E-Book, Deutsch, 313 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Brückner Jauche und Levkojen
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-1012-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 313 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1012-1
Verlag: Ullstein HC
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Christine Brückner (1921 - 1996) zählt zu den renommiertesten Schriftstellerinnen Deutschlands. Sie verfasste Romane, Erzählungen, Kommentare, Essays, Schauspiele, auch Jugend- und Bilderbücher. Besonders mit der Poenichen-Trilogie wurde sie einem großen Publikum bekannt.
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›Es ist sicher eine schöne Sache, aus gutem Haus zu sein. Aber das Verdienst gebührt den Vorfahren.‹
Plutarch
Hätte Joachim Quindt nicht schon in jungen Jahren Poenichen übernehmen müssen – sein Vater war 1891 bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen –, hätte er noch einige Jahrzehnte seinen Neigungen leben können: ein Philologe aus Liebhaberei. Vielleicht wäre sogar ein Schriftsteller aus ihm geworden, ein Reiseschriftsteller nach Art, wenn auch nicht vom Rang eines Alexander von Humboldt. Später, als Gutsbesitzer, kam er selten zum Schreiben, aber er las noch immer viel, was für einen pommerschen Landjunker ungewöhnlich war. Wenn er auszufahren wünschte, sagte er zu Riepe: ›Dann soll er die Fanfare blasen lassen!‹ Der Kutscher verstand ihn, dazu brauchte er nicht den ›Prinzen von Homburg‹ zu kennen, es genügte, daß er seinen Herrn kannte.
Die junge Sophie Charlotte, eine geborene Malo aus Königsberg, besaß zunächst eine gewisse Ähnlichkeit mit der jungen Effi Briest, die sich später verloren hat. Das Aufschlußreichste über ihre Ehe mit Joachim Quindt findet sich in dem Roman ›Effi Briest‹, richtiger: in den Anstreichungen und Randbemerkungen. Zu welchem Zeitpunkt sie angebracht wurden, ist schwer festzustellen. Der Roman erschien 1895. Es ist zu vermuten, daß der Stettiner Buchhändler ihn schon bald darauf, zusammen mit anderen Neuerscheinungen, nach Poenichen geschickt hat. Das wäre dann bald nach der Geburt des einzigen Sohnes gewesen, in jedem Falle aber nach Sophie Charlottes Aufenthalt in Zoppot. In den Jahren zuvor war sie nach Bad Pyrmont und Bad Schwalbach gereist, immer mit der Auflage, daß die Ehe nicht kinderlos bleiben dürfe. Im Sommer 1896 weigerte sie sich, in eines dieser Frauenbäder zu reisen, und fuhr statt dessen nach Zoppot. Ihr Mann verbrachte jene Wochen auf der Krim, vor der Ernte, also muß es sich um Mai und Juni gehandelt haben. In jedem Jahr unternahm er mit seinem Vetter Max eine große Auslandsreise. Zum vereinbarten Zeitpunkt kehrte Sophie Charlotte zurück, und in den ersten Märztagen des folgenden Jahres kam sie mit einem gesunden Knaben nieder. In Zoppot wurde erreicht, was in Bad Schwalbach und Bad Pyrmont nicht erreicht worden war. Wurden da Gebete erhört? Brunnen getrunken? In späteren Jahren fuhr sie weder nach Zoppot noch nach Pyrmont. Wiederholbar war Zoppot nicht, dieser eine Sohn und nichts weiter.
Zoppot, heute Sopot, zwischen Danzig und Gdingen gelegen, damals preußisch, elegant, beliebt, ein Seebad, wo man sich gern und wiederholt in den Sommermonaten traf. Waldige Berghügel und dann die Küste, von der alle, die sie kennen, heute noch schwärmen.
