E-Book, Deutsch, 800 Seiten
Reihe: Penhaligon Verlag
Call Sohn der Sieben
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-18972-3
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 800 Seiten
Reihe: Penhaligon Verlag
ISBN: 978-3-641-18972-3
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte eines Helden ist aus der Fantasy nicht wegzudenken: Ein Junge, durch tragische Umstände verwaist, wird von einem weisen alten Mann aufgezogen, um das große Übel, das die Welt bedroht, zu besiegen. Aber was ist, wenn der junge Held und das große Übel ein und dasselbe wären? Was, wenn der Junge selbst die Inkarnation des bösen Gottes ist? Würde er die Welt retten? Oder sie zerstören?
Annev ist dieser Junge. Obwohl er selbst Magie nutzt, lässt er sich in einem Kriegerkloster dazu ausbilden, Magiewirker zu bekämpfen. Als er sich dann auch noch in die hübsche Tochter des Klostervorstehers verliebt, eskaliert sein innerer Konflikt ...
Justin Travis Call studierte Fantasyliteratur und erlangte einen Master in Literatur und Creative Writing der Harvard University. Währenddessen war er außerdem an der Erfindung mehrerer Brettspiele beteiligt. Heute lebt Justin Travis Call mit seiner Frau, zwei Söhnen und einer Deutschen Dogge in Idaho.
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Prolog
Die Schreie der Frau wurden leiser und vom Weinen eines Neugeborenen abgelöst. Auf diesen Moment hatte Sodar gewartet. Er strich sich das blaue Gewand glatt und trat kurz nach dem Ältesten Tosan in das beigefarbene Zelt.
Sodar blinzelte, um seine Augen an das schwache Licht zu gewöhnen. Zu dieser Stunde waren keine Kerzen notwendig, aber die Zeltbahnen ließen auch nicht allzu viel Licht durch.
In einer Ecke des Geburtszeltes sprach der Älteste mit seiner Frau, Lana – einer der beiden Weisfrauen, die bei Aegens Niederkunft geholfen hatten. Es hatte den Anschein, als habe sie den hageren Mann aus irgendeinem Grund aufgehalten, ehe er sich der eben Mutter Gewordenen und ihrem Baby nähern konnte, und der Priester war dankbar, dass ihm das einen Moment allein mit Mutter und Kind gewährte. Er trat in die Mitte des Zeltes und sah eine ältere Weisfrau das glitschige Baby halten, eine Decke achtlos um dessen Leib gelegt. Er musste seinen Drang unterdrücken, sogleich zu dem Säugling hinüberzueilen. Stattdessen zügelte er seine Freude darüber, dass Tuors Geschlecht fortgesetzt worden war, und trat mit einer äußeren Ruhe an die Mutter heran, die seine innere Aufregung Lügen strafte.
Es war eine schwere Geburt gewesen. Aegen lag noch immer auf der Gebärmatte, ihr bleiches Gesicht von schweißdurchtränkten Löckchen umrahmt. Sodar wollte die erschöpfte Frau nicht wecken. Aber irgendetwas an ihr brachte sein Inneres in Aufruhr.
begriff er.
Sofort kniete sich der Priester neben sie. Er rüttelte an ihren Schultern, flüsterte ihren Namen zuerst und schrie ihn dann. Einen Moment später spürte er Lana hinter sich, die ihm ihre feuchten roten Hände auf den Unterarm legte.
»Sie ist tot, Bruder Sodar.«
Sodar zuckte vor der Berührung der Weisfrau zurück. Er rieb sich die Stelle, an der sie ihn mit ihren blutigen Fingern angefasst hatte, und spürte, wie das Blut feucht an seiner runzligen Haut klebte.
»War es das Kind?« Die Worte kamen nur mühsam hervor, als er seinen Blick nun dem Baby zuwandte.
Tosan hatte den Säugling der zweiten Weisfrau abgenommen – einer knochendürren Alten namens Kelga – und hielt das Neugeborene in den Händen, aber statt es sich an die Brust zu drücken, hielt er es auf Armeslänge von sich weg und starrte voller Abscheu auf das Bündel.
