Buchheim | Unser Verlangen nach Freiheit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Buchheim Unser Verlangen nach Freiheit

Kein Traum, sondern Drama mit Zukunft
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2006
ISBN: 978-3-7873-2023-3
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Kein Traum, sondern Drama mit Zukunft

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-2023-3
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Ein freies Wesen - was wir verlangen zu sein - muss jedoch in jedem Gebrauch seiner Freiheit wirklich anders können, als es sich aus freien Stücken tatsächlich verhält. Doch was bedeutet diese Anforderung an die Freiheit genau? Wie verhält sie sich zur kausalen Bestimmtheit des natürlichen Universums? Auf welche Qualifikationen unseres Verhaltens berufen wir uns, wenn wir nach unverkürzter Freiheit verlangen? Und wie sind solche Qualifikationen möglich, wenn und obwohl wir zugleich natürlich entstandene Wesen sind, zuhause in einem materiellen Universum? Das sind die Fragen, die in diesem Buch erörtert werden, um so unser mehrtausendjährig immer wieder neu brennendes Verlangen nach Freiheit auf eine rationale Weise auch heute noch stillen zu können.

Thomas Buchheim ist Ordinarius für Philosophie, speziell Metaphysik und Ontologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 2010 bis 2013 Vorsitzender der Gesellschaft für antike Philosophie.
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2 Wurzel der Freiheit: Die lebendige Natur potentiell freien Verhaltens


1. Die Doppelnatur von Lebensäußerungen

Wie in der Philosophie fast allgemein üblich, möchte ich einen grundlegenden Unterschied machen zwischen Dingen und Begebenheiten. Während Dinge Eigenschaften besitzen und in Beziehungen miteinander stehen – auf diese Weise die Sachverhalte konstituieren, die in unserer Welt bestehen, sind Begebenheiten Wechsel von Umständen, sei es, daß Dinge hinzukommen oder fortfallen, ein bestimmtes Ding andere Eigenschaften erhält oder mehrere Dinge andere Beziehungen miteinander eingehen, so daß durch den Wechsel jetzt andere Sachverhalte bestehen als ursprünglich der Fall.

Begebenheiten kommen sowohl in der Geschichte wie in der Natur vor: Der sommerliche Waldbrand und die Löschaktionen oder der Übergriff der Vogelgrippe auf den Menschen und die Einweisung ins Krankenhaus sind alles Begebenheiten. So umfassen die Begebenheiten sowohl die Naturereignisse oder physikalischen Prozesse als auch alle Handlungen und Verhaltensweisen von Menschen und Lebewesen. Während jedoch die Ereignisse mit gewissen Dingen geschehen oder an Dingen auftreten, sind Verhaltensweisen und Handlungen immer die von bestimmten Dingen, nämlich solchen, die lebendig sind. Deshalb gehört bei ihnen zur Begebenheit der Ursprung der Begebenheit hinzu, während dies für Ereignisse oder Prozesse nicht gilt. Wie läßt sich dieser Unterschied näher explizieren? Dazu ist auf eine weitere Unterscheidung, nunmehr in Anbetracht der Dinge, die es gibt, zurückzugreifen.

A. Der lebendige Organismus als Subjekt von Lebensäußerungen

Zu den Dingen, die man sowohl nach gewöhnlicher Auffassung des gesunden Menschenverstands wie auch zumeist in Philosophie und Wissenschaft für objektiv existierend hält, gehören neben abstrakten Gegenständen wie Zahlen oder Mengen und Naturgesetzen auch Körper oder physikalische Objekte. Einige von ihnen sind lebendige Körper, d. h. Organismen. Ich gehe davon aus, daß die Existenz von Organismen als eine nicht weiter begründungsbedürftige Basisannahme für die Erörterung des Freiheitsbegriffs zugestanden wird. Denn wir haben früher schon gesehen, daß es keinen Sinn macht, Freiheit (wie z. B. Thomas Hobbes meinte) auch leblosen Dingen zugestehen zu wollen. Die belebten Dinge, die wir objektiv kennen, sind jedoch sämtlich Organismen.

