E-Book, Deutsch, 237 Seiten
Brouwers Das Holz
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86337-131-9
Verlag: weissbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 237 Seiten
ISBN: 978-3-86337-131-9
Verlag: weissbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jeroen Brouwers, geboren 1940 im indonesischen Batavia, gilt als einer der wichtigsten niederländischen Autoren. In Deutschland erschien zuletzt der Roman Geheime Zimmer bei der DVA. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise, u.a. den Prijs der Nederlandse Letteren, den Multatuli Prize sowie 2015 den ECI Literatuurprijs. Brouwers lebt in Zutendaal, Belgien.
Autoren/Hrsg.
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I
Die Kutte kratzt.
Das Lumpengewand des Franz von Assisi, der mit Wölfen sprach.
Die in seinen Orden eintreten, tragen ein Habit, das die Form eines Kreuzes hat. Mit einer Kapuze versehen, zieht es schwer an den Schultern, es reicht bis zu den Füßen und hüllt den ganzen Körper in ein fäkales Braun, der Stoff ist rau und scheuert. Man muss etwas darunter tragen, damit der Juckreiz, der die nackte Haut peinigt wie Termiten, einen nicht wahnsinnig macht.
Was trägt ein Klosterbruder unter der Kutte? Ein bis zur Hüfte reichendes Hemd, eine Trainingshose, eine Unterhose, beide mit verstellbarem Gummiband.
Über der Kutte trägt er das Skapulier, ein Tuch von gleicher Länge, gleichem Stoff und gleicher Farbe wie die Kutte, mit einer Öffnung für den Kopf. Man trägt es über Brust und Rücken, wie ein Zelebrant die Kasel. Alles einheitlich, ohne Schnitt, alles in der gleichen Übergröße, sodass es wirklich jedem passt.
Samstags muss alles in die Wäsche, das ist der Aufgabenbereich von Plechelm, der auch für frischen Ersatz sorgt. Wir Klosterbrüder verzichten nach dem Vorbild unseres Ordensgründers auf persönlichen Besitz, haben also auch keine eigenen Kleider. So tragen wir, wie der Zufall es will, die Strümpfe, die Unterhose, die Kutte, die ein Konfrater eine Woche zuvor am Leib getragen hat. Ich allerdings halte mich nicht streng an diese Regel: die Klosterunterhose habe ich noch nie angehabt.
Als Gürtel für den Lumpenrock des heiligen Franziskus dient ein weißer Strick mit drei Knoten, die uns an unsere Gelübde erinnern. Der erste Knoten: Armut. Der zweite: Gehorsam. Der dritte: Keuschheit. Tja, leichter gesagt als getan. Franziskus, der Poverello, hat darüber Gedichte verfasst, sie hängen eingerahmt im Refektorium.
Anfang April, Dienstag in der Karwoche. Weil vorgestern Palmsonntag war, stecken noch frische Buchsbaumzweige hinter jedem Kruzifix und Weihwasserbecken. Kaum Frühling und schon ist es so heiß, als würde Bruder Sonne vor Zorn kochen. Eine glühende Hitze wie siedende Kotze, die überall eindringt, sogar durch die Mauern der für gewöhnlich kühlen, ja frostigen Kapelle. Dort knallt die Sonne durch die bunten Fenster mit den Szenen aus dem Leben des heiligen Franziskus, deren Farben in dem wie Feuer lodernden Licht verblassen. So heiß wie bei den Küchenherden von Bruder Severin und seinem Juvenisten, der noch keinen Klosternamen hat. Wenn es schon in der Kapelle kaum auszuhalten ist, wie wird das erst in dem Zimmer unterm Dach sein, wo ich inmitten der lärmenden Jungen in ihren Kojen in meiner dicken Kutte Aufsicht über den Schlafsaal führe.
