E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Buddenkotte Früher war wenigstens Sendeschluss
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-09541-3
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Film und Fernsehen für Fortgeschrittene
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-641-09541-3
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Comedienne Katinka Buddenkotte ist ein Film- und Fernsehprofi. Von der Couch aus. Seit frühester Kindheit fernsehbegeistert hat sie allen Unkenrufen zum Trotz dabei viel fürs Leben gelernt. Zum Beispiel, dass Schauspieler mit Ketchup gefüllt sind und man Erwachsenen eher die peinliche Knutscherei verzeiht, wenn dabei gute Hintergrundmusik läuft. Vom Bildschirm und der Leinwand nimmt sie stets wertvolle Erkenntnisse mit in die dreidimensionale Welt, die man Leben nennt. Witzig, pointiert, frech und doch wunderbar tiefsinnig – in diesen Geschichten zeigt sich Buddenkotte at her best!
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Alles nur Show
Zunächst möchte ich meiner Schwester danken, für ihre großartige Performance als Erstgeborene. Sie überzeugte meine Eltern durch grundsätzliche Niedlichkeit, einfache Handhabung und ein erfreulich hohes Schlafbedürfnis. Hätte ich ihren Part übernommen, wäre ich wohl Einzelkind geblieben. Denn auch die risikofreudigsten Produzenten würden niemals ein Sequel von einem Film herausbringen, der bei den Zuschauern floppte. Bei mir waren von vornherein Drehbuchschwächen zu erkennen: Die Geburt dramatisch, aber zu langwierig, das Ergebnis erstaunlich verschrumpelt und ein wenig gruselig. Das breite Publikum konnte sich kaum mit dem ewig schreienden, aber niemals blinzelnden Kind identifizieren, selbst die nähere Verwandtschaft fand keinen rechten Zugang zu mir.
Außerdem entwickelte sich mein Charakter nicht logisch. Bevor ich laufen konnte, sprach ich in ganzen Sätzen, mein Favorit war: »Trag mich nach Hause.« Zu Hause fand ich toll, Ausflüge wusste ich nicht wirklich zu würdigen. Gingen wir in den Zoo und wurden später gefragt, welche Tiere wir gesehen hätten, berichtete meine Schwester artig von Affen, Elefanten und Geparden und imitierte die entsprechenden Geräusche. Ich gab zu Protokoll: »Spatzen. Die machen flap-flap-flap.« Euphemistisch konnte man behaupten, dass ich konzentriert, detailversessen und kleintierlieb war. Meine Mutter machte sich das zunutze, indem sie mich beim Wäscheaufhängen an der Mülltonne parkte, wo ich meine Zeit mit den dort ansässigen Ohrenkneifern verbrachte. Über Monate liebte ich es offenbar, einfach nur still dazuliegen und die Insekten über mich krabbeln zu lassen. Aber eines Tages schrie ein Nachbarskind: »Igitt, das sieht aus, als wärst du tot!« Da schrie und heulte ich bitterlich, da ich nicht »Igitt« sein wollte.