»Ältester Tosan?«
Der hagere Älteste schaute nicht auf. »Das Kind«, sagte Tosan. »Sodar, er ist ein Sohn des Keos.«
»Er ist ?«
Tosan hielt dem blau gewandeten Priester den Säugling hin. »Das Kind«, wiederholte er und hob die Decke an, »ist ein Sohn des Keos.«
Sodars Herz hämmerte vor Entsetzen. Die durchdringenden blauen Augen des Kindes erweckten seine Aufmerksamkeit – ein Segenszeichen des Gottes Odar –, aber er sah nichts, was es rechtfertigen würde, das Kind einen Sohn des Keos zu nennen. Ein Büschel hellblonden Haares bedeckte den Kopf des Säuglings, und er wirkte insgesamt wenig auffällig. Sodar legte die Stirn in Falten und wollte gerade Tosans Urteil infrage stellen, als sich das Baby bewegte und die Hände hob.
Nein. Seine Hand. Eine Hand.
»Bei den Göttern«, fluchte Sodar.
Tosan deckte den Säugling wieder zu. »Aegen hat das Kind ausgetragen. Sie war das Gefäß des Keos, und die Gefäße des Keos müssen zerbrochen werden.«
Lana nickte zur Bestätigung der Worte ihres Mannes, und die Aufmerksamkeit des Priesters wanderte zu den blutigen Händen der Weisfrau und dann zu der toten Frau – und jetzt sah er es: Ein dunkelroter Fleck sammelte sich auf der Gebärmatte unter ihrem Schädel.
durchzuckte es Sodar.
»Bring dieses Ding weg«, sagte Tosan und reichte den Säugling an Lana weiter. »Du weißt, was zu tun ist.«
Die Weisfrau verneigte sich, und ihre braunen Zöpfe schwangen über ihren Rücken. »Die wilden Tiere des Keos sollen die Söhne des Keos verschlingen.«
»Stell sicher, dass er auch wirklich tot ist. Die wilden Tiere werden nicht vor Einbruch der Nacht zum Fressen herauskommen.«
»Ältester Tosan«, ergriff Kelga das Wort und trat einen Schritt auf den Angesprochenen zu. »Lana möchte vielleicht lieber in die Akademie und zu Eurer neugeborenen Tochter zurückkehren. Ich könnte den Säugling für sie in den Wald bringen.«
Tosan strich sich über seinen dünnen schwarzen Ziegenbart. »Lana?«
»Die Weismädchen können sich an meiner Stelle um Myjun kümmern, solange ich fort bin«, sagte Lana, wischte sich ihre blutverschmierten Hände an der Schaffelldecke des Säuglings ab und tauchte die Decke dann in die Blutlache. »Aber es wäre schön, etwas Gesellschaft zu haben.«
Tosan nickte. »Der Dichtwald ist noch nie ein sicherer Ort gewesen. Du wärst gut beraten, wenn du eine Begleitung hättest, mit der du dir die Nachtwache teilen kannst.« Er warf einen Blick auf das blutige Bündel in Lanas Armen, dann wischte er sich sorgfältig die Handflächen an seinem grauschwarzen Umhang ab. »Auch der Vater ist ein Gefäß des Keos. Warte, bis er gefesselt ist, und bring den Säugling dann in den Wald.«
dachte Sodar. Er wusste, dass der Schmied jetzt bestimmt draußen wartete, um sein Kind zu sehen.
»Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Euch hergebeten habe, Sodar«, wandte sich Tosan an den Priester und hob die Zelttür an. »Heute wird es für Euch kein Kind zum Segnen geben.« Er hatte das Zelt schon halb verlassen, als er innehielt. »Ich denke jedoch, Ihr solltet bleiben. Es wäre gut für die Dorfbewohner zu sehen, wie ihr Priester ein Gefäß des Keos zerbrecht.«
Sodar senkte den Blick und zwang sich, sowohl seine Zunge als auch sein Temperament zu zügeln. »Vergebt mir, Ältester Tosan, aber ich muss ablehnen. Meine Kräfte sind nicht mehr die, die sie einst waren.«
Der Älteste schnaubte und verließ das Zelt. Sodars Antwort überraschte ihn offensichtlich nicht. Kelga machte sich daran, die Decken einzusammeln, die sich auf Aegens Gebärmatte türmten. Kurz darauf hörte Sodar Tosan etwas rufen, das das Getuschel der versammelten Menschenmenge übertönte. Das Zelt wackelte, während sich schnelle Hände daranmachten, es abzubauen. Licht flutete herein, als das Zelt um Sodar und die beiden Weisfrauen herum zusammensackte. Einige Bauern begannen, die einzelnen Zeltwände voneinander zu trennen, und plötzlich lag Aegen für alle Augen sichtbar vor der Menge.
