E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Buchsteiner Zwischenzeit
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-417-27019-8
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Finde Gott, wenn du nicht erlebst, was du glaubst
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-417-27019-8
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martin Buchsteiner (Jg. 1975) ist seit 1998 Mitarbeiter des Fackelträgerzentrums Tauernhof in Österreich, das er seit 2013 leitet. Neben seinen Tätigkeiten als Tourenführer für Wanderungen und Canyoning sowie als Skilehrer, ist er international als Prediger unterwegs. Er lebt mit seiner Familie im Ennstal, Österreich. www.tauernhofaustria.at
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3 DIE DISSONANZ ERKLÄREN
Wer noch kaum Dissonanz in seinem Leben erfahren hat, tendiert sehr schnell dazu, schwarz-weiße Antworten auf farbenreiche Fragen zu geben. Im Folgenden beleuchte ich einige davon.
Sind wir in unserer Moral zu weit von Gottes Ideal abgerutscht?
In der Generation meiner Eltern war der Gedanke nicht abwegig, dass Menschen, die von einem Unglück betroffen waren, dieses selbst zu verschulden hatten. Ich kann mich noch gut an eine Begebenheit erinnern, wo ich gemeinsam mit meinem Vater in unseren Wald ging. Eine ordentlich gepflegte Land- und Forstwirtschaft war für ihn nicht nur Teil eines respektvollen Umgangs mit der Schöpfung, sondern durchaus auch förderlich, um negatives Gerede von Nachbarn zu vermeiden. Aber es war noch viel mehr als das. Als wir uns an dem besagten Tag in unserem Wald umsahen und mein Vater entdeckte, wie unordentlich und vernachlässigt das Waldstück unseres Nachbarn wirkte, brummte er: »Jaja. Der Herrgott wird’s ihm schon vergelten.« Als etwa zehnjähriger leidenschaftlicher Jungbauer irritierten mich diese Worte zwar, aber zumindest wusste ich ab diesem Zeitpunkt, dass es wichtig ist, seinen Besitz in Ordnung zu halten. Sonst drohte einem womöglich eine Strafe – von wem auch immer.
Ich muss gestehen: Ich bin sehr froh darüber, dass mich mein Glaube an Jesus Christus mittlerweile anderes lehrt. Wenn ich meine Sachen nicht immer in Ordnung halte, rufe ich dadurch nicht den Zorn Gottes über mich herbei. In diesem Fall würde es wohl ziemlich oft über mir »blitzen und donnern«! Aber dieses Denken – Gott straft, wenn du dein Leben nicht in Ordnung hältst – ist allgegenwärtig. In der Washington Post wurde am 8. September 2017 ein Artikel mit folgender Überschrift veröffentlicht: »Haben Lesben die Hurrikane Irma und Harvey verursacht?« Evangelisten und TV-Prediger hatten verkündet, dass diese Stürme eine Strafe Gottes seien, weil die Bürger von Houston (Texas) eine lesbische Frau zur Bürgermeisterin gewählt hatten. Ein anderer Prediger war davon überzeugt, dass Gott den Kurs von Hurrikan Irma verändern würde, wenn der Oberste Gerichtshof Abtreibung und Homo-Ehe schnell als illegal deklarieren würde.
Es steht außer Zweifel, dass ein Lebenswandel und moralische Entscheidungen, die nicht mit der Heiligen Schrift und dem Willen Gottes zu vereinbaren sind, Konsequenzen haben (Römer 2). Aber glauben wir wirklich an einen Gott, der über 130 Menschen »tötet«, weil eine Bürgermeisterin lesbisch ist? Wäre dieses Prinzip der Strafe Gottes dann nicht auf alle Naturkatastrophen oder Krankheiten zu übertragen? Welche meiner unmoralischen Handlungen oder Gedanken wären dann für welche Katastrophen und welches Leid anderer Menschen verantwortlich? Könnten wir zu Lebzeiten je ein so moralisch reines, gottgefälliges Leben führen, dass wir sämtliches Leid vermeiden könnten? Wer hat eine weiße Weste? (Ganz nebenbei: Einer dieser TV-Prediger, Jim Bakker, stand später selbst vor Gericht. Er wurde in vierundzwanzig Anklagepunkten, darunter Betrug und sexueller Missbrauch, für schuldig befunden und zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt.)
