E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Bruckmaier / Cunard Nancy Cunards Negro
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96196-137-5
Verlag: kursbuch.edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-96196-137-5
Verlag: kursbuch.edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
KARL BRUCKMAIER (*1956) moderiert seit vielen Jahren musikjournalistische Sendungen im Bayerischen Rundfunk (Club 16, Zündfunk, Nachtmix). Seit 1981 schreibt er Pop-Kritiken für die Süddeutsche Zeitung. In einem anderen Leben ist der Autor und Übersetzer auch preisgekrönter Hörspielregisseur, u. a. ausgezeichnet mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden und dem Deutschen Hörbuchpreis. Zuletzt erschien 'OBI oder das Streben nach Glück' (zusammen mit Wilfried Petzi) NANCY CUNARD (1896-1965) war britische Schriftstellerin, Verlegerin und Gesellschaftsaktivistin. Als einzige Tochter einer wohlhabenden Schifffahrtsfamilie setzte sie einen Großteil ihres Erbes für den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und Rassismus ein. Nach ihrer Heirat eines amerikanischen Jazz-Pianisten kämpfte sie leidenschaftlich für die Menschenrechte vor allem Schwarzer. Ihre Anthologie 'Negro' erschien zuerst 1934 und war die erste umfassende Zusammenschau von Essays, Musik, Kunst und Literatur von Schwarzen aus allen Teilen der Erde.
Weitere Infos & Material
W. E. B. DU BOIS
(1868–1963), amerikanischer Bürgerrechtler, Soziologe und Autor. Im relativ toleranten Massachusetts aufgewachsen, studierte Du Bois in Berlin und Harvard, wo er als erster Afroamerikaner einen Doktortitel erhielt. Politisch galt er als gemäßigter Sozialist; er widersetzte sich der Idee der Rassentrennung und kämpfte gegen die sogenannten Jim-Crow-Gesetze im Süden der USA. Seine Ideen beeinflussten maßgeblich die Bürgerrechtsgesetzgebung der 1960er-Jahre.
Das schwarze Amerika
Im 16. Jahrhundert lebten etwa fünftausend Menschen mit schwarzer Hautfarbe auf dem amerikanischen Kontinent. Sie waren als niedrige Arbeitskräfte, aber auch als ausgebildete Dienerschaft hierher verfrachtet worden; einige von ihnen galten als frei, die meisten aber waren Sklaven. Schwarze nahmen auch an den frühen Erforschungs- und Eroberungszügen teil. Sie waren unterwegs mit Balboa und De Soto, einer von ihnen, Estevanico,1 führte gar einen Trupp von Mexiko aus in jenen Landstrich, der heute den Südwesten der USA ausmacht. Das war 1539.
Seit 1619 wurden Afrikaner regelmäßig in das Gebiet der heutigen USA verschifft, genauer: nach Virginia. Sie waren gewissermaßen die Antwort auf die drängenden Probleme, mit denen sich Europa konfrontiert sah, als es da mit einem Male eine große, leere Fläche Landes zu geben schien. Dieses Land verlangte nach Arbeitskräften, und diese rekrutierten sich aus Weißen, die man von Europas Straßen weg entführte, oder eben aus Afrikanern. Der Nachschub an Weißen war aber spärlich; zum einen wurden diese Menschen oft genug im eigenen Land benötigt, zum anderen stand die Praxis des Menschenraubs im krassen Widerspruch zu geltendem Recht in Europa. Dagegen schien der Nachschub an Schwarzen unbegrenzt, begünstigt durch Auflösungserscheinungen in schwarzafrikanischen Territorien, die zum einen ihren Grund hatten in der Invasion durch muslimische Bevölkerungsgruppen und schließlich durch den Menschenhandel an sich.
All dies führte dazu, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts große Quantitäten an Menschen aus Afrika in die Karibik verschleppt wurden, davon allein 50 000 nach Nordamerika. Dieser Handel mit Sklaven war auf zweierlei Art gewinnbringend: Einerseits garantierte er Arbeitskräfte für den Anbau von verschiedenen Feldfrüchten, nach denen in Europa eine große Nachfrage bestand, andererseits war allein schon der Transport der Sklaven ein immens einträgliches Geschäft für alle seefahrenden Nationen.
