Anthologie der Solinger Autorenrunde
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-7431-9948-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Karla J. Butterfield spielte bereits als Kind Theater und wirkte in vielen Filmen mit. Nach dem Schauspielstudium und Studium an der Scuola Teatro Dimitri im Tessin arbeitete sie als Schauspielerin und Regisseurin u. a. in London, Bern und Düsseldorf. Seit 1998 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern als freie Schriftstellerin in Solingen. Sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Website: http://www.prosablueten.de/
Autoren/Hrsg.
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Martina Hörle
Der schwarze Berg
In einem Wald, viele Generationen entfernt, geschahen seltsame Dinge. Nachts hörte man schauriges Heulen. „Glühende Augen wandern von Baum zu Baum“, berichteten die, die bei Anbruch der Dunkelheit dagewesen waren. Mehr wussten auch sie nicht. Die Menschen mieden den Wald, wo immer sie konnten. Ein paar Mutige trauten sich einmal bei Tag bis an den Waldrand. Sie waren zu dritt, einer allein wollte das Wagnis nicht eingehen. Da angekommen schauten sie sich triumphierend an. „Das Ungeheuer hat wahrscheinlich Angst vor uns“, spottete einer. „Oder seht ihr irgendwo grüne Augen?“ „Die hat es vor Schreck vermutlich zugemacht“, höhnte der zweite. Der dritte hielt sich eine Hand hinters Ohr. „Ja, wieso heult es denn nicht?“ In diesem Moment traf ihn ein großer Klumpen Erde. Er schrie auf. Seine Kameraden schauten ihn entsetzt an. Dann rannten alle, so schnell sie konnten, fort vom Wald. Wieder daheim schilderten sie ihre Geschichte in allen Einzelheiten, geschmückt mit vielen erdachten Details. Von dem Tag an wagte sich niemand mehr auch nur in die Nähe des Waldes. Eines Tages hatte sich ein Mädchen aus dem Nachbardorf beim Pilze sammeln verlaufen. Es wohnte erst seit kurzer Zeit dort und fand sich nicht mehr zurecht. Lange irrte es umher, traf niemanden, den es fragen konnte. Dann brach die Dunkelheit herein. Das Mädchen tastete sich mühsam vorwärts. Doch als nach einer Weile der Mond aufging und hell leuchtete, konnte es ohne Mühe weitergehen. Erschrocken bemerkte es, dass es am Rand des Waldes angekommen war. Vorsichtig blickte es sich um, vermochte jedoch nichts Unheimliches zu sehen, nur einen Schwarm Glühwürmchen. Beim Näherkommen stellte es fest, dass Elfen miteinander einen Reigen tanzten. Etwas so Bezauberndes hatte Lindren, so hieß das Mädchen, nie zuvor gesehen. Wie verzaubert schaute es den zierlichen Wesen zu und vergaß darüber alles andere, stand nur da und staunte. „Wer bist du und was machst du in meinem Wald?,“ ertönte neben ihm eine kratzige Stimme. Vor Schreck fuhr das Mädchen zusammen. Von einem großen schwarzen Pilz herab starrte giftig ein Gnom. Seine roten Augen schienen Blitze in die Luft zu schleudern. „Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen, dummes Ding?“, höhnte der Gnom. Lindren schüttelte den Kopf. „Bitte verzeih, dass ich in deinen Wald gekommen bin. Es geschah nicht mit Absicht. Verlaufen habe ich mich und fand nicht zurück. Dann habe ich die Elfen beim Tanz gesehen. Sie sind so wunderschön, dass ich sie immerzu anschauen musste.“ „Vielleicht wollen sie gar nicht, dass man sie anschaut. Hast du überhaupt gefragt?“, keifte der Zwerg wütend. „Nein, ich wollte sie nicht stören.“ Der Gnom stellte eine Frage nach der anderen und keifte und tobte ohne Unterlass. Doch das Mädchen blieb ruhig und freundlich. Die Elfen hatten bei dem Geschrei längst aufgehört mit ihrem Tanz. Eine kam auf die beiden zugeflogen und sprach das Mädchen an: „Was tust du hier?“ „Was soll sie hier schon tun?“, krakeelte der Gnom. „Gaffen will das neugierige Ding.“ Die Elfe beachtete ihn gar nicht. Das Mädchen erzählte leise, wie es sich verlaufen hatte und in den Wald gekommen war. „Komm mit mir“, riet die Elfe. „Ich werde dir helfen.“ Lindren folgte der Elfe, die mit funkelnden Flügeln vor ihm herflog. Bei den anderen angekommen erzählte das Mädchen seine Geschichte noch einmal: Wie es aufgebrochen war, um Pilze zu suchen, wie es sich verlaufen und dem Wald immer nähergekommen war. Als es an die Stelle kam, warum es den Elfen beim Tanz zugeschaut hatte, schauten diese ganz unglücklich drein. „Was habt ihr denn? Habe ich euch gekränkt?“ Das Mädchen war ganz bedrückt. „Nein, liebes Kind, gräme dich nicht. Du kannst nicht wissen, warum wir getanzt haben. Wir wollten den Waldgott gnädig stimmen und ihn um Hilfe bitten. Unsere Königin Reigawen ist entführt worden und wir wissen nicht, wie wir sie befreien können.“ „Wer hat sie entführt?“, fragte Lindren bestürzt. „Du hast ihn gesehen – es war Golrosch, der Zwerg mit den roten Augen.“ „Der Zwerg?