Lebendige Organismen als zugleich hochkomplexe Körper sind beständig in eine Vielzahl von Begebenheiten, Prozessen, Ereignissen und Körperbewegungen involviert. Es gibt, wie seit jeher von der Philosophie hervorgekehrt, gar kein organisches Leben ohne andauernde Bewegungen, die immer irgendeinen Wechsel von Umständen in ihnen und ihrer nächsten Umgebung mit sich bringen.24 Einige dieser Begebenheiten sind nicht organischer Art, wie z. B. der Durchgang eines Neutrinos oder die erhöhte Ansammlung von radioaktivem Cäsium in bayerischen Waldpilzen. Andere Begebenheiten sind organische oder physiologische Prozesse, wie eine Immunreaktion oder die Blutbildung. Wieder andere können wir insgesamt als Lebensäußerungen der Organismen bezeichnen, etwa das Balzverhalten oder eine Wahrnehmung. Diese dritte Art von Begebenheiten muß uns hier besonders interessieren. Denn man kann gut begründen, daß Handlungen allesamt komplexe Lebensäußerungen eines lebendigen Individuums sind und sein müssen. Handlungen sind damit weder als organische Prozesse zu begreifen, noch sind Begebenheiten, wie z. B. die Wiedervereinigung Deutschlands oder das Abflauen der Konjunktur in der Wirtschaft eines Landes Handlungen oder komplexe Lebensäußerungen eines Individuums. Wie also sind Lebensäußerungen individueller Organismen näher zu beschreiben?

Die Besonderheit von Lebensäußerungen besteht darin, daß die Begebenheit hier Teil des individuellen Lebens des betreffenden Organismus ist. Solche Teile eines individuellen Lebens nenne ich ›Episoden‹.25 Als Leben kann man die integrierte Aktivität aller Körperteile eines Organismus bezeichnen, durch die er seine Existenz als ein Individuum derselben Art fortsetzt.26 Episoden sind also bestimmt gestaltete Abwandlungen der Fortexistenz eines individuellen Organismus. Als Abwandlungen sind sie wechselnde Begebenheiten; als Fortsetzung des Lebens Episoden desselben Individuums, nicht eines anderen. So ist etwa in einem gerade verendeten Tier der Stoffwechsel noch im Gange (der keine Lebensäußerung ist), aber andere physiologische Prozesse wie z. B. diejenigen, die mit der Wahrnehmung oder dem Fluchtverhalten einhergehen und ohne die keine Integration dieses Individuums mehr zustandekommt, fehlen. Ein toter Hund ist eine unbestimmte Anzahl von aneinander angrenzenden körperlichen Objekten, von denen keines (außer Bakterien etc.) ein lebendiger Organismus ist. In sämtlichen noch vorhandenen Prozessen existiert kein individueller Organismus mehr fort.

Da in allen seinen Lebensäußerungen derselbe individuelle Organismus fortlebt, jedoch ein toter Organismus kein individueller komplexer Körper ist, kann man sagen, daß der individuelle Organismus das einzige Subjekt aller seiner Lebensäußerungen ist. Während also den übrigen Begebenheiten im und um den Körper eines Lebewesens höchst unterschiedliche Dinge (Körperregionen, mechanische und chemische Körperteile oder bloße Einschlüsse wie im Falle der Cäsiumatome) zugrundeliegen, ist das identische Subjekt aller Lebensäußerungen immer der Organismus im Ganzen als ein lebendiges Wesen. Umgekehrt kann man von jeder Begebenheit, deren Subjekt oder besser: Träger nicht ein lebendiges Wesen ist, sicher sein, daß sie keine Lebensäußerung, sondern ein physiologisches oder anorganisches Ereignis ist. Alle Ausdrücke unserer Sprachen, mit denen wir uns auf Lebensäußerungen, d. h. Regungen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten oder Handlungen von Lebendigem beziehen, erfordern auch grammatisch die Einsetzung eines Lebewesens an der Subjektstelle.27 Jedoch ist dieser Sachverhalt nach meiner These nicht nur ein grammatisches, sondern ein ontologisch begründetes Phänomen. Dies soll durch die folgenden Überlegungen weiter plausibel gemacht werden.

