sich für alles Neue: Er besitzt einen Phonographen Edison und einen motorisierten Vierräder, den er aus Paris kommen ließ. Und nun möchte er ein Telefon - eine Sensation im Sizilien des Jahres 1891. Pippos Antrag ist dem Präfekten suspekt. Wozu braucht ein Holzhändler ein Telefon? Aber Pippo ist nicht auf den Kopf gefallen, er weiß, wie die Dinge funktionieren auf seiner Insel. Er trifft Freunde, die wieder Freunde haben, die seinen Antrag auf den Weg bringen können, für einen kleinen Gefallen, wie das eben so ist. Bald ist halb Sizilien in den Fall verwickelt.

Andrea Camilleri, geboren 1925 in Porto Empedocle, Provinz Agrigento, war Schriftsteller, Drehbuchautor, Theaterregisseur und lehrte an der Accademia d'arte drammatica Silvio d'Amico in Rom. Als Verfasser vielgelesener historischer Romane über seine sizilianische Heimat und der erfolgreich verfilmten Krimis um den Commissario Montalbano wurde er zu einem der populärsten Autoren Italiens. Die italienischen Verhältnisse beobachtete Camilleri so ironisch-verschmitzt wie genau, und besonders in der Berlusconi-Ära trat er als eine der am deutlichsten vernehmbaren kritischen Stimmen hervor. Camilleri starb 2019 in Rom.
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Exzellenz,

der Unterzeichnete GENUARDI Filippo, Sohn des hingeschiedenen Giacomo Paolo und der Posacane Edelmira, geboren in Vigàta (Provinz Montelusa), am 3. des Monats September 1860, und daselbst wohnhaft in der Via dell’Unità d’Italia Nr. 75, von Beruf Holzhändler, möchte Kenntnis darüber erhalten, welche Dokumente zur Bewilligung eines Telephonanschlusses zum privaten Gebrauche erforderlich sind.

Zutiefst dankbar für die güthige Aufmerksamkeit, die E. E. meiner Bitte zukommen lassen wollen, verbleibe ich unterthänigst und hochachtungsvoll

Exzellenz,

der Unterzeichnete GENUARDI Filippo, Sohn des hingeschiedenen Giacomo Paolo und der Posacane Edelmira, geboren in Vigàta (Provinz Montelusa), am 3. des Monats September 1860, und daselbst wohnhaft in der Via dell’ Unità d’Italia Nr. 75, von Beruf Holzhändler, suchte, mit Datum des 12. Juni diesen Jahres, will sagen vor nunmehr genau einem Monat, der Großmuth und Güthe Eurer Exzellenz die Bitte vorzutragen, Kenntnis darüber zu erhalten, welche Dokumente unerläßlich nothwendig sind zur amtlichen Bewilligung eines Telephonanschlusses zu privatem Gebrauche.

Da ich, gewiß auf Grund eines ganz einfachen Versehens, keinerlei Antwort seitens des Amtes erhalten habe, dem E. E. in so hervorragender Weise vorstehen, sieht sich der Unterzeichnete leider vor die nicht zu umgehende Nothwendigkeit gestellt, die Bitte noch einmal demüthig vorzutragen.

Zutiefst dankbar für die güthige Aufmerksamkeit, die E. E. meinem Ersuchen zukommen lassen wird, und mich außerordentlich entschuldigend für die Störung, die ich Eueren Hohen Amtswaltungen verursacht habe, verbleibe ich unterthänigst und hochachtungsvoll

Hochverehrteste, hochwertheste Exzellenz!

Der Unterzeichnete GENUARDI Filippo, Sohn des hingeschiedenen Giacomo Paolo und der ebenfalls hingeschiedenen Posacane Edelmira, geboren in Vigàta (Provinz Montelusa), am 3. des Monats September 1860, und daselbst wohnhaft in der Via Cavour Nr. 20, Holzhändler, vermaß sich, mit Datum vom 12. Juni diesen Jahres, will sagen vor genau zwei Monaten, der vortrefflichen Großmuth, dem weitblickenden Verständnis und der väterlichen Güthe Eurer Exzellenz ein Bittgesuch zu unterbreiten, um Kenntnis über die nothwendigen Auflagen (Dokumente, Zertifikate, Bescheinigungen, Zeugnisse, beglaubigte Aussagen) hinsichtlich der Antragstellung an die Regierung zur Bewilligung eines Telephonanschlusses zum privaten Gebrauche zu erhalten.

