E-Book, Deutsch, Band 14, 358 Seiten
Reihe: Alltag, Medien und Kultur
Buhl Tatort
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-0705-9
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Gesellschaftspolitische Themen in der Krimireihe
E-Book, Deutsch, Band 14, 358 Seiten
Reihe: Alltag, Medien und Kultur
ISBN: 978-3-7445-0705-9
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hendrik Buhl untersucht das Phänomen gesellschaftspolitischer Themen im Genreklassiker 'Tatort'. Der 'Tatort'-Krimi am Sonntagabend gehört für viele Menschen zum Ausklang des Wochenendes dazu. Die erfolgreichste Krimireihe im deutschen Fernsehen unterhält nicht nur mit spannenden Geschichten, sondern informiert auch über gesellschaftspolitische Probleme und Konfliktlagen. Bei der Mörderjagd sehen sich die Kommissarinnen und Kommissare mit schlechten Arbeitsbedingungen in Discountern, Obdachlosigkeit oder Voyeurismus im Internet konfrontiert. Anhand aller Erstausstrahlungen eines Jahres zeigt Hendrik Buhl, wie unterhaltsame Ermittlungsarbeit einerseits und Informationen andererseits in 'Tatort'-Krimis miteinander verbunden werden. Damit leistet er einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung der Frage, wie die Krimireihe 'Tatort' öffentlich-rechtliche Aufklärung im doppelten Sinn audiovisuell umSetzt und wie dies wissenschaftlich zu konzeptualisieren und zu analysieren ist. Dabei sind unter anderem folgende Forschungsfragen erkenntnisleitend: Welche sendungsübergreifenden Inszenierungsstile gibt es? Welche Figurenkonzepte spielen eine Rolle? Wie parteiisch ist politische Unterhaltung im 'Tatort'?
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaft und Gesellschaft | Kulturwissenschaften Kulturwissenschaften
- Geisteswissenschaften Theater- und Filmwissenschaft | Andere Darstellende Künste Filmwissenschaft, Fernsehen, Radio Filmtheorie, Filmanalyse
- Geisteswissenschaften Theater- und Filmwissenschaft | Andere Darstellende Künste Filmwissenschaft, Fernsehen, Radio Fernsehproduktion
Weitere Infos & Material
2. Die Reihe »Tatort« in der Populären Kultur »Wo waren Sie am Sonntagabend zwischen 20.15 Uhr und 21.45 Uhr?« Für den Ausklang des Wochenendes bei spannender Krimiunterhaltung bedarf es keines Alibis. Das »Tatort«-Gucken ist für sehr viele Menschen im deutschsprachigen Raum längst eine selbstverständliche und ritualisierte medienkulturelle Praxis (vgl. Buhl 2007). Ob sonntags allein zu Hause, mit Freunden beim Abendessen, mit Fremden beim »Public Viewing« (vgl. Hinrichs 2005) in städtischen Lokalen oder an den Tagen danach in der Internet-Mediathek der ARD, die »Tatort«-Krimis werden seit Langem regelmäßig von sehr vielen Menschen gesehen (vgl. Scherer/Stockinger 2010a/b, Zubayr/Geese 2005). Eine anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Reihe im Jahr 2010 publizierte, quantitative Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie ergab, dass die Sendung von »knapp drei Viertel der Bevölkerung […] zumindest hin und wieder« (IfD 2010, S. 2) gesehen wird. Besonders beliebt ist die Reihe bei über 45-Jährigen (ebd., S. 3). 