Der kleine für mich bestimmte Raum ist zwei mal vier Meter groß, Sperrholz-Wände, ohne Zimmerdecke. Wenn über meinem Tisch die Glühbirne brennt, die aus dem Lampenschirm gerutscht ist und bis auf die Tischplatte hinunterbaumelt, wirft sie einen rechteckigen Lichtfleck an die Decke des Schlafsaals über meiner Zelle. Eine schwache Glühbirne, nichts, verglichen mit der Sonnenglut und trotzdem scheint von ihr die Hitze auszugehen, die auch nachts nicht aus meiner Kutte weicht. Ich starre in den matten Schein, ich habe Durst, doch die Thermoskanne, die Severins Küchengehilfe mit Tee gefüllt hat, ist bis auf den letzten Tropfen leer. Im Gegensatz zu mir. Was ich von dem kalten, bitteren Tee in kleinen Schlucken getrunken habe, sickert mir jetzt in dicken Tropfen aus allen Poren meines Leibes, meines unwürdigen Leibes, ich bin von Kopf bis Fuß in Schweiß gebadet. Hemd und Hose habe ich abgelegt, das Skapulier auch, den Strick auch, die Kutte natürlich nicht. Auch vor meinem Verschlag hängt ein Vorhang, der aber nur bis einen halben Meter über dem Fußboden reicht. Wer das Bett verlässt, was nur in Ausnahmefällen gestattet ist, kann meine bloßen Füße in den Sandalen sehen, mehr Nacktheit kann ich mir als Aufseher nicht erlauben. So sitze ich nackt in der Kutte, der raue Stoff piesackt mich überall, als würde ich in einem Jutesack stecken. Ich versuche, mich nicht zu bewegen, damit das Kamelhaarzelt an möglichst wenigen Stellen mein Fleisch berührt, mein unwürdiges Fleisch, das ich mit dem Gürtelstrick geißeln müsste. Ich werde mich hüten.
Ich knipse die Lampe aus. Meine Augen flimmern, wie ich durch das Fenster spähe, das offen steht, obwohl ich es wegen der Hitze besser schließen sollte.
Die Nacht ist eine schwarze Masse explosiver Schwüle. Keine Sterne zu sehen. Auch Schwester Mond ist nicht da. Unter mir liegt der Schulhof mit den Kastanien. Auf der anderen Seite der gepflasterten Fläche das Schulgebäude, im äußersten Fenster rechts im zweiten Stock brennt noch Licht. Da sitzt Mansuetus, der seinen Namen Mansuuwetuus ausspricht. Er ist der Leiter der Gymnasialklassen. Jungen von zwölf bis sechzehn, siebzehn, über die ich hier im Schlafsaal Wache halte.
Denk bloß nicht, dass ich dich nicht höre, Bruinsma! Sofort nachdem ich meine Lampe ausgeschaltet habe und der Lichtschein an der Decke verschwindet, kommt Leben in die Bande. Bruinsma hüstelt übertrieben. Ahem, ähemm. Aus einer anderen Koje kommt ein Grunzen. Dich auch, Weytjens! Schlaf, Bursche, wir sind doch nicht im Schweinestall. Ich klopfe mit dem Kreuz meines Rosenkranzes auf die Tischplatte. Ich habe das Ding in der Hand, nur um etwas in der Hand zu haben. Wir müssen die Perlenschnur täglich bis zum Ende murmeln, da wir uns nach den Regeln des heiligen Franziskus, selber ein Frauenhasser, obwohl er laut apokrypher Quellen etwas mit der heiligen Klara hatte, der Muttergottes geweiht haben.