Laufen wir tatsächlich Gefahr, in unserer Moral zu weit von Gottes Ideal abzurutschen? Absolut! In der Schrift heißt es: »Keiner ist gerecht – nicht ein Einziger. Keiner ist klug; keiner fragt nach Gott. Alle haben sich von Gott abgewandt; alle sind für Gott unbrauchbar geworden. Keiner tut Gutes, auch nicht ein Einziger« (Römer 3,10-12).
Wenn dies die Ursache für Naturkatastrophen wäre, dann hätte jeder von uns sein eigenes Unwetter.
Hattest du heute schon einen faulen Gedanken? Einen, den man lieber nicht vor Hunderten Menschen auf eine Leinwand projiziert und schon gar nicht mit einer Freundin oder dem Ehepartner teilen würde? – Vorsicht Blitzschlag!
Hast du in letzter Zeit etwas begehrt, das dir nicht gehört und auch nie gehören wird? – Schon grollt der Donner über deinen Kopf.
Gibt es jemanden, den du hasst? – Ein Hurrikan zieht heran.
Liebst du Gott von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Verstand und deine Mitmenschen wie dich selbst (Matthäus 22,37-39)? Wenn nicht, könnte dein Mangel an Liebe Gott und anderen Menschen und vor allem deinen Feinden gegenüber verantwortlich für den nächsten Tsunami sein!
»Wer alle Gesetze bis auf ein einziges befolgt, ist genauso schuldig wie einer, der alle Gesetze Gottes gebrochen hat« (Jakobus 2,10).
Ja, es stimmt. Ich, Martin Buchsteiner, bin ein Sünder. Ich bin noch weit davon entfernt, Gottes Charakter ähnlich zu sein. Ich habe unmoralische Gedanken, manchmal ist mir meine Familie oder mein Hobby wichtiger als Gott und an meiner Feindesliebe muss ich noch arbeiten.
Aber ist das die Antwort, die uns dabei hilft, unsere Dissonanz zu überwinden? Das Unerklärliche zu erklären?
Ich danke Gott, dass ich jeden Tag aus seiner Gnade und Vergebung leben darf. Dass seine Liebe mir gegenüber bedingungslos ist. Dass er mich morgen nicht weniger liebt, wenn ich heute etwas falsch mache, und mir nicht mehr vergeben ist, wenn ich es schaffe, alles richtig zu machen.
Ich danke Gott von Herzen, dass ich sein geliebtes Kind bin, egal was ich alles verbocke. Das ist Barmherzigkeit! Das ist wahre Liebe! Das ist Jesus!
Und dennoch bleiben mir Erfahrungen im Leben nicht erspart, für die ich keine Erklärung habe.
Haben wir nicht genug gebetet?
Eine andere Begründung für Leid und fehlende Gebetserhörungen ist: »Wir haben nicht genug gebetet.« Auch hier finde ich mich wieder. Ich habe nicht genug gebetet. Ich habe heute nicht genug gebetet. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe noch nie in meinem Leben genug gebetet. Was bedeutet das überhaupt, genug zu beten? Wann kommt der Zeitpunkt, wo wir den Telefonhörer auflegen, die Verbindung mit unserem himmlischen Vater unterbrechen, den Stecker ziehen? Wie bei einem geliebten Menschen, dessen lebenserhaltende Funktionen nur noch von einer Maschine in der Intensivstation angetrieben werden. Wann kommt der Zeitpunkt, wenn die Familie entscheidet, den Strom abzuschalten?
