E-Book, Deutsch, Band 2, 464 Seiten
Brooks Die Shannara-Chroniken: Der Magier von Shannara 2 - Der Baum der Talismane
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18123-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 464 Seiten
Reihe: Die Shannara-Chroniken: Der Magier von Shannara
ISBN: 978-3-641-18123-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Jahr 1977 veränderte sich das Leben des Rechtsanwalts Terry Brooks, geboren 1944 in Illinois, USA, grundlegend: Gleich der erste Roman des begeisterten Tolkien-Fans eroberte die Bestsellerlisten und hielt sich dort monatelang. Doch »Das Schwert von Shannara« war nur der Beginn einer atemberaubenden Karriere, denn bislang sind mehr als zwanzig Bände seiner Shannara-Saga erschienen.
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Eins
Sen Dunsidan, der Premierminister der Föderation, blieb stehen, als er zur Tür seines Schlafzimmers gelangte, und schaute über die Schulter zurück.
Es war niemand da, der nicht hergehört hätte. Seine Leibwache an der Tür, die beiden Posten an den Enden des Flurs – sonst niemand. Hier war nie jemand. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich jeden Abend zu vergewissern. Aufmerksam suchte er den von Fackeln erhellten Gang ab. Schließlich konnte es nicht schaden, sich Sicherheit zu verschaffen. Vorsicht hatte stets ihren Wert.
Er trat ein und schloss leise die Tür hinter sich. Das warme Licht und der süße Duft der Kerzen begrüßten ihn. Er war der mächtigste Mann im Südland, wenn auch nicht der beliebteste. Das hatte ihm nichts ausgemacht, bevor er es mit der Ilse-Hexe zu tun bekommen hatte, doch seitdem verspürte er eine ständige Beunruhigung. Obwohl die Hexe nun endlich verschwunden und in ein Reich des dunklen Wahns und der Blutgier verbannt war, aus dem bisher noch keiner zurückgekehrt war, fühlte er sich nicht sicher.
Einen Augenblick lang stand er da und betrachtete sein Bild in dem riesigen Spiegel an der Wand, dem Bett gegenüber. Eigentlich hatte er den Spiegel dort aus anderen Gründen anbringen lassen: um sich bei Ausschweifungen und Spielen der Lust zu beobachten, die ihm nun so fern erschienen, als hätten sie sich in einem anderen Leben ereignet. Gewiss konnte er diesen Freuden jederzeit wieder frönen, doch würden sie ihm, wie er genau wusste, kein Vergnügen mehr bereiten. Kaum etwas erfüllte ihn heute noch mit Lust. Sein Leben hatte sich zu einer Routine entwickelt, die er teils mit grimmiger Entschlossenheit und teils mit eisernem Willen absolvierte. Jede Handlung, jedes Wort hatte Auswirkungen, die sich weit über den unmittelbaren Moment hinaus erstreckten. Für andere Dinge blieben weder Zeit noch Raum. Eigentlich sah er auch keine Notwendigkeit dafür.
Sein Spiegelbild starrte ihn an, und mit mildem Erschrecken stellte er fest, wie alt er geworden war. Wann war das geschehen? Er stand in der Blüte seiner Jahre, war gesund an Körper und Seele, hatte den Höhepunkt seiner Karriere erreicht, und man konnte ihn durchaus als den wichtigsten Mann der Vier Länder betrachten. Und doch, was war aus ihm geworden? Sein Haar hatte sich fast weiß gefärbt. Sein einst glattes, ansehnliches Gesicht war von Furchen durchzogen und abgehärmt. An manchen Stellen hatten sich die Sorgen in dunklen Flecken niedergeschlagen. Er war leicht gebeugt, früher hingegen hatte er aufrecht gestanden. Selbstvertrauen oder Stärke strahlte er überhaupt nicht mehr aus. Er kam sich vor wie eine leere Hülle, der man das Leben entzogen hatte.
