Caldwell Römisches Roulette
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95576-149-3
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-95576-149-3
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rachel und Nick Blakely scheinen ein perfektes Leben zu führen, aber ihre Ehe leidet unter den Folgen einer Affäre, die Nick seiner Frau erst nach langem Zögern gebeichtet hat. Rachel ist verletzt, aber auch wild entschlossen, um ihre Ehe zu kämpfen. Ein Jahr später stolpert sie selbst auf einer Reise mit ihrer besten Freundin Kit unversehens in eine leidenschaftliche Nacht mit einem italienischen Maler. Kit schwört ihr, Stillschweigen zu bewahren - doch Rachel ahnt nicht, welchen Preis sie dafür zahlen muss. Eine Spirale aus Lügen, Angst und Gewalt reißt sie alle in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gibt.
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1. KAPITEL
Heute verstehe ich, dass Unschuld relativ ist. Ich weiß noch, wie erschöpft ich mich gefühlt habe, am Abend vor meiner Abfahrt nach Rom. Damals habe ich gedacht, durch all das, was wir durchgemacht hatten, wäre ich viel zu schnell gealtert und hätte an Glanz verloren. Ich wünschte nur, ich hätte schon zu diesem Zeitpunkt begriffen, dass der Verlust von Arglosigkeit weite Kreise zieht.
“Warum willst du denn jetzt mit Kit nach Italien fahren?”
Nick beobachtete vom Bett aus, wie ich im Bad mein allabendliches Pflegeprogramm abspulte: Reinigungsmilch, Gesichtswasser, Feuchtigkeitscreme, Augenpflege. Warum ich diesen ganzen Mist benutzte, war mir selbst schleierhaft.
“Ich muss ein Verkaufsgespräch mit diesem Architekturbüro führen, und du kannst ja wegen deiner Arbeit nicht mitkommen”, antwortete ich. Ich beugte mich zum Spiegel vor und massierte rings um mein linkes Auge die Creme ein.
“Du hast Kit doch seit Jahren kaum gesehen”, warf Nick ein.
“Man muss einen Menschen nicht ständig sehen, um mit ihm befreundet zu sein.”
Bei unserer Hochzeit vor vier Jahren war Kit eine meiner Brautjungfern gewesen. Kurz danach hatte es sie nach Kalifornien verschlagen, wo sie sich als Schauspielerin versuchen wollte. Wir telefonierten nicht jede Woche, noch nicht einmal jeden Monat. Und dennoch hatten wir nie das enge Band durchschnitten, das beste Freundinnen verbindet. Nach einigen Jahren in Los Angeles, in denen Kit gnadenlos ihren Dispokredit überzogen hatte und von einem erfolglosen Vorsprechen zum nächsten gezogen war, lebte sie wieder in Chicago, und ich freute mich mehr denn je, sie in meiner Nähe zu haben. Mit fünfunddreißig Jahren waren die meisten meiner Freundinnen bereits Mütter – eine Rolle, die auch ich eigentlich angestrebt hatte – und zu beschäftigt, um lange Abende in Weinstuben verbringen oder für einen Kurzurlaub nach Rom fliegen zu können.
“Wieso regst du dich überhaupt so auf?”, fragte ich Nick.
“Ich rege mich nicht auf, Rachel. Ich wundere mich nur.”
Doch mein werter Gatte Dr. Nick Blakely regte sich eindeutig auf. Das erkannte ich an der Art, wie er sich durch das kurze lockige Haar fuhr und dann die Stelle zwischen seinen Augenbrauen massierte. Außerdem gab er sich verdächtig entspannt: Nach einem langen Tag in der Praxis hatte er die Krawatte gelockert und saß nun, eine Hand nach hinten auf die elfenbeinfarbene Bettwäsche gestützt, auf unserem Bett. Doch trotz aller Lässigkeit wirkte seine Haltung irgendwie steif.
“Du musst in Italien gut auf dich aufpassen”, fuhr er fort. “Vor allem wegen der Kerle.”
“Ach, tatsächlich?”, erwiderte ich und ließ den höhnischen Klang meiner Worte im Zimmer nachhallen.