Die damals dreiundzwanzigjährige Sophie Charlotte, seit vier Jahren kinderlos verheiratet, lernte bei einer Reunion oder auf der Strandpromenade, beim Kurkonzert – man kann da nur Vermutungen anstellen –, einen jungen polnischen Offizier kennen, wie es hieß, ein Nachkomme jenes Josef Wybicki, der in der polnischen Legion gegen Napoleon gekämpft und die Hymne ›Noch ist Polen nicht verloren‹, den sogenannten Dombrowski-Marsch, gedichtet hatte. Sophie Charlotte sprach später gelegentlich von ›dem guten Bier aus Putzig‹. Bei jedem Glas Bier zog sie es zum Vergleich heran: ›Besser als das Bier aus Putzig‹ oder ›nicht so frisch wie damals das Bier aus Putzig‹. Irgend etwas mußte sie schließlich von jenem Zoppoter Sommer erzählen. Sie war eine leidenschaftlich verschwiegene Frau. Wenn sie den Dombrowski-Marsch hörte, erinnerte sie sich an ihren polnischen Leutnant, aber das kam in den folgenden fünfzig Lebensjahren allenfalls drei- oder viermal vor. Man verstand sich auf Poenichen darauf, eine Aussprache zu umgehen, was bei der Geräumigkeit des Hauses und der Ausdehnung der Ländereien nicht schwer war.
Zoppot also. Ein internationaler Badeort schon damals, in dem der deutsche Kaiser gern weilte, vermutlich auch in jenem Sommer 1896; später dann Hitler, Gomulka, Castro, jeder zu seiner Zeit.
Abende in Zoppot! Da genügt ein Stichwort, und schon ist die Weltanschauung vergessen. Nahebei die Westernplatte, wo der erste Schuß des Zweiten Weltkrieges fiel. Historischer Boden. Der junge polnische Leutnant und die noch jüngere pommersche Baronin, auf der Strandpromenade, im Strandcafé. Man trank in Gesellschaft eine Limonade oder jenes gute Bier aus Putzig. ›Krug um Krug das frische Bier aus Putzig.‹ Das Paar wird seine Spaziergänge bis in die Dünen ausgedehnt haben; vielleicht ist es auch ausgeritten, es reitet sich gut am Saum der Ostsee, und es gibt ausreichend Bäume, an denen man die Pferde für längere Zeit anbinden kann.
Alles Weitere läßt sich dann bei Fontane nachlesen, obwohl einiges im dunkeln bleiben wird und bleiben muß. Es steht nicht einmal fest, ob die beiden Quindts das Geheimnis, das über der Geburt ihres Sohnes lag, miteinander teilten, oder ob es jeder für sich besaß, hütete und später vergaß.
Folgende Stellen des Romans ›Effi Briest‹ tragen am Rand einen Strich, ein Ausrufungszeichen oder eine Anmerkung. Schon bei dem ersten angestrichenen Satz wird man stutzig: ›Ich bin nicht so sehr für das, was man eine Musterehe nennt‹, sagt Effi zu ihrer Mutter. Kann das Quindt angestrichen haben, oder sollten die Anstreichungen von Sophie Charlotte stammen? Die Handschriften des Ehepaares zeigen Ähnlichkeiten. Da beide fast zur gleichen Zeit die Schulen besucht haben, derselben Gesellschaftsschicht angehören, ist das kein Wunder, zumal Sophie Charlotte nicht nur im Äußeren, in ihrer Art zu gehen, sondern auch in der Handschrift männliche Züge zeigt.
Stammen diese Anmerkungen von ihrer Hand, dann wäre das in hohem Maße leichtsinnig gewesen. Daß ihr Mann die literarischen Neuerscheinungen zu lesen pflegte, spätestens im Winter, mußte sie wissen. Oder wollte sie ihn auf diese mittelbare Weise zum Mitwisser machen?