“, fragte das Mädchen verwundert. „Er ist doch sehr klein. Wie hat er das geschafft?“ „Er ist der schwarzen Magie mächtig. Jetzt hält er die Königin gefangen, aber wir wissen nicht, wo.“, erklärten die Elfen. „Deshalb brauchen wir die Hilfe des Waldgottes Mornaphor.“ Da ertönte eine tiefe Stimme aus dem alten Walnussbaum: „Mornaphor, der Gott des Waldes, hat die Bitte der Elfen vernommen. Er weiß, dass sie seiner Hilfe bedürfen, um ihre Königin zu befreien. Doch Mornaphor kann den Elfen nicht helfen.“ Fassungslos sahen sich die Elfen an. „Guter Waldgott, du bist groß und mächtig. Warum kannst du uns nicht helfen?“ Wieder erklang die Stimme aus dem Baum. Dieses Mal zitterte sie. „Der rotäugige Gnom, der die Königin der Elfen gefangen hält, hat auch Faemoa in seiner Gewalt.“ „Wer ist Faemoa?“, fragte das Mädchen leise. „Faemoa ist Mornaphors Schwester“, erklärte der Baum. Wieder sprach er von sich in der dritten Person. „Golrosch hat gedroht, sie zu töten, wenn Mornaphor etwas gegen ihn unternimmt. Deshalb hat Mornaphor einen Eid geleistet, Golrosch nicht anzugreifen.“ Hilflos schauten sich die Elfen an. „Dann gibt es keine Hoffnung für unsere Königin“, weinten sie. „Allein können wir sie nicht finden und befreien.“ Mit tränenüberströmten Gesichtern flogen sie davon und vergaßen sogar das Mädchen, das allein zurückblieb. Lindren setzte sich unter den Baum und dachte nach. „Sag doch, ehrwürdiger Gott des Waldes, was genau hast du dem bösen Wicht geschworen?“ „Mornaphor hat geschworen, dass er ihn nicht angreifen wird“, erwiderte die Stimme im Baum nachdrücklich. „Aber hast du auch geschworen, keinem anderen zu helfen, den Gnom zu besiegen?“, fragte das Mädchen weiter. Jetzt lächelte der Baum: „Nein, das hat Mornaphor nicht geschworen. Einen Rat kann er immer aussprechen.“ „Dann rate mir, was ich tun soll“, rief das Mädchen. „Ich will euch helfen.“ „Wer zu Füßen des Waldgottes im Gras sitzt, wird den Schlüssel in Händen halten.“ Lindren beschloss, am Fuße des Baumes zu übernachten. Hier fühlte sie sich in Sicherheit. So lehnte sie sich an den Stamm, schloss die Augen und schlief ein. Am anderen Morgen wurde sie durch ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen geweckt, die sie an der Nase kitzelten. Das Mädchen rieb sich die Augen und sah sich um. Sein Blick fiel auf ein paar Schlüsselblumen, die gleich neben ihm wuchsen. Als der Wind leicht durch die Blüten strich, begannen diese zu klingeln und ein kleiner goldener Schlüssel fiel ins Gras. Das Mädchen hob ihn auf. Als es ihn berührte, begann er zu funkeln. Leise knarrte der Baum: „Drei Tage weit von hier in Richtung der Sonne liegt ein schwarzer Berg. In seinem Stein findest du ein kleines goldenes Schloss. Wer den passenden Schlüssel besitzt, kommt unbeschadet hinein. Doch lege ihn unter keinen Umständen ab. Sonst ist alles vergebens.“ Da befestigte es den Schlüssel an einer kleinen goldenen Kette, die es um den Hals trug, deckte ein Tuch darüber, dass keiner das Funkeln sehen konnte, und machte sich mutig auf den Weg. Am Abend des dritten Tages sah es von weitem den schwarzen Berg. Er lag da wie eine faule Kröte. An seinem Fuße angekommen, suchte Lindren überall nach dem Schloss. Plötzlich begann über ihrem Kopf etwas zu glitzern. Sie sah hinauf und entdeckte, was sie suchte. Jedoch schien es unerreichbar. Da rollten Steine vom Berg herab. Die sammelte das Mädchen, türmte sie aufeinander und kletterte hinauf. Oben angekommen holte den Schlüssel hervor und schloss auf. In dem Berg war es kalt und unheimlich. Böse Augen schienen Lindren aus dem Stein heraus anzustarren und sie zu verfolgen. Doch tapfer ging sie weiter, obgleich sie wie Espenlaub zitterte. Da hörte sie von weitem einen wunderschönen traurigen Gesang. Eine Frauenstimme sang von der Schönheit des Waldes, den Wundern der Natur, von Sonnenstrahlen auf Blütenblättern. Das Mädchen ging weiter in Richtung der Stimme. Da saß sie. Eine wunderschöne junge Frau mit langen braunen Haaren, die wie Zweige ihr Gesicht umrahmten. Sie trug ein Gewand aus Eichenlaub. Ihre Hände hatten die Form von Birkenblättern. Aus den kastanienbraunen Augen tropften Tränen. Wo sie auf das Kleid fielen, sprossen kleine grüne Triebe. Als sie das Mädchen erblickte, öffnete sie den Mund wie zu einem Schrei. Schnell legte Lindren einen Finger auf die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen. Vorsichtig sah sie sich um. Dann schlich sie schnell zu der schönen Frau. „Bist du Faemoa?“, flüsterte sie. Die Frau nickte. „Ich komme von deinem Bruder“, verriet Lindren, „er verhalf mir zu dem Schlüssel, dass ich das Schloss zum Berg öffnen konnte. Komm schnell mit, lass uns fliehen.“ Doch Faemoa schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht.“ „Doch,...