Wie merkwürdig, dass nach all den Therapiestunden, nach all den Tränen und der mühsamen Puzzlearbeit am Mosaik unserer angeschlagenen Ehe ausgerechnet Nick es war, der sich um sorgte. Als witterte jetzt seine Chance.
“Nick, ich kenne Rom. Ich habe schließlich mal in Italien gelebt.”
“Aber da warst du zwölf und deine Familie war bei dir. Außerdem war es nur für ein halbes Jahr. Und seitdem bist du immer nur mit mir verreist. Jetzt fährst du mit Kit alleine. Ich meine, ich finde es gut, dass jemand bei dir ist, aber du musst trotzdem vorsichtig sein”, bekräftigte er. “Dort gibt es einen Haufen Typen, die mit Vorliebe Amerikanerinnen nachstellen.”
“Ich bin sicher, ich komme mit den Eingeborenen zurecht.”
Für eine Sekunde genoss ich den betroffenen Ausdruck, der über sein Gesicht huschte. Doch wie immer konnte ich es bereits im nächsten Moment schon nicht mehr ertragen.
“Nick”, sagte ich, als ich zu ihm hinüberging und mich auf seinen Schoß setzte. “Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen.”
Am Samstag setzte Nick Kit und mich am O’Hare-Flughafen ab. Vor der Ankunftshalle drängten sich Autos und Taxen mit offenen Türen und sperrangelweit geöffneten Kofferraumklappen. Die Mailuft war mild. Nur hin und wieder frischte der Wind auf und schickte herumliegende Papierreste auf einen ziellosen Flug gen Himmel.
“Mein Goldmädchen”, murmelte Nick und nahm mich fest in den Arm.
Kit hatte einst mit diesem Spitznamen angefangen. Als wir Teenager waren, nannte sie mich immer Goldkind. Hauptsächlich wegen meines Nachnamens, Goldin, aber auch, weil ich das einzige Kind recht wohlhabender Eltern war und dies – einfach ausgedrückt – stets auf angenehme Weise zu spüren bekam. Selbst in jungen Jahren hatte ich schon gewusst, dass Kit recht hatte: Ich war gut behütet.
Als ich Nick in unmittelbarer Nachbarschaft des Chicagoer Künstlerviertels Bucktown auf einer Vernissage traf, nannte er mich von Beginn an Goldmädchen. Auch bei ihm spielte dabei mein Nachname nicht die Hauptrolle. Er behauptete stets, einen goldenen Schimmer in meinen blassgrünen Augen zu sehen.
Bei unserer Hochzeit war ich so überglücklich, dass ich trotz der Namensänderung in Blakely dachte, nun auch zu einer Goldfrau zu werden, die ein goldenes Leben führt.
Ganz so war es dann doch nicht gekommen.
Während ich Nicks Umarmung erwiderte, musste ich daran denken, dass für gewöhnlich er es war, der auf Geschäftsreise ging und mich zu Hause zurückließ – dafür betend, dass seine Präsentation glattlaufen, er gut schlafen und weder zu viel trinken noch zu wenig essen würde. Doch jetzt freute ich mich auf mein Frauenwochenende mit Kit. Nun war einmal an der Reihe, auf mich zu warten.
Als Nick mich wieder losließ, hielt er immer noch meine Hand fest. Er sah Kit an. “Ich wünsche allseits viel Spaß”, sagte er förmlich.
Seit Kit aus L.A. zurückgekehrt war, sprach fast jeder so mit ihr. Höflich, aber unverbindlich. Vermutlich wusste niemand etwas mit ihr anzufangen. Sie hatte weder Karriere gemacht noch einen Freund oder Ehemann an ihrer Seite. Stattdessen hatte sie vergeblich darum gekämpft, sich in L.A. einen Namen als Schauspielerin zu machen. Eine schwierige Situation, die fast niemand in Chicago nachvollziehen konnte. Und trotzdem zog Kit die Menschen mit ihrer geheimnisvollen Aura in ihren Bann. Auch an diesem Tag. Sie trug eine roséfarbene, verspiegelte Sonnenbrille und um den Hals einen maulwurfsgrauen Chiffon-Schal. Das rostrote Haar war kunstvoll zerzaust. Wenn sie die Brille abnahm, sah man ihre blauen Augen, die je nach Farbe der Kleidung einen Stich ins Violette annehmen konnten und mit denen sie abgebrüht in die Welt blickte. Sie übte auf andere Menschen eine unglaubliche Faszination aus, wie ein Hollywood-Sternchen auf der Flucht. Doch als eine ihrer engsten Freundinnen wusste ich, dass ihr der Misserfolg in Hollywood schwer zu schaffen machte.
