E-Book, Deutsch, Band 7, 208 Seiten
Reihe: Feuer
Callahan Feuer - Schatten der Liebe
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-25014-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Feuer 7 - Roman
E-Book, Deutsch, Band 7, 208 Seiten
Reihe: Feuer
ISBN: 978-3-641-25014-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Coreene Callahan arbeitete nach ihrem Psychologiestudium zunächst als Innenarchitektin, bevor sie beschloss, sich ausschließlich ihrer ersten großen Liebe zu widmen: dem Schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie in Kanada.
Weitere Infos & Material
1
CAIRNGORMS,
Schottische Highlands
Tydrin stand hoch oben auf der Klippe, die er am liebsten mochte, und beugte sich vor, um über den Rand zu spähen. Die Strahlen des Mondlichts fielen auf verwitterte Felswände, hüllten blanken Stein in sanftes Licht, stahlen sich tief in schmale Spalten, strebten dem Herzen des Berges entgegen. Er kniff seine lichtempfindlichen Augen zusammen, um sie vor dem grellen Leuchten zu schützen, und starrte in die Tiefe hinab, die die meisten als Weg in den sicheren Tod erachteten. Senkrecht abfallend. Eine Kaskade aus Eis und Schnee. Über tausend Fuß nichts als Felsen, die ihre schartigen Zähne fletschten.
Nett.
Schön.
Ein ordentlicher Sturz ins Chaos.
Das angemessene Ende für jemanden, jedoch nicht für ihn selbst. Zu springen würde keine Erlösung bringen und schon gar nicht ungeschehen machen, was er getan hatte. Die Vergangenheit nicht auslöschen.
Selbstvorwürfe ballten sich in seiner Brust zu einem Knoten zusammen, grausam und scharf, und Schmerz, dieses Ziehen der Fäden in seinem Innern, durchdrang ihn. Nicht sonderlich überraschend. Die Jahreszeit war der Auslöser dafür. Schon wieder. Wie immer. So unausweichlich wie der Wechsel der Gezeiten veränderten sich auch die Jahreszeiten, wurden die Nordwinde zu den arktischen Stürmen aufgepeitscht, die ihm nun die Haare ins Gesicht bliesen. Tydrin schüttelte den Kopf und strich sich die dunklen Strähnen aus den Augen. Am liebsten hätte er alles verdrängt. Der siebte Januar. Er verabscheute dieses Datum. Hasste seine jährliche Wiederkehr. Verzweifelte schier daran, dass die Monate stets so rasch vergingen und ihn unaufhaltsam dem Winter und der Abrechnung entgegenzerrten.
Buße. Erzwungene Wiedergutmachung. Schuldgefühle, die niemals abnahmen, ihn nie zur Ruhe kommen ließen.
Tydrin blickte zu den aufziehenden wirbelnden Sturmwolken empor und schob die Hände in die Vordertaschen seiner Lieblingsjeans. Den großen, gähnenden Eingang einer Höhle im Rücken, stellte er sich an seinen üblichen Platz, die nackten Füße bequem in ausgetretenen Vertiefungen platziert, die Schulter an die Felswand gelehnt. Eis drückte gegen seinen Arm. Die Kälte weckte seine Drachenhälfte, schärfte seine Sinne, während er ins Leere hinausstarrte. Ins Nichts. In das wirbelnde Schneetreiben der Mitternacht und die Schönheit des Schlupfwinkels in den Bergen, den er mit den anderen Mitgliedern seines Clans teilte.
Drachenblütige, verborgen in der Wildnis der schottischen Highlands. Direkt vor der Nase der menschlichen Gesellschaft. Inmitten einer Berggruppe, die zwar ein beliebtes Touristenziel war, in der es aber auch unwirtliche Gebiete gab, in die sich kaum jemand verirrte. Tydrins Mundwinkel hoben sich. Cairngorm, wie eine wunderschöne Bestie, eingebettet in zerklüftetes Gelände mit Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts.