Gewiß auf Grund eines ganz einfachen Versehens, das der Unterzeichnete nicht einmal im Traume der Königlichen Post- und Telegraphenverwaltung anrechnet, hat er keinerlei Antwort erhalten und sah sich daher zu seinem größten Bedauern veranlaßt, Euere Exzellenz noch einmal, mit Datum vom 12. Juli diesen Jahres, zu behelligen.

Doch auch dieses zweite Mal erhielt er nicht die erbetene Antwort.

In der Gewißheit, das stolze Schweigen Eurer Exzellenz nicht verdient zu haben, wirft sich der Unterzeichnete ein drittes Mal vor Euch auf die Knie, um Euer Erlauchtes Wort zu erflehen.

Zutiefst dankbar für die güthige Aufmerksamkeit und mich außerordentlich für die Störung entschuldigend, die ich Eueren Hohen Amtswaltungen verursacht habe, verbleibe ich unterthänigst und hochachtungsvoll

P. S. Wie Euere Exzellenz durch Vergleich dieses Schreibens mit den beiden vorausgegangenen ersehen können, ist meine gottselige Mamma, wie es der Lauf des Lebens mit sich bringt, vom Allerhöchsten zu sich gerufen worden, und der Unterzeichnete ist daher in die freistehende Wohnung derselben verzogen, die sich, wie bereits gesagt, in der Via Cavour Nr. 20 befindet.

Theuerster Sasà,

erst gestern noch, hier bei uns, als wir im Club waren, sprach Don Lollò Longhitano öffentlich über Dich (genauer gesagt, er sprach schlecht über Dich). Er, Don Calogero, behauptete nämlich, daß Du, nachdem Du beim Spiel mit seinem Bruder Nino satte zweitausend Lire verloren habest, von der Bildfläche verschwunden seist. Don Lollò betonte, es sei allgemein anerkannt, daß Spielschulden innerhalb von vierundzwanzig Stunden beglichen werden müßten, Du Dir aber zweitausendfünfhundertzweiundsiebzig Stunden genommen habest, die Rechnung bis gestern abend um acht offenzuhalten. Da ich den Commendatore Calogero Longhitano gut kenne, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, wenn ihm die Eier dampfen (und gestern abend dampften sie ihm), habe ich mir, im Namen unserer alten Freundschaft, erlaubt, ihn zu unterbrechen. Wohl wissend, welchem Risiko ich mich aussetzte, als ich das tat: Don Lollò ist gefährlich widersprüchlich, und mit ihm scherzt man nicht. Doch das Bewußtsein unserer Freundschaft war stärker. Überaus freundlich, aber nicht weniger bestimmt, erinnerte ich ihn daran, daß jeder Dich als Person kenne, die eingegangene Verpflichtungen immer erfüllt. Trotz seiner Antwort (die ich Dir hier nicht wiedergebe, weil ich Dir keinen Schmerz verursachen will), fügte ich noch hinzu, daß Du Dich seit zwei Monaten in Neapel aufhieltest, in einem Krankenhaus, wegen eines schweren Lungenleidens. An diesem Punkt nun wollte Don Lollò die Anschrift des Krankenhauses aus mir herauspressen, aber es war mir irgendwie gelungen, mich um die Antwort zu drücken. Zurück zu Hause, habe ich gleich drei Gläschen französischen Cognacs trinken und mir das verschwitzte Hemd wechseln müssen: sich einer Auseinandersetzung mit dem Commendatore zu stellen, kann, mitunter, einem Selbstmorde gleichkommen. Sicher bin ich mir aber, daß Don Lollò es noch einmal versuchen wird, Deine Anschrift in Erfahrung zu bringen: Er will, daß Du die zweitausend Lire, die Du seinem Bruder schuldest, ausspuckst. Hoffen wir, daß ich, mit festem Herzen, ihm weiterhin Deine richtige Anschrift verhehlen kann, die Du mir als Unterpfand für unsere eisernen Freundschaftsbande hast enthüllen wollen. Mit diesem Briefe bitte ich Dich um einen geringfügigen Gefallen, den Du mir sicher nicht verweigern wirst, wenn Du bedenkst, was ich für Dich gethan habe und auch weiterhin für Dich zu thun beabsichtige. Du müßtest Deinen Bruder Giacomino, oder wie dieser Angestellte bei der Präfektur von Montelusa sonst heißt, bitten, eine Antwort auf drei von mir an das riesengehörnte Rindviech von Präfekten Parascianno gerichtete Briefe zu beschleunigen.

