Die vegane Revolution und ihre Zukunftsmärkte
E-Book, Deutsch, 100 Seiten, E-Book-Text
ISBN: 978-3-7776-3345-9
Verlag: S. Hirzel
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Artenschutz
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Lebensmittelsicherheit und -versorgung
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Klimawandel, Globale Erwärmung
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Nachhaltigkeit
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Denkansätze und Ideologie der Umweltschützer
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Vorläufer der veganen Revolution
Eine vegane Zukunft erscheint 2023 weit weg. Das Trendbarometer zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Jedes Jahr werden mehr Nutztiere getötet. In den letzten zwanzig Jahren hat sich der globale jährliche Fleischkonsum auf 320 Millionen Tonnen mehr als verdoppelt, zwischen 1960 und heute fast verfünffacht.[2] Für Deutsche, Österreicher:innen und Schweizer:innen ist Fleisch längst kein Luxusprodukt mehr. Ein Durchschnittdeutscher muss nur gerade 35 Minuten arbeiten, um sich ein Kilo Hähnchen leisten zu können.[3] Auch in nicht westlichen Ländern vervielfachte sich die Produktion. In Indien stieg sie zwischen 1961 und 2017 um das 51-Fache, in China um das 29-Fache. Gleichzeitig nimmt die Fisch- und Meeresfrüchtezucht rasant zu. Mittlerweile stammt die Hälfte der weltweiten »Erträge« von Wassertieren aus Aquakulturen, 2030 sollen es zwei Drittel sein.[4] Doch dieses Wachstum geht mit einem hohen ökologischen Fußabdruck und mit Risiken einher, die das friedliche Zusammenleben der Menschen bedrohen. Völlig unabhängig von der Sorge um die Lebensqualität und die Rechte der Nutztiere gibt es sieben Gründe, warum die Welt unweigerlich auf Peak Meat zusteuert, also auf den Moment, in dem die Wachstumskurve des Fleischkonsums bricht und dieser kontinuierlich zu sinken beginnt.[5] Zunahme der Bevölkerung
In den nächsten fünf Jahren wird der globale Fleischkonsum um weitere 13 Prozent steigen, prophezeit der von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene Fleischatlas. Der Anstieg folgt zum einen aus dem Bevölkerungswachstum. Letztes Jahr erreichte die Menschheit die Acht-Milliarden-Marke. Zwar verlangsamt sich das Wachstum, und China, Russland, Japan oder Italien sind schon am Schrumpfen. Doch das Bevölkerungsmaximum ist noch nicht erreicht. Gemäß den jüngsten Projektionen der UNO wird die Menschheit 2038 die Schwelle zur neunten Milliarde überschreiten, jene zur zehnten Milliarde circa 2060. Erst ab den 2080er Jahren soll die Weltbevölkerung nicht mehr wachsen, bei einer Größe von etwa 10,4 Milliarden. Gegenüber dem heutigen Stand entspricht dies einer Zunahme von fast einem Drittel. Mehr als die Hälfte des Bevölkerungszuwachses bis zur Jahrhundertmitte findet in nur neun Ländern statt. Zu ihnen zählen Indien, Nigeria, Pakistan, die Demokratische Republik Kongo, Bangladesch, die Philippinen und Ägypten. Tansania und Äthiopien gehören ebenfalls zu diesen Ländern, wobei deren Landwirtschaft stark unter dem Klimawandel leiden wird.[6] Zunahme des Fleischkonsums