Vom Tod hatte ich noch kein richtiges Konzept, aber da unser Hund mittlerweile recht klapprig wurde, sahen meine Eltern dieses Ereignis als willkommenen Anlass, um uns behutsam an das Thema heranzuführen. »Also, die Oma ist ja auch schon alt …« Eine klassische, aber eben auch fehleranfällige Eröffnung. »Wie alt ist Oma denn?«, fragte meine Schwester. »Oh, äh, über siebzig«, schätzte meine Mutter. »Und wie alt ist der Hund?« »Elfeinhalb«, wusste mein Vater aus dem Kopf. Meine Schwester und ich atmeten erleichtert auf. Unser Hund hatte also noch gute sechzig Jahre vor sich, er würde leben, bis wir selbst Eltern wären. Schon fingen wir an, darüber zu streiten, bei wem von uns er dann wohnen würde: in meinem Baumhaus oder auf der Pferderanch meiner Schwester. Ob meine Eltern sich an das Stichwort »Pferd« klammerten oder ob sie einfach wie immer den Fernseher anschalteten, wenn es unübersichtlich wurde, bleibt für ewig ungeklärt. Auf jeden Fall lief dort gerade Western von gestern. Das ideale Format, wenn man seiner Brut veranschaulichen will, wie die Welt funktioniert: Der Held hat immer einen schlauen Spruch auf den Lippen, die Farmerstochter ist auch in Schwarz-Weiß wunderschön, und wer beim Kartenspielen schummelt, wird direkt erschossen. Leider wollten unsere Eltern trotzdem an dem Thema »Tod von Tieren« festhalten und starteten einen zweiten Versuch: »Guckt mal, die Pferde, die rennen ja sehr schnell. Deswegen sterben die auch schneller und …« Meine Schwester fing wie auf Knopfdruck an zu heulen, und ich sagte: »So schnell rennen die in echt gar nicht. Das ist nur Film. Die spulen das einfach schneller ab.« Aus irgendeinem Grund wichen meine Eltern in diesem Moment von ihrem pädagogischen Tagesziel ab. Das hätte ich wahrscheinlich auch getan, wenn ich festgestellt hätte, dass meine sechsjährige Tochter nicht verstehen konnte, dass man ruhig ab und an Gemüse essen konnte, aber das komplexe System »Fernsehen« offenbar in all seinen Einzelheiten durchschaut hatte. Fasziniert folgten sie meinen Ausführungen: »Der Cowboy von eben ist auch nicht wirklich kaputt. Der bleibt da nur liegen, weil er ein guter Schauspieler ist. Er wäre ein schlechter Schauspieler, wenn er nicht still liegen würde. Wenn die das fertig gefilmt haben, steht der auf und geht nach Hause. Nee, vorher zieht der sich um. Der ist ja nur im Film Cowboy.«
Meine Schwester heulte immer noch oder schon wieder, weil auf dem Bildschirm gerade ein Pferd hingefallen war. »Das ist ein Schauspieler-Pferd«, versuchte ich erneut zu erklären, »das steht gleich auf und geht dann auch nach Hause.« Meine Schwester beruhigte sich einigermaßen, meine Eltern strahlten. Oft waren sie dafür kritisiert worden, dass bei uns zu Hause angeblich zu oft die Flimmerkiste angeschaltet war. Unsere Nachbarin zur Linken behauptete sogar, dass ihre Töchter überhaupt nie fernsehen würden, weil sie es auch gar nicht wollten. Aber die durften ja auch keinen Zucker essen, weil sie den angeblich nicht mochten. Beim letzten Geburtstag meiner Schwester hatte man die Ältere der beiden aber nach stundenlanger Suche in einem Busch versteckt gefunden, wo sie munter die Reste des ebenfalls verschollenen Kuchens verdrückte. Genauer gesagt war es meine Mutter gewesen, die einfach der Krümelspur gefolgt war und das schokoverschmierte Kind triumphierend lächelnd zu ihren Eltern zurückgebracht hatte. Seitdem mischte sich kein Außenstehender mehr in unsere Erziehung ein. Und unsere Eltern hatten die Zügel noch lockerer gelassen, sprich sich von »Zähneputzen-Sesamstraße-Abmarsch-ins-Bett« zu »Nur-am-Wochenende-vormittags-und-vor-der-Tagesschau-ist-wirklich-Schluss« weiterentwickelt. An diesem Nachmittag kriegten sie die fällige Bestätigung: Sie hatten instinktiv alles richtig gemacht, zumindest bis jetzt, und in Bezug auf mich. Bei meiner Schwester gab es selbstverständlich noch Nachholbedarf: »Wie wird ein Pferd ein Schauspielpferd?