Denkbar wäre auch folgendes: Sophie Charlotte bekommt den Roman bereits in Zoppot zu lesen. Das müßte dann allerdings eines der allerersten Exemplare gewesen sein. Ihre Affäre mit dem jungen polnischen Leutnant (er kam übrigens aus Kongreß-Polen, dem Rest-Königreich, nach der letzten Teilung Polens Rußland untergeordnet) währte zehn Tage, keinen Tag länger. Wenn man an jedem Abend eine Stunde liest, braucht man für die Lektüre ebenfalls zehn Tage. Tagsüber der Leutnant, abends Effi Briest. Als am letzten Tag der junge Pole ihr ein Billett überreicht und feurig verspricht, daß er ihr immer und ewig schreiben werde, weist sie dieses Versprechen mit Entsetzen zurück: Kein Wort, mein Freund – und: Adieu! Möglich wäre das, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich.
Die nächste Stelle: ›Für die stündliche kleine Zerstreuung und Anregung, für alles, was die Langeweile bekämpft, diese Todfeindin –.‹ Später besaß Sophie Charlotte ihre Hunde, aber damals, als sie so jung nach Poenichen kam, immerhin aus Königsberg, war sie ohne Freundinnen, ohne den Rückhalt der Schwestern, hatte nur diesen Freiherrn mit seinen politischen und literarischen Interessen, der ohne sie auf Reisen ging und sie in Frauenbäder schickte. Gewisse Ähnlichkeiten mit dem Landrat von Innstetten aus ›Effi Briest‹ mögen tatsächlich vorhanden gewesen sein.
›Ich habe dich eigentlich nur aus Ehrgeiz geheiratet.‹ Kein Strich, statt dessen ein Fragezeichen. Von seiner Hand? Von ihrer Hand? ›Sie sind hier so streng und selbstgerecht. Ich glaube, das ist pommersch.‹ Zwei Ausrufungszeichen! ›Aber hüte dich vor dem Aparten oder was man so das Aparte nennt, das bezahlt man am Ende mit seinem Glück.‹ Noch ist im Roman zu diesem Zeitpunkt nichts passiert, aber alles liegt schon in der Luft. Was ist überhaupt ›passiert‹? Die Tochter war ja bereits geboren, und an der Vaterschaft des Barons von Innstetten kann nicht gezweifelt werden. Kessin ist nicht Poenichen, auch wenn beides in Pommern liegt – Kessin übrigens an der Küste –, und Sophie Charlotte mußte erst nach Zoppot reisen. Der Landrat war anwesend, Quindt hingegen befand sich auf der Krim. Und dann bestand in unserem Falle ja auch der ausdrückliche Wunsch nach einem Erben und Namensträger.
›Es ist so schwer, was man tun und lassen soll.‹ Nicht angestrichen, sondern unterstrichen. ›Wir müssen verführerisch sein, sonst sind wir gar nichts.‹ Hat das die junge Sophie Charlotte wirklich unterstrichen, bestätigt, gedacht? Sie ist im Jahre 1918 längst keine verführerische Frau mehr, das Verführerische hat sie abgelegt, vielleicht schon damals in den Dünen. Als sie dann wiederkam, paßte sie besser nach Poenichen, war ruhiger, brachte das Kind zur Welt, sorgte dafür, daß immer ein zuverlässiges Kinderfräulein im Haus war; mit zehn Jahren wurde der Knabe dann nach Potsdam ins Internat geschickt, und sie selbst widmete sich der Hundezucht. Da Quindt ein Morgenmensch war, sie aber ein Abendmensch, war der Vorwand gegeben, daß man getrennt liegende Schlafzimmer bezog.
›Ohne Leichtsinn ist das ganze Leben keinen Schuß Pulver wert‹, sagt Major Crampas, Effis Liebhaber, und war dann sechs Jahre später doch einen Schuß Pulver wert, wieder in den Dünen. Ein paar Seiten später sagt Innstetten über Crampas, daß er ihn nicht für schlecht halte, ›… eher im Gegenteil, jedenfalls hat er gute Seiten. Aber er ist so ’n halber Pole, kein rechter Verlaß, eigentlich in nichts, am wenigsten mit Frauen.‹ Ein halber Pole! Und dieser Leutnant in Zoppot ein ganzer Pole! Im Hintergrund die ganze polnische Legion. Noch ist Polen nicht verloren!...