Zum anderen ist der steigende Fleischkonsum ein Ergebnis von Wohlstandsgewinnen – insbesondere der neuen Mittelschichten in Asien und Afrika. Fleisch ist Status. Wer andere einlädt oder mit ihnen essen geht, will zeigen, dass er oder sie es geschafft hat. In der Regel gilt: Je höher das BIP, desto höher der Fleischverbrauch. Seit 1960 nimmt er weltweit jährlich um drei Prozent zu.[7] Die Covid-Pandemie und die darauffolgende Inflation brachten die Wachstumskurven zwar kurzzeitig zum Flackern, brechen den Trend aber nicht. Wenn man mehr als fünf Jahre in die Zukunft schaut, nehmen die erwarteten Veränderungen krasse Ausmaße an. Der World Resources Report von Weltbank und UNO prognostiziert, dass bis 2050 weltweit 50 Prozent mehr Nahrungsmittel produziert werden müssen. Die FAO geht von einer Steigerung des Fleischkonsums von fast 80 Prozent aus. Der Konsum von Hühnerfleisch dürfte sich verdoppeln, beim Rind erwarten Expert:innen eine Zunahme von 70 Prozent, beim Schwein von 40 Prozent.[8] Auch bei anderen tierischen Produkten wird ein Wachstum erwartet. Allein in China soll die Milchproduktion bis 2050 um 30 Prozent zulegen.[9] Für die Gesundheit des Planeten sind diese Steigerungen eine schlechte Nachricht. Zunahme der Treibhausgase
Die von allen Rindern der Welt ausgeschiedenen Treibhausgase sind schädlicher als jene aller Pkws. Im Vergleich zum globalen Flugverkehr stößt die Landwirtschaft zehnmal und die Viehwirtschaft dreimal mehr CO2 aus.[10] Wer sich ein Jahr vegan ernährt, spart etwa so viel CO2 ein, wie bei einem Langstreckenflug anfallen. Anders als bei der Mobilität, wo die Elektromotoren den Treibhauseffekt lindern oder besser gesagt auf die Energieversorgung lenken, steigen die Emissionen durch die Viehwirtschaft kontinuierlich weiter an. Wenn alle anderen Wirtschaftsbereiche ihre Vorgaben erfüllen und der Trend beim Konsum tierischer Proteine anhält, erhöht sich der Anteil der Viehwirtschaft am CO2-Gesamtoutput von heute 14 auf über 30 Prozent im Jahr 2030 und über 80 Prozent im Jahr 2050.[11] Der erwartete Temperaturanstieg bewirkt Ernteverluste. Mit jedem zusätzlichen Grad gehen zehn Prozent der globalen Erntepotenziale verloren. Zudem werden mehr Futterimporte notwendig sein, weil zum Beispiel für Milchkühe kein Gras mehr wächst.[12] Wenn der Planet seine Bemühungen, den Klimawandel zu bremsen, nicht intensiviert, könnten die Erträge um ein Drittel einbrechen. Düstere Prognosen gehen gar von einer Halbierung aus – bei gleichzeitiger Bevölkerungszunahme. Von den Verlusten werden bevölkerungsreiche Länder der Subsahara, der Nahe Osten, Südamerika sowie Süd- und Ostasien besonders betroffen sein.[13] Zunahme der Flächenkonkurrenz
Weiter wird die steigende Flächenkonkurrenz zum Problem. Die zusätzlichen zwei Milliarden Erdbewohner:innen wollen genauso essen und trinken wie ihre Nutztiere. Um zum Beispiel ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, braucht man 25 Kilogramm Futter. Kein Wunder dienen rund drei Viertel der landwirtschaftlichen Fläche (und damit fast ein Drittel der eisfreien Landfläche der Erde) der Futtermittelproduktion. Aus 35 Prozent des angebauten Getreides entsteht Futter. Insgesamt sind tierische Produkte für 83 Prozent des landwirtschaftlichen Flächenverbrauchs verantwortlich.[14] Die Flächenkonkurrenz nimmt nicht nur zu, weil durch das Bevölkerungswachstum der Bedarf an Wohnraum steigt. Die Menschen nutzen auch immer mehr Raum, um die Probleme des fossilen Zeitalters zu lindern – etwa indem sie Getreide für Biotreibstoffe anbauen oder Solarpanels aufstellen. Vom angebauten Mais verarbeiten die USA heute 40 Prozent zu Kraftstoffen.[15] Bei einem gleichzeitigen Verlust der landwirtschaftlichen Fläche verheißt diese steigende Flächenkonkurrenz nichts Gutes. Der fehlende Zugang zu Nahrungsmitteln könnte Kriege auslösen, Wasser und Düngemittel dürften vermehrt gestohlen werden. Zunahme der ökologischen Bedrohungen