Augenblicklich wandte er sich ab. Die Furcht und der Ekel vor sich selbst waren dafür verantwortlich gewesen. Und vor dem, was der Morgawr ihm in jener Nacht angetan hatte, als dieses Ungeheuer den gefangenen Freien im Föderationsgefängnis das Leben ausgesaugt hatte. Niemals hatte er den Anblick dieser lebenden Toten vergessen können, Kreaturen, deren Existenz über den Willen des Hexenmeisters hinaus keine Bedeutung mehr hatten. Selbst nachdem der Morgawr ausgelöscht worden war, wurde Dunsidan die Erinnerung an diese Nacht nicht los, und der Wahnsinn lauerte nur darauf, dass sich der Premierminister einen Schritt zu weit aus der Sicherheit von Schein und Heuchelei wagte, die seine geistige Gesundheit bewahrten.
Das Amt des Premierministers brachte ihm den Respekt seiner Untertanen ein, doch wurde dieser mittlerweile nicht mehr so willig gewährt wie zu Beginn, als sein Volk große Erwartungen in ihn gesetzt hatte. Diese Hoffnungen lagen längst in der Erde zwischen den Felsen der prekkendorranischen Anhöhe begraben, wo so viele Kämpfer das Leben verloren und ihr Blut vergossen hatten. Die Erwartungen hatten sich verflüchtigt, weil er darin versagt hatte, diesen Krieg zu beenden, der die Vier Länder seit fast drei Jahrzehnten verheerte; weil er sich einer Lösung dieses Konflikts nicht einmal genähert hatte. Die Hoffnungen waren erloschen, weil er daran gescheitert war, das Prestige der Föderation in den Augen jener zu vergrößern, denen das Südland am Herzen lag, und würde er am morgigen Tag sterben, wäre sein Nachlass eine Mischung aus Verbitterung und Enttäuschung.
Er ging zu seinem Bett, setzte sich, griff automatisch nach dem Krug Wein, der auf dem Nachttisch stand, und füllte den Kelch daneben. Anschließend trank er einen großen Schluck und dachte daran, dass er sich zumindest von dieser unerträglichen Grianne Ohmsford befreit hatte. Die verhasste Ilse-Hexe war endlich fort. Mit Shadea a’Ru als Verbündeter, der man allerdings auch nicht trauen durfte, bestand wenigstens die realistische Chance, die Pattsituation zu beenden, an der er in den letzten zwanzig Jahren nichts hatte ändern können. Ihnen gemeinsam war eine Vision über die Zukunft der Welt, eine, in der die Föderation und die Druiden das Schicksal der Rassen lenkten und bestimmten. Zusammen würden sie einen Weg finden, den Krieg der Föderation gegen die Freigeborenen zu beenden und die Vorherrschaft des Südlandes durchzusetzen.
Allerdings hatte sich diese Vision bislang nicht in die Wirklichkeit umsetzen lassen, und nichts deutete darauf hin, dass dies in nächster Zukunft geschehen würde. Shadea hatte es nicht geschafft, den Druidenrat auf ihre Linie zu bringen, und das stimmte ihn besonders ärgerlich. Er fragte sich inzwischen, ob ihr Bündnis nicht sehr einseitig war. Sie konnte aus seiner offenen Unterstützung Vorteil ziehen, er hingegen hatte wenig davon.
Folglich war er gezwungen, ständig Blicke über die Schulter zu werfen, denn der Zweifel ließ nicht nach, und der Widerstand gegen seine Führung wuchs.
Er hatte den Kelch gerade geleert und überlegte, ob er ihn nachfüllen sollte, als es an der Tür klopfte. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Früher einmal hätte ihn eher unerwartete Stille erschreckt. Diejenigen, die er am meisten fürchtete, die Ilse-Hexe und der Morgawr, hätten sich nicht die Mühe gemacht anzuklopfen. Nun zurrte jenes leise Pochen die eisernen Bänder um seine Brust und verengte sein Herz. Er ließ sich einen Moment Zeit, bis er ein wenig die Fassung zurückerlangt hatte, erhob sich und stellte den leeren Kelch vorsichtig auf den Tisch neben sich.