In meinem letzten Brief an ihn fehlte nur wenig, und ich hätte diesem Spermenkanonier von Neapolitaner noch den Arsch abgeleckt. Ich möchte lediglich Auskünfte über die Bewilligung eines Telephonanschlusses erhalten, ich bitte ihn ja nicht um das Loch seiner Schwester.

Tu was.

Dein

Mein vielgeliebter Bruder Sasà,

kann ich eigentlich mal erfahren, mit welchen Stricken Du mich fesseln willst? Willst Du meinen völligen Ruin? Du weißt doch, welche Opfer ich auf mich nehme, um unsere Eltern zu versorgen und Deine Schulden in monatlichen Raten abzuzahlen. Ist das der Dank, den Du mir entgegenbringst? Wie ist es bloß möglich, daß Du immer noch Deinen Kopf in die Wolken steckst und einen liederlichen Lebenswandel führst?

Nach Erhalt Deines Briefes wandte ich mich an den Commendatore Parrinello, Kabinettschef S. E. des Präfekten, um den Vorgang Deines ehrenwerthen Freundes Genuardi Filippo zu beschleunigen. Mit großer Freundlichkeit sicherte Commendatore Parrinello mir dies zu. Dann aber rief er mich am nächsten Morgen zu sich in sein Arbeitszimmer, ließ mich die Thüre mit dem Schlüssel abschließen und theilte mir mit, daß der Vorgang Genuardi in den Händen Seiner Exzellenz selber liege, weil die Angelegenheit nicht unbedeutend sei. Der Commendatore hat mich auch noch besonders darauf hinweisen wollen, daß S. E. nicht mehr ganz bei Sinnen sei und riet mir, mich aus dieser ganzen Sache herauszuhalten, die gefährliche Folgen nach sich ziehen könnte.

Zieh Du Dich also aus dieser Angelegenheit zurück, die nur verdächtig sein wird. Sprich mir nie wieder von Filippo...


Andrea Camilleri, geboren 1925 in Porto Empedocle, Provinz Agrigento, war Schriftsteller, Drehbuchautor, Theaterregisseur und lehrte an der Accademia d'arte drammatica Silvio d'Amico in Rom. Als Verfasser vielgelesener historischer Romane über seine sizilianische Heimat und der erfolgreich verfilmten Krimis um den Commissario Montalbano wurde er zu einem der populärsten Autoren Italiens. Die italienischen Verhältnisse beobachtete Camilleri so ironisch-verschmitzt wie genau, und besonders in der Berlusconi-Ära trat er als eine der am deutlichsten vernehmbaren kritischen Stimmen hervor. Camilleri starb 2019 in Rom.

Andrea Camilleri, geboren 1925 in Porto Empedocle in der sizilianischen Provinz Agrigento, lebt in Rom. Er ist Schriftsteller, Essayist, Drehbuchautor, Theaterregisseur, Erfinder des Commissario Montalbano und Verfasser mehrerer sehr erfolgreicher historischer Romane über sein Heimatland Sizilien.



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