Brosda | Die Kunst der Demokratie | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Brosda Die Kunst der Demokratie

Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-455-00841-8
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-455-00841-8
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Es wäre ein Segen, mehr Politiker von der intellektuellen Brillanz Brosdas auf der Bühne zu haben.«   ZEIT Literatur   »Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.« Das sagte Willy Brandt 1992 in Bezug auf politische Gewissheiten, in einer Zeit, in der für viele der Sieg der Demokratie als ausgemacht galt.  Carsten Brosda skizziert die zentrale Rolle von Kunst und Kultur, wenn es darum geht, Freiheiten zu sichern und als Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. Kunst irritiert und inspiriert. Sie ist Motor unserer Demokratie und Grundlage von Kreativität und Innovation. Sie stiftet Sinn und begründet gesellschaftlichen Zusammenhang - auch wenn sie ihn in Frage stellt und gerade weil sie sich jeder konkreten Erwartung widersetzt. In diesem Paradox liegt eine Kraft, die wir unbedingt schützen müssen. Wir sind aktuell vielleicht mehr denn je seit Gründung der Bundesrepublik gefordert, die Freiheit der Kunst grundsätzlich zu sichern.  Eine scharfe Analyse der kulturellen und politischen Aufgaben unserer Zeit und ein grundsätzliches und visionäres Buch über die Voraussetzungen für den Erhalt einer freien und diversen Gesellschaft.

Dr. Carsten Brosda, Jahrgang 1974, ist Senator für Kultur und Medien in Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Nach einem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft wurde er mit einer Arbeit über 'Diskursiven Journalismus' promoviert. Er war u. a. Leiter der Abteilung Kommunikation des SPD-Parteivorstandes und arbeitet seit 2011 in Hamburg, zunächst als Leiter des Amtes Medien, ab 2016 als Staatsrat für Kultur, Medien und Digitalisierung und seit Februar 2017 als Senator.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
»Nur wenig ist von Dauer …« Neue Kulturkämpfe
Dimensionen des Kulturellen
Gefährdungen der Kunstfreiheit
Zwischen Pragmatismus und Vision: Schmidt und die Musik
Gesellschaft im Wandel
Kultur für alle
Kultur der Heimat
Bewusstsein durch Erinnerung
Der digitale Kulturbruch
Die Ökonomie kultureller Kreativität
In gemeinsamer Verantwortung
Antworten auf der Höhe der Zeit
Dank
Endnoten
Über Carsten Brosda
Impressum


Die Freiheit der Einzelnen


Die Errungenschaften der bis heute leider nur fast zur Selbstverständlichkeit gewordenen unbedingten Freiheit der Einzelnen reichen zurück in eine Zeit, die von noch weit fundamentaleren Erschütterungen geprägt war als die unsrige. Es mag ein historischer Zufall sein, dass sich parallel zu den aufkeimenden kulturellen Debatten im Jahr 2017 auch die Reformation zum 500. Mal jährte, doch manchmal ermöglichen eben solche Jahrestage einen Gegenschnitt zum Jetzt, der erhebliche Aufschlüsse liefert. Der kontrastierende Rückblick auf den Beginn der Neuzeit jedenfalls zeigt, welche Umbrüche an der Wiege jener Entwicklungen standen, deren erhebliche Beschleunigung uns 500 Jahre später in vermeintlich große Schwierigkeiten bringt. Diese Umbrüche waren damals technologisch, geographisch, gesellschaftlich und kulturell von immenser Tiefenwirkung.

1450 revolutionierte Johannes Gutenberg die Buchproduktion. Statt wie im Mittelalter üblich, per Hand Bücher zu verfassen oder Abschriften anzufertigen, war es nun möglich, mit beweglichen Metalllettern und Druckerpresse in kurzer Zeit Bücher in großer Zahl herzustellen. 1492 stieß Christoph Kolumbus auf Amerika, als er auf der Suche nach einer westlichen Route nach Indien war – die bis dahin im Abendland bekannte Welt wurde größer. 1509 erkannte Nikolaus Kopernikus, dass die Erde nur ein Planet unter vielen ist, deren Zentrum die Sonne ist. 1517 verfasste Martin Luther seine 95 Thesen über den Ablasshandel und brachte damit die mittelalterliche Papstkirche ins Wanken.