Letzteres führte zu einem erbitterten Wettstreit um das Monopol beim transatlantischen Transport der Schwarzen. Bis 1713 hielten die Holländer weitgehend dieses Monopol, aber durch militärische Erfolge im Rahmen des Spanischen Erbfolgekriegs fiel dieses Monopol für die Sklavenverschiffung auf den amerikanischen Kontinent fast ausschließlich den Briten zu. Das Ergebnis war, dass bereits Mitte des 18. Jahrhunderts die Anzahl der Sklaven auf dem Gebiet der späteren USA von besagten 50 000 auf 220 000 angewachsen ist – auch weil Tabak, Zucker oder Reis in immer größeren Mengen über den Ozean gebracht werden konnten, wo sich in Europa nicht mehr nur eine kleine, privilegierte Käuferschaft für diese Waren interessierte, sondern eine breite Schicht der Bevölkerung. Die Nachfrage nach den genannten Produkten und der stetig wachsende Anbau derselben befeuerte den Sklavenhandel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. So ist leicht nachvollziehbar, dass mit dem Anbruch des 19. Jahrhunderts bereits 900 000 Sklaven aus Afrika in den USA schufteten. Hinzu kam noch der Siegeszug eines weiteren landwirtschaftlichen Produkts, das alle anderen ausstechen sollte: Baumwolle, die Basis eines völlig neuen Wirtschaftszweiges. Um 1790 produzierten die USA noch 8000 Ballen Baumwolle; 1820 wurden 650 000 geerntet. Hier liegt der Grund für einen damals völlig neuen Hunger der USA nach immer mehr Arbeitskräften.
Doch es mehrten sich die Anzeichen, dass die Sklavenwirtschaft kein ganz so sicheres Geschäftsmodell war wie gedacht. Seit den frühsten Tagen des Sklavenhandels hat es immer wieder ernst zu nehmende Revolten gegeben, etwa die der Maroons 2 auf Jamaika oder kleinere Aufstände in Mexiko oder Virginia. Doch das war alles nichts im Vergleich zum Sklavenaufstand auf Haiti, wo nach immer wieder aufflackernden Kämpfen zwischen Mulatten und ihren weißen Herrschaften sich mit einem Mal – und zwar am 22. August des Jahres 1791 – die schwarzen Sklaven den Kämpfen anschlossen und schließlich die Weißen erfolgreich aus dem Land vertreiben konnten: Haiti gehörte nun ihnen.
In den USA kämpften einst 5000 schwarze Soldaten auf Seiten der Unabhängigkeitsarmee, und auch in den Schlachten des Jahres 1812 spielten schwarze Soldaten und Matrosen eine beachtliche Rolle. Zusammen mit dem Erstarken humanistischen Gedankenguts im frühen 19. Jahrhundert waren es diese Tatsachen, die sowohl erneute Sklavenunruhen in South Carolina und in Virginia ausgelöst wie auch eine Blüte einer Bewegung in den Nordstaaten ermöglicht haben, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Die Abolitionisten waren vor allem ab jenem Zeitpunkt erfolgreich, als es ihnen gelang, einer interessierten Öffentlichkeit Sklaven wie einen Frederick Douglass 3 als fleischgewordenen Beweis für die Ungerechtigkeiten des Sklavensystems zu präsentieren.
Zeitgleich kam es durch die ungebremste Expansion des Baumwollanbaus zu einer schweren Wirtschaftskrise in den Jahren zwischen 1850 und 1860, welche der Süden mit Forderungen nach mehr Sklaven und zusätzlichen Gebieten mit Sklavenwirtschaft konterte, was in den Nordstaaten bei der Arbeiterschaft wie bei Humanisten auf wenig Zustimmung stieß.
Bereits 1850 lebten dreieinhalb Millionen Sklaven auf dem Gebiet der USA, und bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs wuchs deren Zahl auf über vier Millionen. Nach dem Bürgerkrieg kam es mithilfe der schwarzen Ex-Sklaven zu einer Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse im Süden. Erst durch die Stimmen der Schwarzen konnte der Süden wieder in die Gemeinschaft der Bundesstaaten zurückgeführt werden, erst mit den Stimmen der Schwarzen konnten ein öffentliches Schulsystem und eine Sozialgesetzgebung durchgesetzt werden.