«, fragte sie. Bevor sich jemand anders auf diesem Spezialgebiet verlaufen konnte, hatte ich natürlich schon eine Antwort parat: »Wahrscheinlich hat es das im Theater gelernt. Da lernen Hunde Klavier spielen und Bären, wie man Hüte trägt. Und manchmal kommt Elton John und singt mit Krokodilen.« Die Begeisterung meiner Eltern wich zunächst einer gewissen Ratlosigkeit, aber als Fan der ersten Stunde konnte mein Vater schließlich meinen Gedankensprüngen folgen: »Katinka, redest du über die Muppetshow?« Selbst als Erstklässlerin wusste ich schon, was eine rhetorische Frage war: »Wovon denn sonst? Da will ich auch hin, wenn ich groß bin.«
Da bemerkte ich zum ersten Mal diesen besonderen Ausdruck im Gesicht meiner Mutter. Sie präsentiert ihn nur bei besonderen Gelegenheiten. In späteren Jahren etwa, als sie mein erstes WG-Zimmer betrat, meinen zweiten Freund kennenlernte und als ich zum dritten Mal wieder in mein Elternhaus zog. Er besteht zu je 30 Prozent aus Zweifeln an mir, ihrer selbst und der gesamten Menschheit. Der Rest ist eine dumpfe Ahnung, dass ich ihr einen extrem geschmacklosen Witz aufgetischt habe. Und immer wenn sie dieses Gesicht zieht, entsteht eine neue Falte auf ihrer Stirn, die auf ewig dort zurückbleibt. Und da sie in diesen Momenten zu sehr damit beschäftigt ist, sich daran zu erinnern, dass sie Nichtraucherin ist, überließ sie es auch an diesem Tag meinem Vater, das Verhör zu beginnen: »Du weißt schon, dass die Muppets keine echten Tiere sind, oder?«
Ich nickte eifrig: »Klar, sie sind Muppets. Im echten Leben verlieben sich Schweine ja gar nicht in Frösche.«
»Richtig«, griff mein Vater den Faden dankbar auf, und ich spann ihn sogleich weiter: »Aber das ist ja sowieso nur gespielt. Wegen der Show. Die wissen ja, wenn die Kameras laufen. Und wenn der Vorhang fällt, gehen Kermit und Miss Piggy nach Hause. Jeder in seins.«
Ich glaube, mein Vater mochte den Gedanken irgendwie, und meine Mutter versuchte erneut, die Dinge zu ordnen: »Also, das Schwein geht in den Stall und der Frosch in den Tümpel?«
Erstaunlicherweise klinkte sich meine Schwester an dieser Stelle wieder ins Gespräch ein: »Nee, die sind doch keine echten Tiere. Die leben in schicken Wohnungen, in New York.«
»Genau«, bestätigte ich.
Wahrscheinlich ist jede glückliche Familie auf ihre eigene Weise bekloppt. Denn ich glaube nicht, dass je andere Eltern bei dem Versuch, die Vergänglichkeit alles Irdischen zu erläutern, eine halbe Stunde später die Frage stellten: »Glaubt ihr tatsächlich, dass irgendein Schwein so viel Geld beim Theater verdient, dass es sich die Mieten in New York leisten kann?«
So lernten meine Schwester und ich früh: Wenn die Erwachsenen durchdrehten, mussten wir uns eben wie halbwegs normale Kinder verhalten: »Keine Ahnung, das kam in der Schule noch nicht dran«, maulte ich, meine Schwester entspannte die Lage durch den Einwurf: »Können wir jetzt ein Eis haben?«
Wir konnten nicht, aber es war einen Versuch wert gewesen. Dafür konnten unsere Eltern uns nicht die ganze Wahrheit erzählen, obwohl sie es bestimmt versucht haben. Aber sie brachten es einfach nicht übers Herz, uns grauenvolle Dinge über Menschen zu erzählen, die mit ihren Händen leblose Puppenhüllen bewegten, die danach in irgendwelchen Lagerhallen aufbewahrt wurden. Keiner von uns erwähnte je wieder die Theorie, dass Schauspieler in den Muppets stecken könnten. Die Muppets waren Schauspieler. Sehr gute sogar. Sie waren nicht reich, aber sie schmissen den Laden. Menschen waren als Gäste zugelassen, und deren Auftritte bewerteten wir weiterhin kritisch: »Ist der Mann böse?«, wollte ich einmal von meiner Mutter wissen, und sie sagte: »Nein, das ist Johnny Cash. Der ist nicht böse, der guckt nur immer so.«
»Ich finde, der könnte ruhig mal lächeln. Fozzy hat schon seine besten Witze erzählt.«
»Ja, da hast du recht. So ein armer Bär hat ja auch...