In der vorläufig wieder eingekehrten Stille schwirrt die Luft vor Hitze. Wie ein bedrohliches Tier. Hinter dem Schulgebäude glüht der Schein der Außenwelt, wie wir das autistisch nennen. Sie umfasst den ganzen Planeten und das Universum. Die Gebäude bilden eine Enklave, umgeben von Mauern, wir leben getrennt von der Außenwelt, zu der wir nicht gehören. Wir sind eine autonome Männerklostergemeinschaft mit einem Jungeninternat, unser Institut im abgelegensten Südosten der Niederlande heißt Sint Jozef ter Engelen. Um uns herum liegt das Bergbaudorf Blijderhagen, aus dem manchmal, gedämpft durch die Entfernung, Musik von Blaskapellen herüberdringt. Manchmal Stimmen und Gelächter. Ich kämpfe mit sündigen, rebellischen Gedanken und heimwehkranken Gefühlen, die gegen den dritten Knoten verstoßen. Die Straße nach rechts endet am Schlagbaum vor der deutschen Grenze. Wer in diese Richtung blickt, sieht das Licht in Mansuetus´ Zimmer brennen. Zwei Neonröhren. Das erleuchtete Fenster hinter den Zweigen der Kastanien hängt wie ein gelber Lappen im Pfaffenschwarz der Nacht. Mansuetus wird den schwachen Schein meiner Lampe kaum sehen.
Wenn du jetzt nicht sofort mit dem Grunzen aufhörst, Weytjens! Brüllen tue ich nicht. Alles hier hat etwas von einer Strafanstalt. Bruder? Ja, Weytjens? Mark Freelink ist immer noch nicht da. Grunz, grunz. Ahömm. Gekicher aus mehreren Kojen. Ruhe! Jetzt wird geschlafen! Ich trommle wieder mit dem Kreuz der Ave-Maria-Schnur auf die Tischplatte. Was die Glühbirne zum Klirren bringt, auch die Thermoskanne rührt sich.
Ich stehe nicht vom Stuhl auf, erstarre wieder. Tropfen an Ohren und Nase. Einer perlt vom Nacken zum Steiß. Ein anderer vom Brustbein nach unten, dorthin, wo es juckt. Schon am Morgen war das Klostertaschentuch klatschnass. Es trocknet hinter mir auf dem Bettgestell, nachdem ich es unter dem Wasserhahn ausgespült hatte. Die Brüder auf den Kartoffel- und Gemüsefeldern zu beiden Seiten der Gebäude machen Knoten in die vier Zipfel des Taschentuchs und spannen es sich über den Kopf. Gott weiß, was sie sonst noch mit den Taschentüchern anstellen. Ich weiß es auch, der Stoff sollte dabei vorzugsweise trocken sein, feucht ist es nicht angenehm.
Mark Freelink musste nach den Schulaufgaben nachsitzen.
Mansuetus war in der Tür des Studiersaals erschienen, hatte sich erst ausgiebig geräuspert und dann mit seiner schnarrenden Stimme das eine Wort ausgestoßen: Freelink! Immer wenn Mansuetus auftaucht, wird es mit einem Schlag mucksmäuschenstill. Selbst nachdem sich die Tür wieder geräuschlos hinter ihm geschlossen hat, genauso geräuschlos wie beim Hereinkommen, sind alle noch sekundenlang wie erstarrt. Die Schüler, aber genauso wir, seine Mitbrüder, die wir ihn auch außerhalb des Schulgebäudes erleben.
Mansuetus ist ein Hüne von einem Mann, der alle, auch im Sitzen oder Knien, überragt. Das Franziskanerkleid reicht ihm nur bis zur Mitte der behaarten Unterschenkel. Doch dieser Koloss lässt nicht etwa, wie man erwarten würde, wenn er sich fortbewegt, den Boden erzittern. Er ist unhörbar, dabei schleicht er nicht, er scheint mit großen Schritten zu schweben. Auf einmal ist er da, auf einmal steht er vor oder hinter einem, sodass man sich fast zu Tode erschreckt. Nein, vor Furcht erstarrt. Der kugelige Kopf mit den kleinen lauernden Augen über feisten Wangen. Bruder Eber. Seine Stimme ist ein Dröhnen. Und bevor er etwas sagt, ist da immer erst dieses...