Wir haben es hier mit vier sehr unterschiedlichen Ereignissen zu tun, die in der Rückschau neben dem jeweiligen Erkenntniswert eine grundsätzliche Eigenschaft gemeinsam haben: Sie zeigen, dass es möglich ist, dass Individuen die Welt verändern können. Kolumbus und Kopernikus haben unser Verständnis von der geographischen und physischen Verfasstheit der Welt verändert. Gutenberg hat mit einer Medienrevolution die öffentliche Kommunikation radikal erweitert. Luther stellte tradierte Ordnungen und Überzeugungen in Frage. Das Handeln Einzelner hatte Auswirkungen aufs Ganze und veränderte eine bis zu diesem Zeitpunkt als extern verfasst und unveränderbar akzeptierte Ordnung von Gesellschaft, Kultur und Natur.

An der Schwelle des Mittelalters zur Neuzeit gelang in Europa so eine gesellschaftliche und metaphysische Emanzipation von gewaltigem Ausmaß. Entgegen der mittelalterlichen, feudalistischen Auffassung von einer Ordnung der Welt, in der jeder und alles seinen festen, unveränderlichen Platz im Gefüge hat, gewann plötzlich die Gestaltungsmacht der Einzelnen deutlich an Kraft und Bedeutung. Im Zusammenwirken dieser je für sich schon welterschütternden Entwicklungen entstand ein neues Zeitalter, das insbesondere in seinen Anfängen von bisweilen recht hilflosen Versuchen geprägt war, einen neuen Umgang mit der möglichen Offenheit zu entwickeln. Ideologisch und religiös geprägte Kriege, kulturell begründete Unterdrückung und Versuche, die Wahrheit mit Waffengewalt zu sichern, prägten im Anschluss eine Epoche, in der sich die ehemals gesetzten Wahrheiten bereits zu verflüssigen begannen, ohne dass es gesellschaftliche Mechanismen gab, um neue gesellschaftliche Übereinkünfte zu finden.

Die Folgen dieser Entwicklung reichen bis in die Gegenwart, schließlich kann unsere heutige politische Ordnung nur deshalb auf der Idee der Eigenverantwortung der vernunftbegabten Einzelnen gründen, weil sie die Annahme ernst nimmt, dass die Einzelnen mit ihren Entscheidungen tatsächlich die Möglichkeit haben, den Lauf der Dinge zu verändern und bewusst zu gestalten. Und sie fordert – vor dem Hintergrund der dadurch zunächst erwachsenden Schwierigkeiten – dazu auf, einen Modus Operandi für das aus den Widersprüchen unterschiedlicher Aussagen erwachsende Nebeneinander konkurrierender Wahrheitsansprüche zu finden.

In jedem Fall gerät seit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit das Individuum als Träger geschichtlicher Prozesse neu in den Blick. In den darauf folgenden Jahrhunderten ging es in vielen Anläufen immer wieder darum, seine faktische und empirische Gestaltungsmacht normativ einzuhegen und die Bedingungen zu beschreiben, unter denen ein friedliches und solidarisches Zusammenleben der individuell Freien in gesellschaftlicher Gemeinschaft möglich sein kann. Es brauchte die Philosophie des 18. Jahrhunderts, in der unter anderem Kant, Lessing und Herder die menschliche Autonomie an den Gebrauch der Vernunft knüpften und auf die Einsicht des Einzelnen in die Notwendigkeiten des Zusammenlebens setzten, um hier einen entscheidenden Schritt weiterzukommen. Es ging um Aufklärung, mit Kant verstanden als »Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit«.[10] Es ging um den Versuch, die unbändigen Fähigkeiten des individuellen Wollens und Könnens durch Vernunft in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu bändigen, der ein friedliches Leben ohne Angst ermöglichte. Und natürlich ging es auch darum, dass Wollen alleine wirkungslos bleiben muss, wenn die Ressourcen fehlen.

Das Ringen um die in diesem Sinne richtige gesellschaftliche Ordnung vollzieht sich beinahe von Beginn an in Öffentlichkeit. Die Verständigung über die Werte und Normen unseres Zusammenlebens braucht gesellschaftliche Orte der Begegnung und der Kommunikation. Zu solchen Orten zählen ganz maßgeblich unsere Kulturinstitutionen. Sie bieten Gelegenheiten zur Begegnung mit anderen Menschen, zum spontanen Gespräch und zur Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen, kulturellen oder persönlichen Themen. Die Stärke einer Gesellschaft beruht nicht darauf, dass alle das Gleiche glauben, denken, fühlen oder leben, sondern darauf, dass ihre Bürgerinnen und Bürger Unterschiede zulassen und gleichzeitig einen Grundkonsens über die grundlegenden Werte und Regeln des Zusammenlebens vereinbaren. Denn die Vernunft einer Gesellschaft liegt in der »Vielheit ihrer Stimmen« und in der Fähigkeit, mit dieser Vielheit umzugehen.[11]

Unsere gesellschaftliche Entwicklung ist deshalb geprägt von langsamen evolutionären Veränderungen, die in unseren aufgeregten und bisweilen extravaganten Zeiten heute durchaus langweilig anmuten; aber sie wirken tief. Sie ermöglichen in der Idee einen sanften und vor allem einen andauernden Prozess der Erneuerung, der immer wieder neu auf Veränderungen reagiert. Ein Prozess, in dem mit demokratischem Ethos und in unzähligen engagierten Diskussionen ein für möglichst alle guter Kompromiss errungen werden kann. Ein Prozess, der auch die einzubinden vermag, die sich angesichts der unübersehbar zahlreichen Möglichkeiten der Freiheit vielleicht vor dem Verlust von Vertrautem fürchten.