»Ja?«
»Verzeiht, Premierminister«, hörte er die Stimme des Hauptmanns seiner Wache. »Ein Besucher möchte ein Wort mit Euch reden, einer Eurer Ingenieure. Er behauptet, es sei dringend, und so wie er aussieht, möchte ich es ihm tatsächlich glauben.« Nach einer kurzen Pause fügte der Mann hinzu: »Er ist unbewaffnet und allein.«
Dunsidan richtete sich auf. Ein Ingenieur? Zu dieser nachtschlafenden Zeit? An seinen Luftschiffen war eine ganze Reihe von Ingenieuren beschäftigt, die an Verbesserungen arbeiteten, um die Flotte effektiver einzusetzen. Selten, wenn überhaupt, suchte einer von ihnen das direkte Gespräch mit ihm, insbesondere zu so nachtschlafender Zeit. Sofort schöpfte er Verdacht, nach einem kurzen Moment der Überlegung kam er jedoch zu der Einsicht, dass ein solches Vorgehen eher auf eine gewisse Verzweiflung hindeutete. Dunsidans Interesse war geweckt. Also schob er seine Vorbehalte zur Seite.
»Herein.«
Der Ingenieur glitt durch die Tür wie ein Frettchen, das sich in seine Höhle verkriecht. Er war ein kleiner Mann, an dem keinerlei äußere Merkmale hervorstachen. Aus seinem Verhalten Sen Dunsidan gegenüber wurde sofort klar, dass er sich auf keinen Fall zu viel herausnehmen würde. »Premierminister«, sagte er, verneigte sich tief und wartete.
»Du möchtest etwas Dringendes mit mir besprechen?«
»Ja, Premierminister. Ich heiße Orek. Etan Orek. Ich arbeite schon seit zwanzig Jahren als Luftschiffingenieur. Ich bin Euer treuester Diener und Bewunderer, Premierminister, und deshalb wusste ich, als ich diese Entdeckung gemacht hatte, dass ich mich geradewegs an Euch wenden muss.«
Er stand gebeugt da und vermied auch nur den Anschein, als würde er sich Sen Dunsidan gegenüber als gleichgestellt betrachten. Sein Benehmen wirkte kriecherisch, und fast beunruhigte das den Premierminister, aber er zwang sich, es zu ignorieren. »Richte dich auf und sieh mich an.«
Etan Orek befolgte den Befehl, obwohl er Sen Dunsidans Blick allen Anstrengungen zum Trotz nicht halten konnte und auf die Gürtelschnalle seines Gegenübers starrte. »Entschuldigt bitte die Störung.«
»Was für eine Entdeckung hast du gemacht, Ingenieur Orek? Ich vermute, es hat mit deiner Arbeit an meinen Luftschiffen zu tun?«
Der Mann nickte rasch. »Oh, ja, Premierminister, genau. Ich hatte mir die Diapsonkristalle vorgenommen und versucht, eine Möglichkeit zu finden, die Leistung der Konverter, die Umgebungslicht in Energie verwandeln, zu erhöhen. Das war in den letzten fünf Jahren meine Aufgabe.«
»Und?«
Orek zögerte. »Mein Herr«, sagte er und wählte diesen noch formelleren und ehrerbietigen Titel, »ich denke, es wäre besser, Euch das Ganze persönlich zu zeigen, als es Euch zu beschreiben. Dann werdet Ihr die Tragweite besser verstehen.« Er strich sich das widerspenstige dunkle Haar aus der Stirn und rieb sich nervös die Hände. »Wäre es zu viel verlangt, wenn ich Euch bitte, mich zu meinem Arbeitsplatz zu begleiten? Ich weiß, die Stunde ist vorgerückt, aber Ihr werdet nicht enttäuscht werden.«
Einen Moment lang bedachte Sen Dunsidan die Möglichkeit, dass es sich um einen Attentatsversuch handeln könnte. Doch drängte er diesen Gedanken beiseite. Seine Feinde würden sicherlich...