»Aegen?«
Weniger als einen Steinwurf entfernt riss Tuor entsetzt die Augen auf.
»Aegen!« Tuor eilte an die Seite seiner toten Frau, nahm sie in die Arme und drückte ihren schlaffen Leib an seine Brust. »Aegen, Aegen …«, wiederholte er, einen Talisman gegen die blutige Wahrheit in seinen Armen.
Hinter dem Schmied trat Tosan an den Ältesten Winsor heran, den Ältesten der Ältesten, sowie an ein halbes Dutzend Meister der Akademie. Die Meisteravatare hatten ihre traditionellen blutroten Kittel an, während Winsor das rot-schwarze, mit den entsprechenden Rangabzeichen versehene Gewand eines Rektors trug.
»Fesselt das Gefäß des Keos«, befahl Winsor. »Fesselt und zerbrecht es. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Verderbnis seiner Gefäße ausdehnt.«
Tuor schaute von Aegens blutüberströmtem Leichnam auf und suchte nach dem Kind, das seine Frau während der vergangenen neun Monate in ihrem Schoß getragen hatte. Er entdeckte die Schaffelldecke in Lanas Armen, gerade als Sodar vor ihn hintrat, sodass er den Säugling nicht sehen konnte.
Ihre Blicke trafen sich, und in diesen Sekunden versuchte der Priester, all das zu übermitteln, was er nicht auszusprechen wagte.
Tuor war bloß noch ein einziges Bündel aus Kummer und Zorn, aber dann schien es, als verstünde er. Nachdem der stämmige Mann nur Momente zuvor noch alle Muskeln angespannt hatte, bereit, um seinen Sohn zu kämpfen, übergab er ihn jetzt in Sodars Obhut. Etwas geschah zwischen den beiden Männern – es war ein stummes Lebewohl, dessen Tiefe nur ein trauernder Vater empfinden konnte.
Und dann hatten sich auch schon die Meisteravatare auf ihn gestürzt. Tuor hielt sie sich lange genug vom Leib, dass er die tote Aegen sanft auf den Boden legen konnte, dann wich er zurück und stieß die ersten Männer weg, die ihn packen wollten. Sodar und die beiden Weisfrauen blieben hinter der Meute zurück, als sich nun auch die übrigen Meisteravatare ins Getümmel stürzten, Tuors Arme und Beine festhielten und ihn mit straffen Seilen fesselten. Selbst gefesselt und machtlos, wie er war, zappelte der Schmied immer noch mit Händen und Füßen und wand sich gekrümmt über den Boden, bis er seine leblose Frau erreicht hatte. Er bedeckte sie mit seinem breiten Körper, um sie vor dem zu schützen, was nun kommen sollte.
Es stand nicht in Sodars Macht, seinem Freund zu Hilfe zu eilen. Aber Tuor hatte sich geopfert, um seinen Sohn zu retten, und Sodar hatte geschworen, ihn zu beschützen, daher hielt er den Blick unverwandt auf das Bündel in Lanas Armen gerichtet und blieb den beiden Weisfrauen dicht auf den Fersen. Sie hatten bereits den Rand des Dorfplatzes erreicht, als er Winsors greise Stimme hörte, die sich vergebens bemühte, sich über das Gebrüll der Menge zu erheben. Einen Moment später ertönte stattdessen Tosans dröhnender Bariton.
»Ein Sohn des Keos ist unter uns geboren worden«, rief Tosan. »Unsere Pflicht ist klar! Die wilden Tiere des Keos sollen die Söhne des Keos...