Ein großartiges Zuhause. Das perfekte Versteck für Seinesgleichen.
Geschwärzt von der Zeit, schneebedeckt und verklüftet vom rauen Klima, erhoben sich die einzelnen Gipfel und gingen in Täler über, fielen zu nackten Felswänden ab, nur um wieder dem Himmel entgegenzustreben, als wollten sie die Hand Gottes berühren. Er schnaubte verächtlich. Gott. Von wegen. Was für ein Schwachsinn. Glaube. Hoffnung. Das Bedürfnis, an eine übernatürliche Macht zu glauben, die von oben auf ihn herabblickte und die ganze Welt – und alles in ihr – in seiner Hand hielt. Abgrundtiefer Ekel hinterließ einen üblen Geschmack in seinem Mund. So lächerlich. Mehr als dämlich. Das Dogma hatte den Beigeschmack von Dummheit – von archaischen Glaubensvorstellungen innerhalb uralter Parameter, die längst ihre Macht verloren hatten.
Eine Schande, in vielerlei Hinsicht.
In diesem Moment hätte er allerdings durchaus ein bisschen Glauben gebrauchen können. Einen Hauch dessen, was die Menschen so hochachteten.
Doch obwohl er es versuchte und spürte, wie sich Hoffnung in ihm regte, kam nichts. Keine explosionsartige Erleuchtung. Und auch kein bisschen Vergebung. Gram drückte sein Herz zusammen. Tydrin knirschte mit den Zähnen. Das harsche Geräusch hallte in seinem Kopf wider, durchbrach die Stille, vergrößerte seinen Kummer, legte ihm seine Schuld zu Füßen. Warum konnte Lucifer ihn nicht niederstrecken, damit er es hinter sich hatte? Würde es niemals aufhören? Würde er jemals in der Lage sein, damit abzuschließen? Er wollte es. Sehnte sich danach zu lernen, wie man das anstellte, wie man die Geschichte dort zurückließ, wo sie hingehörte, begraben in der Vergangenheit, aber …
»Du bist immer noch hier?« Die tiefe Stimme drang aus dem hinteren Teil der Höhle zu ihm.
Tydrin spannte sich an. Oh Mann. Typisch sein Pech. Mit der Einsamkeit war es damit wohl vorbei. Seufzend sah er sich über die Schulter um. Augen in blassem Violett erwiderten seinen Blick. Tydrin unterdrückte ein Knurren und betrachtete den Mistkerl, der den Mumm hatte, sich von hinten an ihn anzuschleichen. »Ja.«
»Ich dachte, du wärest längst fort.«
Die Bemerkung bewirkte, dass sich ihm das Herz zusammenzog. Er hätte wirklich längst fort sein sollen. Hätte Drachengestalt annehmen und sich in die Luft erheben sollen, um den alljährlichen Ausflug zum Menschenfriedhof zu unternehmen. Dass er noch immer hier auf der Klippe herumstand, sagte mehr als jede Erklärung, die er hätte vorbringen können. Doch Furcht und die Aussicht, Buße tun zu müssen, konnten einen Mann ausbremsen. »Du hast falsch gedacht.«
Cyprus, der Befehlshaber des schottischen Clans, hob eine Augenbraue. »Du bist mit den Gedanken ganz woanders, was?«
Er zuckte nur mit den Schultern, nicht gewillt, weiter Öl in die Flammen zu gießen. Sein älterer Bruder brauchte nicht noch mehr über die Schuld zu hören, die ihn plagte, und er hatte ohnehin keine Lust, darüber zu reden. Darum vollführte er, statt zu antworten, einen Kurswechsel, lenkte die Unterhaltung auf das einzige Thema, von dem er wusste, dass es das Interesse seines Bruders von ihm ablenken würde. »Hast du etwas von Vyroth gehört?«
Cyprus’ Augen schimmerten in der Dunkelheit, als er sich aus den Schatten löste und ins Freie hinaustrat. Das Mondlicht fiel auf sein Gesicht, beleuchtete seine aristokratischen Züge. Trügerisch, in vielerlei Hinsicht. Klar, sein Bruder sah königlich aus – und spielte diese Rolle auch hin und wieder –, doch jeder, der diesen Mann kannte, wusste, wie er wirklich war. Cyprus mochte beherrscht wirken, doch er war auch auf die herrlichste Art und Weise tödlich, wurde, wenn es die Situation rechtfertigte, zum eiskalten Killer – genau wie die anderen Mitglieder des Clans.