Aus diesem Bewusstsein heraus könnten wir eigentlich durchaus zuversichtlich und gestaltungsoptimistisch auf die aktuellen Umwälzungen blicken. Die vermehrte Migration in Richtung Deutschland zum Beispiel bedeutet doch vor allen Dingen, dass unser Land in den vergangenen Jahren für viele Menschen auf der Welt zu einem »Hoffnungsland« (Olaf Scholz) geworden ist.[12] Für uns alle ist das eine vergleichsweise neue Erfahrung, denn traditionell haben Menschen unser Land verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben. Dass jetzt viele nach Deutschland kommen, weil sie hier ihr Glück, ihren suchen, ist sehr besonders und eine Ressource für die Kraft, die es braucht, um in einer vielfältigen Gesellschaft den Wandel zu gestalten – über kulturelle Grenzen hinweg. Und auch die anderen Megatrends unserer Zeit sind mitnichten zwangsläufig auf einen Abbau erreichter Standards geeicht, sondern bergen in sich all jene Ambivalenzen, die offene Entwicklungen auszeichnen.

Trotzdem kippt die verheißungsvolle Freiheitsgeschichte der Moderne aktuell über die Beschreibung der Bedrohung der Freiheit hinaus in eine Krisenbeschreibung der Freiheit selbst. Auf einmal sind es die gewachsenen Möglichkeiten der Selbstbeschreibung und Selbstbestimmung, die zum Problem unserer Gesellschaften zu werden scheinen. Plötzlich tauchen politische und kulturelle Stimmen im Diskurs auf, die uns nahelegen, dass wir im Streben nach der Freiheit zwei oder drei entscheidende Schritte zu weit gegangen seien, dass wir die Letztgewissheiten im Streben nach Wahrheit nicht hätten verflüssigen sollen. Gefordert wird der geordnete (oder auch ungeordnete) Rückzug aus der Freiheit. Notwendig und sinnvoll wäre es dagegen, aus der zumindest normativ verwirklichten individuellen Freiheit nun auch tatsächlich den Schluss zu ziehen, dass erst ihre materielle Umsetzung es unserer Gesellschaft ermöglicht, aus freien Stücken wieder zu sich selbst zu finden. Diese Wegscheide zwischen dem Rückzug in einst gesicherte Gewissheiten und dem Fortschritt in eine stets neuerlich zu formierende Gemeinsamkeit markiert den Kern der aktuellen kulturellen Auseinandersetzungen unserer Gesellschaft.

Dabei gewinnt der Befund wachsender sozialer und kultureller Diversität immer noch beständig an Bedeutung. Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt unsere Gesellschaft in seiner viel beachteten Studie als eine von dem individuellen Wunsch nach Einzigartigkeit geprägte.[13] Soziales und kulturelles Teilhabekapital erwächst demnach daraus, sich in mindestens einer individuellen Facette von der Masse abzusetzen und zur Distinktion fähig zu sein. Das geht in seinen Konsequenzen weit hinaus über die Individualisierungs-Beobachtung, dass heutzutage zu...


Brosda, Carsten
Dr. Carsten Brosda, Jahrgang 1974, ist Senator für Kultur und Medien in Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Nach einem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft wurde er mit einer Arbeit über "Diskursiven Journalismus" promoviert. Er war u. a. Leiter der Abteilung Kommunikation des SPD-Parteivorstandes und arbeitet seit 2011 in Hamburg, zunächst als Leiter des Amtes Medien, ab 2016 als Staatsrat für Kultur, Medien und Digitalisierung und seit Februar 2017 als Senator.

Dr. Carsten Brosda, Jahrgang 1974, ist Senator für Kultur und Medien in Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Nach einem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft wurde er mit einer Arbeit über "Diskursiven Journalismus" promoviert. Er war u. a. Leiter der Abteilung Kommunikation des SPD-Parteivorstandes und arbeitet seit 2011 in Hamburg, zunächst als Leiter des Amtes Medien, ab 2016 als Staatsrat für Kultur, Medien und Digitalisierung und seit Februar 2017 als Senator.



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