2.1 Relevanz der Reihe Der seit November 1970 existierende »Tatort« ist die langlebigste Sendung unter den Krimiserien und -reihen und eine der am längsten laufenden des deutschen Fernsehens überhaupt. Als beständiger Quotenfänger bildet sie die Speerspitze eines der populärsten Genres im Fernsehen. Die »Tatort«-Reihe gehört zu den stärksten Marken der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD). Im Produktverbund gibt es neben den Fernsehkrimis auch Bücher sowie seit 2008 auch Radio-»Tatorte«. Die Hörspiele erscheinen auf CD, und eine beständig erweiterte Auswahl an Spielfilmen ist im Vertrieb von Walt Disney Studios Home Entertainment mittlerweile auf DVD, in Einzelfolgen und in Städte- bzw. Teamkompilationen verfügbar. Im Fernsehfluss nach der »Tagesschau«, die den Beginn des Fernsehabends faktenreich einläutet, und vor den unterhaltsamen Selbstdarstellungen politischer Akteure in der Polit-Talkshow »Günther Jauch« (vgl. Armbruster/Mikos 2009, Schultz 2006, S. 317) platziert, bietet der »Tatort« fiktionale Welten mit faktualen Anteilen (vgl. Vogt 2005, S. 112). Der berühmt gewordene und weitgehend unverändert gebliebene Vorspann mit dem Fadenkreuz und den blauen Augen von Horst Lettenmayer, den Fond15 wechseln im Takt der Spannung evozierenden Musik von Klaus Doldinger, die nach dem Erreichen der Klimax in einen groovigen Bassriff mündet und mit zackigen Bläserakzenten endet, während Lettenmayer läuft und eingekreist wird, sowie der (verkürzte) Abspann markieren als gemeinsames Signet den Rahmen der Reihe (vgl. Fuchs 2007, S. 70). Reinhold Viehoff sieht in dem markanten Vorspann die Modellierung einer spezifischen erkenntnistheoretischen Situation: die Pupillen im close-up der Kamera als angedeutete Verheißung von Authentizität und Objektivität der Darstellung, beginnend am Ort der Tat. Schließlich gelte: kein Fernsehkrimi ohne Tat-Ort. Am Ort der Tat, Ausgangspunkt und Conditio sine qua non des Ermittlungsgeschehens, beginnt das vor den distanzierten Blicken der sich zu Hause sicher wissenden Zuschauer ausgebreitete Spiel um Verdachtsmomente, Indizien und Motive, das stets auf die erwartbare Überführung der Täterin oder des Täters hinausläuft (vgl. Viehoff 1999, S. 117 f.). 2.2 Das Krimigenre Die Reihe »Tatort« ist dem erfolgreichsten fiktionalen Genre des deutschen Fernsehens zuzurechnen: dem Fernsehkrimi (vgl. Brück et al. 2003). Genres dienen der Bezeichnung und Klassifizierung von Gruppen inhaltlich und formal ähnlicher Artefakte (vgl. Mikos 2008, S. 263, Borstnar et al. 2008, S. 65 ff., Müller 2003, S. 212 ff.). Sie umfassen familienähnliche Produkte, die hinsichtlich ihres Figureninventars, ihrer Geschichten, Dramaturgien, Motive, ästhetischer und stilistischer Standards zusammengefasst werden können. Dies hat ihnen den Vorwurf der »Formelhaftigkeit« (Ganz-Blättler 1999, S. 264, Hallenberger 2002, S. 85) eingebracht, einhergehend mit einem Hang zur Stereotypisierung (vgl. Schweinitz 2006). Dieser Denktradition verbunden, spricht Thomas Weber beispielsweise von Genres als »Warenkategorien im Handel mit Unterhaltungsprodukten« (Weber 1994, S. 258). Wie alles Kulturelle unterliegen auch Genres dem historischen Wandel. Filme eines Genres sind zwar einander ähnlich, aber nie gleich. Es herrscht das Grundprinzip von Schema und Variation (vgl. Hallenberger 2002, S. 95). Das heißt, es gilt, nach zwei »Merkmalsklassen« zu differenzieren: in »obligatorische, genrekonstitutive und in fakultative, genretypische Struktureinheiten« (Bauer 1992, S. 48, Herv. i. Orig.). Konstitutiv für das Krimigenre ist beispielsweise die normüberschreitende Tat, der Mord, während das Warten im Auto auf einen der Tat Verdächtigen zu den zwar typischen, aber nicht zwingend notwendigen Elementen zählt. Genres bieten ein »Gebrauchswertversprechen« (Mikos 2008, S. 265), das heißt eine Erwartbarkeit dessen, was die Zuschauer in Sendungen verschiedener Genres (Krimi, Heimatfilm, Arztfilm etc.) geboten bekommen. Wer sich einen als Krimi angekündigten Spielfilm anschaut und mit den Regeln des Genres vertraut