Mit einem harten Glanz in den Augen blieb Cyprus neben ihm stehen. »Kein Wort bisher. Der kleine Scheißer. Toller Zeitpunkt, um einfach so zu verschwinden.«
Tydrins Lippen zuckten amüsiert in Anbetracht der Beschimpfung. Vor allem, weil die Bezeichnung klein so überhaupt nicht zu Vyroth passte. »Bist du versucht, ihn, wenn er wieder nach Hause kommt, deswegen zur Rede zu stellen?«
Cyprus schnaubte. »Ich hätte nichts gegen einen Kampf einzuwenden, und mein Zwillingsbruder enttäuscht in dieser Hinsicht nie.«
Das war allerdings wahr. Sehr wahr sogar, denn, nun ja … Wenn Cyprus die Bösartigkeit verkörperte, dann tat Vyroth das gleich hoch drei und dazu noch mit zehn multipliziert. Ja, die beiden mochten dem Aussehen nach identisch sein, doch obwohl sie sich vor der Geburt eine Gebärmutter geteilt hatten, waren sie dennoch nicht gleich. Die Zwillinge hatten grundverschiedene Persönlichkeiten: einer war die Nacht, der andere der Tag. Dank seiner Standhaftigkeit und Ausgeglichenheit war Cyprus eine glänzende Führungspersönlichkeit, die jedem einzelnen Mitglied des Clans genau die Stabilität und Orientierungshilfe bot, die es brauchte. Und Vyroth? Tydrin hätte fast verächtlich geschnaubt. Herrje, der Mann war ein Musterbeispiel an Unberechenbarkeit. Dazu kam noch ein ordentlicher Schuss Unzuverlässigkeit, gemischt mit einer miesen Gesinnung und … ganz genau. Da gab es nichts schönzureden. Vyroth machte, was er wollte, immer schon – und der Rest der Welt konnte ihm gestohlen bleiben.
Was eine gute Erklärung für seine Abwesenheit in den vergangenen Wochen abgab, oder?
Vyroth scherte sich nicht ums Protokoll und verschwand stets sang- und klanglos. Ohne Bescheid zu geben. Ohne Verabschiedung. Hinterließ nichts als Stille und ein leeres Zimmer. Cyprus und er erwarteten es schon gar nicht mehr anders. Sie konnten die Ruhelosigkeit des Mannes verstehen, sein Verlangen loszuziehen, die Welt zu erkunden, eins zu sein mit seiner Drachenhälfte. Doch der aktuelle Trip, zu dem Vyroth aufgebrochen war, beunruhigte Tydrin. So lange fortzubleiben war untypisch für seinen Bruder. Einige Tage – höchstens eine Woche? Kein Thema. Aber einen Monat, ohne auch nur ein einziges Wort? Er runzelte nachdenklich die Stirn. Nein. Eine derart unverhohlene Missachtung passte nicht zu Vyroths üblichem Modus Operandi.
»Irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Vyroth ist noch immer zu weit weg von hier, ich kann ihn derzeit nicht finden, aber …« Sein Bruder ließ die Schultern kreisen, um die verspannten Muskeln zu lockern. »Ich kann ihn spüren. Er ist noch am Leben.«
»Gut.« Tydrin atmete erleichtert auf. Die Behauptung seines Bruders war einleuchtend. Die Zwillinge standen sich näher als andere Geschwister und verfügten über ein besonderes Band. Diese kosmische Verknüpfung, gepaart mit der identischen DNA, ermöglichte es Cyprus, sich...