Die sich ausdehnende Viehwirtschaft bewirkt zudem eine kontinuierliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes unseres Planeten. Schon heute wirkt die Zunahme der ökologischen Bedrohungen bedenklich. Zum Beispiel gibt es immer mehr resistente Keime, die mit den uns heute bekannten Medikamenten nicht mehr zu bekämpfen sind. Sie bedrohen nicht nur die Gesundheit der Nutztiere, sondern auch die der Menschen. Jährlich sterben 1,3 Millionen Patient:innen, weil unsere bekannten Antibiotika nicht mehr wirken. Ein zentraler Grund für diese Resistenzen ist ihr übermäßiger Einsatz in der Massentierhaltung. Die Bauern verschreiben sie, um Ertragsausfälle präventiv zu verhindern und Krankheiten zu behandeln – aber auch um das Wachstum anzuregen. Fast jede Schweizer Kuh wird jährlich am Euter mit Antibiotika behandelt.[16] Ebenfalls verschlechtert sich die Gesundheit der Böden. Die Nahrungsmittel, die wir heute ernten, sind weniger nahrhaft als früher.[17] Ein weiteres Beispiel für die schlechte planetare Gesundheit ist die sinkende Biodiversität. Expert:innen führen das Problem maßgeblich auf die Landwirtschaft zurück. Der Konsum von Fleisch gilt als größter Treiber des Biodiversitätsverlusts überhaupt – insbesondere aufgrund des riesigen Verlusts wilder Natur, der wiederum auf die Produktion von Kraftfutter für die Nutztiere zurückgeht.[18] Weiter gefährden Pestizide und Monokulturen die Biodiversität. Zunahme der Versorgungsunsicherheit
Je mehr die Biodiversität in und auf dem Boden abnimmt, desto anfälliger wird der Planet für Lücken in seinen Nahrungsketten.[19] Wenn die Insekten eingehen, tun sich Vögel, Reptilien und Fledermäuse schwerer, sich zu ernähren. Für die Produktion menschlicher Lebensmittel hat dies gravierende Folgen. Die Artenvielfalt ist ein entscheidender, wenn auch unsichtbarer Produktionsfaktor der Landwirtschaft.[20] Vögel und Insekten fressen potenzielle Schädlinge und stabilisieren dadurch die Erträge. Das Insektensterben ist zusätzlich gefährlich, weil 70 Prozent der Pflanzen von »Bestäubungsleistungen« abhängig sind, die Vögel, Insekten und Fledermäuse erbringen. Unterbrochene Nahrungsketten machen die Versorgungslage noch instabiler, als sie es durch die Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels sowieso schon ist.[21] Sinkende landwirtschaftliche Erträge, ein stetiges Bevölkerungswachstum und steigende Nahrungsmittelpreise machen den Zugang zu Nahrung zum Erpressungsmittel. Der neue Kornkrieg Russlands zeigt, dass diese Ängste keine wilde Fantasie von Zukunftsforscher:innen sind. Dieselbe Gefahr gilt für Wasser, entfallen doch 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs auf die Landwirtschaft.[22] Zunahme der Verteilungsungleichheit
Dass sich das System in Schieflage befindet, zeigt sich im Übrigen an der globalen Verteilung der produzierten Lebensmittel. 800 Millionen Menschen, mehrheitlich im subsaharischen Afrika und in Südasien leiden unter chronischem Hunger. Ein Viertel der Menschen ist mangelernährt. Absurderweise entspricht dies genau dem Anteil, der an...