Für diese Unterstützung seines Landes hat der Schwarze einen gewaltigen Preis bezahlt. Die nach dem Krieg einsetzende reaktionäre Gegenbewegung hatte für ihn nur neuerliche Entrechtung und ein rigides Kastensystem bereit. Als das 20. Jahrhundert heraufdämmerte, waren das Wahlrecht des Schwarzen eingeschränkt, seine Freizügigkeit, sein Recht, den Wohnort frei zu wählen oder sich auch nur an öffentlichen Orten ungehindert aufzuhalten, wie dies allen anderen Amerikanern freisteht. Heute, also im zweiten Viertel dieses Jahrhunderts, leben zwölf bis 13 Millionen Menschen in den USA, die von Schwarzen abstammen, und es wäre völlig falsch, diese bloß als Bewohner dieses Landes zu sehen, die halt körperlich ein wenig anders sind als die Mehrheit der Amerikaner und deshalb mit einigen für sie typischen Problemen zu kämpfen haben, sondern es gilt darauf zu pochen, dass diese Menschen und ihre Vorfahren eine so lange und intensive Verbindung mit der amerikanischen Geschichte haben, dass sie auf immer Teil – und zwar ein wichtiger Teil – der Zivilisation dieses Landes sind.
Nehmen wir bloß einmal die Demokratie: Deren Entwicklung hängt nicht zuletzt mit dem gesellschaftlichen Druck zusammen, den die Sklaven in ihrem Kampf um Freiheit und Anerkennung entwickelt haben. Status und Bild der Frau in unserer Gesellschaft haben sich wegen der schwarzen Frau radikal verändert. Die schwarze Frau war immer auch Arbeiterin und nicht nur Hausfrau, und ihr Vorbild, ihr Dasein als Gegenmodell hat die Frauen der weißen Arbeiterschaft mehr als inspiriert. Bildung gilt heute als etwas Erstrebenswertes, gerade in den südlichen Landesteilen, und öffentlich zugängliche Schulen sind allgemein anerkannt – ohne die nachdrückliche Forderung der Schwarzen nach kostenloser und ungehinderter Ausbildung undenkbar.
Doch mehr als auf allen anderen Gebieten hat der Schwarze auf zwei speziellen Feldern zur amerikanischen Kultur beigetragen; ich rede von der Kunst und von der körperlichen Arbeit, zwei Begriffe, die wir nicht automatisch miteinander verknüpft sehen. Denn strebt nicht jeder Amerikaner mehr oder weniger danach, eines Tages so reich zu sein, dass er nicht mehr arbeiten muss? Und ist nicht die einzige originär amerikanische Kunst die Afroamerikas? Und gilt sie nicht gerade deshalb den anderen Amerikanern eher wenig? Aber es ist die Knochenarbeit der amerikanischen Schwarzen, welche dieses Land groß gemacht hat, und eines Tages, wenn wir mehr Achtung für die Arbeit entwickelt haben werden, dann wird das ganze Ausmaß dieses Beitrags auch allen anderen bewusst werden – und zwar auch der Beitrag Afroamerikas zu den ausgefeilteren Tätigkeiten und Erfindungen, die unser Land groß machen.
Die Kunst ist da bereits einen Schritt weiter; in der Literatur Amerikas offenbart sich schon die Schönheit des Beitrags des schwarzen Bevölkerungsanteils, ebenso im Tanz, in der Musik. Und da wir gerade beginnen, den Wert von sozialen Fähigkeiten wie Gutwilligkeit und Opferbereitschaft anzuerkennen, wird sich unser Blick auch weiten für andere Gebiete, auf denen Amerikas Schwarze ihren Beitrag leisten. Dies zusammengenommen ermöglicht es uns, den Schwarzen als integralen Bestandteil des Lebens in den USA zu sehen, dessen Beitrag zu unserer Zivilisation von Dauer sein wird.
So weit dieser Ausflug in die Geschichtsschreibung, der wirkt, als würde ein interessierter...