B. Zur ontologischen Verschiedenheit von physischen Ereignissen und Lebensäußerungen: das Konzept des horizontalen Dualismus

Die aufgezählten Arten von Lebensäußerungen sind keine trennscharfen Begriffe, sondern nur tendenzielle Unterscheidungen. Gemeinsam ist ihnen, wie schon gesagt, daß sie nur als Teil oder Episode des individuellen Lebens eines Lebewesens aufgefaßt werden können, also insgesamt dessen Lebendigsein verlangen. Man kann mit einigem Recht zwei Gruppen von Lebensäußerungen unterscheiden: die mehr passive Art der hervorgerufenen Regungen und die mehr aktive Art hervorgebrachter Tätigkeiten. Überwiegende Aktivität und überwiegende Passivität bilden jedoch im Bereich der Lebensäußerungen oder -episoden keine absolute, sondern nur eine relative Unterscheidung. Denn von allen Lebensäußerungen – den Regungen ebenso wie den Tätigkeiten – ist zutreffend zu sagen, daß sie von einem Lebewesen ›vollbracht‹ oder ›vollzogen‹ werden. Dies bedeutet, daß sie sämtlich auf eine gleich näher zu beschreibende Weise von einem Lebewesen insgesamt generiert und über gewisse Zeit hinweg aufrechterhalten werden.

Im tierischen Bereich würde man den Regungen wohl Lust und Schmerz, instinktive Wahrnehmungen, Alarmzustände, Hunger etc. zuordnen; den Tätigkeiten hingegen Verhaltensweisen wie typische Haltungen und aktive Körperbewegungen, Gebärden, Paarungs-, Freß- und Jagdverhalten etc. Einen Unterschied zwischen beiden Arten erkenne ich darin, daß Regungen manchmal ohne die kausale Beteiligung voraufliegender Lebensäußerungen desselben Lebewesens, d. h. nur aufgrund physiologischer Vorgänge hervorgerufen werden, während Tätigkeiten immer unter kausaler Beteiligung voraufliegender Lebensäußerungen desselben Individuums hervorgebracht zu werden scheinen.28 Regungen können also Einsätze oder Wiederaufnahmen des individuellen Lebens sein; Tätigkeiten sind dagegen immer so eingebettet ins individuelle Leben eines Lebewesens, daß ihnen Episoden desselben Lebens kausal relevant voraufliegen.

Wenn nun im Falle organischen Lebens zugleich in allen Körperteilen physiologische Ereignisse und Prozesse der diversesten Arten ablaufen und diese nur zusammen das Lebendigsein eines individuellen Organismus integrieren, dann ist klar, daß die Lebensäußerungen organischen Lebens eine Doppelnatur besitzen: Sie sind einerseits Cluster physiologischer Prozesse mit sehr unterschiedlichen Körperregionen als ihren ›Subjekten‹, an oder in denen sie sich vollziehen: zum Beispiel ein Schweißausbruch in Rücken und Achselhöhlen oder Neuronenfeuer in bestimmten Gehirnregionen. Sie sind andererseits Regungen oder Tätigkeiten des gesamten Individuums, sofern es lebendig ist und in ihnen sein Leben fortsetzt (zum Beispiel das aufmerksam witternde Eintreten in einen Gefahrenraum). In letzterer Eigenschaft ist, wie gesagt, das Lebewesen einziges Subjekt aller seiner Lebensäußerungen, solange es lebt. Offensichtlich wird damit in keiner Weise behauptet, daß ein organisches Lebewesen in irgendeinem Sinn noch etwas anderes ist, als all seine zum lebendigen Individuum gehörenden Körperteile. Dennoch sind Subjekt der Lebensäußerung nicht die physiologisch betroffenen Körperregionen, sondern das ganze Lebewesen. Weil nun sowohl das organische Lebewesen insgesamt ein komplexer Körper ist als auch den...


Buchheim, Thomas
Thomas Buchheim ist Ordinarius für Philosophie, speziell Metaphysik und Ontologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 2010 bis 2013 Vorsitzender der Gesellschaft für antike Philosophie.

Thomas Buchheim ist Ordinarius für Philosophie, speziell Metaphysik und Ontologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 2010 bis 2013 Vorsitzender der Gesellschaft für antike Philosophie.



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