Als meine Oma einen schweren Schlaganfall hatte, übernahmen meine Eltern und wir Enkelkinder die Pflege. Wir lagerten sie so, dass sie keine offenen Wunden bekam, und gaben ihr Medizin, die ihr Herz stärkte, damit es nicht aufhörte zu schlagen. Nach etwa zwei Jahren kam der Zeitpunkt, an dem meine Eltern entscheiden mussten, wie lange sie meiner Oma diese lebenserhaltende Medizin noch verabreichen sollten. Oma konnte nichts mehr essen, kaum noch Flüssigkeit aufnehmen, aber sterben konnte sie auch nicht, weil ihr Herz durch die Medizin weiterhin fleißig schlug. Wir glauben an einen Gott, der meine Oma hätte gesund machen können. Wir haben um Heilung, um ein Wunder gebetet.
Aber wie lange kann man um Heilung beten, während ein geliebter Mensch mehr und mehr verkümmert und nicht sterben kann, obwohl er selbst es vielleicht längst möchte, dies aber nicht mehr ausdrücken kann? Gibt es den richtigen Zeitpunkt, an dem man genug um Heilung gebetet hat? Meine Eltern entschieden sich dafür, die Medizin abzusetzen und Oma in Frieden »gehen« zu lassen. Andere müssen keine solchen Entscheidungen treffen, aber vielleicht hören auch sie irgendwann auf, um Heilung zu beten.
Am Tauernhof haben wir seit über fünfzig Jahren ein fünfwöchiges, erlebnispädagogisches Berg-Sportprogramm mit dem Namen »Upward Bound« (nach oben hin gebunden). Vor einigen Jahren nahm ein junger Mann namens Steve daran teil. Upward Bound ist darauf ausgerichtet, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer körperlich wie auch mental an ihre Grenzen zu führen. Für Steve waren allein schon die mehrstündigen Wanderungen mit teils schwerem Rucksack eine riesige Herausforderung. Er war alles andere als sportlich und dazu sehr übergewichtig. Bei jeder Anstrengung kam er an einen Punkt, wo er aufgeben und nur noch nach Hause reisen wollte. Aber dank seiner Teammitglieder konnte er bis zum Ende durchhalten und das Programm wie alle anderen erfolgreich abschließen. Sie ermutigten ihn immer wieder, weiterzumachen und nicht aufzugeben, standen ihm bei und nahmen ihm hin und wieder die Last ab.
Wir alle waren sehr stolz auf Steve, weil er nicht aufgegeben hatte, und diese Erfahrung hat sein Leben verändert. Sie hat seine Sichtweise in Bezug auf Herausforderungen verändert. Sie hat seine Beziehung zu Jesus verändert. Die Worte aus Philipper 4,13: »Alles ist mir möglich durch Christus, der mir die Kraft gibt, die ich brauche«, bekamen für Steve eine neue Bedeutung.
Ein paar Jahre später hatte Steve einen Mountainbike-Unfall. Es sah nicht gut aus. Er hatte sich schwer an der Wirbelsäule verletzt und die Sorge, dass er eines Tages nicht mehr gehen konnte, war groß.
Derartige Nachrichten treiben uns ins Gebet. Es wurde viel für Steve gebetet. Es wurde auch für Heilung gebetet, denn wir glauben an einen Gott, der Wunder tut, der Kranke heilt, der zerbrochene Wirbel und kaputte Nerven reparieren kann.
Doch heute sitzt Steve aufgrund einer Querschnittlähmung im Rollstuhl. Haben wir nicht genug für ihn gebetet? Gab es ein Missverständnis zwischen den Leuten, die gebetet haben, Steve und Gott? Haben wir zu früh aufgehört, für ein Wunder zu beten?
Bestimmt beten noch heute Menschen für ein Wunder für Steve. Gott kann ihn heute genauso heilen wie damals kurz nach dem Unfall. Davon sind wir überzeugt. An diesen Gott glauben wir. Doch irgendwann kommt man an einen Punkt, wo man versucht, die Tatsachen zu akzeptieren. Nicht, dass man gänzlich aufhört zu beten, aber die Gebete verändern...