“Danke Nick.” Sie lächelte ihm zu.
Dieses Lächeln entlockte mir einen dankbaren Seufzer. Diejenigen, die von unseren Eheproblemen wussten, waren gemeinhin wütend auf Nick. Entweder sprachen sie überhaupt nicht mit ihm, oder sie ließen in seiner Gegenwart zynische Bemerkungen fallen. Ich wusste genau, dass er die Rolle des Prügelknaben satt hatte, und auch mir reichte es allmählich. Selbst wenn ich ihn verspottete und seine Taschen heimlich durchsuchte, hieß das noch lange nicht, dass ihn auch andere so behandeln durften.
“Treffen wir uns gleich am Check-in?”, fragte ich Kit.
Sie richtete den dünnen Schal. “Geht klar.”
Als sie gegangen war, wandte ich mich Nick zu. “Was wirst du machen, solange ich weg bin?”
“Arbeiten. Dich wahnsinnig vermissen.”
Ich lächelte. “Aber schlaf auch ein bisschen, hm?”
Nick und ich verbrachten unsere Abende zwar wieder zusammen, doch wenn ich ins Bett ging, arbeitete er meist noch bis spät in die Nacht an einer neuen Veröffentlichung, in der Hoffnung, sie verhelfe ihm zu einer Teilhaberschaft an der Gemeinschaftspraxis. Nick gehörte zu den wenigen Idealisten seiner Zunft: Er hatte sich für den Beruf des plastischen Chirurgen nicht entschieden, um Schönheitsoperationen an wohlhabenden Frauen durchzuführen und von ihrem Reichtum zu profitieren. Er wollte den Menschen helfen, die auf eine Operation wirklich angewiesen waren. Jetzt hatte er sich zwar einen Platz in Chicagos angesehenster Praxis für plastische Chirurgie gesichert, musste allerdings auch genau die Glamour-Operationen durchführen, die er so verabscheute, und regelmäßig Veröffentlichungen verfassen, um gleichberechtigter Teilhaber zu werden.
“Ich glaube nicht, dass ich viel Schlaf bekommen werde”, meinte Nick. “Ich muss unbedingt noch mit dem einen oder anderen Ausschussmitglied zu Abend essen.”
“Wann fällt denn die Entscheidung?”
Er verdrehte die Augen. “In einem Monat oder so.”
Nicks gespielte Gleichgültigkeit konnte mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass er um die Aufnahme in den Förderkreis des ‘Chicago General’ bangte, der in der gesamten Stadt nur als bekannt war. Er bestand aus einer Gruppe handverlesener, junger und einflussreicher Menschen, die unentwegt Empfänge und Dinnerpartys gaben – vorgeblich, um die Geldmittel für Nicks Arbeitgeber, das Chicago General Hospital, aufzustocken, in Wahrheit jedoch, um sich als die Crème de la Crème der Chicagoer Gesellschaft hervorzutun. Nick wollte nicht nur in den Ausschuss aufgenommen werden, um seine Chancen auf eine Praxisteilhaberschaft zu verbessern, sondern auch, weil er es aus seiner Jungendzeit in Philadelphia gewohnt war, sich in den besten Kreisen zu bewegen. Sein Vater war ein alteingesessener Politiker, und obwohl die Blakelys nicht reich waren, so genossen sie doch ein hohes Ansehen und verfügten über außergewöhnlich gute Kontakte. Sie wurden zu jeder Soirée und Feier in...