ist, dessen Erwartungen werden beim Anschauen in der Regel erfüllt werden. Das Krimigenre im Besonderen ist geprägt von einem Trend zur »Hybridisierung, d.h. die Vermischung des Krimigenres mit anderen Genres, Formen oder Annäherung[en] an die ästhetischen Standards anderer Genres oder Medien« (Brück et al. 2000, S. 14, Herv. i. Orig.). Ein »Tatort«-Krimi kann heute Elemente des Melodrams, des Öko-Thrillers, des Sozialdramas, der Industriereportage, des Justizfilms, des Westerns, der Komödie und noch von vielem mehr enthalten. In der Summe dienen Genres der Organisation von Medienhandeln, -distribution und -produktion. Jason Mittel spricht sich deshalb für ein über den Text hinausweisendes Verständnis von Fernsehgenres aus, für Genres »as a process of categorization that is not found within media texts, but operates across the cultural realms of media industries, audiences, policy, critics, and historical contexts« (Mittell 2005, S. xii, vgl. Mikos 2008, S. 264). Diese umfassenden Zusammenhänge gilt es im Zuge der produktanalytischen Anlage vorliegender Studie stets mitzudenken. Für das Krimigenre konstitutiv ist die Trias aus Normübertretung (Mord), Detektion (Ermittlung) und Aufklärung (Lösung des Falles bzw. Festnahme der Täterin/des Täters) (vgl. Bauer 1992, S. 45, Brück 1996, S. 321). Dabei wird deutlich, dass der Krimi kein genuines Genre des Fernsehens ist. Die Genreentwicklung verläuft in intermedialen Entwicklungslinien und hat eine lange Geschichte (vgl. Vogt 1998, Mikos 2002a/b). Ingrid Brück bietet in ihrer Begriffsdefinition ein Destillat aus vielen Definitionsversuchen an: »Der Fernsehkrimi ist (1) eine im Fernsehen gesendete (2) Spielhandlung, die (3) auf die Darstellung von Verbrechen bzw. Kriminalität und deren Aufklärung abzielt« (Brück 2004, S. 11). Die Definition umfasst damit Medialität, Fiktionalität, Thema und Rätselstruktur dieser Textsorte. Die Reihe »Tatort« ist innerhalb des Krimigenres dem Subgenre des Polizeifilms zuzurechnen (vgl. Mikos 2008, S. 263, Hickethier et al. 2005, S. 19). Das heißt, die Verbrechensaufklärung findet (fast immer) im offiziellen Auftrag und unter der Ägide dafür zuständiger Behörden statt. Den verbeamteten Ermittlern steht zur Bewältigung ihrer Aufgabe ein großer Polizeiapparat zur Verfügung; der verdeckt arbeitende und weitgehend auf sich allein gestellte Mehmet Kurtulus als Cenk Batu in Hamburg war in dieser Hinsicht eine seltene – und letztlich nur kurze Zeit zu erlebende – Ausnahme. Die Kommissare verfügen über zahlreiche Zuträger von detektionsrelevantem Wissen: Zunächst die Leute von der Spurensicherung, die weiß gekleidet am Tatort Hinweise auf die Täterin bzw. den Täter suchen und finden, indem sie pinselnd Fingerabdrücke sichern, Spuren katalogisieren und Fundstücke eintüten. Denkbar sind auch Experten für Blutspuren, die imstande sind, Tatverläufe zu rekonstruieren (vgl. die US-amerikanische Erfolgsserie »Dexter«, SHOWTIME 2006 ff., Rothemund 2013). Daneben gibt es Pathologen, die Auskünfte über Auffindsituationen, Todeszeitpunkte und -ursachen, Tatwerkzeuge (»stumpfer Gegenstand«), Mageninhalte, Promillewerte und Drogencocktails, auffällige Körpermerkmale oder prämortalen Geschlechtsverkehr geben. Darüber hinaus helfen Psychologen, die Täterprofile zu erstellen, kindliche Traumata zu deuten und Beziehungsgefüge zu entschlüsseln. Kriminaltechniker (»KTU« steht für »Kriminaltechnische Untersuchung«) rekonstruieren und lesen die Handy- und Computerdaten aus, bringen Navigationssysteme zum Laufen oder ordnen Tatwaffen zu. Ein schwer bewaffnetes »SEK«...